Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 283/20

Mai 22, 2021

Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 283/20

Zusammenfassung RA und Notar Krau

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 20. Januar 2021 (4 AZR 283/20) behandelt die Frage, ob durch eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge auch betriebsverfassungsrechtliche Regelungen wirksam vereinbart werden können.

Der Hintergrund des Falls ist ein Streit über die Gewährung von tariflichen Freistellungstagen zwischen einem langjährig in Wechselschicht beschäftigten CNC-Dreher und seinem Arbeitgeber.

Kernaussagen des Urteils


Keine vertragliche Vereinbarung betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen:


Durch eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge können betriebsverfassungsrechtliche Regelungen nicht wirksam ins Arbeitsverhältnis übernommen werden.

Die Arbeitsvertragsparteien haben keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, um betriebsverfassungsrechtliche Regelungen zu vereinbaren.


Daher ist eine solche Bezugnahme gemäß § 134 BGB insoweit nichtig.

Die Teilnichtigkeit betrifft jedoch nur den betriebsverfassungsrechtlichen Teil, während die tariflichen Inhaltsnormen weiterhin wirksam bleiben.


Sachverhalt


Der Kläger, ein CNC-Dreher mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden, hatte im Jahr 2007 einen Arbeitsvertrag abgeschlossen, der auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen verweist.

Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 283/20

Der Arbeitgeber ist Mitglied im METALL NRW Verband, jedoch seit 2008 ohne Tarifbindung.

Im Jahr 2018 wurde zwischen dem Verband und der IG Metall der „Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld“ (TV T-ZUG) abgeschlossen.

Dieser Tarifvertrag ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen, statt einer Einmalzahlung Freistellungstage zu erhalten.

Der Kläger beantragte auf dieser Basis acht Freistellungstage für das Jahr 2019, was vom Arbeitgeber abgelehnt wurde.

Entscheidungsgründe


Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, dass der Kläger Anspruch auf die Freistellungstage habe, aber betonte, dass betriebsverfassungsrechtliche Normen durch die arbeitsvertragliche Bezugnahme nicht wirksam werden können.

Vertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge:

Der Arbeitsvertrag enthält eine dynamische Verweisung auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen, was bedeutet, dass die jeweils gültigen Tarifverträge Anwendung finden.


Diese dynamische Verweisung erfasst alle Tarifverträge des Tarifgebiets, einschließlich des TV T-ZUG und der Manteltarifverträge (MTV).


Inhaltsnormen vs. betriebsverfassungsrechtliche Normen:

Die tariflichen Inhaltsnormen (z.B. die Regelungen zu Freistellungstagen) werden durch die Bezugnahmeklausel wirksam in das Arbeitsverhältnis integriert.

Bezugnahme auf betriebsverfassungsrechtliche Tarifregelungen – BAG Urteil vom 20.1.2021 – 4 AZR 283/20


Betriebsverfassungsrechtliche Normen (z.B. das Erörterungsverfahren mit dem Betriebsrat) können jedoch nicht wirksam vereinbart werden, da dies außerhalb der Regelungskompetenz der Arbeitsvertragsparteien liegt.


Teilnichtigkeit der Bezugnahmeklausel:

Die Bezugnahmeklausel ist nur insoweit nichtig, als sie betriebsverfassungsrechtliche Regelungen einbezieht.

Die Inhaltsnormen bleiben wirksam.


In diesem Fall bedeutet das, dass die Regelungen zur Freistellung und die Anspruchsvoraussetzungen aus dem TV T-ZUG und dem MTV gelten, nicht jedoch die Regelungen, die ein Erörterungsverfahren mit dem Betriebsrat erfordern.


Konsequenzen für den Arbeitgeber:

Der Arbeitgeber kann sich nicht auf eine fehlende innerbetriebliche Kompensationsmöglichkeit berufen, um den Anspruch auf Freistellungstage abzulehnen, da die betriebsverfassungsrechtlichen Normen nicht wirksam einbezogen wurden.


Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber tarifgebunden ist, jedoch keine innerbetriebliche Kompensationsmöglichkeit besteht.

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Der Arbeitgeber hätte alternative Möglichkeiten, z.B. durch Änderungskündigung, den Arbeitsvertrag entsprechend anzupassen.


Schlussfolgerung


Das BAG entschied, dass der Kläger Anspruch auf die beantragten acht Freistellungstage für das Jahr 2019 hat.

Der Arbeitgeber konnte sich nicht auf betriebsverfassungsrechtliche Gründe berufen, um den Anspruch abzulehnen, da diese Regelungen durch die arbeitsvertragliche Bezugnahme nicht wirksam geworden waren.

Das Urteil verdeutlicht die Grenzen der Regelungskompetenz von Arbeitsvertragsparteien und die Unwirksamkeit der Vereinbarung betriebsverfassungsrechtlicher Regelungen im Wege der arbeitsvertraglichen Bezugnahme.

Schlagworte

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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