BGH II ZR 199/10

Dezember 9, 2020

BGH II ZR 199/10, Urteil vom 05.07.2011, Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Liquidation, Nachtragsliquidation

Kernaussage:

Das Urteil befasst sich mit der Vertretungsbefugnis in einer aufgelösten Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) in Liquidation.

Es stellt klar, dass die Einzelgeschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters grundsätzlich mit der Auflösung erlischt und die Geschäftsführung dann allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zusteht, sofern keine abweichende Regelung getroffen wurde.

Eine analoge Anwendung von Vorschriften des Aktiengesetzes (AktG) oder des GmbH-Gesetzes (GmbHG) ist in der Regel nicht möglich.

Sachverhalt:

  • Die Klägerin ist eine GbR in Liquidation, die 2001 gegründet wurde. Ihr Gesellschaftszweck bestand in der Beteiligung weiterer Gesellschafter und der Verwaltung von eingelegten Beträgen.
  • Der Beklagte ist einer von ca. 3.400 Gesellschaftern, der statt einer Bareinlage einen Anspruch gegen die S. GmbH in die GbR eingebracht hat.
  • Sowohl die S. GmbH als auch die S. Finanzdienstleistungen AG, auf die die Ansprüche der Gesellschafter übergehen sollten, wurden insolvent.
  • Auf einer Gesellschafterversammlung der Klägerin im Jahr 2002 kam es nicht zur Bestimmung eines Liquidators.
  • Die Klägerin, vertreten durch W. K. als „Liquidator“, klagte gegen den Beklagten auf Zahlung des Nominalwerts der eingebrachten Forderung bzw. hilfsweise auf Feststellung eines geringeren Anspruchs.
  • Das Landgericht wies die Klage ab, da W. K. die Klägerin in der Liquidation nicht mehr vertreten könne.
  • Die Klägerin legte Berufung ein und stellte zusätzlich einen Feststellungsantrag bezüglich der Rückabtretung des Anspruchs gegen die S. GmbH.
  • Das Berufungsgericht wies die Berufung und den Feststellungsantrag ab.

BGH II ZR 199/10

Entscheidungsgründe:

  • Unzulässigkeit der Klage:

    • Die Klage ist unzulässig, da die Klägerin durch W. K. nicht mehr wirksam vertreten wird.
    • Die Einzelgeschäftsführungsbefugnis erlischt grundsätzlich mit der Auflösung der GbR.
    • Von der Auflösung an steht die Geschäftsführung allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu, sofern keine abweichende Regelung getroffen wurde.
    • Im Gesellschaftsvertrag der Klägerin fehlt eine solche Regelung.
  • Keine abweichende Regelung im Gesellschaftsvertrag:

    • Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nicht möglich, da auf das dispositive Gesetzesrecht (§ 730 Abs. 2 Satz 2 BGB) zurückgegriffen werden kann.
    • Der Gesellschaftsvertrag und die Umstände bei Vertragsschluss lassen keinen hypothetischen Parteiwillen erkennen, dass W. K. auch in der Liquidationsphase alleinvertretungsberechtigt sein sollte.
    • Die Interessenlage bei Zweckerreichung und Zweckverfehlung ist unterschiedlich. Bei Zweckverfehlung ist eine vollständige Auseinandersetzung des Gesellschaftsvermögens erforderlich, wobei das Interesse der Gesellschafter an Überwachung und Kontrolle stärker in den Vordergrund tritt.
    • Eine Abwicklung durch den Initiator des fehlgeschlagenen Geschäftsmodells entspricht nicht dem mutmaßlichen Parteiwillen.
  • Keine analoge Anwendung von Kapitalgesellschaftsrecht:

    • Eine analoge Anwendung von § 265 Abs. 1 AktG oder § 66 Abs. 1 GmbHG scheidet aus.
    • Es besteht keine Regelungslücke, da die Gesellschafter die Handlungsfähigkeit der GbR in der Liquidation durch Beschluss oder gerichtliche Bestellung eines Liquidators sicherstellen können.
    • Eine analoge Anwendung widerspricht den Interessen der Gesellschafter, da sie das Recht auf gemeinschaftliche Entscheidung über Liquidationsmaßnahmen verlieren würden.
    • Die Tatsache, dass der Senat bei Publikums-KGs teilweise kapitalgesellschaftsrechtliche Regeln anwendet, rechtfertigt keine Analogie, wenn die konkrete Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags dem entgegensteht.
    • Im vorliegenden Fall weist der Gesellschaftsvertrag keine kapitalgesellschaftsrechtlichen Elemente auf.

BGH II ZR 199/10

Fazit:

  • In einer aufgelösten GbR in Liquidation erlischt die Einzelgeschäftsführungsbefugnis eines Gesellschafters grundsätzlich, sofern keine abweichende Regelung getroffen wurde.
  • Die Geschäftsführung und Vertretung steht dann allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu.
  • Eine analoge Anwendung von Vorschriften des AktG oder GmbHG ist in der Regel nicht möglich, insbesondere wenn die konkrete Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags dem entgegensteht.
  • Im vorliegenden Fall war die Klage unzulässig, da die Klägerin nicht wirksam vertreten wurde.

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Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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