BGH IV ZR 82/77

September 10, 2017

BGH IV ZR 82/77 – Pflichtteilsberechnung – Steuerschulden – Absetzung des Voraus nach § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB,

Tatbestand BGH IV ZR 82/77

Mit ihrer Klage verlangen die beiden erstehelichen Söhne der am 12. August 1972 verschiedenen Frau T. L. (Erblasserin) von dem Beklagten, mit dem die Verstorbene in zweiter Ehe – im gesetzlichen Güterstande der Zugewinngemeinschaft – verheiratet war und den sie im gemeinschaftlichen Testament vom 27. März 1966 zum Alleinerben eingesetzt hat, ihren Pflichtteil. Hinsichtlich der Bemessung des dabei zugrunde zu legenden Nachlaßwertes streiten die Parteien (noch) um die Frage, ob auch der hinterlassene Teil des gemeinsam angeschafften ehelichen Hausrates in Ansatz zu bringen sowie die Schulden der zusammen veranlagten Eheleute auf die Einkommensteuer und die Ergänzungsabgabe für die Veranlagungszeiträume 1970 bis 1972 als Nachlaßverbindlichkeiten wertmindernd zu berücksichtigen seien.

Das Landgericht hat insoweit den hälftigen Wert des Hausrates (8.667,– DM) dem zu berücksichtigenden Aktivbestand des Nachlasses zugerechnet und die Steuerschulden zur Hälfte (32.713,25 DM) als Passivposten bewertet. Hiernach hat es den Nachlaßwert unter Berücksichtigung weiterer, hier nicht mehr interessierender Positionen mit 168.685,05 DM festgestellt, den Pflichtteil jedes Klägers auf 1/8 dieses Betrages = 21.085,63 DM berechnet und den Beklagten – unter Abzug bereits entrichteter Beträge – zur Zahlung von 14.676,63 DM an jeden Kläger verurteilt.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat es die bei der Feststellung des Nachlaßwertes zugrunde gelegten Passiven um die angeführten Steuerschulden verringert und – unter Korrektur der Bemessung in einem weiteren Punkt – den Betrag der Verurteilung des Beklagten auf 16.788,23 DM je Kläger erhöht. Mit der – insoweit zugelassenen – Revision wendet sich der Beklagte einerseits gegen die Berücksichtigung des Hausrates, andererseits gegen die Nichtberücksichtigung der Hälfte der Steuerschulden und erstrebt die Herabsetzung des Betrages seiner Verurteilung um 5.197,53 DM auf 11.590,70 DM für jeden Kläger. Diese beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe BGH IV ZR 82/77

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Oberlandesgericht hat es entgegen der Rechtsansicht des Beklagten abgelehnt, bei der Berechnung des Pflichtteils der Kläger den in den Nachlaß fallenden Teil des Hausrates nach § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB als Voraus, der dem Beklagten als überlebenden Ehegatten gebührt, (pflichtteilsmindernd) außer Ansatz zu lassen.

Damit hat es sich in der umstrittenen, vom Reichsgericht in RGZ 62, 109 offen gelassen und auch sonst – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage nach der Anwendbarkeit der genannten Vorschrift auf die Fälle testamentarischer Erbfolge des überlebenden Ehegatten jedenfalls bei dessen Einsetzung zum Alleinerben der überwiegenden Meinung angeschlossen. Diese erachtet es als zwingende Voraussetzung für die Absetzung des Voraus nach § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB, daß er dem überlebenden Ehegatten “gebühre”.

Das aber sei gemäß § 1932 Abs 1 BGB nur der Fall, wenn der Ehegatte gesetzlicher Erbe geworden sei (vgl Palandt/Keidel, BGB 37. Aufl § 2311 Anm 4; Erman/Bartholomeyczik/Schlüter, BGB 6. Aufl, § 2311 Rdn 7; Soergel/Dieckmann, BGB 10. Aufl § 2311 Rdn 13; Planck/Greiff, BGB 4. Aufl § 2311 Anm 2d; Staudinger/Ferid, BGB 10./11. Aufl § 2311 Rdn 72ff; RGRK-BGB/Kregel, 12. Aufl § 1932 Rdn 3, Johannsen, daselbst § 2311 Rdn 10; Strohal, Erbrecht 3. Aufl § 52 II 1; Lange/Kuchinke, Erbrecht 2. Aufl § 39 VI 2c N 166; Drewes JR 1925, 680, 681 sowie JW 1925, 2104, 2105; Staudenmaier DNotZ 1965, 68ff).

BGH IV ZR 82/77

Demgegenüber macht sich die Revision die Gegenansicht zu eigen, wonach der Voraus auch im Falle der Erbschaft des überlebenden Ehegatten aufgrund letztwilliger Verfügung pflichtteilsmindernd vom Bestand und Wert des Nachlasses abzusetzen ist (OLG Kassel Recht 1925, 153 Nr 463; Kipp/Coing, Erbrecht 13. Bearbeitung § 9 II 3; Ischinger, BWNotZ, Mitteilungen aus der Praxis 1933, 138, 139; ferner Johannsen in Achilles/Greiff, BGB 21. Aufl § 2311 Anm 3, der diese Ansicht jedoch in RGRK-BGB, aaO aufgegeben und sich der hM angeschlossen hat).

Der Senat tritt der erstgenannten Auffassung bei. Sie entspricht dem für die Auslegung der Bestimmung maßgebenden objektivierten Willen des Gesetzes, wie er sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Sinnzusammenhang der betreffenden Vorschriften ergibt.

a) Mit dem Merkmal des “dem überlebenden Ehegatten gebührenden Voraus” nimmt die Regelung des 2311 Abs 1 Satz 2 BGB Bezug auf § 1932 Abs 1 BGB. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Kassel (aaO) erschöpft sich dieser Zusammenhang der Vorschriften jedoch darin, daß § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB lediglich auf den Umfang der zum Voraus gehörenden Gegenstände verweist.

Deshalb vertritt dieses Gericht den Standpunkt, daß in dem Voraus im Sinne des § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB nur die zusammenfassende Bezeichnung für die in § 1932 BGB einzeln aufgeführten Gegenstände zu erblicken sei. Dieses Verständnis der in § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB enthaltenen Verweisung auf § 1932 BGB begegnet bereits vom Wortlaut der Vorschriften her Bedenken. In § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB ist, was die wörtliche Anlehnung der Bestimmung an § 1932 BGB betrifft, nicht allein vom “Voraus”, sondern einschränkend von dem Voraus die Rede, der dem überlebenden Ehegatten “gebührt”.

Dieses, in § 1932 Abs 1 BGB gleichfalls enthaltene Begriffspaar ist dort näher definiert. Zum einen wird der gegenständliche Umfang dessen festgelegt, was zum Voraus gehört. Darüber hinaus werden die Voraussetzungen bestimmt, die erfüllt sein müssen, damit die bezeichneten Gegenstände dem überlebenden Ehegatten als Voraus “gebühren”.

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Das begründet die Annahme, daß das Gesetz in § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB mit dem Merkmal des “gebührenden Voraus” nicht allein auf die in § 1932 Abs 1 BGB bezeichneten, zum Voraus gehörenden Gegenstände verweist, sondern auch auf die Voraussetzungen für den Anspruch Bezug nimmt und deshalb die gesetzliche Erbenstellung des Ehegatten auch für die Anwendung des § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB erfordert.

b) Für diese Interpretation spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschriften. So hatte die jetzige Bestimmung des 2311 Abs 1 Satz 2 BGB im sogenannten I. Entwurf des BGB, in dem sie als § 1987 bezeichnet war, folgende Fassung (vgl Entwurf eines BGB erster Lesung, amtliche Ausgabe 1888 S 474):

“Ist der Pflichtteil des Ehegatten des Erblassers zu bestimmen, so wird der im § 1971 (jetzt insoweit § 1932) bezeichnete Voraus als zum Nachlasse gehörend mitgerechnet. Dagegen ist dieser Voraus, wenn er in Gemäßheit des § 1971 dem überlebenden Ehegatten zufällt, bei der Bestimmung des Pflichtteils des Vaters oder der Mutter des Erblassers als nicht zum Nachlasse gehörend anzusehen”.

In dieser Formulierung wird die (pflichtteilsmindernde) Absetzung des Voraus ausdrücklich davon abhängig gemacht, daß die Voraussetzungen des § 1971 erfüllt sind und der Ehegatte den Anspruch auf den Voraus erlangt hat. Da § 1971 des Entwurfs diesen Anspruch – ebenso wie der jetzige § 1932 BGB – nur dem zur gesetzlichen Erbfolge berufenen Ehegatten zubilligte, stand bei jenem Wortlaut der Vorschrift außer Zweifel, daß die Berechnung des Pflichtteils nur dann unter Außerachtlassung des Voraus erfolgen sollte, wenn der Ehegatte gesetzlicher Erbe geworden war.

Daß die ausdrückliche Bezugnahme auf § 1971 und die Verwirklichung dieser Bestimmung in der späteren, insbesondere der Gesetz gewordenen Fassung des § 1987 des I. Entwurfs nicht mehr enthalten ist, beruht offensichtlich nicht auf einer sachlichen, sondern lediglich auf einer redaktionellen Änderung der Bestimmung.

Das ergibt sich aus den Protokollen der Kommission für die zweite Lesung, wo es über die Behandlung eines Antrages, § 1987 Satz 2 anders zu fassen, heißt: “Satz 2 wurde sachlich gebilligt, und der Antrag, soweit er die Fassung des Satz 2 verändert, der Redaktionskommission überwiesen” (vgl Achilles/Gebhard/Spahn, Protokolle der Kommission für die zweite Lesung eines BGB, Band V 1899 S 518).

BGH IV ZR 82/77

c) 2303 Abs 1 Satz 2 BGB bestimmt, daß der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils besteht. In dieser Vorschrift sieht die Revision den verbindenden, unverrückbaren Obersatz zu den Bestimmungen der §§ 1932 und 2311 BGB. Nachdem der gesetzliche Erbteil in den Fällen des § 1932 BGB um den Voraus des überlebenden Ehegatten verringert werde, habe zwangsläufig auch in § 2311 BGB bestimmt werden müssen, daß diese verminderte Basis auch bei der Berechnung des Pflichtteils von Abkömmlingen und Eltern zugrunde zu legen sei. Andernfalls werde § 2303 BGB untragbar durchbrochen.

Diese Ausführungen lassen zunächst außer acht, daß die zum Voraus zählenden Gegenstände den miterbenden Abkömmlingen und Eltern nur entgehen, wenn der überlebende Ehegatte gesetzlicher Erbe geworden ist.

Gelangt er durch letztwillige Verfügung zur Erbfolge, so erlangt er keinen Anspruch auf den Voraus. Vielmehr bleiben die betreffenden Gegenstände beim Nachlaß und unterfallen der allgemeinen Auseinandersetzung zwischen den Miterben. Fällt dem Ehegatten aber der Voraus ohnehin nicht zu, so besteht auch keine Notwendigkeit, die dazu gehörenden Gegenstände bei der Pflichtteilsberechnung außer Ansatz zu lassen.

Darüber hinaus wird die von der Revision insoweit als Obersatz bezeichnete Vorschrift des § 2303 Abs 1 Satz 2 BGB von der hier maßgebenden Frage der Berücksichtigung des Voraus bei der Pflichtteilsberechnung in Wahrheit nicht berührt.

Der Voraus des überlebenden Ehegatten nach § 1932 BGB führt nicht zu einer Veränderung der gesetzlichen Erbteile der übrigen Miterben. Das ergibt sich daraus, daß er weder ein (besonderer) Teil des gesetzlichen Erbrechts des überlebenden Ehegatten noch sonst geeignet ist, dessen gesetzlichen Erbteil – auf Kosten der Miterben – zu erhöhen. Vielmehr stellt er sich als gesetzliches Vorausvermächtnis dar (§§ 1932 Abs 2, 2150 BGB), das dem Überlebenden neben seinem Erbteil zufällt und ihm lediglich einen Anspruch auf Verschaffung des Eigentums an den betreffenden Gegenständen gewährt.

Diese Ausgestaltung hätte nach der allgemeinen Regel des § 2311 Abs 1 Satz 1 BGB an sich zur Folge, daß der Voraus bei der Pflichtteilsberechnung gerade nicht vom Nachlaß abzusetzen wäre, sondern dem Pflichtteil der Eltern und Abkömmlinge im Range nachginge und ihn nicht schmälerte (vgl Staudinger/Ferid, aaO § 2311 Rdn 71).

BGH IV ZR 82/77

Dieses Ergebnis stellte keine Durchbrechung des § 2303 Abs 1 Satz 2 BGB dar, sondern stände in vollem Einklang mit dieser Bestimmung, da dort lediglich auf den Wert des dem Pflichtteilsberechtigten zustehenden gesetzlichen Erbteils, nicht aber darauf abgestellt wird, inwieweit dieser Erbteil mit einem obligatorischen Recht, wie dem Anspruch des Ehegatten auf den Voraus, belastet ist. Aus diesem Grunde lassen sich dieser Bestimmung keine Anhaltspunkte für die Beurteilung des vorliegenden Problems entnehmen.

Entsprechende Erwägungen lassen auch die Begründung als nicht durchschlagend erscheinen, die Coing (Kipp/Coing aaO) unter Bezugnahme auf § 2310 BGB zur Rechtfertigung der abweichenden Auffassung anführt:

Der Pflichtteil werde stets unter Zugrundelegung der gesetzlichen Erbfolge berechnet; treffe der Ehegatte mit Eltern oder Abkömmlingen zusammen, so stehe ihm nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung eben der Voraus zu (ähnlich, unter Berufung auf die vorstehende, bereits von Kipp vertretene Ansicht, auch Ischinger aaO). Die Regelung der gesetzlichen Erbteile des überlebenden Ehegatten sowie der Abkömmlinge und Eltern rechtfertigt es noch nicht, den Voraus bei der Pflichtteilsberechnung zu berücksichtigen.

Daß der dem Ehegatten nach § 1932 BGB zufallende Voraus – trotz seines Vermächtnischarakters – dem Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge und Eltern vorgeht, beruht nicht auf der gesetzlichen Erbfolgeordnung, sondern allein auf der Vorschrift des § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB, die insoweit den Charakter einer Ausnahmeregelung aufweist. Auch dieser Umstand läßt es bedenklich erscheinen, die Vorschrift in extensiver Weise auszulegen und anzuwenden.

Der mit der Vorschrift verfolgte Zweck ist mit demjenigen identisch, der auch § 1932 Abs 1 BGB zugrunde liegt. Dem lediglich mit seinem gesetzlichen Erbrecht zum Zuge kommenden überlebenden Ehegatten soll die Möglichkeit gegeben werden, den Haushalt mit dem bisherigen Hausrat fortzuführen. Um die Verwirklichung dieses, mit der Einführung des Voraus verfolgten Zweckes sicherzustellen, wurde es für gerechtfertigt erachtet, dem Rechte des Ehegatten auf den Voraus den Vorrang vor den Pflichtteilsrechten einzuräumen (vgl Motive zu dem Entwurf eines BGB, amtliche Ausgabe Band V S 409).

BGH IV ZR 82/77

Dieser Rechtfertigungsgrund entfällt indessen, wenn der Ehegatte keinen Anspruch auf den Voraus erlangt, wie es nicht nur der Fall ist, wenn der Erblasser ihm den Voraus entzieht, sondern, wie bereits dargelegt, auch dann, wenn der Überlebende aufgrund letztwilliger Verfügung zur Erbfolge gelangt. Das leuchtet ohne weiteres in den Fällen ein, in denen der Erblasser außer seinem Ehegatten noch weitere (nicht zu den Abkömmlingen oder Eltern zählende) Erben beruft.

Hier würden, wenn § 2311 Abs 1 Satz 2 BGB gleichwohl zur Anwendung käme, bei der Berechnung der Pflichtteile für Abkömmlinge und Eltern die Gegenstände, die an sich zum Voraus gehören, außer Ansatz gelassen, obwohl sie dem überlebenden Ehegatten mangels Anspruches auf den Voraus gar nicht zufallen. Die damit verbundene Benachteiligung der Pflichtteilsberechtigten würde demnach nicht gezielt dem überlebenden Ehegatten, sondern allen Miterben zugute kommen. Eine derartige Zurücksetzung der Pflichtteilsberechtigten gegenüber den testamentarischen Miterben des Ehegatten läßt sich jedoch mit dem Gesetz nicht vereinbaren.

Nur scheinbar anders liegt der Fall, wenn der überlebende Ehegatte – wie hier – testamentarischer Alleinerbe geworden ist. Hier kommen ihm die Gegenstände, die zum Voraus gehören, tatsächlich zugute. Allerdings erhält er sie aufgrund seines Erbrechts, nicht jedoch als Voraus, weil auch hier die Voraussetzungen des § 1932 BGB nicht erfüllt sind (vgl Erman/Bartholomeyczik/Schlüter, aaO Rdn 7; Soergel/Dieckmann, aaO Rdn 13; Staudinger/Ferid, aaO Rdn 82, jeweils zu § 2311).

Damit wird auch dieser Fall von dem Zweck der gesetzlichen Regelung, dem lediglich mit seinem gesetzlichen Erbrecht zum Zuge kommenden Ehegatten die Haushaltsführung zu ermöglichen und ihm insoweit, zur Durchsetzung seines Rechtes auf den Voraus, den Vorrang vor den Pflichtteilsberechtigten zu gewähren, nicht erfaßt.

Das mag in einem – freilich hier nicht vorliegenden – Fall, in dem die zum Voraus zu rechnenden Gegenstände den wesentlichen Bestandteil des Nachlasses ausmachen, zunächst unbillig erscheinen. Indessen muß der Ehegatte bei einer solchen Sachlage auf die Möglichkeit verwiesen werden, nach § 1948 Abs 1 BGB die Erbschaft als eingesetzter Erbe auszuschlagen und seine Berufung als gesetzlicher Erbe anzunehmen, um sich so im Wege des Voraus die hinterlassenen Gegenstände zu sichern. Von der Zumutbarkeit eines solchen Vorgehens geht das Gesetz in §§ 1932 Abs 1, 2311 Abs 1 Satz 2 BGB aus.

II.

Im Ergebnis ohne Erfolg wendet sich die Revision auch dagegen, daß die Steuerschulden nicht den Passiven zugerechnet worden sind, die den bei der Berechnung des Pflichtteils zugrunde zu legenden Nachlaßwert mindern.

BGH IV ZR 82/77

Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung damit begründet, daß die zusammen veranlagten Ehegatten die rückständigen Steuern zwar dem Finanzamt gegenüber gesamtverbindlich geschuldet hätten, daß aber im Innenverhältnis der Beklagte allein zu ihrer Begleichung verpflichtet gewesen sei, weil die Ehefrau mangels eigener Einkünfte ihre Verpflichtung, zum Familienunterhalt beizutragen, durch die Führung des Haushalts erfüllt habe und zu weitergehenden Leistungen nicht verpflichtet gewesen sei. Deshalb habe der Beklagte die Steuern im Verhältnis zu seiner Ehefrau allein entrichten müssen.

Zwar hätte er im Falle einer auf andere Weise als durch den Tod erfolgten Beendigung des Güterstandes infolge der Absetzbarkeit der Steuerschuld von seinem Endvermögen in Höhe der Hälfte der Schuld einen Ausgleichsanspruch gegen seine Ehefrau erlangt. Dieser Ausgleich sei nun jedoch durch die Erhöhung seines gesetzlichen Erbteils nach § 1371 Abs 1 BGB verwirklicht. Da diese Erhöhung die Pflichtteile der Kläger mindere, könne der Beklagte nicht auch noch eine Kürzung des Nachlaßwertes verlangen.

Diese Beurteilung begegnet allerdings Bedenken. Zutreffend ist, daß die nach § 26b EStG zusammen veranlagten Ehegatten nach § 7 Abs 2 StAnpG (jetzt § 44 Abs 1 AO idF v 16. März 1976, BGBl I S 613) gesamtverbindlich für die Steuern aufzukommen hatten.

Daß sie nach § 7 Abs 2 und 3 StAnpG (nunmehr § 268 AO) die Möglichkeit gehabt hätten, die Zwangsvollstreckung wegen der Steuerschuld auf den Betrag beschränken zu lassen, der sich bei getrennter Veranlagung ergeben hätte, ändert hieran nichts. Daraus kann aber, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, noch nicht gefolgert werden, daß damit die gesamte Steuerschuld vom Aktivbestand des Nachlasses abzuziehen sei.

Der dem Finanzamt gegenüber (auch nach dem Tode weiter) bestehenden Verbindlichkeit der Ehefrau stand von Anfang an ein aus der Ausgleichspflicht des § 426 Abs 1 Satz 1 BGB resultierender Befreiungsanspruch (BGHZ 35, 317, 325) gegen den Beklagten gegenüber, der bei der Bewertung des Vermögens der Erblasserin gleichfalls zu berücksichtigen war und die Verbindlichkeit in entsprechender Höhe aufhob.

BGH IV ZR 82/77

Damit hat das Berufungsgericht bei der Frage, in welchem Umfang die Steuerschuld den Nachlaß letztlich minderte, zu Recht darauf abgestellt, wie sich diese Verbindlichkeit im Innenverhältnis auf die Ehegatten verteilte. Bei dieser Untersuchung ist das Gericht davon ausgegangen, daß die Bezahlung der Steuern zum Familienunterhalt gehörte. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Der durch das Gleichberechtigungsgesetz (BGBl I 1957, 609) eingeführte Begriff des Familienunterhalts (§§ 1360, 1360a BGB) umfaßt zwar den gesamten Lebensbedarf der Familie, wozu einmal der Unterhalt im engeren Sinne für Ehegatten und gemeinsame Kinder und zum anderen die Kosten des Haushalts, der nach früherem Recht als ehelicher Aufwand bezeichnete Bedarf, gehören.

Hierzu können jedoch die Steuern, die auf die Einkünfte der Ehegatten entfallen und diese Bezüge mindern, nicht gerechnet werden. Ebensowenig wie diese Einkünfte als gemeinsames Einkommen der Ehegatten oder der Familie anzusehen sind, können die darauf entfallenden Einkommensteuern als Kosten gemeinsamer Lebensführung angesehen werden. Damit scheidet ein auf unterhaltsrechtlichen Erwägungen beruhender Befreiungsanspruch gegen den Beklagten aus.

Dieses Ergebnis hat jedoch nicht zur Folge, daß die Ehegatten deswegen, wie es das Landgericht angenommen hat, nach § 426 Abs 1 Satz 1 BGB zu gleichen Teilen zur Tragung der Steuerschuld verpflichtet gewesen wären. Diese in § 426 Abs 1 Satz 1 BGB bestimmte Regel kommt nur da zum Zuge, wo es an einem besonderen, in den Umständen des Einzelfalles begründeten Verteilungsmaßstab fehlt.

Ein derartiger Maßstab ist hier jedoch gegeben. Zwar gibt es die in § 16 Abs 2 EStG 1920 und § 22 Abs 3 EStG 1925 enthaltene Vorschrift, wonach sich die Verteilung “nach den Verhältniszahlen” richtete, “die sich ergeben, wenn jeder Ehegatte getrennt mit seinem Einkommen veranlagt worden wäre”, seit dem EStG 1934 nicht mehr (vgl Blümich/Falk, EStG Band II 10. Aufl § 26b Anm 2g S 2332). Indessen ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufteilung abweichend von der Regel des § 426 Abs 1 Satz 1 BGB vorzunehmen, aus den güterrechtlichen Beziehungen der Ehegatten.

BGH IV ZR 82/77

Diese sind im Güterstande der Zugewinngemeinschaft hinsichtlich ihres Vermögens grundsätzlich völlig selbständig (§ 1363 Abs 2 Satz 1 BGB). Ebenso getrennt wie das Vermögen sind auch die Schulden.

Deshalb hat im Verhältnis der Ehegatten zueinander jeder von ihnen für die Steuer, die auf seine Einkünfte entfällt, selbst aufzukommen. Begleicht ein Ehegatte die Einkommensteuer (und damit eine Verbindlichkeit) des anderen, so ergibt sich im Hinblick auf die rechtliche Selbstverständlichkeit der beiderseitigen Vermögen, daß er gegen den anderen Ehegatten einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen hat. Dies führt im Falle der Zusammenveranlagung dazu, daß bei der Aufteilung der Steuerschuld die Höhe der beiderseitigen Einkünfte zu berücksichtigen ist, die der Steuerschuld zugrunde liegen.

Ob das in der Weise zu geschehen hat, daß die Ausgleichung streng nach dem Verhältnis der Einkünfte vorgenommen wird (wobei die Progressionswirkung des Einkommensteuertarifes nicht immer hinreichend berücksichtigt würde) oder ob sie nach dem Verhältnis der Steuerbeträge im Falle getrennter Veranlagung erfolgt (wie es in der oben angeführten, 1934 außer Kraft getretenen Vorschrift sowie in § 7 Abs 3 StAnpG, bzw jetzt in § 268 AO für die auf Antrag vorzunehmende Beschränkung der Vollstreckung gegen die Gesamtschuldner vorgesehen ist), kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen; denn hier lagen den Steuerschulden unstreitig lediglich Einkünfte aus der Zahnarztpraxis des Beklagten zugrunde.

Dieser müßte damit auf jeden Fall voll für die Steuer aufkommen (zur Frage des Verteilungsmaßstabes vgl auch Senat in NJW 1977, 378; sowie Köln OLGZ 1969, 332, 334; Blümich/Falk, aaO; Lademann/Lenski/Brockhoff, EStG 3. Aufl § 26b Anm 2).

Diese Beurteilung wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Sie bezeichnet es vielmehr als zutreffenden Ausgangspunkt, daß ungeachtet der von den Ehegatten gewählten Zusammenveranlagung die Steuern aus dem Einkommen zu entrichten seien, auf das sie entfallen. Wenn nur der Ehemann ein steuerpflichtiges Einkommen erziele, habe er allein die hierauf ruhenden Steuern zu zahlen. Er könne nicht mit der Begründung, er stelle ja sein Einkommen für den gemeinsamen Unterhalt zur Verfügung, von der Ehefrau die hälftige Erstattung der mit dem Einkommenserwerb verbundenen Steuern verlangen.

BGH IV ZR 82/77

Anders sei die Lage jedoch zu beurteilen, wenn und soweit die geschuldeten Steuern, wie im vorliegenden Fall, nicht laufend entrichtet worden seien, sondern es sich um rückständige Steuern handle. In diesem Fall sei davon auszugehen, daß zunächst das ungekürzte Bruttoeinkommen des Beklagten für den Familienunterhalt verwandt worden sei.

Diese Unterhaltsleistung sei jedoch um eben jene Steuerbeträge über das vom Beklagten geschuldete Maß hinausgegangen; denn er sei nur bis zur Höhe seines Nettoeinkommens verpflichtet gewesen, für den Unterhalt zu sorgen. Wenn die Ehegatten auch den nicht verfügbaren Teil des Einkommens verbraucht und dadurch den Steuerrückstand verursacht hätten, hätten sie insoweit “über ihre Verhältnisse” gelebt und Schulden gemacht, die sie gemeinsam tragen müßten.

Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar trifft es zu, daß der Beklagte durch die zur Verfügungstellung des Bruttoeinkommens einen höheren Beitrag zum Familienunterhalt geleistet hätte als ihm oblag. Ein deswegen etwa in Frage kommender Anspruch auf teilweise Rückgewähr oder Ersatz der zu viel bezahlten Beträge wäre jedoch im Hinblick auf die Regelung des § 1360b BGB als ausgeschlossen anzusehen.

Nach dieser Vorschrift kann ein Ehegatte, der über den Umfang seiner familienrechtlichen Verpflichtung zum Familienunterhalt beigetragen hat, vom anderen Ehegatten nur Ersatz verlangen, wenn er zu der Zeit, als er die Leistung erbrachte, die Absicht der Rückforderung oder des Ersatzes hatte (vgl Senat in BGHZ 50, 266, 270). Zwar sind hier zu dieser Frage bislang keine Feststellungen getroffen und keine Tatsachen vorgetragen worden.

Indessen erscheint es nach der Lebenserfahrung ausgeschlossen, daß der Beklagte zu der fraglichen Zeit, als er das Einkommen erzielte und zum Familienunterhalt zur Verfügung stellte, eine entsprechende Absicht gehabt hat, die Aufwendungen teilweise zurückzufordern oder ersetzt zu verlangen, so daß sich insoweit weitere Feststellungen erübrigen.

BGH IV ZR 82/77

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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