BGH XII ZB 154/21

August 10, 2022

BGH XII ZB 154/21

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers im Betreuungsverfahren kann auch im Rahmen einer verfahrensleitenden Verfügung des Gerichts und konkludent erfolgen.

Tenor

Der Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 8. März 2021 aufgehoben, soweit die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden ist.

Das Verfahren wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

BGH XII ZB 154/21

I.

Die 1973 geborene Betroffene leidet an einer paranoiden Schizophrenie.

Aufgrund einer Anregung ihrer Schwester hat das Amtsgericht das vorliegende Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung der Betroffenen hat es für die Betroffene mit Beschluss vom 17. Februar 2021 einen Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitssorge, Regelung des Postverkehrs, Vermögensangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie Wohnungsangelegenheiten bestellt.

BGH XII ZB 154/21

Die Überprüfung der Aufhebung oder Verlängerung der Betreuung hat es auf den 17. Februar 2028 festgelegt. Zugleich hat es eine Verfahrenspflegerin bestellt, die während der in einer Tagesklinik durchgeführten Anhörung bereits anwesend war.

Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht durch Beschluss vom 8. März 2021 die Überprüfungsfrist auf den 17. Februar 2023 verkürzt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, die sich gegen die Betreuerbestellung wendet.

BGH XII ZB 154/21

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden ist.

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, weil das Beschwerdegericht die Verfahrenspflegerin nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt hat.

a) Allerdings greift die von der Rechtsbeschwerde erhobene Rüge, dass die Bestellung der Verfahrenspflegerin verfahrensfehlerhaft erst im Anschluss an die Anhörung der Betroffenen erfolgt sei, nicht durch. Zwar ist eine förmliche Bestellung der Verfahrenspflegerin erst im Beschluss über die Betreuerbestellung enthalten, was für sich genommen nicht ausreichend wäre.

Die Bestellung ist im vorliegenden Fall aber schon vor der Anhörung erfolgt, indem das Amtsgericht die Verfahrenspflegerin in dieser Funktion an der Anhörung beteiligt hat. Einer besonderen Form bedurfte die Verfahrenspflegerbestellung nicht.

aa) Ob die Verfahrenspflegerbestellung auch formlos und konkludent möglich ist oder ob sie eines förmlichen Beschlusses bedarf, ist allerdings umstritten.

Nach einer Ansicht muss die Verfahrenspflegerbestellung ausdrücklich durch Beschluss erfolgen

(Keidel/Giers FamFG 20. Aufl. § 276 Rn. 18;

Dutta/Jacoby/Schwab/Schneider FamFG 4. Aufl. § 276 Rn. 16;

MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 276 Rn. 13;

Prütting/Helms/Fröschle FamFG 5. Aufl. § 276 Rn. 78).

Nach einer weiteren Ansicht kann sie auch konkludent erfolgen, etwa durch Ladung des Verfahrenspflegers zum Anhörungstermin

(vgl. OLG Frankfurt BtPrax 1997, 73;

BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Januar 2022] § 276 Rn. 18;

Jürgens/Kretz FamFG 6. Aufl. § 276 Rn. 13;

Jurgeleit/Meier Betreuungsrecht 4. Aufl. § 276 FamFG Rn. 10;

Leeb/Weber NJOZ 2014, 1201, 1205 [Fn. 68]).

bb) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend. Die Verfahrenspflegerbestellung kann auch im Rahmen einer verfahrensleitenden Maßnahme des Gerichts und konkludent erfolgen. Denn das Gesetz sieht für sie keine besonderen formellen Anforderungen vor.

Ein den Erfordernissen des § 38 FamFG entsprechender Beschluss ist schon deswegen nicht erforderlich, weil die Vorschrift nur für Endentscheidungen gilt. Dementsprechend muss die Bestellung des Verfahrenspflegers nicht begründet werden. Es handelt sich um eine nicht gesondert anfechtbare Zwischenentscheidung.

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Für Zwischenentscheidungen ordnet das Gesetz nur in bestimmten Fällen, wie etwa für die förmliche Beweisaufnahme nach § 30 FamFG, besondere Formerfordernisse an

(vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 195),

woran es in § 276 FamFG fehlt. Die Verfahrenspflegerbestellung bedarf daher keines Beschlusses, sondern kann auch konkludent im Rahmen einer verfahrensleitenden Verfügung erfolgen.

Da die Verfügung für den bestellten Verfahrenspfleger Außenwirkung hat, ist sie diesem bekanntzumachen. Zur Wahrung der Anhörungsrechte des Betroffenen und der übrigen Beteiligten ist sie diesen ebenfalls rechtzeitig vor Erlass der Endentscheidung mitzuteilen. Dabei bedarf es indessen einer vorherigen Mitteilung zur beabsichtigten Bestellung und Auswahl des Verfahrenspflegers nicht.

BGH XII ZB 154/21

Zwar ist schon aus Gründen der Transparenz und der Praktikabilität zu empfehlen, die Bestellung des Verfahrenspflegers durch Beschluss anzuordnen

(vgl. Leeb/Weber NJOZ 2014, 1201, 1205 [Fn. 68];

BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Januar 2022] § 276 Rn. 18).

Dieser sollte zudem die für die Vergütung maßgebliche Feststellung enthalten, dass die Verfahrenspflegschaft gegebenenfalls berufsmäßig geführt wird (vgl. § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG) oder anwaltsspezifische Tätigkeiten erfordert

(vgl. dazu Senatsbeschluss vom 15. Mai 2013 – XII ZB 283/12 – FamRZ 2013, 1301 Rn. 6 ff.).

Diese Feststellungen sind indessen nicht notwendiger Bestandteil einer Verfahrenspflegerbestellung. Eine Formbedürftigkeit der Verfahrenspflegerbestellung lässt sich aus diesen mithin nicht herleiten.

b) Dagegen rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass das Beschwerdegericht eine Einbeziehung der Verfahrenspflegerin in das Beschwerdeverfahren nicht für erforderlich gehalten hat.

Der vom Gericht bestellte Verfahrenspfleger ist vielmehr bis zur Beendigung der Bestellung im Sinne von § 276 Abs. 5 FamFG umfassend am Verfahren zu beteiligen, mithin auch im Beschwerdeverfahren. Vorliegend war der Verfahrenspflegerin insbesondere der Bericht der Betreuungsbehörde mitzuteilen. Dies ist vom Amtsgericht nicht veranlasst und vom Landgericht nicht nachgeholt worden.

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, soweit die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen worden ist. Da die Sache nicht entscheidungsreif ist, ist sie an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5 und 6 FamFG).

Das Beschwerdegericht wird bei seiner erneuten Entscheidung für den Fall, dass es eine Betreuerbestellung für geboten hält, die Erforderlichkeit der einzelnen Aufgabenbereiche zu überprüfen und im Einzelnen nachvollziehbar zu begründen haben, was bislang für wesentliche Aufgabenbereiche, wie von der Rechtsbeschwerde mit Recht gerügt, nicht geschehen ist.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling

Klinkhammer

Günter

Botur

Krüger

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Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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