BGH XII ZB 81/22

November 23, 2022

BGH XII ZB 81/22 Beschluss vom 20.07.2022 – Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB 

Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten.

Dies setzt objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens voraus.

Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 24. Mai 2017 – XII ZB 577/16, FamRZ 2017, 1342 und vom 12. Mai 2021 – XII ZB 109/21, MDR 2021, 1153).

Tenor BGH XII ZB 81/22

Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 17. Januar 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe BGH XII ZB 81/22

Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung

I.

Die 1933 geborene Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung ihrer Unterbringung.

Für die Betroffene besteht eine Betreuung, deren Aufgabenkreis unter anderem die Aufenthaltsbestimmung, die Gesundheitssorge sowie Heimplatzangelegenheiten umfasst. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2021 hat das Amtsgericht auf Antrag des Betreuers die Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 15. Dezember 2023 genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1.

Das Landgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach §§ 312 Nr. 1, 323 FamFG, § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB lägen vor. Nach dem Gutachten des Sachverständigen leide die Betroffene seit Jahrzehnten unter einer bipolaren Störung mit gemischten Symptomen bei erschwerend hinzutretender leicht- bis mittelgradig ausgeprägter Demenz mit daraus resultierender deutlichen Störung der Emotionen und des Verhaltens.

BGH XII ZB 81/22

Nach den Ausführungen des Sachverständigen zeichne sich das Krankheitsbild während der langanhaltenden akuten Exazerbation insbesondere durch eine wahnhaft induzierte Realitätsverkennung mit daraus resultierender massiver Neigung zu eigen- als auch fremdgefährdendem Verhalten mit raptusartig auftretenden, tätlich aggressiven Impulsdurchbrüchen, schweren formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie kognitiven als auch mnestischen Defiziten aus.

Die Betroffene sei in der Vergangenheit nur begrenzt dazu in der Lage gewesen, ihr Leben eigenständig zu führen. Sie zeige sich seit langem nicht krankheitseinsichtig und sei nur begrenzt willens, sich einer notwendigen Behandlung zu unterziehen.

Vor der Aufnahme in die aktuelle geschlossene Einrichtung im Oktober 2020 sei die Betroffene mehr als zwei Jahre auf einer geschlossenen Abteilung für Gerontopsychiatrie untergebracht gewesen. Während der gesamten Unterbringung sei bereits mehrfach der erfolglose Versuch unternommen worden, die Betroffene in einem geeigneten Pflegeheim dauerhaft unterzubringen, was jedoch letztlich an ihrem Verhalten gescheitert sei.

2.

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Gefahrenbegriff des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB verkannt.

a) Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es hierfür notwendig, dass eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten besteht.

Der Grad der Gefahr ist in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Gefahr für Leib oder Leben erfordert kein zielgerichtetes Verhalten, aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens.

BGH XII ZB 81/22

Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters. Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf.

Die Begründung darf sich auch bei wiederholt untergebrachten Betroffenen nicht auf formelhafte Wendungen beschränken, sondern muss die Tatbestandsvoraussetzungen im jeweiligen Einzelfall durch die Angabe von Tatsachen konkret nachvollziehbar machen (Senatsbeschlüsse vom 12. Mai 2021 – XII ZB 109/21 – MDR 2021, 1153 Rn. 10 mwN und vom 24. Mai 2017 – XII ZB 577/16 – FamRZ 2017, 1342 Rn. 10 mwN).

b) Konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr des Eintritts eines erheblichen Gesundheitsschadens hat das Landgericht nicht festgestellt.

Die Begründung beschränkt sich auf formelhafte Wendungen. Auch in dem in Bezug genommenen Sachverständigengutachten fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für eine Gefahrenlage.

Der Tatrichter hat es verabsäumt, die krankheitsbedingten Einschränkungen auf eine konkrete Gefahrenlage für die Betroffene zu übertragen. Ferner fehlt es auch an der erforderlichen Relation zum möglichen Schaden für die Betroffene.

Soweit im Sachverständigengutachten – wie auch im angefochtenen Beschluss – wiederholt von Fremdgefährdungen die Rede ist, ist das für den Tatbestand des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht von Belang.

3. Weil die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen, § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG.

BGH XII ZB 81/22

Dose

Schilling

Günter

Botur

Guhling

BGH XII ZB 81/22

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

Inhalt Rechtsmittelbelehrung im Hinblick auf § 52d FGO – Wiedereinsetzung in vorigen Stand Wechsel Prozessbevollmächtigten – BFH VI B 13/23

Februar 18, 2024
Inhalt Rechtsmittelbelehrung im Hinblick auf § 52d FGO – Wiedereinsetzung in vorigen Stand Wechsel Prozessbevollmächtigten – BFH VI B 13/23Zus…
blue and gray high rise building

(Teilweise) Aussetzung der Festsetzung oder Feststellung nach § 165 I 4 AO – BFH IV R 13/21

Februar 4, 2024
(Teilweise) Aussetzung der Festsetzung oder Feststellung nach § 165 I 4 AO – BFH IV R 13/21 – Urteil vom 30. November 2023,vorgehend FG Düss…
loving family laughing at table having cozy meal

BFH III R 40/22 – Kindergeld im Vereinigten Königreich vor dem Brexit

Februar 4, 2024
BFH III R 40/22 – Kindergeld im Vereinigten Königreich vor dem Brexit – Urteil vom 30. November 2023, Koordinierungsverfahrenvorgehend Finanz…