Brandenburgisches OLG 3 W 79/22 Nachlasspflegschaft, wann sind Erben unbekannt? wann besteht Sicherungsbedürfnis?
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. November 2022 – 3 W 79/22
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 5. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 28.04.2022 (Aktenzeichen 10 VI 142/22) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.
Beschwerdewert: 1.000.000 €
Gründe
Brandenburgisches OLG 3 W 79/22
I.
Der am ….2021 verstorbene Erblasser hinterließ mehrere Verfügungen von Todes wegen. Es existiert ein privatschriftliches Testament vom 29.07.1993, in dem der Erblasser seine damalige Ehefrau, die Beteiligte zu 1, zur Alleinerbin eingesetzt hat.
Weiter existiert ein maschinengeschriebenes Testament vom 4.11.2015 mit einer ebenfalls maschinengeschriebenen Änderung vom 04.11.2015. Auf demselben Schriftstück findet sich eine handgeschriebene und unterschriebene „Änderung der testamentarischen Festlegung vom 06.07.2017“, in der es heißt: „Meine Kinder A…-R… D… und K…-M… D… sind hiermit enterbt.“
In einem weiteren handgeschriebenen und unterschriebenen Zusatz vom 19.03.2021 heißt es u.a.:
“Nunmehr geschieden ergänze ich mein Testament wie folgt:
Randnummer5
Alle Ansprüche aus meinen Verträgen mit der M… H… GmbH
und meine Ansprüche aus der Grundschuld zu meinen Gunsten an der N…str … GbR gehen über auf meine Lebensgefährtin A… R…-J… ….“.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 und 3 hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 28.04.2022 die Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben des Erblassers angeordnet und die Beteiligte zu 6 zur Nachlasspflegerin bestellt.
Randnummer8
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Erbfolge sei aufgrund der diversen Testamente ungewiss. Handlungsbedarf zur Sicherung des Nachlasses sei gegeben.
Brandenburgisches OLG 3 W 79/22
Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 5 mit ihrer Beschwerde. Sie wendet ein, die Erben seien nicht unbekannt. Sie selbst sei als Erbin eingesetzt worden, da es sich bei den ihr im Zusatz vom 19.03.2021 zugedachten Zuwendungen im Wesentlichen um den gesamten Nachlass gehandelt habe. Sie habe mittlerweile einen Erbscheinsantrag gestellt. Zudem habe das Nachlassgericht nicht erläutert, woraus sich das Fürsorgebedürfnis als Voraussetzung für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft ergebe. Ein Sicherungsbedürfnis bestehe nicht.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde der Erbprätendentin hat in der Sache keinen Erfolg.
1.
Die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB setzt voraus, dass die Erbrechtslage aus bestimmten tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unsicher ist und dass kumulativ ein Fürsorgebedürfnis besteht.
Beides ist hier gegeben.
2.
a)
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Unbekannt nach § 1960 BGB Vorschrift ist der Erbe, wenn sich das Nachlassgericht nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer bzw. wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist
(BGH FamRZ 2012, 1869; OLG Düsseldorf, FamRZ 1996, 308; OLG Hamm BeckRS 2018, 34517; OLG Köln ZErb 2018, 33 f).
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Erbe unbekannt ist, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts im Zeitpunkt der Beschlussfassung auszugehen. Das Nachlassgericht hat bei der Beantwortung der Frage, ob der Erbe unbekannt ist, die Voraussetzungen hierfür zwar nicht mit letzter Gewissheit festzustellen.
Erforderlich ist aber, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass eine bestimmte Person Erbe geworden ist (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.9.2019 – 21 W 65/19). Kann der zur Entscheidung über die Beschwerde berufene Senat sich nicht ohne umfängliche Ermittlungen davon überzeugen, wer von mehreren in Betracht kommenden Personen Erbe geworden ist, so ist der Erbe unbekannt (OLG Hamm, Beschluss vom 14.06.2018 – 15 W 54/18).
b)
Hier kann ohne umfängliche Ermittlungen nicht festgestellt werden, wer Erbe geworden ist, insbesondere ob die Beschwerdeführerin als Alleinerbin eingesetzt worden ist oder gesetzliche Erbfolge eingetreten ist. Dies hängt wesentlich von den Vermögensverhältnissen des Erblassers zum Zeitpunkt seiner Testamentsergänzung vom 19.03.2021 ab. Ob die der Beschwerdeführerin zugewendeten Vermögensgegenstände, wie sie meint, „im Wesentlichen den gesamten Nachlass darstellen“, kann nicht ohne Weiteres festgestellt werden.
So haben die Beteiligten zu 2 und 3 eingewandt, dass zum Vermögen des Erblassers auch ein Miteigentumsanteil an dem Gewerbegrundstück in der N… Straße in L… gehört und zudem ein Kraftfahrzeug und Kontoguthaben vorhanden gewesen seien. Auch die Nachlasspflegerin hat in ihrer Stellungnahme mitgeteilt, dass eine abschließende Beurteilung des Nachlassumfanges bislang nicht möglich sei.
3.
Es besteht auch ein Sicherungsbedürfnis.
a)
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Ob ein Bedürfnis für eine gerichtliche Fürsorge besteht, obliegt einer Ermessensentscheidung des Nachlassgerichts, für welche die Belange des endgültigen Erben an der Sicherung und Erhaltung des Nachlasses leitend sein müssen. Ein Fürsorgebedürfnis besteht, wenn ohne das Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre, wobei maßgeblich ausschließlich das Interesse des endgültigen Erben ist.
Dabei kann allein die Ungewissheit in Bezug auf die Person des Erben lediglich den Sicherungsanlass, nicht aber für sich genommen das zusätzlich erforderliche Fürsorgebedürfnis begründen. Vielmehr bedarf es zum Zeitpunkt der Anordnung über den Sicherungsanlass konkreter Anhaltspunkte für eine weitergehende Gefährdung des Nachlasswertes, z.Bsp. indem das Aktivvermögen durch Wertverlust, Diebstahl, sonstige strafbare Handlung usw., Unterlassen der Geltendmachung von Ansprüchen und Forderungen, Fehlen ordnungsgemäßer Verwaltung schrumpft (OLG Köln, Beschluss vom 8.5.2019 – 2 Wx 141/19 m.w.N.).
Aus der Sicht und im Zeitpunkt der Entscheidung des Nachlassgerichts müssen dem Nachlass Gefahren wegen seiner tatsächlichen Herrenlosigkeit drohen und keine Person vorhanden sein, die diesen Gefahren begegnet (vgl. Zimmermann Die Nachlasspflegschaft, 3. Aufl., Rn. 48). Zu verneinen ist ein Fürsorgebedürfnis dann, wenn der Nachlass ordnungsgemäß verwaltet wird und missbräuchliche Verfügungen vor Erbscheinserteilung ausgeschlossen sind (NK-BGB, 6. Aufl. 2022, § 1960, Rn 16).
b)
Gemessen an vorstehenden Grundsätzen ist vorliegend ein Sicherungsbedürfnis zu bejahen.
Brandenburgisches OLG 3 W 79/22
Schon in Anbetracht der Höhe und Zusammensetzung des Nachlasses ist ein Bedürfnis nach einer Sicherung und Verwaltung des Nachlasses nicht von der Hand zu weisen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.2019, 21 W 65/19). Zum Nachlass gehören neben dem Guthaben bei der Sparkasse auch der Miteigentumsanteil an einem gewerblich genutzten Grundstück. Wird dieses durch einen Mieter genutzt, sind regelmäßige Verwaltungstätigkeiten erforderlich. Zudem gehören nach Mitteilung der Nachlasspflegerin zum Nachlass diverse Beteiligungen an der M… H… GmbH, eine Pensionszusage in unbekannter Höhe sowie Forderungen aus einem Darlehensvertrag in ebenfalls unbekannter Höhe.
Darüber hinaus ist bislang nicht offen gelegt, ob und welche weiteren Gegenstände zum Nachlass gehören. Im Hinblick auf das zum Nachlass gehörende Fahrzeug muss geklärt werden, von wem dieses abgemeldet wurde und wo dessen Verbleib ist.
Darüber hinaus gibt es im Zusammenhang mit dem Girokonto bei der Sparkasse Klärungsbedarf, da die derzeit auf dem Konto befindliche Summe nicht mit der Summe übereinstimmt, die sich zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers auf dem Konto befand.
Dies alles rechtfertigt auch angesichts des Umfangs des Nachlasses von mindestens 1.000.000 € die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft bis zur endgültigen Klärung der Erbfolge, wobei insoweit auch in Rechnung zu stellen ist, dass die Kosten der Nachlasspflegschaft sich nicht am Wert des Nachlasses, sondern an der tatsächlich vom Nachlasspfleger erbrachten Arbeitsleistung orientieren, so dass nur geringfügige Sicherungsmaßnahmen auch nicht eine übermäßige Belastung der endgültigen Erben nach sich ziehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.09.2019, 21 W 65/19).
4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Beschwerdewert richtet sich gemäß § 64 GNotKG nach dem Wert des von der Verwaltung betroffenen Vermögens. Von der Verwaltung umfasst soll der gesamte Nachlass sein, dessen Wert der Senat auf der Grundlage der ihm vorliegenden Informationen auf 1.000.000 € schätzt.
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