Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Januar 22, 2024

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21 – Erklärung der Ausschlagung einer Erbschaft

Zusammenfassung von RA und Notar Krau:

In der Rechtssache C-651/21 geht es um die Auslegung von Artikel 13 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 bezüglich der Eintragung von Erklärungen zur Ausschlagung einer Erbschaft.

Ein bulgarischer Erbe, M. Ya. M., beantragt die Eintragung der Ausschlagungserklärung eines anderen Erben, der im Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts die Erklärung abgegeben hat.

Das vorlegende Gericht fragt, ob eine erneute Eintragung im Mitgliedstaat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers möglich ist und wer dazu berechtigt ist.

Es stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit und dem Schutz der Rechtssicherheit in solchen Fällen.

Der Gerichtshof muss klären, ob Artikel 13 der Verordnung einer erneuten Eintragung entgegensteht und ob andere Erben die Eintragung im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erben beantragen können, obwohl dies im Recht dieses Mitgliedstaats nicht vorgesehen ist.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21 – Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

  • Einführung in die Rechtssache C-651/21
  • Hintergrundinformationen zur Verordnung (EU) Nr. 650/2012
  • Überblick über die Fragen und Probleme im Zusammenhang mit dem Erbrecht

II. Rechtlicher Rahmen

  • Darlegung des europäischen Rechtsrahmens im Erbrecht
  • Erklärung der relevanten Artikel der Verordnung (EU) Nr. 650/2012
  • Darstellung des bulgarischen Erbrechts und seiner Anwendung

III. Die Rechtssache C-651/21

  • Beschreibung des Falls und der beteiligten Parteien
  • Chronologische Darstellung des Verfahrens
  • Herausforderungen und Fragen, die sich im Verlauf des Falls ergeben haben

IV. Vorlagefragen

  • Zusammenfassung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen
  • Erörterung der möglichen Auslegungen und Lösungen für diese Fragen

V. Urteil des Gerichtshofs

  • Präsentation des Urteils und seiner wesentlichen Feststellungen
  • Analyse der Auswirkungen des Urteils auf das Erbrecht und die Verordnung (EU) Nr. 650/2012

VI. Schlussfolgerungen

  • Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse und Ergebnisse
  • Betonung der Bedeutung des Falls für das europäische Erbrecht

VII. Schlussbemerkungen

  • Abschließende Gedanken und mögliche Auswirkungen auf die Rechtspraxis

Zum Entscheidungstext:

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer)

  1. März 2023(*)(i)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Art. 13 – Erklärung der Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Erben vor dem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts – Spätere Eintragung dieser Erklärung im Register eines anderen Mitgliedstaats auf Antrag eines anderen Erben“

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren

М. Ya. M.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters M. Ilešič (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter I. Jarukaitis und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Wils und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2022

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107).

Es ergeht im Rahmen eines von M. Ya. M. in seiner Eigenschaft als Erbe eingeleiteten Verfahrens wegen eines Antrags auf Eintragung einer Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft, die ein anderer Erbe vor einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts abgegeben hat, in das Register eines anderen Mitgliedstaats.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

In den Erwägungsgründen 7, 23, 32 und 67 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:

„(7) Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.

(23) In Anbetracht der zunehmenden Mobilität der Bürger sollte die Verordnung zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege in der [Europäischen] Union und einer wirklichen Verbindung zwischen dem Nachlass und dem Mitgliedstaat, in dem die Erbsache abgewickelt wird, als allgemeinen Anknüpfungspunkt zum Zwecke der Bestimmung der Zuständigkeit und des anzuwendenden Rechts den gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt des Todes vorsehen. …

(32) Im Interesse der Erben und Vermächtnisnehmer, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen als dem Mitgliedstaat haben, in dem der Nachlass abgewickelt wird oder werden soll, sollte diese Verordnung es jeder Person, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht dazu berechtigt ist, ermöglichen, Erklärungen über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder zur Begrenzung ihrer Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten vor den Gerichten des Mitgliedstaats ihres gewöhnlichen Aufenthalts in der Form abzugeben, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist. Dies sollte nicht ausschließen, dass derartige Erklärungen vor anderen Behörden dieses Mitgliedstaats, die nach nationalem Recht für die Entgegennahme von Erklärungen zuständig sind, abgegeben werden.

Die Personen, die von der Möglichkeit Gebrauch machen möchten, Erklärungen im Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts abzugeben, sollten das Gericht oder die Behörde, die mit der Erbsache befasst ist oder sein wird, innerhalb einer Frist, die in dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht vorgesehen ist, selbst davon in Kenntnis setzen, dass derartige Erklärungen abgegeben wurden.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

(67) Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sein sollten, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise in einem Mitgliedstaat, in dem Nachlassvermögen belegen ist, einfach nachzuweisen. …“

Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 650/2012 umfasst u. a. deren Art. 4 und 13.

Art. 4 („Allgemeine Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt:

„Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“

Art. 13 („Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils“) der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt:

„Außer dem gemäß dieser Verordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gericht sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht vor einem Gericht eine Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder eine Erklärung zur Begrenzung der Haftung der betreffenden Person für die Nachlassverbindlichkeiten abgeben kann, für die Entgegennahme solcher Erklärungen zuständig, wenn diese Erklärungen nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vor einem Gericht abgegeben werden können.“

Kapitel III („Anzuwendendes Recht“) der Verordnung Nr. 650/2012 umfasst u. a. deren Art. 21 und 22.

Art. 21 („Allgemeine Kollisionsnorm“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“

Art. 22 („Rechtswahl“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„Eine Person kann für die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht des Staates wählen, dem sie im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt ihres Todes angehört.“

Bulgarisches Recht

Der Zakon za nasledstvo (Erbschaftsgesetz, DV Nr. 22 vom 29. Januar 1949) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sieht in Art. 48 vor, dass die Erbschaft mit der Annahme übergeht und dass die Annahme ab dem Eintritt des Erbfalls wirksam ist.

Nach Art. 49 Abs. 1 des Erbschaftsgesetzes kann die Annahme durch schriftliche Erklärung erfolgen, die an den Rayonen sad (Rayongericht, Bulgarien) des Bezirks zu richten ist, in dem der Nachlass eröffnet wurde. In diesem Fall wird die Annahme in ein hierfür vorgesehenes Register eingetragen.

Gemäß Art. 51 Abs. 1 des Erbschaftsgesetzes bestimmt der Rayonen sad (Rayongericht) auf Antrag jedes Betroffenen nach Ladung des Erbberechtigten für diesen eine Frist für die Abgabe der Erklärung über die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft. Art. 51 Abs. 2 dieses Gesetzes bestimmt, dass der Erbe, wenn er sich nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist äußert, das Recht auf Annahme der Erbschaft verliert. Gemäß Art. 51 Abs. 3 dieses Gesetzes wird die Erklärung des Erben in das in Art. 49 Abs. 1 genannte Register eingetragen.

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Nach Art. 52 des Erbschaftsgesetzes erfolgt die Ausschlagung der Erbschaft nach dem in Art. 49 Abs. 1 dieses Gesetzes vorgesehenen Verfahren und wird gemäß diesem Verfahren in das Register eingetragen.

Art. 26 Abs. 1 des Grazhdanski protsesualen kodeks (Zivilprozessordnung, DV Nr. 59 vom 20. Juli 2007) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung bestimmt, dass die Parteien im Zivilprozess die Personen sind, in deren Namen das Verfahren geführt wird, und diejenigen, gegen die es geführt wird. Nach Art. 26 Abs. 2 dieses Gesetzes kann, außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen, niemand vor Gericht die Rechte anderer in eigenem Namen geltend machen.

Nach Art. 531 Abs. 1 der Zivilprozessordnung wird das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch einen schriftlichen Antrag des Betroffenen eingeleitet.

Nach Art. 533 der Zivilprozessordnung ist das Gericht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die beantragte Entscheidung vorliegen. Es kann aus eigener Entscheidungsbefugnis Beweise erheben und Tatsachen berücksichtigen, die der Antragsteller nicht vorgebracht hat.

Der Pravilnik za administratsiata v sadilishtata (Verordnung über die Gerichtsverwaltung, DV Nr. 68 vom 22. August 2017) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sieht in Art. 39 Abs. 1 Nr. 11 vor:

„Folgende Register werden bei der Kanzlei in elektronischer Form und/oder in Papierform geführt:

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

  1. ein Register über die Annahme oder Ausschlagung von Erbschaften“. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens, М. Ya. M., ein bulgarischer Staatsangehöriger, erklärt, dass er Erbe seiner am 29. März 2019 in Griechenland verstorbenen Großmutter M. T. G., einer bulgarischen Staatsangehörigen, sei.

Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens stellte beim Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, einen Antrag auf Eintragung der Erklärung, die ein anderer Erbe, nämlich der Ehemann der Erblasserin, über die Ausschlagung der Erbschaft abgegeben hatte. Hierzu legte der Antragsteller ein von den bulgarischen Behörden ausgestelltes Nachlasszeugnis vor, wonach die Erblasserin ihren Ehemann H. H., einen griechischen Staatsangehörigen, ihre Tochter I. M. N. und den Antragsteller des Ausgangsverfahrens als Erben hinterlassen hat.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Im Rahmen dieses Verfahrens reichte der Antragsteller ein Protokoll des Eirinodikeio Athinon (Friedensgericht Athen, Griechenland) ein, wonach der Ehemann der Erblasserin am 28. Juni 2019 vor diesem Gericht erschienen war und erklärt hatte, dass er die Erbschaft ausschlage. Außerdem habe der Ehemann der Erblasserin erklärt, dass diese zuletzt in Griechenland gelebt habe.

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass vor ihm nicht klargestellt worden sei, wo sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin befunden habe, und dass es Informationen hierzu erst einholen könne, nachdem es festgestellt habe, dass es für die Eintragung einer Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft zuständig sei, die zuvor bei dem Gericht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des ausschlagenden Erben abgegeben worden sei.

Des Weiteren geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Antragsteller des Ausgangsverfahrens nicht als Bevollmächtigter des Ehegatten der Erblasserin handelt, sondern erklärt, dass er in seiner Eigenschaft als anderer gleichrangiger Erbe ein Interesse an der Eintragung der in Rede stehenden Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft habe, da diese Eintragung seinen Erbteil erhöhen würde.

Unter diesen Umständen fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine solche Erklärung auch bei dem Gericht einzutragen ist, das für die Entscheidung in Erbsachen für den gesamten in Rede stehenden Nachlass allgemein zuständig ist, wenn diese Erklärung von dem nach Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 zuständigen Gericht entgegengenommen wurde. Außerdem hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob es möglich ist, eine von einem der Erben abgegebene Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft auf Antrag eines anderen Erben einzutragen.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kann Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 zu einem Kompetenzkonflikt führen, da sich die Zuständigkeit nach den allgemeinen Bestimmungen dieser Verordnung nach dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers und nicht dem des Erben richtet. Zwar sei für eine Erbsache grundsätzlich das Gericht des Mitgliedstaats des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zuständig, doch sei es möglich, dass dieses Gericht von der Eintragung von Erklärungen über die Ausschlagung oder die Annahme dieser Erbschaft, die von Erben vor einem Gericht des Mitgliedstaats ihres gewöhnlichen Aufenthalts abgegeben worden seien, keine Kenntnis habe.

Somit schaffe die Verordnung Nr. 650/2012 ein rechtliches Vakuum, indem sie eine konkurrierende Zuständigkeit der Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten vorsehe, nämlich des Gerichts des Mitgliedstaats des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers und des Gerichts des Mitgliedstaats, in dem die Erben ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, ohne jedoch Letzteres zu verpflichten, das erstgenannte Gericht über solche Erklärungen in Kenntnis zu setzen.

Das vorlegende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Fehlen einer derartigen Informationspflicht nicht mit der Konzeption des bulgarischen Gesetzgebers und der Rechtsprechung der bulgarischen Gerichte in Einklang stehe, wonach alle Erklärungen über die Annahme oder die Ausschlagung einer Erbschaft an demselben Ort und in einem einzigen gerichtlichen Register einzutragen seien, anhand dessen entsprechende Abfragen durchgeführt werden könnten. Diese Konzeption diene der Gewährleistung der Rechtssicherheit, die sich im vorliegenden Fall daraus ergebe, dass alle Informationen über Annahmen oder Ausschlagungen einer Erbschaft an ein und demselben Ort aufbewahrt werden könnten.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Da eine solche Informationspflicht in der Verordnung Nr. 650/2012 nicht ausdrücklich vorgesehen ist, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage nach der Natur des bei ihm anhängigen Verfahrens, in dessen Rahmen der Antragsteller nicht die Eintragung seiner eigenen Ausschlagung der Erbschaft der Erblasserin, sondern der entsprechenden Erklärung eines der anderen Erben verlangt. Im bulgarischen Recht sei allerdings kein derartiges Verfahren vorgesehen. Der Grundsatz, wonach jede Person selbst ihre Rechte vor Gericht vertrete, lasse die Eintragung von Erklärungen dritter Personen in das für Annahmen oder Ausschlagungen von Erbschaften vorgesehene Register nicht zu.

Daher möchte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 es implizit verbiete, dass eine im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts eines Erben eingetragene Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft später von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats, nämlich desjenigen, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes mutmaßlich seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe, eingetragen werde.

Insoweit spricht sich das vorlegende Gericht für die Lösung aus, die Eintragung mehrerer Erklärungen über die Ausschlagung einer Erbschaft in mehreren Mitgliedstaaten zuzulassen. Eine solche Lösung beinträchtige die Rechtssicherheit nicht nennenswert, da die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten zum einen Vorschriften enthielten, die regelten, wie beim Vorliegen mehrerer aufeinanderfolgender Erklärungen über die Annahme oder die Ausschlagung einer Erbschaft vorzugehen sei, und zum anderen bei Erbschaftstreitigkeiten das Gericht, bei dem ein Antrag anhängig sei, die rechtlichen Wirkungen dieser Erklärungen nach Maßgabe der Zeitpunkte, in denen diese Erklärungen abgegeben worden seien, beurteilen könne.

Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht, welche Person, nachdem in einem Mitgliedstaat eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung einer Erbschaft eingetragen worden sei, später einen Antrag auf Eintragung dieser Erklärung in einem anderen Mitgliedstaat stellen könne. Dies sei wichtig, da es nach bulgarischem Verfahrensrecht nicht möglich sei, eine Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft bei einem bulgarischen Gericht eintragen zu lassen, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen worden sei.

Diese Erklärung könne nur durch den Erben persönlich abgegeben werden. Somit stelle sich die Frage, ob ein Erbe im Mitgliedstaat des vermuteten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers einen Antrag auf Eintragung der Erklärung über die Ausschlagung der fraglichen Erbschaft stellen könne, die von einem anderen Erben abgegeben und im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts dieses Erben eingetragen worden sei, wenn dies im Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht ausdrücklich vorgesehen sei.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Eine Anwendung von Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012, die wirksam ist und mit dem im 32. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Ziel dieses Artikels – nämlich, dass ein Erbe nicht gezwungen sein sollte, in den Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers zu reisen oder einen Prozessbevollmächtigten in diesem Mitgliedstaat zur Erklärung der Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft zu beauftragen – in Einklang steht, erfordert nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nämlich, dass jeder Erbe die Eintragung einer zuvor in einem anderen Mitgliedstaat abgegebenen Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft beantragen kann. Im vorliegenden Fall könnte damit die Anwendung des bulgarischen Verfahrensrechts ausgeschlossen werden, weil ein Abweichen vom Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten in der Union erforderlich wäre, um die wirksame Anwendung des genannten Art. 13 zu gewährleisten.

Wenn dagegen die Eintragung einer Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft sowohl im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des betreffenden Erben als auch in dem Mitgliedstaat, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zwar möglich wäre, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Erbe dies persönlich beantragt, hätte diese Voraussetzung zur Folge, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 ausgehöhlt würde.

Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die Verordnung Nr. 650/2012 insofern eine Lücke enthalte, als sie das für die Entgegennahme einer Erklärung über die Ausschlagung einer Erbschaft zuständige Gericht nicht verpflichte, das Gericht, das für die Entscheidung in Erbsachen für den gesamten Nachlass zuständig sei, über diese Erklärung in Kenntnis zu setzen. Daher müsse es, um Streitigkeiten zwischen den Erben vorzubeugen, aber auch um den Willen des ausschlagenden Erben zu beachten, jedem der Erben gestattet sein, diesen Willen in die Register des Ortes des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers eintragen zu lassen.

Unter diesen Umständen hat der Sofiyski rayonen sad (Rayongericht Sofia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 in Verbindung mit dem Grundsatz des Schutzes der Rechtssicherheit dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass, nachdem ein Erbe beim Gericht des Staates, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, bereits hat eintragen lassen, im letztgenannten Staat eine weitere Eintragung der erfolgten Ausschlagung oder Annahme beantragt wird?

Falls die Antwort auf die erste Frage lautet, dass eine weitere Eintragung zulässig ist: Ist Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 in Verbindung mit den Grundsätzen des Schutzes der Rechtssicherheit und der wirksamen Durchsetzung des Unionsrechts sowie der Verpflichtung zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass er die Beantragung der Eintragung der durch einen Erben im Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts erfolgten Ausschlagung der Erbschaft eines gemeinsamen Erblassers durch einen anderen Erben, der sich in dem Staat aufhält, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, ungeachtet dessen gestattet, dass das Verfahrensrecht des letzteren Staates keine Möglichkeit vorsieht, die Ausschlagung der Erbschaft in fremdem Namen einzutragen?

Zu den Vorlagefragen

Vorbemerkungen

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, dass sich nach den Angaben des Ehegatten der Erblasserin deren letzter gewöhnlicher Aufenthalt in Griechenland befand. Dies würde bedeuten, dass die griechischen Gerichte für die Entscheidung in Erbsachen für den gesamten in Rede stehenden Nachlass zuständig wären, da grundsätzlich griechisches Recht anwendbar wäre, es sei denn, die Erblasserin hatte gemäß Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 das Recht des Mitgliedstaats, dem sie angehörte, d. h. das bulgarische Recht, als das auf ihre Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendende Recht gewählt.

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass es über keine genauen Angaben zum letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Erblasserin verfüge und dass es, um solche Informationen einholen zu können, zunächst feststellen müsse, dass es für die Eintragung einer Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dem der ausschlagende Erbe seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, zuständig sei.

Der Mitgliedstaat, dessen Gerichte nach Art. 4 der Verordnung Nr. 650/2012 allgemein zuständig sind, scheint daher im vorliegenden Fall nicht eindeutig bestimmt werden zu können. Wie der Generalanwalt im Wesentlichen in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre es jedoch, wenn sich herausstellen sollte, dass sich der letzte gewöhnliche Aufenthalt der Erblasserin in Griechenland befunden hat, nach dieser Bestimmung Sache der Gerichte dieses Mitgliedstaats, über alle den in Rede stehenden Nachlass betreffenden Fragen zu entscheiden, da das vorlegende Gericht als Gericht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts eines Erben nur für die Entgegennahme etwaiger Erklärungen nach Art. 13 dieser Verordnung zuständig wäre.

In Anbetracht dieser Erwägungen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zunächst zu prüfen, an welchem Ort die Erblasserin ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, bevor es die Voraussetzungen prüft, unter denen auf Antrag eines Erben eine Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft durch einen anderen Erben im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts dieses Erben eingetragen werden kann.

Sollte sich herausstellen, dass die Bestimmungen des bulgarischen Rechts das vorlegende Gericht daran hindern, seine Zuständigkeit für die Entscheidung über die in Rede stehende Erbschaft zu prüfen, müsste dieses Gericht sie unangewandt lassen. Denn das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, ist nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es aus eigener Entscheidungsbefugnis erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung unangewandt lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur Begründetheit

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 dem entgegensteht, dass, wenn ein Erbe bei einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, hat eintragen lassen, ein anderer Erbe später beantragt, diese Erklärung bei dem zuständigen Gericht des letztgenannten Mitgliedstaats einzutragen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes, dass die Begriffe einer Bestimmung des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung nicht nur ihres Wortlauts, sondern auch des Kontexts der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (Urteil vom 2. Juni 2022, T. N. und N. N. [Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft], C‑617/20, EU:C:2022:426, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was erstens den Wortlaut von Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 angeht, ist daran zu erinnern, dass nach dieser Bestimmung – außer dem gemäß dieser Verordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gericht – die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft, eines Vermächtnisses oder eines Pflichtteils oder eine Erklärung zur Begrenzung der Haftung der betreffenden Person für die Nachlassverbindlichkeiten abgeben kann, für die Entgegennahme dieser Erklärungen zuständig sind.

Was zweitens den Kontext von Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Artikel zu Kapitel II dieser Verordnung gehört, das sämtliche Gerichtsstände in Erbsachen regelt. Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 sieht somit einen alternativen Gerichtsstand vor, der es Erben, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in dem Mitgliedstaat haben, dessen Gerichte gemäß den allgemeinen Regeln der Art. 4 bis 11 dieser Verordnung für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständig sind, ermöglichen soll, ihre Erklärungen über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft vor einem Gericht des Mitgliedstaats abzugeben, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Urteil vom 2. Juni 2022, T. N. und N. N. [Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft], C‑617/20, EU:C:2022:426, Rn. 37).

Was drittens die mit der Verordnung Nr. 650/2012 verfolgten Ziele betrifft, so soll diese nach ihrem siebten Erwägungsgrund die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen bei der Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug ausräumen, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. Insbesondere müssen im europäischen Rechtsraum die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger effektiv gewahrt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2022, T. N. und N. N. [Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft], C‑617/20, EU:C:2022:426, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 im Licht ihres 32. Erwägungsgrundes, wonach diese Bestimmung dem Interesse der Erben und Vermächtnisnehmer dient, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dem der Nachlass abgewickelt wird oder werden soll, die Amtswege der Erben und Vermächtnisnehmer dadurch vereinfachen soll, dass von den Zuständigkeitsregeln der Art. 4 bis 11 dieser Verordnung abgewichen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2022, T. N. und N. N. [Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft], C‑617/20, EU:C:2022:426, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Was insbesondere die Frage der Übermittlung dieser Erklärungen über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft an das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht angeht, ist zu bemerken, dass ausweislich des letzten Satzes des 32. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 650/2012 „[d]ie Personen, die von der Möglichkeit Gebrauch machen möchten, Erklärungen im Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts abzugeben, … das Gericht oder die Behörde, die mit der Erbsache befasst ist oder sein wird, innerhalb einer Frist, die in dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht vorgesehen ist, selbst davon in Kenntnis setzen [sollten], dass derartige Erklärungen abgegeben wurden“.

Dem letzten Satz des 32. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 650/2012 lässt sich auf den ersten Blick entnehmen, dass es der Unionsgesetzgeber für erforderlich hält, dem für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gericht die vor einem Gericht des Mitgliedstaats, in dem der ausschlagende Erbe seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, abgegebene Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft zur Kenntnis zu bringen.

Es ist indessen festzustellen, dass Art. 13 dieser Verordnung keinen Mechanismus vorsieht, nach dem solche Erklärungen durch das Gericht des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts des ausschlagenden Erben an das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht zu übermitteln wären.

Dieser 32. Erwägungsgrund geht gleichwohl davon aus, dass denjenigen Personen, die von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, solche Erklärungen in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts abzugeben, die Aufgabe zufällt, die Behörden, die mit der Erbsache befasst sind, davon in Kenntnis zu setzen, dass derartige Erklärungen abgegeben wurden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2022, T. N. und N. N. [Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft], C‑617/20, EU:C:2022:426, Rn. 47).

Auch wenn es zutrifft, dass der ausschlagende Erbe jedes Interesse daran hat, das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht über das Vorliegen einer solchen Erklärung zu informieren, um zu verhindern, dass dieses Gericht eine dem erklärten Willen dieses Erben zuwiderlaufende, inhaltlich fehlerhafte Entscheidung trifft, erlegen ihm die Bestimmungen der Verordnung Nr. 650/2012 insoweit keine zwingende Verpflichtung auf. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein ausschlagender Erbe dieses Gericht stets selbst über das Vorliegen dieser Erklärung in Kenntnis setzen muss.

Unter diesen Umständen ist eine weite Auslegung in Bezug auf die Übermittlung von Erklärungen gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 an das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht geboten. Der Zweck dieser Übermittlung besteht nämlich darin, es diesem Gericht zu ermöglichen, von einer solchen Erklärung Kenntnis zu nehmen und sie bei der Abwicklung des Nachlasses zu berücksichtigen. Dabei spielt es keine Rolle, wie diese Erklärung dem vorlegenden Gericht zur Kenntnis gebracht wird.

Die Verordnung Nr. 650/2012 steht nämlich dem nicht entgegen, dass, wenn ein Erbe bei einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts eine Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, hat eintragen lassen, ein anderer Erbe später die Eintragung dieser Erklärung in dem letztgenannten Mitgliedstaat beantragt.

Es ist davon auszugehen, dass ein Erbe, der von einer solchen Erklärung profitieren kann, zur Erleichterung der Abwicklung des Nachlasses das für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständige Gericht über diese Erklärung informieren können muss, wenn der ausschlagende Erbe dies nicht selbst getan hat.

Diese Auslegung wird durch die in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Ziele der Verordnung Nr. 650/2012 bestätigt, die u. a. darin bestehen, die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen auszuräumen, die ihre Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug durchsetzen wollen.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Insoweit ist hervorzuheben, dass die Unterrichtung des für die Rechtsnachfolge von Todes wegen zuständigen Gerichts über das Vorliegen einer Erklärung über die Ausschlagung dieser Erbschaft, die ein Erbe vor dem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 abgegeben hat, keine Erklärung in fremdem Namen, sondern nur eine Mitteilung dieser Erklärung an das erstgenannte Gericht darstellt.

Im Übrigen ist insoweit der Umstand unerheblich, dass die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Eintragung dieser Erklärung in ein gerichtliches Register vorsehen, damit alle Erklärungen über die Annahme oder die Ausschlagung einer Erbschaft an ein und demselben Ort und in einem einzigen gerichtlichen Register zusammengeführt werden, anhand dessen entsprechende Abfragen durchgeführt werden könnten.

Außerdem ist, soweit das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass das bulgarische Recht es nicht erlaube, Erklärungen anderer Personen in das Register für die Annahme von Erbschaften und die Ausschlagung von Erbschaften eintragen zu lassen, in Anbetracht der in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs festzustellen, dass es Sache dieses Gerichts ist, für die volle Wirksamkeit von Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 Sorge zu tragen, indem es zulässt, dass ihm die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft von einem anderen Erben als demjenigen übermittelt wird, der diese Erklärung im Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts abgegeben hat, und indem es gegebenenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewandt lässt.

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 650/2012 nicht dem entgegensteht, dass, wenn ein Erbe bei einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, hat eintragen lassen, ein anderer Erbe später die Eintragung dieser Erklärung bei dem zuständigen Gericht des letztgenannten Mitgliedstaats beantragt.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

ist dahin auszulegen, dass

er nicht dem entgegensteht, dass, wenn ein Erbe bei einem Gericht des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts eine Erklärung über die Annahme oder die Ausschlagung der Erbschaft eines Erblassers, der im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hatte, hat eintragen lassen, ein anderer Erbe später die Eintragung dieser Erklärung bei dem zuständigen Gericht des letztgenannten Mitgliedstaats beantragt.

Erbrechtliche Maßnahmen – Verordnung (EU) Nr 650/2012 – EuGH Rechtssache C‑651/21

Schlagworte

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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