Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Oktober 9, 2023

EuGH C‑354/21 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

  1. März 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Europäisches Nachlasszeugnis – Verordnung (EU) Nr. 650/2012 – Art. 1 Abs. 2 Buchst. l – Anwendungsbereich – Art. 68 – Inhalt des Europäischen Nachlasszeugnisses – Art. 69 Abs. 5 – Wirkungen des Europäischen Nachlasszeugnisses – Unbewegliches Nachlassvermögen, das in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist als dem des Erbfalls – Eintragung dieses unbeweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats – Gesetzliche Voraussetzungen für diese Eintragung gemäß dem Recht dieses Mitgliedstaats – Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 – Zwingender Charakter des Formblatts V im Anhang 5 dieser Durchführungsverordnung“

Zusammenfassung von RA und Notar Krau

Das vorlegende Gericht befasst sich mit der Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 650/2012, insbesondere in Bezug auf die Anforderungen an das Europäische Nachlasszeugnis.

Ein deutscher Staatsbürger, der in Litauen geerbtes Vermögen ins Grundbuch eintragen möchte, erhielt ein Europäisches Nachlasszeugnis, das jedoch bestimmte Angaben zur Identifizierung des Erbteils nicht enthielt.

Das Gericht prüft, ob das Europäische Nachlasszeugnis den litauischen Anforderungen entspricht und ob das litauische Grundbuchamt es akzeptieren muss.

Die Vorlagefrage im Fall C‑354/21 betrifft die Ablehnung eines Antrags auf Eintragung eines Vermögensgegenstands in das litauische Grundbuch aufgrund eines Europäischen Nachlasszeugnisses ohne Angaben zur Identifizierung des Gegenstands.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, solche Anträge abzulehnen, wenn das Europäische Nachlasszeugnis den Vermögensgegenstand nicht identifiziert.

Dies hat keine Auswirkungen auf die Gültigkeit des Zeugnisses in Bezug auf andere darin bescheinigte Elemente wie die Erbenstellung.


Inhaltsverzeichnis:

  • Einleitung
  • Hintergrund
  • Rechtliche Rahmenbedingungen
  • Vorlage zur Vorabentscheidung
  • Rechtliche Fragestellung
  • Entscheidung des EuGH
  • Fazit

Zum Entscheidungstext:

In der Rechtssache Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 2. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2021, in dem Verfahren

R. J. R.

gegen

Registrų centras VĮ

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte,

– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, U. Bartl, M. Hellmann, R. Kanitz, P.‑L. Krüger und U. Kühne als Bevollmächtigte,

– der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,

– der französischen Regierung, vertreten durch A. Daniel und A.‑C. Drouant als Bevollmächtigte,

– der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch S. L. Kalėda und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Juli 2022

folgendes

Urteil

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (ABl. 2012, L 201, S. 107).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen R. J. R. und dem Registrų centras VĮ (Registerzentrum, Litauen) über die Eintragung eines Eigentumsrechts an einer in Litauen belegenen Nachlassimmobilie, deren Erbe R. J. R. ist, in das Grundbuch.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 650/2012

3 In den Erwägungsgründen 7, 8, 18, 67 und 71 der Verordnung Nr. 650/2012 heißt es:

„(7) Die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug derzeit noch Schwierigkeiten bereitet, sollten ausgeräumt werden, um das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu erleichtern. In einem europäischen Rechtsraum muss es den Bürgern möglich sein, ihren Nachlass im Voraus zu regeln. Die Rechte der Erben und Vermächtnisnehmer sowie der anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und der Nachlassgläubiger müssen effektiv gewahrt werden.

(8) Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer Verordnung, in der die Bestimmungen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung – oder gegebenenfalls die Annahme –, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses zusammengefasst sind.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Die Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register sollten aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. Somit sollte das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register (für unbewegliches Vermögen das Recht der belegenen Sache [[]lex rei sitae[]]) geführt wird, bestimmen, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen und wie die Eintragung vorzunehmen ist und welche Behörden wie etwa Grundbuchämter oder Notare dafür zuständig sind zu prüfen, dass alle Eintragungsvoraussetzungen erfüllt sind und die vorgelegten oder erstellten Unterlagen vollständig sind bzw. die erforderlichen Angaben enthalten. Insbesondere können die Behörden prüfen, ob es sich bei dem Recht des Erblassers an dem Nachlassvermögen, das in dem für die Eintragung vorgelegten Schriftstück erwähnt ist, um ein Recht handelt, das als solches in dem Register eingetragen ist oder nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, anderweitig nachgewiesen wird.

Um eine doppelte Erstellung von Schriftstücken zu vermeiden, sollten die Eintragungsbehörden diejenigen von den zuständigen Behörden in einem anderen Mitgliedstaat erstellten Schriftstücke annehmen, deren Verkehr nach dieser Verordnung vorgesehen ist. Insbesondere sollte das nach dieser Verordnung ausgestellte Europäische Nachlasszeugnis im Hinblick auf die Eintragung des Nachlassvermögens in ein Register eines Mitgliedstaats ein gültiges Schriftstück darstellen. Dies sollte die an der Eintragung beteiligten Behörden nicht daran hindern, von der Person, die die Eintragung beantragt, diejenigen zusätzlichen Angaben oder die Vorlage derjenigen zusätzlichen Schriftstücke zu verlangen, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, erforderlich sind, wie beispielsweise Angaben oder Schriftstücke betreffend die Zahlung von Steuern. Die zuständige Behörde kann die Person, die die Eintragung beantragt, darauf hinweisen, wie die fehlenden Angaben oder Schriftstücke beigebracht werden können.

Eine zügige, unkomplizierte und effiziente Abwicklung einer Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der [Europäischen] Union setzt voraus, dass die Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter in der Lage sein sollten, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise in einem Mitgliedstaat, in dem Nachlassvermögen belegen ist, einfach nachzuweisen. Zu diesem Zweck sollte diese Verordnung die Einführung eines einheitlichen Zeugnisses, des Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden ‚das Zeugnis‘), vorsehen, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Das Zeugnis sollte entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip nicht die innerstaatlichen Schriftstücke ersetzen, die gegebenenfalls in den Mitgliedstaaten für ähnliche Zwecke verwendet werden.

Das Zeugnis sollte in sämtlichen Mitgliedstaaten dieselbe Wirkung entfalten. Es sollte zwar als solches keinen vollstreckbaren Titel darstellen, aber Beweiskraft besitzen, und es sollte die Vermutung gelten, dass es die Sachverhalte zutreffend ausweist, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, wie beispielsweise die materielle Wirksamkeit einer Verfügung von Todes wegen. Die Beweiskraft des Zeugnisses sollte sich nicht auf Elemente beziehen, die nicht durch diese Verordnung geregelt werden, wie etwa die Frage des Status oder die Frage, ob ein bestimmter Vermögenswert dem Erblasser gehörte oder nicht. …“

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Art. 1 („Anwendungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Diese Verordnung ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden. Sie gilt nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.

(2) Vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind:

k) die Art der dinglichen Rechte und

l) jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register.“

Kapitel VI („Europäisches Nachlasszeugnis“) der Verordnung Nr. 650/2012 umfasst deren Art. 62 bis 73.

Art. 62 („Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses“) dieser Verordnung lautet:

„(1) Mit dieser Verordnung wird ein Europäisches Nachlasszeugnis (im Folgenden ‚Zeugnis‘) eingeführt, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen entfaltet.

(2) Die Verwendung des Zeugnisses ist nicht verpflichtend.

(3) Das Zeugnis tritt nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedstaaten zu ähnlichen Zwecken verwendet werden. Nach seiner Ausstellung zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat entfaltet das Zeugnis die in Artikel 69 aufgeführten Wirkungen jedoch auch in dem Mitgliedstaat, dessen Behörden es nach diesem Kapitel ausgestellt haben.“

Art. 63 („Zweck des Zeugnisses“) der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„(1) Das Zeugnis ist zur Verwendung durch Erben … bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben … ausüben müssen.

(2) Das Zeugnis kann insbesondere als Nachweis für einen oder mehrere der folgenden speziellen Aspekte verwendet werden:

a) die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben oder gegebenenfalls Vermächtnisnehmers, der im Zeugnis genannt wird, und seinen jeweiligen Anteil am Nachlass;

b) die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die in dem Zeugnis als Erbe(n) oder gegebenenfalls als Vermächtnisnehmer genannte(n) Person(en);

…“

Art. 67 („Ausstellung des Zeugnisses“) Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Die Ausstellungsbehörde stellt das Zeugnis unverzüglich nach dem in diesem Kapitel festgelegten Verfahren aus, wenn der zu bescheinigende Sachverhalt nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder jedem anderen auf einen spezifischen Sachverhalt anzuwendenden Recht feststeht. Sie verwendet das nach dem Beratungsverfahren nach Artikel 81 Absatz 2 erstellte Formblatt.“

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Art. 68 („Inhalt des Nachlasszeugnisses“) dieser Verordnung bestimmt:

„Das Zeugnis enthält folgende Angaben, soweit dies für die Zwecke, zu denen es ausgestellt wird, erforderlich ist:

l) den Erbteil jedes Erben und gegebenenfalls das Verzeichnis der Rechte und/oder Vermögenswerte, die einem bestimmten Erben zustehen;

…“

Art. 69 („Wirkungen des Zertifikats“) der Verordnung Nr. 650/2012 sieht vor:

„(1) Das Zeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.

(2) Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe … genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.

(5) Das Zeugnis stellt ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats dar, unbeschadet des Artikels 1 Absatz 2 Buchstaben k und l.“

Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014

Art. 1 Abs. 5 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 der Kommission vom 9. Dezember 2014 zur Festlegung der Formblätter nach Maßgabe der Verordnung Nr. 650/2012 (ABl. 2014, L 359, S. 30) bestimmt:

„Für das Europäische Nachlasszeugnis gemäß Artikel 67 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 650/2012 ist das Formblatt V in Anhang 5 zu verwenden.“

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

In diesem Formblatt V in Anhang 5 dieser Durchführungsverordnung sind die Anlagen aufgeführt, die dem Europäischen Nachlasszeugnis beigefügt werden können. Zu diesen gehört eine Anlage IV („Stellung und Rechte des/der Erben“).

Nr. 9 dieser Anlage IV lautet: „Dem Erben zugewiesene(r) Vermögenswert(e), für den/die eine Bescheinigung beantragt wurde (geben Sie bitte die betreffenden Werte und alle für deren Identifizierung relevanten Angaben an)“.

Litauisches Recht

Das Lietuvos Respublikos nekilnojamojo turto registro įstatymas Nr. I-1539 (Gesetz Nr. I-1539 der Republik Litauen über das Grundbuch) vom 24. September 1996 (Žin., 1996, Nr. 100-2261) in der durch das Gesetz Nr. XII-1833 vom 23. Juni 2015 geänderten Fassung (im Folgenden: Grundbuchgesetz) bestimmt in Art. 5 Abs. 2, dass die Grundbuchbehörde nach Maßgabe dieses Gesetzes für die Richtigkeit und den Schutz der im Grundbuch erfassten Daten verantwortlich ist. Nach dieser Bestimmung ist die Grundbuchbehörde nur dafür verantwortlich, dass die im Grundbuch eingetragenen Angaben den Schriftstücken entsprechen, auf deren Grundlage die Eintragung erfolgt ist.

Art. 22 dieses Gesetzes bestimmt, auf welcher rechtlichen Grundlage dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevante Tatsachen in das Grundbuch eingetragen werden können. Dieser Artikel listet die Schriftstücke auf, die als Beleg für die Entstehung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen oder für rechtlich relevante Tatsachen dienen können und auf deren Grundlage die betreffenden Rechte, Beschränkungen oder Tatsachen in das Grundbuch eingetragen werden. Diese Aufzählung enthält u. a. behördliche Entscheidungen, gerichtliche Urteile, Beschlüsse und Entscheidungen sowie Bescheinigungen über die Rechtsnachfolge von Todes wegen.

Art. 23 dieses Gesetzes regelt die Modalitäten für die Einreichung von Anträgen auf Eintragung von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevanten Tatsachen. Er sieht in Abs. 2 vor, dass dem Antrag Schriftstücke beizufügen sind, die die Entstehung des dinglichen Rechts, die Beschränkung dieses Rechts oder die rechtlich relevante Tatsache, deren Eintragung beantragt wird, belegen. Art. 23 Abs. 3 bestimmt, dass die Schriftstücke, auf deren Grundlage dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen, Beschränkungen solcher Rechte und rechtlich relevante Tatsachen bescheinigt werden, entstehen, erlöschen, übertragen oder begrenzt werden, den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und die für die Eintragung in das Grundbuch erforderlichen Angaben enthalten müssen. Nach Art. 23 Abs. 4 müssen die Schriftstücke, auf deren Grundlage die Eintragung beantragt wird, leserlich geschrieben sein und die vollständigen Vor- und Nachnamen bzw. Bezeichnungen, Adressen und Identifikationsnummern der Personen, auf die sich die Eintragung bezieht, sowie die individuelle Nummer des betreffenden Grundstücks enthalten, die gemäß dem Lietuvos Respublikos nekilnojamojo turto kadastro nuostatai (Katasterordnung der Republik Litauen) vergeben wird.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Nach Art. 29 des Grundbuchgesetzes lehnt die Grundbuchbehörde die Eintragung von dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen, von Beschränkungen solcher Rechte oder von rechtlich relevanten Tatsachen ab, wenn sie bei der Prüfung des Eintragungsantrags feststellt, dass das zur Stützung des Antrags vorgelegte Schriftstück nicht den Anforderungen dieses Gesetzes entspricht oder dass der Antrag oder das der Grundbuchbehörde vorgelegte Schriftstück nicht die im Nekilnojamojo turto registro nuostatai (Grundbuchordnung) genannten Informationen enthält, die zur Identifizierung des unbeweglichen Vermögensgegenstands oder der Erwerber des dinglichen Rechts an unbeweglichen Sachen erforderlich sind.

Das Grundbuchstatut, das durch das Lietuvos Respublikos vyriausybės nutarimas Nr. 379 „Dėl Nekilnojamojo turto registro nuostatų patvirtinimo“ (Regierungsdekret der Republik Litauen Nr. 379 zur Genehmigung der Verordnung über das Immobilienregister) vom 23. April 2014 (TAR, 2014, Nr. 2014-4930) angenommen wurde, legt in Nr. 14.2.2 fest, dass es sich bei den Informationen zur Identifizierung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands um die Katasterfläche, den Katasterblock, die Katasternummer des Flurstücks, die individuelle Nummer (Identifikationscode) des Flurstücks, die individuelle Nummer (Identifikationscode) des Bauwerks und die individuelle Nummer (Identifikationscode) der Wohnung oder der Räumlichkeiten handelt.

Ausgangsverfahren und Vorabentscheidungsfrage

Der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens, R. J. R., ist in Deutschland wohnhaft.

Am 6. Dezember 2015 verstarb seine Mutter (im Folgenden: Erblasserin), die damals ihren gewöhnlichen Aufenthalt ebenfalls in Deutschland hatte. Der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens nahm die Erbschaft in Deutschland als Alleinerbe seiner Mutter vorbehaltlos an. Er beantragte beim zuständigen deutschen Gericht ein Europäisches Nachlasszeugnis, da der Nachlass Vermögen umfasste, das nicht ausschließlich in Deutschland, sondern zum Teil in Litauen belegen war.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Am 24. September 2018 erteilte das Amtsgericht Bad Urach (Deutschland) dem Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens zum einen den Erbschein Nr. 1 VI 174/18, in dem angegeben war, dass G. R., der am 10. Mai 2014 verstorben sei, sein Vermögen der Erblasserin als Alleinerbin vererbt habe, und zum anderen das Europäische Nachlasszeugnis Nr. 1 VI 175/18, in dem angegeben war, dass die Erblasserin ihr Vermögen dem Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens als Alleinerben vererbt habe, der die Erbschaft vorbehaltlos angenommen habe.

Am 15. März 2019 beantragte der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens beim Staatlichen Registerzentrum, der in Litauen u. a. für die Führung des Liegenschaftskatasters und des Grundbuchs zuständigen staatlichen Stelle, sein Eigentum an dem unbeweglichen Vermögen, das der Erblasserin in Litauen gehört hatte, in das Grundbuch einzutragen. Zur Stützung seines Antrags legte er den Erbschein und das Europäische Nachlasszeugnis vor.

Mit Entscheidung vom 20. März 2019 lehnte die für die Stadt Tauragė (Tauroggen, Litauen) zuständige Abteilung des Referats „Grundbuch“ der Eigentumsregisterverwaltung des Staatlichen Registerzentrums diesen Antrag mit der Begründung ab, dass das Europäische Nachlasszeugnis nicht die durch das Grundbuchgesetz vorgeschriebenen Angaben enthalte, die zur Identifizierung des unbeweglichen Vermögensgegenstands erforderlich seien. Es fehle nämlich die Angabe der Vermögensgegenstände, die der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens geerbt habe.

Hiergegen legte der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens Widerspruch beim Streitschlichtungsausschuss der Zentralen Registerstelle des Registerzentrums ein, das die ablehnende Entscheidung mit Entscheidung vom 9. Mai 2019 bestätigte.

Der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens erhob gegen diese Entscheidungen Klage beim Regionų apygardos administracinio teismo Klaipėdos rūmai (Regionalverwaltungsgericht, Abteilung Klaipėda, Litauen), der die Klage mit Entscheidung vom 30. Dezember 2019 als unbegründet abwies.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Gegen dieses Urteil legte der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel ein. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts wirft der bei ihm anhängige Rechtsstreit Fragen nach der Auslegung der Verordnung Nr. 650/2012 auf.

Dieses Gericht weist zunächst darauf hin, dass das Europäische Nachlasszeugnis gemäß Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats darstelle, unbeschadet von Art. 1 Abs. 2 Buchst. k und l dieser Verordnung, was bedeute, dass das Nachlasszeugnis auf die Anwendung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. l der Verordnung keinen Einfluss habe. Aus der letztgenannten Bestimmung, nach der jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist, ergebe sich, dass die Erlangung eines Europäischen Nachlasszeugnisses allein nicht bedeute, dass die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Immobilie belegen sei, für die Eintragung in das Grundbuch festgelegten Voraussetzungen keine Anwendung fänden.

Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass in Litauen die Schriftstücke, die als Grundlage für die Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen in das Grundbuch dienen könnten, in Art. 22 des Grundbuchgesetzes aufgeführt seien und dass in Art. 23 Abs. 2 bis 4 dieses Gesetzes die Informationen und Angaben, die diese Schriftstücke zu bescheinigen hätten, verbindlich vorgeschrieben würden. Das Registerzentrum handle ausschließlich kraft der ihm gesetzlich übertragenen Befugnisse. Das Gesetz verleihe ihm jedoch nicht die Befugnis, den Umfang von Eigentumsrechten selbst festzustellen oder Informationen und Beweise ausfindig zu machen, die belegten, dass bestimmte Tatsachen vorlägen oder nicht vorlägen.

Folglich könnten nach den Vorschriften des litauischen Rechts die für die Eintragung in das Grundbuch erforderlichen Informationen nur mittels der in Art. 22 des Grundbuchgesetzes aufgezählten Schriftstücke vorgelegt werden, und wenn die vorgelegten Informationen unvollständig seien, sei das Registerzentrum nicht befugt, andere Informationen zu berücksichtigen.

Um seine Wirkungen entfalten zu können, müsse ein Europäisches Nachlasszeugnis unter Verwendung des Formblatts V in Anhang 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 erstellt werden. Würden die in den anwendbaren Bestimmungen der Verordnung Nr. 650/2012 und der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 genannten Informationen im Europäischen Nachlasszeugnis angegeben, wäre dieses in Litauen folglich als wirksames Schriftstück anzusehen, auf dessen Grundlage der Übergang des Vermögenswerts in das Grundbuch eingetragen würde, wie es Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 vorsehe.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Das vorlegende Gericht stellt fest, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Europäische Nachlasszeugnis unter Verwendung dieses Formblatts V ausgestellt worden sei und Anlage IV dieses Formblatts enthalte, die die Stellung und die Rechte des Erben bestätige. Allerdings seien in Nr. 9 der Anlage IV keine Angaben gemacht worden, um den oder die dem Erben zugewiesene(n) Vermögenswert(e), für den oder die eine Bescheinigung beantragt worden sei, zu identifizieren.

Das Vorbringen des Rechtsmittelführers des Ausgangsverfahrens und die von ihm angeführte Rechtsprechung deutscher Gerichte ließen darauf schließen, dass die Behörde, die das Europäische Nachlasszeugnis ausgestellt habe, diese Angaben nicht etwa versehentlich unterlassen habe. Der Rechtsmittelführer des Ausgangsverfahrens mache insbesondere geltend, dass das deutsche Erbrecht vom Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge geprägt sei, so dass, wenn es nur einen Begünstigten gebe, das gesamte Vermögen des Erblassers auf ihn übergehe, und lege dar, dass es nach deutschem Recht nicht möglich sei, das Nachlassvermögen in irgendeiner Weise anzugeben oder zu bezeichnen. Ihm zufolge ließen die deutschen Gerichte daher in ständiger Rechtsprechung Art. 68 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 unangewendet, der bestimme, dass das Europäische Nachlasszeugnis den Erbteil jedes Erben angebe und gegebenenfalls das Verzeichnis der Rechte und/oder Vermögenswerte enthalte, die einem bestimmten Erben zustünden.

In Anbetracht der mit der Einführung des Europäischen Nachlasszeugnisses verfolgten Ziele, insbesondere des Ziels, Erbsachen mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union zügig, unkompliziert und effizient abzuwickeln, fragt sich das vorlegende Gericht nach der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012, insbesondere was das Verhältnis zwischen diesen Vorschriften und den Vorschriften für die Eintragung eines Eigentumsrechts in das Grundbuch des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, in dem das fragliche Nachlassvermögen belegen ist, betrifft.

Unter diesen Umständen hat der Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 1 Abs. 2 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen, dass sie der Anwendung von Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem ein Grundstück belegen ist, nicht entgegenstehen, wonach Eigentumsrechte nur dann aufgrund eines Europäischen Nachlasszeugnisses in das Grundbuch eingetragen werden können, wenn alle für die Eintragung erforderlichen Angaben in dem Europäischen Nachlasszeugnis enthalten sind?

Zur Vorlagefrage

Im vorliegenden Fall wurde, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, der Antrag des Rechtsmittelführers des Ausgangsverfahrens auf Eintragung seines Eigentumsrechts an einem in Litauen belegenen Vermögensgegenstand in das litauische Grundbuch mit der Begründung abgelehnt, dass das zur Stützung dieses Antrags vorgelegte Europäische Nachlasszeugnis keine Angaben zu diesem Vermögensgegenstand enthalte. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort geben zu können, ist die vorgelegte Frage daher so umzuformulieren, dass sie sich auch auf Art. 68 der Verordnung Nr. 650/2012 bezieht, da dieser Artikel, wie sich aus seiner Überschrift selbst ergibt, gerade den Inhalt eines solchen Nachlasszeugnisses betrifft.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Nach ständiger Rechtsprechung hat nämlich der Gerichtshof aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2021, Governor of Cloverhill Prison u. a., C‑479/21 PPU, EU:C:2021:929, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. l, Art. 68 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die vorsieht, dass der Antrag auf Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats abgelehnt werden kann, wenn es sich bei dem einzigen zur Stützung dieses Antrags vorgelegten Schriftstück um ein Europäisches Nachlasszeugnis handelt, das diesen unbeweglichen Vermögensgegenstand nicht identifiziert.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 der Verordnung Nr. 650/2012, nachdem er in Abs. 1 den Anwendungsbereich dieser Verordnung definiert hat, in Abs. 2 die von diesem Anwendungsbereich ausgenommenen Materien abschließend aufzählt, darunter in Art. 1 Abs. 2 Buchst. l „jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register“.

Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt, dass das Europäische Nachlasszeugnis ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats darstellt, unbeschadet von Art. 1 Abs. 2 Buchst. k und l dieser Verordnung. Art. 68 der Verordnung sieht seinerseits vor, dass dieses Zeugnis bestimmte Angaben enthält, soweit dies für die Zwecke, zu denen es ausgestellt wird, erforderlich ist, u. a. gemäß Art. 68 Buchst. l den Erbteil jedes Erben und gegebenenfalls das Verzeichnis der Rechte und/oder Vermögenswerte, die einem bestimmten Erben zustehen.

Um zu beurteilen, ob die in Art. 68 Buchst. l der Verordnung Nr. 650/2012 vorgesehene Verpflichtung, in das Europäische Nachlasszeugnis ein Verzeichnis der dem betreffenden Erben zustehenden Vermögenswerte aufzunehmen, die Behörde, die ein solches Nachlasszeugnis ausstellt, nicht nur bei Erbfällen mit zahlreichen Erben trifft, sondern auch bei einem Erbfall, der wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen Alleinerben betrifft, ist daher dieser Art. 68 Buchst. l unter Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen Art. 1 Abs. 2 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 und des allgemeinen Rahmens, in den sich diese Bestimmungen fügen, auszulegen.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Europäische Nachlasszeugnis ein autonomes Rechtsinstrument der Union darstellt, dessen Verwendung und Wirkungen in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 650/2012 eingehend geregelt sind. Insbesondere hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass für dieses Zeugnis eine durch die Bestimmungen des Kapitels VI dieser Verordnung geschaffene autonome rechtliche Regelung gilt (Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C‑20/17, EU:C:2018:485, Rn. 46).

Die in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen der Verordnung Nr. 650/2012 sind im Licht der mit dieser Verordnung verfolgten Ziele auszulegen, die, wie aus ihren Erwägungsgründen 7 und 8 hervorgeht, darauf gerichtet ist, den Erben und Vermächtnisnehmern, den anderen Personen, die dem Erblasser nahestehen, und den Nachlassgläubigern die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug zu erleichtern sowie es den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihren Nachlass zu regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juni 2018, Oberle, C‑20/17, EU:C:2018:485, Rn. 49).

Vor diesem Hintergrund hat der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung Nr. 650/2012 das Europäische Nachlasszeugnis eingeführt, das es gemäß dem 67. Erwägungsgrund dieser Verordnung u. a. den Erben ermöglichen soll, ihren Status und/oder ihre Rechte und Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachzuweisen, um eine Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug innerhalb der Union zügig, unkompliziert und effizient abzuwickeln.

Insoweit stellt Art. 63 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 klar, dass das Europäische Nachlasszeugnis zur Verwendung u. a. durch Erben bestimmt ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben ausüben müssen. Nach Art. 63 Abs. 2 Buchst. a und b kann dieses Zeugnis insbesondere als Nachweis für die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben, der im Zeugnis genannt wird, sowie die Zuweisung eines bestimmten Vermögenswerts oder bestimmter Vermögenswerte des Nachlasses an die als Erbe(n) genannte(n) Person(en) verwendet werden.

Wie sich aus Art. 69 Abs. 1 und dem 71. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012 ergibt, sollte das Europäische Nachlasszeugnis in allen Mitgliedstaaten dieselbe Wirkung entfalten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Nach Art. 69 Abs. 2 der Verordnung wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen. Wird einem Erben im Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers ein Europäisches Nachlasszeugnis ausgestellt, kann dieser Erbe es somit in den anderen Mitgliedstaaten, in denen sich Vermögensgegenstände des Erblassers befinden, verwenden.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Was insbesondere einen Fall betrifft, in dem das Europäische Nachlasszeugnis als Schriftstück vorgelegt wird, auf dessen Grundlage die Eintragung eines geerbten unbeweglichen Vermögensgegenstands beantragt wird, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 68 der Verordnung Nr. 650/2012 Mindestangaben vorsieht, die in diesem Zeugnis enthalten sein müssen. Der Inhalt des Zeugnisses kann jedoch, je nachdem, zu welchem Zweck es ausgestellt wird, von Fall zu Fall unterschiedlich sein.

Insoweit ist festzustellen, dass nach Art. 67 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012, und wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, die Ausstellungsbehörde verpflichtet ist, für die Ausstellung des Zeugnisses das in Anhang 5 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 vorgesehene Formblatt V zu verwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Januar 2019, Brisch, C‑102/18, EU:C:2019:34, Rn. 30).

Allerdings ist auch darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus Rn. 38 des vorliegenden Urteils ergibt, Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 bestimmt, dass ein Europäisches Nachlasszeugnis ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats darstellt, unbeschadet u. a. von Art. 1 Abs. 2 Buchst. l dieser Verordnung, wobei diese letztgenannte Bestimmung, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, vorsieht, dass jede Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen für eine solche Eintragung, sowie die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung solcher Rechte in einem Register vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Kubicka, C‑218/16, EU:C:2017:755, Rn. 54).

Dass solche rechtlichen Voraussetzungen somit durch das nationale Recht geregelt werden, ergibt sich auch aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 650/2012, wonach die Voraussetzungen für die Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Vermögensgegenständen in einem Register aus dem Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden, so dass das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, bestimmt, unter welchen gesetzlichen Voraussetzungen und wie diese Eintragung vorzunehmen ist und welche Behörden wie etwa Grundbuchämter oder Notare dafür zuständig sind, zu prüfen, ob alle Eintragungsvoraussetzungen erfüllt sind und die vorgelegten oder erstellten Unterlagen vollständig sind bzw. die erforderlichen Angaben enthalten.

Folglich hindern die Bestimmungen der Verordnung Nr. 650/2012 über das Europäische Nachlasszeugnis, genauer Art. 69 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. l dieser Verordnung, auf den die erstgenannte Bestimmung verweist, einen Mitgliedstaat nicht daran, die Voraussetzungen festzulegen oder anzuwenden, die für die Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Vermögensgegenständen einzuhalten sind.

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Insoweit steht es jedem Mitgliedstaat, in dem eine solche Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Vermögensgegenständen vorgesehen ist, frei, die Bedingungen und Modalitäten dieser Eintragung festzulegen, einschließlich der Anforderung, dass alle Angaben zur Identifizierung einer Immobilie, für die ein Antrag auf Eintragung gestellt wird, in diesem Antrag oder in den beigefügten Schriftstücken enthalten sein müssen.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich daher, dass eine für die Eintragung dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen zuständige Behörde, die mit einem Antrag auf Eintragung eines geerbten unbeweglichen Vermögensgegenstands befasst wird, ohne dass dieser Gegenstand in einem Schriftstück, auf dessen Grundlage die Eintragung beantragt wird, einschließlich des vorgelegten Europäischen Nachlasszeugnisses, identifiziert wird, einen solchen Antrag ablehnen darf.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Ablehnung eines auf ein Europäisches Nachlasszeugnis gestützten Antrags auf Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands in ein Grundbuch eines Mitgliedstaats mit der Begründung, dass dieses Zeugnis keine Angaben zur Identifizierung dieses Vermögensgegenstands enthalte, die Gültigkeit dieses Zeugnisses als solches in Bezug auf die anderen darin bescheinigten Elemente, wie etwa die Erbenstellung, nicht in Frage stellt.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. l, Art. 68 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung Nr. 650/2012 dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass der Antrag auf Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats abgelehnt werden kann, wenn es sich bei dem einzigen zur Stützung dieses Antrags vorgelegten Schriftstück um ein Europäisches Nachlasszeugnis handelt, das diesen unbeweglichen Vermögensgegenstand nicht identifiziert.

Kosten

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 Buchst. l, Art. 68 Buchst. l und Art. 69 Abs. 5 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

sind dahin auszulegen,

dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass der Antrag auf Eintragung eines unbeweglichen Vermögensgegenstands in das Grundbuch dieses Mitgliedstaats abgelehnt werden kann, wenn es sich bei dem einzigen zur Stützung dieses Antrags vorgelegten Schriftstück um ein Europäisches Nachlasszeugnis handelt, das diesen unbeweglichen Vermögensgegenstand nicht identifiziert.

Unterschriften

Europäisches Nachlasszeugnis – EuGH C‑354/21

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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