FG Hessen 1 K 3097/02

August 4, 2017
FG Hessen 1 K 3097/02 Gerichtsbescheid. v. 17.03.2006, Beginn Festsetzungsfrist bei Anzeige von Schenkungsvorgängen, § 30 Abs.1 oder 2 ErbStG

Kommt ein nach § 30 Abs.1 oder 2 ErbStG zu einer Anzeige Verpflichteter seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß nach, wird der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO nicht dadurch weiter hinausgeschoben, dass das Finanzamt für den angezeigten Rechtsvorgang gem. § 31 Abs. 1 ErbStG eine Steuererklärung anfordert, die erst in einem der Anzeige nachfolgenden Kalenderjahr eingereicht wird .

Tatbestand: FG Hessen 1 K 3097/02

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Zeitpunkt der Festsetzung der Schenkungsteuer partiell bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Der Kläger hatte von seinem Onkel im Wege der Schenkung zugewandt erhalten

a) durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29.10.1994 einen Teilkommanditanteil von … DM an der W GmbH & Co KG in M ;

b) durch weiteren notariell beurkundeten Vertrag vom 29.10.1994 einen Teilgeschäftsanteil von … DM an der Komplementär-GmbH der vorgenannten KG;

c) durch privatschriftliche Darlehensübertragungsvereinbarung, ebenfalls vom 29.10.1994, einen Anteil am Gesellschafterdarlehensanspruch in Höhe von … DM;

FG Hessen 1 K 3097/02

d) durch privatschriftlichen Zusatzvertrag vom 08.12.1995 zu dem vorgenannten Darlehensübertragungsvertrag einen weiteren Anteil am Gesellschafterdarlehensanspruch von … DM.

Die Verträge zu a) – c) waren der Schenkungsteuerstelle des Beklagten durch den Notar mit Schreiben vom 11.09.1995 und erneut mit Schreiben vom 14.11.1995 übersandt worden.

Mit Schreiben vom 22.11.1995 hat der Beklagte daraufhin den Kläger zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung aufgefordert.

Mit am selben Tag eingegangenem Schreiben vom 14.12.1995 hat der Schenker der Schenkungsteuerstelle des Beklagten eine Kopie des Zusatzvertrags zu d) übersandt.

Die Schenkungsteuererklärung, in der nur die Rechtsvorgänge zu a) – c) berücksichtigt waren, ist am 13.02.1996 bei dem Beklagten eingegangen.

Mit Bescheid vom 26.06.2000 hat der Beklagte – unter Berücksichtigung der Rechtsvorgänge zu a) – d) – zunächst Schenkungsteuer in Höhe von … DM festgesetzt.

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Mit dem Einspruch hat sich der Kläger auf Festsetzungsverjährung berufen. Die Festsetzungsfrist von 4 Jahren habe für sämtliche Rechtsvorgänge gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) mit Ablauf des Kalenderjahres 1995 zu laufen begonnen.

Die Rechtvorgänge zu c) und d) seien noch in 1995 gemäß § 30 Abs. 1 und 2 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) angezeigt worden. Wenn nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht werde, handele es sich hierbei um eine alternative und nicht um eine kumulative Aufzählung, so dass die zuerst vorgenommene Handlung für das Ende der Anlaufhemmung allein maßgeblich sei. Darauf, dass die Steuererklärung auf Anforderung erst in 1996 abgegeben worden sei, komme es damit nicht mehr an.

Die Rechtsvorgänge zu a) und b) seien durch den beurkundenden Notar ebenfalls in 1995 angezeigt worden. Durch die Übersendung der Vertragskopien seien dem Beklagten alle Umstände bekannt geworden, die er für die Prüfung benötigt habe, ob ein steuerbarer Vorgang vorliege und ein Besteuerungsverfahren einzuleiten, insbesondere eine Steuererklärung anzufordern sei. Nach den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30.10.1996 II R 70/94, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1997, 11, müsse in einem solchen

Fall der Beginn der Festsetzungsfrist nicht weiter hinausgeschoben werden. Dies entspreche auch der von dem Finanzgericht (FG) München in dem Urteil vom 18.07.2001 4 K 4507/98, Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 5, vertretenen Rechtsauffassung; danach beginne die Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres, in dem dem zuständigen Finanzamt der Erwerbsvorgang – sei es durch Abgabe der Steuererklärung oder einer Anzeige nach § 30 Abs. 1 ErbStG oder durch Mitteilung einer Amtsperson i.S. des § 30 Abs. 3 ErbStG – in einer Weise bekannt werde, dass es prüfen könne, ob ein steuerpflichtiger Vorgang vorliege oder nicht.

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Der Beklagte hat die Schenkungsteuer mit Einspruchsentscheidung vom 05.08.2002 auf … DM (… EUR) herabgesetzt und den Einspruch im Übrigen zurückgewiesen. Dabei hat er den Schenkungsvorgang d) nunmehr unberücksichtigt gelassen, da sich nach dem zeitlichen Ablauf die Aufforderung vom 22.11.1995 zur Abgabe der Schenkungsteuererklärung nicht auf die Schenkung durch Zusatzvertrag vom 08.12.1995 bezogen haben könne und somit insoweit keine Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung bestanden habe,

so dass aufgrund der Anzeige des Vorgangs durch den Schenker in 1995 die Festsetzungsfrist von 4 Jahren mit Ablauf des Jahres 1995 begonnen habe und im Zeitpunkt der Festsetzung bereits abgelaufen gewesen sei. Für die Rechtsvorgänge a) – c) sei hingegen noch keine Verjährung eingetreten gewesen.

Hinsichtlich der notariell beurkundeten Schenkungen a) und b) ergebe sich dies bereits daraus, dass insoweit keine Anzeigepflicht des Erwerbers und des Schenkers bestanden habe (§ 30 Abs. 3 ErbStG) und unter Anzeige i.S.v. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nur eine solche zu verstehen sei. Abgesehen davon könne aber auch der Auffassung des Klägers, dass die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bereits mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem die Anzeige eingereicht werde, und es auf den späteren Eingang der von dem Steuerpflichtigen abzugebenden Steuererklärung nicht mehr ankomme, nicht gefolgt werden.

Vielmehr sei in den Fällen, in denen sowohl Anzeige- als auch Erklärungspflicht bestehe, für den Fristbeginn der Ablauf des Kalenderjahres maßgeblich, in dem die angeforderte Erklärung eingegangen sei, sofern die Aufforderung zur Abgabe der Erklärung noch innerhalb der Verjährungsfrist von 4 Jahren erfolgt sei (Urteil des BFH vom 06.12.2000 II R 44/98, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2001, 574). Folglich habe hinsichtlich der Rechtsvorgänge a) – c) die Verjährungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 1996 zu laufen begonnen und sei bei Ergehen des Bescheides vom 26.06.2000 noch nicht abgelaufen gewesen.

Mit der vorliegenden Klage stellt der Kläger die Festsetzung von Schenkungsteuer hinsichtlich der notariell beurkundeten Rechtsvorgänge a) und b) unstreitig und macht Eintritt der Festsetzungsverjährung nur noch im Hinblick auf den Rechtsvorgang c) geltend. Insoweit hält er an seiner Auffassung fest, dass der Anlauf der Festsetzungsfrist bereits durch die Anzeige in 1995 ausgelöst worden sei. Diese Auffassung werde auch von Kien-Hümbert in Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 30 Rz. 15, und von Jülicher in Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, Anh AO, Zu §§ 169 ff. AO unter a) Anlaufhemmung, vertreten.

FG Hessen 1 K 3097/02

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Schenkungsteuerbescheids vom 26.06.2000 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.08.2002 die Schenkungsteuer nach einem steuerpflichtigen Erwerb von … DM auf … DM (… EUR) herabzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält gleichfalls an seiner Auffassung fest und macht ergänzend im Wesentlichen geltend:

§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bestimme – soweit vorliegend von Bedeutung – die Anzeigepflicht und die Steuererklärungspflicht als alternative Voraussetzungen für eine Anlaufhemmung. Die Anlaufhemmung trete immer dann ein, wenn entweder eine Anzeigepflicht oder eine Steuererklärungspflicht bestehe. Beide Pflichten als Voraussetzungen der Anlaufhemmung könnten – wie im Streitfall hinsichtlich des Rechtsvorgangs c) – auch unabhängig voneinander bestehen. In einem solchen Fall sei der Anlauf der Verjährungsfrist sowohl wegen des Vorliegens der einen als auch der anderen Voraussetzung gehemmt mit der Folge, dass die Frist nicht anlaufen könne, bevor nicht beide Pflichten erfüllt seien.

FG Hessen 1 K 3097/02

Bei der Schenkungsteuer bestehe die Besonderheit, dass das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen für jeden Steuerfall neu ermitteln müsse. Dabei stünden für die Prüfung, ob mit einer Steuerpflicht zu rechnen sei, i.d.R. nur die von Beschenktem oder Schenker gemäß § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG oder von den Urkundspersonen nach § 34 ErbStG erstatteten Anzeigen als Hilfsmittel zur Verfügung. Erst aufgrund dieser Anzeigen und beurkundeten Verträge wähle das Finanzamt die voraussichtlich steuerpflichtigen Fälle aus und fordere zur Abgabe einer Steuererklärung auf.

Wegen dieses Zusammenspiels zwischen Anzeige- und Erklärungspflicht sei nach Sinn und Zweck der Bestimmungen zu folgern, dass die Erfüllung der Anzeigepflicht noch nicht der für den Beginn der Festsetzungsfrist maßgebliche Zeitpunkt sein könne. Anderenfalls könnte der Steuerpflichtige die Abgabe der Steuererklärung verzögern und die dem Finanzamt zur Prüfung zur Verfügung stehende Zeit einseitig zu seinem Vorteil verkürzen, was dem Sicherungszweck des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zuwiderlaufen würde.

Daraus folge, dass die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in allen Fällen, in denen der Steuerpflichtige zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sei, auch dann erst mit Ablauf des Kalenderjahres ende, in dem die Erklärung eingereicht worden sei, wenn eine Anzeige aufgrund bestehender Anzeigepflicht in einem früheren Kalenderjahr eingereicht worden sei (ebenso Sosnitza, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1990, 171).

Dem Senat haben die bei dem Beklagten für den Kläger geführten Schenkungsteuerakten vorgelegen und waren Gegenstand des Verfahrens.

Entscheidungsgründe FG Hessen 1 K 3097/02

Die Klage ist begründet. Denn im Zeitpunkt des Ergehens des Schenkungsteuerbescheids vom 26.06.2000 war jedenfalls auch hinsichtlich des Rechtsvorgangs c) bereits Festsetzungsverjährung eingetreten und damit der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis diesbezüglich erloschen (§ 47 AO). Eine Schenkungsteuerfestsetzung war insoweit nicht mehr zulässig (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).

1. Die Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer regelmäßig 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt i.d.R. mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 Alt. 1 AO). Bei Schenkungen unter Lebenden entsteht die Steuer mit Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Im Streitfall war mithin die Steuer u.a. für den Rechtsvorgang c) in 1994 entstanden.

Hiervon abweichend beginnt jedoch die Festsetzungsfrist dann, wenn eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

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Die Vorschrift bezweckt – lediglich – zu verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung, Steueranmeldung oder Anzeige die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit – ggf. gezielt – verkürzt wird (z.B. Urteil des BFH vom 06.07.2005 II R 9/04, BStBl II 2005, 780, m.w.N.). Speziell für die Schenkungsteuer bestimmt § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO ergänzend, dass die Festsetzungsfrist nach den Abs. 1 oder 2 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.

Bei einer Schenkung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden sind nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG sowohl der Erwerber als auch der Schenker verpflichtet, die Schenkung binnen 3 Monaten nach erlangter Kenntnis von dem Anfall dem zuständigen Finanzamt anzuzeigen. Anzeigepflichtig sind nach § 34 ErbStG u.a. auch die Gerichte und Notare hinsichtlich der von ihnen beurkundeten Schenkungen;

sie haben dabei dem zuständigen Finanzamt eine beglaubigte Abschrift der Urkunde über eine Schenkung vorzulegen (§ 8 Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung). In diesem Fall entfällt die Anzeigepflicht von Beschenktem und Schenker, wenn sich aus der Anzeige (Urkunde) das Verhältnis des Erwerbers zum Schenker unzweifelhaft ergibt (§ 30 Abs. 3 ErbStG).

Sinn und Zweck der in §§ 30 ff. ErbStG geregelten verschiedenen Anzeigepflichten erschließen sich daraus, dass es für den Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer – von Ausnahmen abgesehen – keine allgemeine Steuererklärungspflicht gibt, eine Pflicht zur Abgabe vielmehr nur denjenigen trifft, der hierzu vom Finanzamt aufgefordert wird (§ 31 Abs. 1 ErbStG).

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Durch die Anzeigen soll die Finanzbehörde über das Vorliegen eines Erwerbsvorgangs unterrichtet und in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob ein erbschaft- bzw. schenkungsteuerbarer Vorgang vorliegt, ob deshalb in ein Besteuerungsverfahren einzutreten und ob und wer ggf. zur Abgabe einer Steuererklärung aufzufordern ist (Urteil des BFH vom 16.10.1996 II R 43/96, BStBl II 1997, 73).

Als Anzeigen i.S.v. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO werden dabei nur die nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG vom Erwerber und Schenker zu erstattenden Anzeigen angesehen, nicht jedoch die der in §§ 30 Abs. 3, 34 ErbStG aufgeführten Urkundspersonen als vom Steuerpflichtigen unabhängige Dritte (BFH, Urteile vom 16.02.1994 II R 125/90, BStBl II 1994, 866, und vom 04.08.1999 II R 63/97, BFH/NV 2000, 409, Beschluss vom 07.12.1999 II B 78/99, BStBl II 2000, 233).

2. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der vorgenannten Vorschriften und der Wechselwirkung, in der sie zueinander stehen, vermag der Senat der Auffassung des Beklagten, dass bei – wie vorliegend hinsichtlich des Rechtsvorgangs c) – Bestehen sowohl einer Anzeige- als auch einer Erklärungspflicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO – von der Höchstdauer von 3 Kalenderjahren abgesehen – erst dann aufgelöst werde, wenn beide Verpflichtungen erfüllt seien, nicht zu folgen.

Schon der Wortlaut des Gesetzes legt eine solche Auslegung nicht nahe. Denn wenn nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung „oder” die Anzeige eingereicht wird, spricht dies vielmehr dafür, dass bei Bestehen mehrerer Verpflichtungen bereits die Erfüllung einer zum Anlauf der Festsetzungsfrist führen soll.

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Auch der Sicherungszweck der Vorschrift des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO rechtfertigt die Auslegung im Sinne des Beklagten nicht. Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist die primäre und gesetzliche Pflicht diejenige der am Vorgang Beteiligten zur Anzeige des Erwerbs nach § 30 Abs. 1 und 2 mit 4 ErbStG. Aufgrund der Anzeige muss sich dann die Finanzbehörde schlüssig werden, ob ein erbschaft- bzw. schenkungsteuerpflichtiger Vorgang vorliegen kann und ob und von wem ggf. eine Steuererklärung angefordert werden soll.

Auf diesen Prozess der Prüfung und Meinungsbildung der Behörde hat aber der Steuerpflichtige – auch was den zeitlichen Ablauf anbelangt – in aller Regel keinerlei Einfluss. Es geht deshalb nicht in erster Linie darum zu verhindern, dass der Steuerpflichtige die Abgabe der Steuererklärung über Gebühr verzögern könnte. Vielmehr befindet sich zunächst der Steuerpflichtige im Ungewissen darüber, ob und ggf. wann sich eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung kraft Anforderung durch die Finanzbehörde nach § 31 Abs. 1 ErbStG konkretisieren wird.

Auf der Grundlage der Auffassung des Beklagten bestünde eher die Gefahr für den pflichtgemäß anzeigenden Steuerpflichtigen, dass die Finanzbehörde durch entsprechend späte Anforderung einer Erklärung – bewusst oder unbewusst – den Ablauf der Festsetzungsfrist auf bis zu maximal 7 Jahre hinausschiebt.

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Es ist im Übrigen auch kein besonderes Bedürfnis dafür erkennbar, gerade in dem Fall der doppelten Verpflichtung einem unangemessen zögerlichen Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen durch eine extensive Auslegung der Vorschrift des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1AO zu begegnen.

Denn zum einen steht derjenige Steuerpflichtige, der seiner Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 oder 2 ErbStG ordnungsgemäß nachkommt, gerade nicht in einem besonderen Verdacht, dass er die Abgabe der Erklärung nach Aufforderung alsdann unangemessen hinauszögern werde.

Zum anderen stehen der Finanzbehörde notfalls ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung, um die Abgabe der Erklärung zu erzwingen (§ 328 f. AO) oder erforderlichenfalls auch einem drohenden Eintritt der Festsetzungsverjährung durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) und Erlass eines entsprechenden Bescheids zu begegnen.

Schließlich spricht auch die Vorschrift des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO nachhaltig zumindest gegen die Auffassung des Beklagten, sofern sie nicht sogar unmittelbar den Anlauf der Festsetzungsfrist gerade auch für diesen Fall bereits anordnet, was letztlich dahinstehen kann. Denn wenn danach die Festsetzungsfrist nach den Abs. 1 oder 2 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt, so wird die Kenntnis i.S. der zweiten Alternative häufig vornehmlich durch die Anzeigen sowohl nach § 30 Abs. 1 und 2 ErbStG als auch nach §§ 33, 34 ErbStG gewonnen.

Hiervon ist auch der Gesetzgeber selbst ausgegangen. Die zweite Alternative geht zurück auf den Finanzausschuss des deutschen Bundestages, der zur Begründung ausgeführt hat, § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO sei so ergänzt worden, dass die Festsetzungsfrist für die Schenkungsteuer dann, wenn eine Schenkung der Finanzbehörde angezeigt wurde, mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat (Bericht und Antrag vom 07.11.1975, Bundestags-Drucksache 7/4292, S. 33; vgl. dazu a. Urteil des BFH vom 05.02.2003 II R 22/01, BStBl II 2003, 502).

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Auch wenn die Vorschrift des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO in dem Sinne zu verstehen sein sollte, dass dadurch die allgemeinen Grundregeln in § 170 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 AO unberührt bleiben sollen und nur der Anlauf der Festsetzungsfrist in den genannten Fällen noch weiter nach hinten verschoben, nicht aber vorverlagert werden soll (a.A. das – durch Revision angefochtene – Urteil des erkennenden Senats vom 06.12.2004 1 K 2569/02, EFG 2005, 799, sowie offenbar auch das Urteil des BFH vom 28.05.1998 II R 54/95, BStBl II 1998, 647; vgl. a. das – gleichfalls durch Revision angefochtene – Urteil des FG Düsseldorf vom 07.07.2004 4 K 5726/01 Erb, Juris-Dok.Nr. STRE200670184, wonach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO

systematisch selbständige Tatbestände darstellen mit der Folge, dass jeder der Tatbestände für sich den Beginn der Festsetzungsfrist auslöst), ergibt sich daraus aber jedenfalls ein gewichtiges Argument für die Auffassung, dass die Kenntniserlangung der Behörde durch eine ordnungsgemäße Anzeige i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Anlaufhemmung endgültig beendet und den Anlauf der Festsetzungsfrist ohne Rücksicht darauf auslöst, ob und wann die Finanzbehörde eine Steuererklärung nach § 31 Abs. 1 ErbStG noch anfordert und wann eine solche dann ggf. vorgelegt wird.

Es vermag darüber hinaus auch in keiner Weise einzuleuchten, wieso einerseits im Rahmen des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO für den Anlauf der Festsetzungsfrist – unbestritten – die Alternative maßgeblich sein soll, die zuerst eingetreten ist (z.B. BFH-Urteil in BStBl II 2003, 502 [BFH 05.02.2003 – II R 22/01]), dies andererseits im Rahmen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO dann aber genau umgekehrt sein sollte.

In Übereinstimmung mit den vorstehenden Überlegungen geht auch die Rechtsprechung ganz grundsätzlich davon aus, dass ein weiteres Hinausschieben der Festsetzungsfrist dann nicht mehr geboten ist, wenn dem für die Besteuerung zuständigen Finanzamt alle Umstände bekannt geworden sind, die es für die Prüfung benötigt, ob ein steuerbarer Vorgang vorliegt und ein Besteuerungsverfahren einzuleiten, insbesondere eine Steuererklärung anzufordern ist.

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Hierfür reicht die Kenntnis des Erblassers bzw. Schenkers und des Erwerbers (mit Namen und Anschriften) sowie des Rechtsgrunds des Erwerbs aus (Urteile des BFH vom 21.06.1995 II R 11/92, BStBl II 1995, 802, sowie in BStBl II 1997, 11, [BFH 30.10.1996 – II R 70/94] BStBl II 2003, 502, [BFH 05.02.2003 – II R 22/01] und BStBl II 2005, 780 [BFH 06.07.2005 – II R 9/04]; Urteil des FG München in EFG 2002, 5, [FG München 18.07.2001 – 4 K 4507/98] sowie Urteil des erkennenden Senats vom 12.08.2004 1 K 3728/02, n.v.). Dabei ist es letztlich unerheblich, ob man dieses Ergebnis durch entsprechende Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gewinnt oder aber unmittelbar auf § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO stützt.

Der Beklagte weist allerdings zutreffend darauf hin, dass der BFH demgegenüber auch entschieden hat, dass die Aufforderung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung sogar dann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu einem von Abs. 1 der Vorschrift abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist führt, wenn sie nach Ablauf des dritten auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung  Kalenderjahres, aber noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ergeht (Urteile vom 18.10.2000 II R 50/98, BStBl II 2001, 14, und in BFH/NV 2001, 574, sowie vom 10.11.2004 II R 1/03, BStBl II 2005, 244; vgl. a. Urteil des FG Münster vom 24.06.2004 3 K 4930/03 Erb, EFG 2006, 129). In diesen vom BFH entschiedenen Fällen hat jedoch – im Gegensatz zum Streitfall – (wegen § 30 Abs. 3 ErbStG) keine Anzeigepflicht des Steuerpflichtigen bestanden, so dass sich die Problematik des Streitfalles dort gerade nicht gestellt hat.

Es kann deshalb dahinstehen, ob der Senat sich dieser Auffassung, die offenkundig auf der Überlegung fußt, dass die Erfüllung der eigenen Anzeigepflicht der vom Steuerpflichtigen unabhängigen Urkundspersonen (§§ 33, 34 ErbStG) und die dadurch erlangte Kenntnis der Finanzbehörde ebenso wie die Nichterfüllung dieser Anzeigepflichten keinerlei Einfluss auf Anlaufhemmung und Festsetzungsfrist haben dürfe, anschließen könnte und ob hier nicht ein Widerspruch zu der zuvor genannten eigenen Rechtsprechung des BFH offenbar wird.

Die vorliegende Problematik ist – soweit ersichtlich – noch nicht Gegenstand veröffentlichter oder sonst zugänglicher gerichtlicher Entscheidungen gewesen. In der Literatur haben sich neben Sosnitza, a.a.O. (im Sinne des Beklagten) eindeutig nur noch Fumi in einer Anmerkung zum Urteil des FG Münster in EFG 2006, 129, 130 [FG Münster 24.06.2004 – 3 K 4930/03 Erb], sowie Jülicher, a.a.O., S. 50 f. (jeweils im Sinne der Auffassung des Senats) geäußert. Außerdem scheinen der Auffassung des Beklagten Kien-Hümbert, a.a.O., § 30 Rz. 15 a.E., und der hier vertretenen Auffassung Hartmann in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 170 AO, Rz. 18, zuzuneigen.

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3. Nach allem ergibt sich im Streitfall auf der Grundlage der Auffassung des Senats, dass die Festsetzungsfrist von 4 Jahren dadurch, dass der Kläger seine Anzeigepflicht nach § 30 Abs. 1 ErbStG dadurch, dass er die privatschriftliche Vereinbarung zu c) zugleich mit den beurkundeten Verträgen durch den Notar der Schenkungsteuerstelle des Beklagten hat übersenden lassen, in 1995 erfüllt hat, mit Ablauf des Kalenderjahrs 1995 zu laufen begonnen hat und im Zeitpunkt des Ergehens des Bescheids vom 16.06.2000 bereits abgelaufen war.

Die Schenkungsteuer ist deshalb ohne Berücksichtigung des Rechtsvorgangs c) entsprechend dem Antrag des Klägers nach einem abgerundeten steuerpflichtigen Erwerb von … DM gemäß §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 1 Nr. 4 und 19 Abs. 1 ErbStG in der für 1994 maßgeblichen Fassung (Steuerklasse III, 17%) auf … DM (… EUR) herabzusetzen.

Da der Beklagte im Rechtsstreit unterliegt, hat er gemäß § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Wegen der Kompliziertheit der Rechtslage war die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 Zivilprozessordnung.

Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zu.

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