Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand FG Münster 3 K 961/15 Erb
Streitig ist, ob ein negativer Erwerb als Alleinerbe mit einem positiven Erwerb als Vermächtnisnehmer zu saldieren ist.
Der Erblasser verstarb am 00.00.0000. Ausweislich des notariellen Testaments vom 00.00.0000 war der Kläger unter I. als Alleinerbe eingesetzt. Darüber hinaus setzte der Erblasser unter II. zugunsten mehrerer Personen, darunter auch zugunsten des Klägers, Vermächtnisse aus, die die begünstigten Personen nach Berücksichtigung der Vermächtnisse und Ausgaben gemäß Ziffern III, IV und V vom verbleibenden Nettonachlass erhalten sollten. Auf den Kläger sollte ein Anteil von 5,5 % entfallen. Die unter II. angeordneten Vermächtnisse waren „ … erst fällig nach vollständiger Veräußerung des Immobilienbesitzes“.
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Der Kläger erhielt das Vermächtnis als Vorausvermächtnis.
Darüber hinaus hatte der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet.
Zu den Einzelheiten wird auf das Testament, Blatt 11 bis 17 Erbschaftsteuerakte, hingewiesen.
Zum Nachlass gehörte der Grundbesitz A-Straße 1 und B-Straße 2 in L, für den Grundbesitzwerte in Höhe von X Euro bzw. X Euro festgestellt wurden, insgesamt X Euro. Auf die Mitteilungen in der Erbschaftsteuerakte wird hingewiesen. Der Grundbesitz wurde, wie vom Erblasser angeordnet, durch den Testamentsvollstrecker veräußert (A-Straße 1 für X Euro und B-Straße 2 für X Euro). Die letzte Veräußerung erfolgte am 00.00.0000. Der Mehrwert gegenüber den festgestellten Grundbesitzwerten betrug danach insgesamt X Euro.
Nach der vom Testamentsvollstrecker vor der Veräußerung der Immobilien eingereichten vorläufigen Erbschaftsteuererklärung setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer gegenüber dem Kläger durch Bescheid vom 16.01.2013 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf X Euro fest. Er berücksichtigte dabei einen Erwerb durch Erbanfall in Höhe von X Euro und einen Vermächtniserwerb in Höhe von X Euro zum Stichtag 00.00.0000. Zu den Einzelheiten wird auf den Bescheid in Band I der Erbschaftsteuerakte Bezug genommen.
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Nach der Veräußerung des Grundbesitzes machte der Testamentsvollstrecker endgültige Angaben. Danach war der Erwerb durch Erbanfall negativ (- X Euro), das Vermächtnis zugunsten des Klägers belief sich auf X Euro. Auf den Schriftsatz des Testamentsvollstreckers vom 21.09.2013 (Band II der Erbschaftsteuerakte) wird hingewiesen.
In dem geänderten Erbschaftsteuerbescheid vom 22.11.2013 ging der Beklagte davon aus, dass auf den 09.02.2012 ein Erwerb durch Erbanfall in Höhe von 0 Euro und ein Erwerb durch Vermächtnis in Höhe von X Euro anzusetzen sei. Die Erbschaftsteuer betrug danach X Euro. Ein Erwerb durch Erbanfall in Höhe von 0 Euro ergab sich deshalb, weil der Beklagte den Gesamtwert der Nachlassgegenstände um den aufgrund der Veräußerung des Grundbesitzes erzielten Mehrwert von X Euro erhöhte.
Mit dem dagegen am 20.12.2013 erhobenen Einspruch machte der Kläger geltend, dass für die Ermittlung des Erwerbs durch Erbanfall der Grundbesitz lediglich mit den festgestellten Grundbesitzwerten anzusetzen sei. Danach ergebe sich für den Erwerb durch Erbanfall ein negativer Wert, der mit dem Wert des Erwerbs durch Vermächtnis zu saldieren sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH-Urteil vom 16.01.2008 II R 30/06, BStBl. II 2008, 626) stellten der Erwerb des Klägers als Alleinerbe und als Vorausvermächtnisnehmer trotz der unterschiedlichen Steuerentstehungszeitpunkte einen einheitlichen Erwerbsvorgang dar.
Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 26.02.2015 als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung des vom Kläger zitierten BFH-Urteils sei von zwei selbständigen Erwerben auszugehen. Die Regelung zur Fälligkeit der Vermächtnisse unter II. des Testaments stelle nicht eine reine Fälligkeitsbestimmung dar. Vielmehr handele es sich um eine aufschiebende Bedingung der Art, dass der jeweilige Vermächtnisanspruch frühestens im Zeitpunkt des Verkaufs des letzten der beiden Grundstücke entstanden sei. Vor Eintritt dieser Bedingung hätten die Vermächtnisnehmer ihren Anspruch gegen den Erben nicht wirksam durchsetzen können. Eine Saldierung der Erwerbe verbiete sich gemäß § 14 Abs. 1 Satz 5 ErbStG.
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Mit seiner Klage vom 24.03.2015 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er verweist darauf, in der Summe habe das Testament vorgesehen, das nach Veräußerung des Grundbesitzes und Abzug der Verbindlichkeiten laut Ziffern III., IV. und V. des Testaments verbleibende Geldvermögen nach den unter II. genannten Quoten auf die dort aufgeführten Vermächtnisnehmer, darunter auch der Kläger, zu verteilen.
Die Einsetzung des Klägers als Vorausvermächtnisnehmer habe rechtlich keinen Sinn gemacht, da er im Vergleich zu den übrigen Erwerbern nicht mehr habe erhalten sollen. Auch könne der Kläger in seiner Stellung als Erbe nicht an sich selbst in seiner Stellung als Vermächtnisnehmer leisten. Vielmehr sei das Testament so auszulegen, dass der Kläger als Alleinerbe mit Vermächtnisverpflichtungen in Höhe von 94,5 % des Nettonachlasses belastet sei.
Bei einer dementsprechenden Steuerermittlung unter Berücksichtigung der Grundbesitzwerte falle Erbschaftsteuer nicht an. Für eine derartige Auslegung des Testaments spreche auch, dass die Einsetzung eines Alleinerben und die Aussetzungen von Vermächtnissen vor dem Hintergrund erfolgt sei, den eingesetzten Testamentsvollstrecker zu entlasten, der sich so nur mit einem und nicht mit einer Vielzahl von Erben habe auseinandersetzen müssen.
Im Übrigen liege ein Fall von § 14 ErbStG nicht vor, da es an zeitlich auseinanderliegenden Erwerbsvorgängen fehle. Der Kläger sei aufgrund testamentarischer Verfügung gleichzeitig zum Alleinerben und Vermächtnisnehmer bestimmt worden. Im Hinblick auf den Steuerentstehungszeitpunkt gemäß § 9 ErbStG könnten ggfs. zwei Erwerbsvorgänge angenommen werden. Bezogen auf den Regelungsgehalt des § 14 ErbStG lägen jedoch keine unterschiedlichen Erwerbsvorgänge vor.
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Der Kläger beantragt,
den Erbschaftsteuerbescheid vom 22.11.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.02.2015 aufzuheben,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seine Einspruchsentscheidung.
Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 26.01.2017 erörtert. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll über den Erörterungstermin Bezug genommen (Blatt 61 der Gerichtsakte).
Der Senat hat in der Sache am 18.05.2017 mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe FG Münster 3 K 961/15 Erb
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO).
Der Erbschaftsteuer unterliegt als Erwerb von Todes wegen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG sowohl der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) als auch der Erwerb durch Vermächtnis (§ 2147 BGB). Die Steuer für einen Erwerb i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit dem Tod des Erblassers und gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG für den Erwerb des unter einer aufschiebenden Bedingung, unter einer Betagung oder Befristung Bedachten sowie für zu einem Erwerb gehörende aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung oder des Ereignisses. Mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Erwerbe werden zusammengerechnet, § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG, wobei negative Erwerbe gemäß § 14 Abs. 1 Satz 5 ErbStG unberücksichtigt bleiben.
Der Beklagte ist hier zutreffend davon ausgegangen, dass im Fall des Klägers zwei eigenständige Erwerbe eingetreten sind, wobei der negative Erwerb als Erbe nicht mit dem positiven Erwerb als Vermächtnisberechtigter saldiert werden darf, § 14 Abs. 1 Satz 5 ErbStG. Bereits zivilrechtlich handelt es sich um zwei eigenständige Erwerbstatbestände. Gemäß § 1922 BGB ist der Kläger infolge der Erbeinsetzung Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers geworden, dessen Vermögen als Ganzes auf ihn übergegangen ist.
Als Vermächtnisnehmer hat er einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Nachlass auf Auskehrung von Geld in der in II. des Testaments bezifferten Höhe erhalten, § 2174 BGB. Grundsätzlich fallen sowohl die Erbschaft als auch das Vermächtnis mit dem Tod des Erblassers an (§§ 1922, 2176 BGB). Dabei kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob das dem Kläger zustehende Vermächtnis gemäß § 2177 BGB aufschiebend bedingt oder unter der Bestimmung eines Anfangstermins angeordnet ‑ wozu der Senat neigt – und deshalb erst mit Eintritt der Bedingung bzw. des Termins angefallen ist.
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Denn für Zwecke der Erbschaftsteuer gilt, dass verschiedene Steuerentstehungszeitpunkte zu selbständigen Erwerbsvorgängen führen, für die grundsätzlich jeweils gesondert Erbschaftsteuer unter Berücksichtigung des § 14 ErbStG festzusetzen ist (vgl. BFH-Urteil vom 02.03.2006 II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480 mit weiteren Nachweisen).
Aus den Rechtsgrundsätzen des vom Kläger in Bezug genommenen BFH-Urteils vom 16.01.2008 II R 30/06 (BStBl. II 2008, 626) ergibt sich für den vorliegenden Fall nichts anderes, auch wenn der BFH die Aussage, unterschiedliche Steuerentstehungszeitpunkte seien mit unterschiedlichen Erwerbszeitpunkten verbunden, nicht für jeden Fall aufrecht erhalten hat. Der BFH hat dort ausgeführt, § 9 Abs. 1 Nr. 1a ErbStG regele den Steuerentstehungszeitpunkt für zwei Fallgruppen. Die erste Fallgruppe betreffe Fälle eines aufschiebend bedingten, betagten oder befristeten Erwerbs. Insoweit sei von selbständigen Erwerbsvorgängen auszugehen.
Soweit jedoch ein unbedingter Erwerb aufschiebend bedingter, betagter oder befristeter Ansprüche vorliege, sei nicht von mehreren Erwerbsvorgängen auszugehen, es sei denn, in dem unbedingten Erwerb befänden sich aufschiebend bedingte, betagte oder befristete Ansprüche (vgl. o. a. Urteil, dort Rz. 26 und 27). Zu unterscheiden ist daher zwischen aufschiebend bedingten, betagten oder befristeten Erwerbsgründen und solchen Bedingungen, Betagungen und Befristungen, die sich auf einzelne Erwerbsgegenstände aus dem Nachlass beziehen.
Für letztere entstehe die Steuer zu einem späteren Zeitpunkt, ohne dass es sich um einen gesonderten Erwerbsvorgang handele (vgl. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar, § 9 Rz. 35 mit zustimmendem Hinweis auf das Urteil des BFH vom 16.01.2008 II R 30/06). Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar, § 14 Rz. 7, hält die Differenzierung des Bundesfinanzhofs für wenig überzeugend und vertritt den Standpunkt, es sei von der Selbständigkeit des Erwerbs auszugehen, soweit einem Erwerb infolge einer aufschiebenden Bedingung oder Befristung ein Unsicherheitselement immanent sei; lediglich bei einer reinen Betagung fehle es daran, so dass dann eine Abzinsung zu erfolgen habe.
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Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze liegen hier zwei Erwerbsvorgänge vor. Der Kläger ist Erbe geworden. Maßgeblich ist insoweit gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Todestag des Erblassers. Darüber hinaus ist der Kläger nach dem eindeutigen, nicht auslegbaren Wortlaut des Testaments Vermächtnisnehmer geworden.
Hierbei handelt es sich um einen aufschiebend betagten Erwerb (vgl. BFH-Urteil vom 27.08.2003 II R 58/01, BStBl. II 2003, 921), da die Fälligkeit des Vermächtnisses durch ein ungewisses Ereignis – nämlich die vollständige Veräußerung des Grundbesitzes – hinausgeschoben war. Insofern liegt ein Fall des § 9 Abs. 1 Nr. 1a 1. Halbsatz ErbStG vor.
Denn der Erwerb an sich – das Vermächtnis – ist von einem ungewissen künftigen Ereignis abhängig. § 9 Abs. 1 Nr. 1a 2. Halbsatz ErbStG bezieht sich demgegenüber nur auf einzelne, zu einem Erwerb gehörige Erwerbsgegenstände. Diese Konstellation liegt hier allerdings – anders als in dem dem BFH-Urteil vom 16.01.2008 zugrunde liegenden Fall, in dem es um einen zum Nachlass und damit zum Erwerb gehörenden einzelnen Einkommensteuererstattungsanspruch ging – nicht vor.
Der Beklagte hat den zu besteuernden Erwerb des Vermächtnisses auch zutreffend zum 19.12.2012 erfasst. Zwar bezieht sich der angefochtene Bescheid vom 22.11.2013 auf den Stichtag 09.02.2012. Maßgeblich ist jedoch der Bescheid in der Gestalt, die er durch die Einspruchsentscheidung vom 26.02.2015 gefunden hat.
Dort hat der Beklagte ausgeführt, dass maßgeblicher Besteuerungszeitpunkt für den Erwerb des Vermächtnisses der 19.12.2012 ist. Dass es insoweit an weiteren bescheidtechnischen Umsetzung fehlt, berührt nicht die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zulassung der Revision erfolgt zur Fortbildung des Rechts, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.