Kammergericht Berlin 22 U 8110/95

September 16, 2017

Kammergericht Berlin 22 U 8110/95 – Testamentsauslegung: Abgrenzung zwischen vererblichem Vermächtnis und Auflage

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 23. Oktober 1995 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin teilweise geändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Die im zweiten Rechtszuge erweiterte Klage wird abgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,– DM abwenden, wenn der Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Klägerin ist mit mehr als 60.000,– DM beschwert.

Tatbestand Kammergericht Berlin 22 U 8110/95 

Die am 15. Oktober 1990 verstorbene C H (nachstehend: Erblasserin) hatte am 23. Juni 1983 zu notariellem Protokoll ein Testament errichtet, in dem sie zu I. den V H einen Neffen ihres (vor-)verstorbenen Ehemannes, zum Alleinerben bestimmte, und zwar mit der Maßgabe, daß V H das Haus S Straße … in Berlin-Zehlendorf mit der Verpflichtung erhalte, seine Schwester – die Klägerin –, die seinerzeit in Italien lebte und dort verheiratet war, zu 50 % an den Reineinnahmen des Hauses zu beteiligen, solange es ihm gehöre. Zugleich ordnete sie an, daß ein Verkauf des Hauses nur im Einvernehmen mit der Klägerin erfolgen solle und daß im Falle des Verkaufes der Klägerin die Hälfte des Nettoerlöses zustehe.

Weiter heißt es zu Nr. I. des Testamentes: “Der Frau P zustehende Betrag soll bei einer deutschen Bank fest angelegt werden.” sowie nach einem Absatz: “Über die Zinsen des Kapitals kann Frau P frei verfügen. Das Kapital soll jedoch nach Möglichkeit in Deutschland verbleiben und nicht in das Ausland transferiert werden. Nur wenn Frau P das Kapital oder Teile davon dringend braucht, kann sie es sich im Einvernehmen mit dem Testamentsvollstrecker in Deutschland auszahlen lassen.” Zu Nr. II. des Testamentes ordnete die Erblasserin “die nachfolgenden Vermächtnisse” an, unter denen die Klägerin und ihr Bruder auch als Ersatzvermächtnisnehmer zu gleichen Teilen berufen wurden. Nr. VI. enthielt die Anordnung von Testamentsvollstreckung; zum Testamentsvollstrecker bestimmte die Erblasserin den Beklagten.

Kammergericht Berlin 22 U 8110/95

Die Parteien streiten über die Frage, ob die unter Nr. I. des Testamentes getroffene Verfügung der Klägerin ein vererbliches Recht zugewendet hat. Der Beklagte hat die Frage verneint und vertritt den Standpunkt, bei der Verfügung handele es sich lediglich um eine den Erben beschwerende Auflage; es sei der in Gesprächen vor der Testamentserrichtung hervorgetretene Wille der Erblasserin gewesen, allein die Klägerin am Nachlaß zu beteiligen. Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß ihr Pflichtteilsanspruch auf 50 % an den Reineinnahmen des Anwesens S Straße … vererblich ist,

hilfsweise,

festzustellen, daß ihr Anspruch auf 50 % an den Reineinnahmen dieses Anwesens vererblich ist.

der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 23. Oktober 1995, auf dessen Tatbestand einschließlich der Verweisungen wegen des weiteren Parteivorbringens erster Instanz Bezug genommen wird, die dem Hilfsantrag entsprechende Feststellung getroffen, die Klage im übrigen abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits den Parteien je zur Hälfte auferlegt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, bei dem streitigen Anspruch handele es sich um einen solchen aus Vermächtnis, wie die Auslegung des Testamentes vom 23. Juni 1983 ergebe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.

Gegen dieses am 1. November 1995 zugestellte Urteil richtet sich die am 24. November 1995 eingelegte und zugleich begründete Berufung des Beklagten, mit der er seinen Standpunkt weiter verfolgt und geltend macht, das Landgericht habe die zur Auslegung des Testamentes angebotenen Zeugen vernehmen müssen. Er beantragt,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und ferner im Wege der Klageerweiterung,

festzustellen, daß ihr Anspruch auf 50%ige Beteiligung an dem Nettoverkaufserlös des Anwesens S Straße … vererblich ist.

Sie hält daran fest, daß ihr in Bezug auf das Grundstück ein Vermächtnis zugewandt worden sei, was auch durch die persönlichen Verhältnisse zur Erblasserin nahegelegt werde und im übrigen auch dem vorprozessualen Verständnis der Beteiligten entspreche.

Der Beklagte beantragt,

die im zweiten Rechtszug erweiterte Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst der ihnen beigefügten Anlagen Bezug genommen. Die Akten 37 X 102/94 des Amtsgerichts Bonn lagen dem Senat zur Information vor und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß seinem Beschluß vom 18. November 1996 durch uneidliche Vernehmung des 94 Jahre alten früheren Rechtsanwalts und Notars Dr. E S. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 10. April 1997 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe Kammergericht Berlin 22 U 8110/95 

Die gemäß §§ 511, 511 a ZPO statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 516, 518 Abs. 1 und 2, 519 Abs. 1 bis 3 ZPO); sie ist mithin zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg; die von der Klägerin begehrten Feststellungen können aus materiellrechtlichen Gründen nicht getroffen werden.

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Der Antrag auf Feststellung, daß der Anspruch auf Beteiligung in Höhe von 50 % vererblich sei, schließt zum einen ein, daß der Klägerin überhaupt ein Anspruch gegen den Nachlaß zusteht, zum anderen, daß er im Falle ihres Todes auf ihre Erben übergeht. Dabei sind im Hinblick auf die sukzessive Entstehung oder Fälligkeit der einzelnen Beteiligungen (Reineinnahmen und Verkaufserlös) nur gemeint und auch allein streitig die Leistungen, die auf den Zeitraum nach dem Tode der Klägerin entfallen; nicht bezieht sich der Antrag auf Beteiligungen, die Zeiträume betreffen oder in ihnen anfallen, die die Klägerin erlebt hat, die im Zeitpunkt ihres Todes aber noch nicht ausgezahlt sind. Danach bedeutet die mit den Klageanträgen geltend gemachte Vererblichkeit, daß die Klägerin die Rechtsbehauptung aufstellt, der ihr (nach ihrer Auffassung) zugewendete Anspruch schließe nicht lediglich die bis zu ihrem Tode, sondern auch die danach entstehenden oder fällig werdenden Beteiligungen ein.

Soweit die Klägerin die Klage (im zweiten Rechtszug) um den Antrag auf Feststellung bezüglich des Verkaufserlöses erweitert hat, hat sie eine Klageänderung vorgenommen, deren Zulässigkeit nach den §§ 523, 263 ZPO zu beurteilen und gemäß § 267 ZPO zu bejahen ist, nachdem der Beklagte sich ohne Widerspruch auf die geänderte Klage (sachlich) eingelassen hat. Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der von der Klägerin verfolgten Feststellungsanträge – als solcher – ist nach § 256 Abs. 1 ZPO das rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung. Der Senat braucht sich mit den sich dazu stellenden Fragen hier jedoch deshalb nicht abschließend auseinanderzusetzen, weil das Feststellungsinteresse Sachurteilsvoraussetzung nur für die stattgebende, nicht auch für die abweisende Entscheidung ist (s. etwa Thomas/Putzo, ZPO, 20. Aufl., Rdnr. 4 zu § 256 ZPO m.N.), die auf Grund der Sachprüfung im vorliegenden Falle ergehen muß.

Die Parteien streiten um den Rechtscharakter der im Testament der Erblasserin vom 23. Juni 1983 unter Nr. I. zugunsten der Klägerin getroffenen Verfügung. Dieser Streit, der sich, soweit für die hier begehrte Entscheidung erheblich, auf die zeitliche Grenze der Begünstigung der Klägerin bezieht, ist mit der diskutierten Alternative zwischen Vermächtnis und Auflage rechtlich indessen nicht zutreffend erfaßt, auch wenn die Verfügung der Erblasserin als Vermächtnis gedeutet wird, kann die (dann gegebene) Berechtigung der Klägerin nur auf die Fälligkeiten bis zu ihrem Tod begrenzt sein, was anzunehmen wäre, wenn die Auslegung ergibt, daß das Vermächtnis inhaltlich mit dieser Begrenzung ausgesetzt ist. Es kommt mithin für die Frage, ob die Klägerin gegenüber dem Erben überhaupt berechtigt ist, allerdings auf den Rechtscharakter der Verfügung an; ob die Berechtigung über den Tod der Klägerin hinausreicht, also auch ihre Erben die verfügte Beteiligung an den Erträgen und ggf. am Erlös des Hauses verlangen können, wäre mit der Feststellung, daß der Klägerin ein Vermächtnis zugewandt ist, jedoch noch nicht entschieden, hängt vielmehr von dem Inhalt der Verfügung ab.

Zur Frage nach dem rechtlichen Charakter der im Testament vom 23. Juni 1983 unter Nr. I. zugunsten der Klägerin getroffenen Anordnungen ist zuzugeben, daß Art und Gegenstand der Zuwendung sowie der Wortlaut der Urkunde und auch die in ihr zum Ausdruck gekommene Intention der Erblasserin, die Klägerin und ihren Bruder in Bezug auf das Grundstück S Straße … wirtschaftlich gleich zu behandeln, es nahelegen, in diesen Anordnungen die Zuwendung von Vermächtnissen zu sehen, und daß diesem Verständnis andererseits auch die Systematik des Testamentes nicht entgegensteht, da die Zuwendung von Vermächtnissen unter Nr. II. nicht abschließend geregelt ist, wie bereits die Verfügungen zu Nr. III. und V. ergeben. Indessen hat die Auslegung letztwilliger Verfügungen als einseitiger nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen nicht auf den objektiven Gehalt des Urkundentextes, sondern – in den Grenzen möglicher Interpretation – auf den tatsächlichen (“wahren”) Willen des Erblassers abzustellen, der in ihm Ausdruck gefunden hat (§ 133 BGB; Staudinger/Otte, BGB, 13. Bearb., Rdnr. 25 vor §§ 2064 ff. BGB; Palandt/Edenhofer, BGB, 56. Aufl., Rdnr. 1 zu § 2084 BGB m.w.N.).

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Nach diesem Kriterium muß das Testament vom 23. Juni 1983 allerdings dahin verstanden werden, daß die Klägerin durch die Verfügungen zu Nr. I. nicht – im Sinne eines Vermächtnisses (§§ 1939, 2174 BGB) – berechtigt werden sollte.

Grundlage dieser Feststellung ist die zeugenschaftliche Bekundung des seinerzeit amtierenden Notars Dr. S, der, wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, die Vorstellungen und Absichten der Erblasserin erkundet und sie bei der Gestaltung der Verfügungen vom 23. Juni 1983 beraten hat. Nach der Aussage des Zeugen hat er dem Wunsch der Erblasserin, den der Klägerin zugedachten Vermögensanteil einem möglichen Zugriff ihres Ehemannes oder von dessen Familie zu entziehen, dadurch Rechnung tragen wollen, daß die Nachlaßbeteiligung der Klägerin als Auflage gestaltet wurde. Zwar ergibt die Aussage nicht, daß die Erblasserin sich die Anregung des Zeugen schon als solche zu eigen gemacht und in ihren letzten Willen aufgenommen hat, daß also von einer Auflage hier bereits deshalb auszugehen wäre, weil der rechtskundige Zeuge mit der gewählten Formulierung eine Verfügung dieser Art hat zum Ausdruck bringen wollen.

Der Aussage ist aber zu entnehmen, daß die Erblasserin der Anregung des Zeugen gefolgt ist und mit dieser konkret die Vorstellung verbunden hat, in dem gewollten Umfang den Erben zu verpflichten, ohne andererseits zugleich die Klägerin zu berechtigen. Dieser Feststellung steht nicht entgegen, daß der Zeuge die Erblasserin über den rechtlichen Unterschied dieser Gestaltung zum Vermächtnis nicht gesondert unterrichtet hat. Seine Aussage ergibt ungeachtet dessen zweifelsfrei, daß die Erblasserin sich über die besondere Stellung der Klägerin als Auflagebegünstigter im klaren war, wenn sie zur Kenntnis nahm, daß “kein Dritter da herankommen könne”, und billigte, daß die Klägerin – zu ihrem Schutz – schlechter gestellt wurde als ihr Bruder, da die Beteiligung ihrer Verfügung (oder einer solchen zu ihrem Nachteil) entzogen wurde.

Der Senat trägt keine Bedenken, der Aussage des Zeugen Dr. S zu folgen. Der Zeuge hat präzise und widerspruchsfreie Bekundungen gemacht; er war trotz seines hohen Alters zu der geforderten Gedächtnisleistung ersichtlich in der Lage und um die objektive Wiedergabe der seinerzeitigen Erwägungen und Gespräche bemüht. Seine Glaubwürdigkeit steht außer Zweifel. Auch wenn er in den Besitz einer Ablichtung des Testamentes vom 23. Juni 1983 nur über den Beklagten gelangt sein kann, gibt es Anlaß zu der Annahme, daß er einer Beeinflussung von dessen Seite – durch bestimmte Darstellung der seinerzeitigen Vorgänge aus der Sicht des Beklagten – erlegen sein könnte, umso weniger, als er zu der im Beweisbeschluß vom 18. November 1996 (auch) enthaltenen Frage nach der Vererblichkeit der Beteiligung der Klägerin angegeben hat, an diesen Gesichtspunkt “wohl nicht gedacht” zu haben.

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Die Zuverlässigkeit seiner Aussage wird zudem dadurch gestützt, daß die Angaben des Zeugen zur Absicht der Erblasserin, beide Geschwister (in bezug auf das Grundstück S Straße …) tendenziell in gleicher Weise zu begünstigen, genau mit dem Vortrag der Klägerin selbst übereinstimmen. Tatsächlich ist der Zeuge nach seiner Bekundung auch davon ausgegangen, die Verwirklichung dieses Wunsches der Erblasserin über eine (von dem – persönlich bekannten – Testamentsvollstrecker zu erfüllenden) Auflage an den Erben sicherstellen zu können.

Daß er trotz der Ungewöhnlichkeit des Einsatzes dieser Gestaltungsmöglichkeit für die hier bezweckte Vermögensbeteiligung der Klägerin – für die eine Auflage andererseits auch nicht etwa aus Rechtsgründen ausgeschlossen war (s. Staudinger/Otte a.a.O., Rdnr. 5 zu § 1940 BGB; RGRK-Kregel, 12. Aufl., Rdnr. 3 zu § 1940 BGB), wie die Klägerin zu meinen scheint – auf eine ausdrückliche Klarstellung im Testament vom 23. Juni 1983 verzichtete, hat der Zeuge ebenfalls glaubhaft erklärt.

Richtig ist allerdings, daß der Beklagte in seinen Schreiben vom 13. Juni 1991 und 23. August 1994 die Nachlaßbeteiligung der Klägerin selbst als “Vermächtnis” bezeichnet und (Schreiben vom 13. Juni 1991) der Klägerin zu den sich nach seiner Meinung daraus ergebenden Rechtsfolgen Hinweise erteilt hat.

Der inhaltliche Zusammenhang der Schreiben ergibt jedoch, daß es in ihnen entscheidend nicht um diese Qualifizierung ging, sie vielmehr nur zur Erläuterung der Information angesprochen wurde, daß die Klägerin nicht (Mit-)Erbin sei oder ihr ein Anspruch auf vollständige Testamentsabschrift nicht zustehe. Bereits angesichts dessen liegt die Annahme nahe, daß der später streitig gewordenen Frage, welche Rechtsstellung die Klägerin vermöge des Testamentes vom 23. Juni 1983 positiv erlangt hatte, ungeachtet der “Rücksprache mit Herrn Dr. S” (Schreiben vom 13. Juni 1991) größere Aufmerksamkeit seinerzeit nicht zugewandt worden ist.

Im übrigen hatte der Beklagte auch schon im Schreiben vom 13. Juni 1991 die (für das Vermächtnis nicht notwendige) Auffassung vertreten, daß die Beteiligung der Klägerin an dem Grundstück S Straße … mit ihrem Tode erlösche und also nicht auf ihre Erben übergehe. Unter diesen Umständen stellen auch die zitierten Schreiben des Beklagten die Bekundungen des Zeugen Dr. S nicht durchgreifend in Frage.

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Ist die Klägerin im Testament vom 23. Juni 1983 danach lediglich durch Auflagen begünstigt worden, so sind Ansprüche auf die verfügte Leistung in ihrer Person mit dem Erbfall nicht entstanden (§ 1940 BGB); die Begünstigung auf Grund einer Auflage stellt sich lediglich als Reflex der dem Beschwerten auferlegten Verpflichtung dar, ohne aber ein Recht zu begründen, so daß der Begünstigte als solcher – selbst dann, wenn die Auflage auf einen Vermögensvorteil für ihn gerichtet ist – einen Anspruch auf Vollziehung nicht hat (Staudinger/Otte a.a.O., Rdnr. 12 zu § 2192 BGB).

Die Klägerin gehört auch nicht zum gesetzlichen Kreis der vollziehungsberechtigten Personen (§ 2194 S. 1 BGB), und ihr ist endlich auch nicht von der Erblasserin die Befugnis verliehen worden, die Vollziehung der Auflage zu verlangen (s. Staudinger/Otte a.a.O., Rdnr. 6 zu § 2194 BGB). Ob hierfür eine ausdrückliche Anordnung zu verlangen wäre (so Palandt/Edenhofer a.a.O., Rdnr. 1 zu § 2194 BGB), kann dahingestellt bleiben, da ein darauf gerichteter Wille der Erblasserin nicht erkennbar ist, im übrigen auch ihren von dem Zeugen Dr. S bekundeten Intentionen zuwidergelaufen wäre.

Eine Berechtigung der Klägerin gegenüber dem Nachlaß ist endlich auch nicht im Wege ergänzender Testamentsauslegung zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, daß die Erblasserin bei Errichtung der letztwilligen Verfügung vom 23. Juni 1983 einen Umstand außer acht gelassen hat, dessen Berücksichtigung sie zu einer abweichenden Verfügung bewogen hätte. Dies gilt insbesondere zu der Bekundung des Zeugen Dr. S, er würde der Erblasserin “ein anderes Testament vorgeschlagen” haben, wenn er gewußt hätte, daß die Klägerin eine Tochter hatte. Darauf kann es nicht ankommen, da der Erblasserin dieser Umstand bekannt war.

Daß der Ehemann der Klägerin zwischenzeitlich (am 20. Januar 1993) verstorben ist, begründet ebenfalls keine ergänzende Auslegung, die die von der Klägerin hier begehrte Feststellung rechtfertigte. Zwar ist im Rahmen dieser Auslegung auch die Berücksichtigung von Umständen, die erst nach dem Erbfall (hier: 15. Oktober 1990) eintreten, nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Staudinger/Otte a.a.O., Rdnr. 92 vor §§ 2064 ff. BGB) und in der Rechtsprechung bei Zuwendungen zugelassen worden, deren volle Wirkung nicht schon mit dem Erbfall eintritt (Nachweise bei Staudinger/Otte a.a.O.).

Im Hinblick darauf könnte im vorliegenden Fall zu erwägen sein, ob die Erblasserin, würde sie das Ableben des Ehemannes der Klägerin und deren Rückkehr nach Deutschland vorausgesehen haben, von diesem Zeitpunkt an – zu dem sie ihre von dem Zeugen bekundeten Besorgnisse etwa als gegenstandslos betrachtet hätte – die volle Gleichstellung der Geschwister in bezug auf das Grundstück verfügt haben würde.

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Auch diese Auslegung kann im Ergebnis aber nicht Platz greifen, da der hypothetische Wille der Erblasserin nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit festzustellen ist. Zum einen war die eingetretene Entwicklung nicht gänzlich fernliegend, zum anderen mußte auch sie die Befürchtungen der Erblasserin nicht notwendig gegenstandslos werden lassen.

Darüber hinaus hielt die Erblasserin die Klägerin wirtschaftlich ohnehin für gleichwertig bedacht und gesichert, wonach die auch rechtliche Angleichung ihrer Position an die ihres Bruders kaum ein bewegendes Motiv für eine anderweitige Testierung gewesen wäre. Im übrigen würde der hypothetische Wille der Erblasserin nach dem Klagevorbringen folgerichtig auch eher im Sinne einer Miterbenberufung (Nacherbschaft auf die Hälfte) zu bestimmen sein als im Sinne des von der Klägerin hier geltend gemachten Vermächtnisses.

Die Feststellungsanträge der Klägerin erweisen sich endlich auch nicht nach dem Schreiben des Beklagten vom 13. Juni 1991 als begründet. Der Beklagte hat mit diesem ausdrücklich (nur) seine “Rechtsansicht” mitgeteilt; damit verbietet es sich schon inhaltlich, in dem Schreiben ein deklaratorisches Anerkenntnis der Ansprüche der Klägerin zu sehen.

Ist die Klägerin nach allem gegenüber dem Nachlaß überhaupt nicht berechtigt, so können die von ihr begehrten Feststellungen bereits aus diesem Grund nicht getroffen werden. Die – nach der Bekundung des Zeugen Dr. S bei der Testamentserrichtung nicht bedachte – Frage, welche zeitliche Begrenzung den Verfügungen der Erblasserin innewohnt, ob also die Auflage auch zugunsten der Erben (Tochter) der Klägerin (weiter) zu erfüllen ist, bedarf keiner Entscheidung.

Die Berufung mußte mithin Erfolg haben, die im zweiten Rechtszug erweiterte Klage unterlag der Abweisung. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 S. 1 ZPO. Der Wert der Beschwer ist in Gemäßheit des § 546 Abs. 2 S. 1 ZPO festgesetzt worden.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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