Keine Ablieferungspflicht für Erbverzichtsverträge

Mai 13, 2020

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 21. Juni 1983 – BReg 1 Z 7 – 11/83
Keine Ablieferungspflicht für Erbverzichtsverträge
1. Die Vorschriften über die Ablieferung von Verfügungen von Todes wegen sind auf Erbverzichtsverträge nicht entsprechend anwendbar.
(Verschiedenheit von Erbvertrag und Erbverzichtsvertrag)
1. Da der Erbverzicht keine Verfügung von Todes wegen, sondern eine Verfügung unter Lebenden ist und der Benachteiligte am Vertrage beteiligt ist, besteht die Gefahr, daß bei Eintritt des Erbfalles die Einflußnahme auf die Erbfolge unbekannt ist und deshalb unberücksichtigt bleibt in ungleich geringerem Maße als dies beim Erbvertrag der Fall ist.
vorgehend LG München II, 28. Dezember 1982, 8 T 1060 – 1064/82
Tenor
Die weiteren Beschwerden gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 28.Dezember 1982 werden als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I.
1. Notar Dr. H … in … verwahrt Erbverzichtsverträge, die sein Amtsvorgänger in den Jahren 1929 und 1930 mit den Erblassern beurkundet hat. Er führte im Jahre 1982 Ermittlungen über das Fortleben der Erblasser durch. Im Juni 1982 lieferte er die Urschriften der Verträge beim Amtsgericht Ingolstadt zur Eröffnung ab.
2. Das Amtsgericht gab die Urkunden mit Verfügungen vom 21. und 22.6.1982 an den Notar zurück, da sie keine Verfügungen von Todes wegen enthielten, die eröffnet werden müßten. Mit Schreiben vom 6.7.1982 lieferte er die Urschriften der Urkunden nochmals “entsprechend § 2300a BGB zur Eröffnung ab”. Dieses Schreiben sah das Amtsgericht (Rechtspfleger) als Erinnerung gegen die Verfügungen vom 21. und 22.6.1982 an. Der Rechtspfleger und der Richter halfen den Erinnerungen nicht ab. Der Richter legte sie dem Landgericht München II vor.
Am 27.12.1982 erklärte Notar Dr. A, seine Erinnerungen richteten sich nur gegen die Nichtannahme der abgelieferten Urkunden, nicht aber gegen die Ablehnung der Eröffnung.
Mit Beschluß vom 28.12.1982 wies das Landgericht die Beschwerden als unbegründet zurück.
Gegen diese Entscheidung richten sich die weiteren Beschwerden des Notars.
II.
A. Die an keine Frist gebundenen weiteren Beschwerden sind statthaft (§ 27 FGG) und formgerecht (§ 29 Abs.1 Sätze 1 und 3 FGG) eingelegt. Die Beschwerdeberechtigung des Notars ergibt sich bereits aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerden (§§ 20, 29 Abs.4 FGG; BGHZ 31, 92/95; BayObLGZ 1982, 363/364; 1983, 9/11).
B. Die somit zulässigen Rechtsmittel haben jedoch keinen Erfolg.
1. Die Zulässigkeit der Erstbeschwerden hat das Landgericht, was vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig nachzuprüfen ist (BayObLGZ 1983, 67/70), zutreffend bejaht (§§ 19, 21 FGG). Insbesondere ergab sich die Beschwerdeberechtigung des Notars – wie bereits das Landgericht mit Recht dargelegt hat – aus § 20 Abs.1 FGG (ebenso für das Beschwerderecht gegen die Ablehnung der Annahme von Testamenten oder Erbverträgen: KGJ 23 A 195; LG Memmingen RPfleger 1977, 440; Palandt BGB 42.Aufl. § 2300a Anm.2; BGB-RGRK 12.Aufl. § 2300a RdNr.3; a.A. zum Beschwerderecht des Notars gegen die Ablehnung der Eröffnung einer von ihm abgelieferten Verfügung von Todes wegen: Jansen FGG 2.Aufl. § 20 RdNr.59). Denn durch die Ablehnung der Annahme der abgelieferten Urkunden wird der Notar an der Erfüllung einer von ihm angenommenen Pflicht gehindert (vgl. LG Memmingen aaO; Palandt aaO). Bei der Beurteilung der Beschwerdeberechtigung kommt es insoweit nur darauf an, daß ein Recht des Beschwerdeführers beeinträchtigt wäre, wenn die angefochtene Entscheidung sich in seinem Sinn als ungerechtfertigt herausstellen würde (Keidel/Kuntze/Winkler FGG 11.Aufl. § 20 RdNr.2).
2. In der Sache selbst führt das Landgericht zur Begründung seiner Entscheidung aus, nach § 2300a BGB i.V.m. § 25 Abs.2 Satz 2 BNotO habe der Notar Erbverträge nach 50 Jahren dem Nachlaßgericht zur Eröffnung abzuliefern, wenn das Fortleben des Erblassers nicht festgestellt werden könne. Diese Vorschriften könnten auf Erbverzichtsverträge nicht entsprechend angewendet werden; denn durch den Erbverzichtsvertrag werde die Erbfolge nicht unmittelbar gestaltet, sondern nur eine Erbschafts- oder Vermächtnisanwartschaft beseitigt.
3. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Der Notar führt zur Begründung seiner weiteren Beschwerden aus, Zweck der §§ 2263a, 2300a BGB sei es zu verhüten, daß Urkunden uneröffnet blieben, die Auswirkungen auf die Erbfolge hätten; das treffe auch auf Eheverträge und Erbverzichtsverträge zu; deshalb sei in der Gemeinsamen Bekanntmachung über die Benachrichtigung in Nachlaßsachen vom 1.10.1973 – JMBl S.211 – auch eine Benachrichtigung des Standesamtes angeordnet für alle Erklärungen, nach deren Inhalt die Erbfolge geändert werde; die Ablieferung solle zur Eröffnung gerade dann führen, wenn dies durch die Benachrichtigung nicht bewirkt worden sei; eine Beschränkung der Ablieferungspflicht auf Erbverträge führe zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil auch Eheverträge und Erbverzichte die Erbfolge mit dinglicher Wirkung änderten und deshalb die Gefahr bestehe, daß unrichtige Erbscheine erteilt würden.
b) Diese Erwägungen schöpfen die erforderliche rechtliche Beurteilung nicht aus.
Der Umstand allein, daß die die Ablieferung 50 Jahre alter Erbverträge regelnde Vorschrift des § 2300a BGB ihrem Wortlaut nach unmittelbar nur für Erbverträge und nicht für Erbverzichte gilt, mag – wovon Landgericht und Notar ausgehen – eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Erbverzichte nicht ausschließen. Zwar bildet die Wortbedeutung einer gesetzlichen Bestimmung den Ausgangspunkt ihrer Auslegung. Von der Wortbedeutung kann jedoch einschränkend oder ausdehnend abgewichen werden, wenn Sinn und Zweck der Norm dies erfordern (vgl. Staudinger BGB 12.Aufl. Einl. RdNr.140). Höher als der Wortlaut des Gesetzes stehen sein Sinn und Zweck (RGZ 142, 36/40). Demgemäß ist die Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch gegenüber einem sprachlich unzweideutigen Wortlaut nicht ausgeschlossen (BGHZ 2, 176/184). Jede Auslegung findet jedoch dort ihre Grenze, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (BVerfGE 47, 46/82 m.Nachw.; vgl. BGHZ 46, 74/76; BayObLGZ 1955, 197/200; 1965, 294/304).
Bei den hier maßgebenden gesetzlichen Vorschriften (§§ 1937, 1941, 2346 BGB) handelt es sich um eindeutige Regelungen. Der Gesetzgeber hat in den §§ 2263a, 2300a BGB und in § 25 Abs.2 Satz 2 BNotO eine Ablieferungspflicht nur für Verfügungen von Todes wegen (§§ 1937, 1941 BGB; vgl. BGH DRiZ 1971, 26/27) angeordnet. Der Erbverzicht (§ 2346 BGB) ist aber nach einhelliger Auffassung keine Verfügung von Todes wegen, sondern eine Verfügung unter Lebenden (Palandt Überbl v § 2346 Anm.1 b; vgl. BayObLGZ 1981, 30/33 f.).
Der Rechtsbeschwerdeführer hebt zwar zutreffend die Übereinstimmungen zwischen Erbvertrag und Erbverzicht hervor. Nach dem (objektivierten) Willen des Gesetzgebers waren aber für die Regelungen der §§ 2263a, 2300a BGB nicht diese Übereinstimmungen, sondern die Unterschiede zwischen beiden Rechtsinstituten maßgebend.
Trifft der Erblasser in einem Erbvertrag eine Verfügung von Todes wegen, so ist der durch diese Verfügung Benachteiligte in aller Regel nicht am Erbvertrag beteiligt. Dies veranlaßt die Vertragsparteien häufig, über den Vertragsschluß Stillschweigen zu bewahren. Beim Tode des Erblassers besteht dann die Gefahr, daß der Erbvertrag unberücksichtigt bleibt. Dem sollen die Vorschriften über die Ablieferung des Erbvertrags zum Zwecke der Eröffnung – ebenso wie die Vorschriften über die Ablieferung von Testamenten – entgegenwirken. Die Bestimmungen der §§ 2263a und 2300a BGB sollen verhüten, daß Verfügungen von Todes wegen von Erblassern, deren Tod der verwahrenden Stelle nicht mitgeteilt wurde, auf Dauer uneröffnet bleiben (MünchKomm RdNr.1, Palandt Anm.2, je zu § 2263a) und deshalb nicht zur Kenntnis der darin Bedachten gelangen (Soergel BGB 10.Aufl. RdNr.2, Staudinger RdNr.3, je zu § 2263a).
Beim Erbverzicht liegen die Verhältnisse anders (vgl. Esch/Schulze zur Wiesche Handbuch der Vermögensnachfolge 2.Aufl. RdNr.696; Lange/Kuchinke Lehrbuch des Erbrechts 2.Aufl. S.96, v. Lübtow Erbrecht S.523 ff., 526; MünchKomm § 2346 RdNrn.7 und 25). Hier ist der Benachteiligte am Vertrage beteiligt. Ihm ist seine Benachteiligung durch den Erblasser deshalb bekannt. Der Erbverzicht wird in aller Regel vereinbart, um – insbesondere durch Abfindung eines Pflichtteilsrechtes (Lange/Kuchinke S.101 FN 40; Soergel § 2346 RdNr.6) – andere Personen zu begünstigen. Der Erblasser hat keinen Anlaß, den Erbverzicht vor den begünstigten Personen zu verbergen. Die Gefahr, daß beim Eintritt des Erbfalls die Einflußnahme auf die Erbfolge unbekannt ist und deshalb unberücksichtigt bleibt, besteht daher beim Erbverzicht in ungleich geringerem Maße, als dies beim Erbvertrag der Fall ist.
Die für die Ablieferung und Eröffnung von Erbverträgen geltenden Bestimmungen beruhen deshalb auf Erwägungen, die für Erbverzichte nicht zutreffen. Die nur für letztwillige Verfügungen geschaffenen Vorschriften der §§ 2263a und 2300a BGB können somit auf Erbverzichte nicht entsprechend angewendet werden. Demgemäß ist das Schrifttum einhellig der Auffassung, daß die einen jeden treffende Verpflichtung, eine nicht in besondere amtliche Verwahrung gebrachte und in seinem Besitz befindliche letztwillige Verfügung unverzüglich, nachdem er vom Tode des Erblassers Kenntnis erlangt hat, an das Nachlaßgericht abzuliefern (§§ 2259 Abs.1, § 2300 BGB), nicht für Erbverzichtsverträge gilt (Erman BGB 7.Aufl. RdNr.1, MünchKomm RdNr.6, Palandt Anm.1, Soergel RdNr.3, Staudinger RdNr.8, je zu § 2259; vgl. Bartholomeyczik/Schlüter Erbrecht 11.Aufl. S.187 ff).
4. Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, daß der Notar nach der Gemeinsamen Bekanntmachung vom 1.10.1973 verpflichtet ist, das Standesamt auch von Erbverzichtsverträgen zu benachrichtigen und daß er nach § 16 Abs.2 Satz 3 DNotO auch Erbverzichtsverträge nach Eintritt des Erbfalls dem Nachlaßgericht in beglaubigter Abschrift mitzuteilen hat (Bek. v. 5.11.1974 Nr.2 – JMBl S.343). Eine Ablieferungspflicht für die Urschriften der Erbverzichtsverträge ergibt sich hieraus nicht. Diese verbleiben vielmehr – ebenso wie alle anderen Notariatsurkunden – grundsätzlich in der Verfügungsmacht des Notars und sind von ihm dauernd zu verwahren (§ 25 Abs.1, § 51 Abs.1 Satz 1 BNotO, § 19 Abs.1 Satz 1 DNotO; Arndt BNotO 2.Aufl. §§ 25, 51, je Anm.II 1). Das Amtsgericht war daher nicht verpflichtet, die ihm vom Notar vorgelegten Urschriften zur weiteren Verwahrung zu übernehmen. Es wird allerdings gemäß § 2361 Abs.3 BGB, Art.37 Abs.1 AGGVG von Amts wegen zu ermitteln haben, ob die in Betracht kommenden Erbverzichtsverträge bei der Feststellung der Erbfolge jeweils berücksichtigt worden sind.
C. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

cemetery with bare trees

Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22

April 18, 2024
Belastung Vermächtnisnehmer mit Grabpflege ist höchstpersönlich und geht nicht auf dessen Erben über – AG München 158 C 16069/22Zusammenfassun…
paragraph, a book, law

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23

April 18, 2024
Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Gewährung eines Zuwendungsnießbrauchs – OLG Saarbrücken 5 U 35/23Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 232…
paragraph, gold, law

Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23

April 18, 2024
Zwangsgeld zur Durchsetzung titulierten Anspruches auf Vorlage notariellen Nachlassverzeichnisses – OLG Köln 24 W 49/23Inhaltsverzeichnis:…