KG Berlin 1 W 949/89

September 6, 2017

KG Berlin 1 W 949/89 Wiederherstellung der Testierfreiheit des überlebenden Ehegatten durch Ausschlagung des Zugewendeten

Leitsatz

Eine Ausschlagung lediglich des testamentarisch wechselbezüglich Zugewendeten führt regelmäßig nur dann zur Wiederherstellung der Testierfreiheit des überlebenden Ehegatten, wenn der gesetzliche Erbteil erheblich hinter dem Zugewendeten zurückbleibt. Das ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn der überlebende Ehegatte bei Ausschlagung seiner testamentarischen Einsetzung als Alleinerbe als gesetzlicher Erbe nur ein Viertel weniger erhalten würde. Bei der Errechnung dessen, was der überlebende Ehegatte als gesetzlicher Erbe erhält, ist die Erhöhung des Erbteils nach BGB §§ 1371 Abs 1, 1931 Abs 3 auf Grund des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft mitzurechnen.

Tenor KG Berlin 1 W 949/89

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben der Beteiligten zu 1) die ihr im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 260.000,– DM.

Gründe

  1. Am 26. August 1982 errichtete der Ehemann der Erblasserin handschriftlich ein Testament mit folgendem Inhalt:

Gemeinschaftliches Testament gem. § 2267 BGB

Wir, die Eheleute … und … geb. … setzen uns gegenseitig als Erben ein.

Nach dem Tode des Überlebenden sollen – unabhängig von der gesetzlichen Erbfolge – das Eigentum an der Wohnung … sowie unsere Miteigentumsanteile am …, Grundbuch … auf Frau … geb. … übergehen.

… den 26. August 1982

Diesem Testament fügte die Erblasserin handschriftlich den Zusatz bei:

Ich, … geb. … habe am 26. August 82 in B meine Unterschrift beigefügt.

Frau … ist die Beteiligte zu 1) dieses Verfahrens.

KG Berlin 1 W 949/89

Die Eheleute lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Am 17. April 1986 schlug die Erblasserin die Erbschaft nach ihrem am 17. Februar 1986 verstorbenen Ehemann als testamentarische Erbin aus und nahm sie als gesetzliche Erben an. Ferner schlugen die als gesetzliche Erben in Betracht kommende Schwester des Ehemannes der Erblasserin und danach deren Tochter, die Beteiligte zu 3), die Erbschaft aus. Der Erblasserin ist darauf ein Erschein erteilt worden, der sie auf Grund gesetzlicher Erbfolge als Alleinerbin des Erblassers ausweist.

Am 22. April 1986 errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament, in dem sie die Beteiligten zu 2) und 3) zu Erben einsetzte.

Durch Vorbescheid vom 18. Februar 1988 hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2) und 3) mitgeteilt, daß es der Beteiligten zu 1) einen Erbschein als Alleinerbin erteilen werde. Dagegen haben sich die Beteiligten zu 2) und 3) mit ihrer Beschwerde gewandt, die vom Landgericht durch Beschluß vom 25. August 1988 zurückgewiesen worden ist. Daraufhin hat das Amtsgericht der Beteiligten zu 1) entsprechend seiner Ankündigung den Erbschein am 13. Oktober 1988 erteilt.

Gegen den Beschluß des Landgerichts wenden sich die Beteiligten zu 2) und 3) mit ihrer weiteren Beschwerde und begehren, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Erbschein einzuziehen.

1. Die weitere Beschwerde ist gemäß §§ 27, 29 FGG zulässig. Bedenken gegen die Zulässigkeit bestehen nicht etwa deshalb, weil vor Einlegung der weiteren Beschwerde das Amtsgericht entsprechend seinem Vorbescheid den Erbschein erteilt hat, nachdem vom Landgericht die Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3) gegen den Vorbescheid des Amtsgerichts zurückgewiesen worden war. Zwar war mit Erteilung des Erbscheins der Vorbescheid des Amtsgerichts mit der Ankündigung, der Beteiligten zu 1) den beantragten Erbschein zu erteilen, überholt, und damit wurde das Verfahren gegenstandslos (vgl. dazu BayObLG FamRZ 1976, 101/103; BayObLGZ 1982, 236/ 239; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 12. Aufl., § 84 Rdn. 2). Trotzdem durften die Beteiligten zu 2) und 3) weitere Beschwerde mit dem erklärten Ziel einlegen, den auf Grund des Vorbescheids erteilten Erbschein einzuziehen (vgl. dazu BayObLG a.a.O.; Keidel/Kuntze/Winkler a.a.O.; OLG Karlsruhe FamRZ 1970, 255/256; Senat Beschluß vom 23. Januar 1990 – 1 W 6229/88 -).

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Die weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg; denn die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Auffassung des Landgerichts, die Beteiligte zu 1) sei durch das gemeinschaftliche Testament der Eheleute vom 26. August 1982 zur Alleinerbin berufen worden, ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei.

a) Ohne Rechtsirrtum hat das Landgericht angenommen, daß es sich bei dem Testament der Erblasserin und ihres Ehemannes vom 26. August 1982 um ein gemeinschaftliches im Sinne von 2267 BGB handele, weil der Ehemann der Erblasserin das Testament in der vorgeschriebenen Form errichtet und die Erblasserin die gemeinschaftliche Erklärung mit unterzeichnet habe.

Dieser Wertung des Landgerichts steht nicht entgegen, daß die Erblasserin die Erklärung ihres Ehemannes durch folgenden handschriftlichen Zusatz ergänzte: “Ich, … geb. …, habe am 26. August 82 in B meine Unterschrift beigefügt. “…”. Diese Formulierung läßt nicht erkennen, daß die Erblasserin die Erklärung ihres Ehemannes nicht auch als eigene Erklärung gewollt hat. Kennzeichnend für das gemeinschaftliche eigenhändige Testament nach § 2267 BGB ist, daß der eine Ehegatte eine Erklärung für den Nachlaß der Ehegatten abgibt und daß der andere durch die eigenhändige Mitunterzeichnung zum Ausdruck bringt, auch er treffe eine letztwillige Verfügung, die der Erklärung des das Testament errichtenden Ehegatten entspreche (vgl. BayObLG NJW 1959, 1969).

Deshalb besteht in der Regel kein Anlaß für die Annahme, der mitunterzeichnende Ehegatte habe keine gemeinschaftliche Testamentserrichtung vornehmen, sondern lediglich seine Kenntnisnahme oder sein bloßes Einverständnis mit der letztwilligen Verfügung des das Testament errichtenden Ehegatten zum Ausdruck bringen wollen (vgl. BayObLG a.a.O.; Musielak in MünchKomm. zum BGB, 2. Aufl., § 2267 Rdn. 14). Ohne Anhaltspunkte für den Willen des mitunterzeichnenden Ehegatten, lediglich Kenntnis zu nehmen oder nur sein Einverständnis zu erklären, ist deshalb in der Regel von einer gemeinschaftlichen Testamentserrichtung auszugehen.

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b) Das Landgericht ist sodann davon ausgegangen, daß es sich bei dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 26. August 1982 um ein Berliner Testament im Sinne von 2269 BGB handele, durch das die Beteiligte zu 1) nach dem Tode des zuletzt versterbenden Ehegatten zur Alleinerbin eingesetzt worden sei. Diese Auffassung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Allerdings hätte es dafür der Auslegung bedurft; denn das Testament enthält keine ausdrückliche Einsetzung der Beteiligten zu 1) als Erbin. Die dem Landgericht als Tatsachengericht obliegende Auslegung (vgl. nur BayObLG FamRZ 1986, 835/836) fehlt zwar; das führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache. Vielmehr kann der Senat selbst entscheiden und als Rechtsbeschwerdegericht die Auslegung vornehmen, weil der Sachverhalt nicht weiter aufgeklärt werden muß (vgl. dazu nur BayObLG Rpfleger 1989, 22; Jansen, FGG, 2.Aufl., § 27 Rdn.21).

Die Auslegung des Testaments ist nach § 133 BGB unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich solcher außerhalb der Urkunde liegenden vorzunehmen (vgl.BayObLG FamRZ 1986, 835/836; Rpfleger 1989, 22). Ergänzend sind die gesetzlichen Auslegungsregeln zu beachten. Diese sehen in § 2087 Abs. 2 BGB vor, daß der Bedachte, wenn ihm nur einzelne Gegenstände zugewendet werden, im Zweifel nicht Erbe sein soll. Diese Bestimmung greift jedoch nur dann ein, wenn nicht festgestellt werden kann, daß nach dem Willen des Erblassers eine Erbeinsetzung gewollt war.

Von einer vom Erblasser gewollten Erbeinsetzung ist dagegen auszugehen, wenn die dem Bedachten zugewendeten einzelnen Gegenstände im Verhältnis zum übrigen Nachlaß einen solchen Wert haben, daß zweifelsfrei anzunehmen ist, der Erblasser habe in dem Zugewendeten im wesentlichen seinen Nachlaß gesehen (vgl. BayObLGZ 1958, 248/250 f.; FamRZ 1986, 728/731; KG OLG 34, 282; 37, 256/257). Ferner spricht für eine Erbeinsetzung, wenn der Bedachte nicht lediglich Ansprüche gegen andere Bedachte, sondern unmittelbar Rechte am Nachlaß erwerben soll (BayObLG FamRZ 1986, 728/731; Rpfleger 1989, 22; vgl. auch OLG Köln Rpfleger 1989, 105/106).

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Für die Frage, welche Vorstellungen der Erblasser bei der Verteilung seines Vermögens hatte, ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Testamentserrichtung maßgebend (vgl. Senat NJW 1958, 504; BayObLGZ 1958, 248/251; vgl. auch KG OLG 37, 256/257). Das bedeutet aber nicht, daß es damit stets nur auf die Vermögenssituation des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ankommt. Im Einzelfall kann durchaus entscheidend sein, welche Vorstellungen der Erblasser bei Testamentserrichtung über sein Vermögen zur Zeit des Erbfalls hat (vgl. KG a.a.O.; BayObLGZ 1934, 98/103; 1958, 248/ 251; Skibbe in MünchKomm., a.a.O., § 2087 Rdn. 11). Nur wenn man bei abweichenden Vermögensverhältnissen zur Zeit der Testamentserrichtung und zur Zeit des Erbfalls auf die Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes abstellt, kann dem Willen des Erblassers angemessen Rechnung getragen werden.

Auf die Vorstellungen des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung kommt es deshalb nicht nur an, wenn sich nachträglich sein Vermögen vergrößert und er dies bei Testamentserrichtung nicht erwartet hat(vgl.KG OLG 34,282/283;Senat a.a.O.;ferner BayObLGZ 1958,248/251;BayObLG FamRZ 1986,835/837), sondern auch dann, wenn der Erblasser bei Testamentserrichtung z. B. außer den dem Bedachten zugewendeten Gegenständen weiteres Vermögen besitzt, das er nach seinen Vorstellungen bei Testamentserrichtung zu Lebzeiten noch verbrauchen oder das er z. B. vor seinem Tode unter Lebenden noch verschenken will.

Die allgemeinen Auslegungsregeln gelten auch für die Feststellung des Willens von Eheleuten, die ein gemeinschaftliches Testament errichtet haben (vgl. dazu BGH NJW 1951, 959/960; Musielak, a.a.O., § 2269 Rdn. 15; Soergel/Damrau, BGB, 11. Aufl., § 2084 Rdn. 21; Johann in RGRK, BGB, 12. Aufl., § 2084 Rdn. 10). Deshalb bestimmt sich bei einem Berliner Testament, in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Vollerben eingesetzt und nach dem Tode des Letztversterbenden einem Dritten einzelne Gegenstände zugewendet haben, die Frage der Erbeinsetzung des Dritten nach den Vorstellungen der Eheleute bei Testamentserrichtung über das beim Tode des Letztversterbenden vorhandene Vermögen. Wollte man dagegen nicht auf die Vorstellungen der Eheleute über die Vermögensverhältnisse beim Tode des Letztversterbenden abstellen, so könnte dies, wenn dem bedachten Dritten nach dem Tode des letztversterbenden Ehegatten einzelne Gegenstände zugewandt werden, wegen des übrigen bei Testamentserrichtung und beim Tode des erstversterbenden Ehegatten vorhanden gewesenen Vermögens zu einer von den Eheleuten nicht gewünschten Verkürzung des Erbteils des bedachten Dritten führen.

Für eine sachgerechte Würdigung ist es deshalb erforderlich zu berücksichtigen, wenn die Eheleute bei Testamentserrichtung davon ausgehen, daß der überlebende Ehegatte z. B. nach dem Tode des Erstversterbenden von dem gemeinsamen Vermögen seinen Lebensunterhalt bestreiten soll oder auch, daß er einen Teil des Vermögens unter Lebenden verschenkt, weil er dieses nicht mehr benötigt. Das gilt vor allem für Gegenstände des täglichen Bedarfs wie z. B. ein Kraftfahrzeug. Ohne Bedeutung ist deshalb auch, wenn in einem solchen Fall der vom überlebenden Ehegatten verschenkte Gegenstand einen nicht unbeträchtlichen Wert im Verhältnis zu den Vermögensgegenständen, die die Eheleute dem Dritten nach dem Tode des Letztversterbenden zuwenden, hat.

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Lassen sich allerdings im Rahmen der Auslegung eines Berliner Testamentes bezüglich der Einsetzung des Schlußerben keine sicheren Feststellungen über die Vorstellungen der Eheleute über ihr Vermögen beim Tode des letztversterbenden Ehegatten treffen, so kommt dem oben erwähnten Gesichtspunkt, welche Stellung die Eheleute dem Dritten mit den ihm zugewendeten Gegenständen verschaffen wollen, entscheidende Bedeutung zu.

Unter Berücksichtigung der vorstehend wiedergegebenen Auslegungsregeln ist hier davon auszugehen, daß die Eheleute mit der Bestimmung, wonach beim Tode des letztversterbenden Ehegatten das Eigentum an der Wohnung in B und die Miteigentumsanteile am … auf die Beteiligte zu 1) übergehen sollen, die Beteiligte zu 1) zur Alleinerbin berufen haben. Unter Berücksichtigung dessen, daß die Eheleute in dem gemeinschaftlichen Testament in bezug auf den Schlußerben allein auf das Grundvermögen abhoben, welches schon nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Testierung den wesentlichen Teil ihres Vermögens ausmachte, daß sie sich ferner im Zeitpunkt der Testierung im Rentenalter befanden und daß damit zu rechnen war, nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten werde der überlebende Ehegatte – wie es hier auch geschehen ist – über bewegliches Vermögen unentgeltlich verfügen oder geldwertes Vermögen sonst verbrauchen, ist in der Zuwendung des Grundvermögens an die Schlußerbin eine Einsetzung als alleinige Erbin zu sehen.

Es ist also der Schluß gerechtfertigt, daß die Eheleute nach dem Tode des Letztversterbenden die Zuwendungsempfängerin des Grundvermögens als Rechtsnachfolgerin ansahen, die alle Rechte und Pflichten eines Erben haben sollte.

Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang auch, wenn wertvollere Gegenstände des täglichen Bedarfs bei Testamentserrichtung noch nicht erworben waren und wenn die Eheleute insoweit noch im Besitz der später erst ausgegebenen Beträge gewesen sind. Selbst wenn die Erblasserin und ihr Ehemann bei Testamentserrichtung ein Guthaben im Werte eines Kraftfahrzeuges oder einer Fotoausrüstung besaßen, sind derartige Gelder dann außer Betracht zu lassen, wenn sie zur Befriedigung eines täglichen Bedarfs demnächst dienen sollen und von den testierenden Eheleuten deshalb nicht als bleibendes Vermögen angesehen werden.

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Da nach den vorstehenden Ausführungen der Annahme einer Einsetzung der Beteiligten zu 1) zur alleinigen Erbin nicht widersprach, das die Erblasserin beim Tode ihres Mannes außer den beiden Eigentumsrechten weiteres Vermögen besaß, war es für die Entscheidung unerheblich, daß das Landgericht dem Vortrag der Beteiligten zu 1) über das Vorhandensein weiteren Vermögens nicht nachgegangen und auf diesen Gesichtspunkt in seinem Beschluß nicht eingegangen ist. Der Einsetzung der Beteiligten zu 1) zur Alleinerbin steht auch nicht entgegen, daß es im Testament vom 26. August 1982 bei der Zuwendung der beiden Eigentumsrechte an die Beteiligte zu 1) heißt “unabhängig von der gesetzlichen Erbfolge”. Mit diesem Zusatz haben die Eheleute lediglich klarstellend zum Ausdruck gebracht, daß die Zuwendung an die Beteiligte zu 1), die mit ihnen nicht verwandt ist, entgegen der gesetzlichen Erbfolge vorgenommen werde.

c) Nach den im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstandenden Ausführungen des Landgerichts war die Erblasserin an ihre Einsetzung der Beteiligten zu 1) zur alleinigen Schlußerbin gebunden und konnte deshalb nicht ihre Verfügung nach dem Tode ihres Mannes frei widerrufen.

Nach § 2271 Abs.2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB erlischt das Recht des überlebenden Ehegatten zum Widerruf der gemeinschaftlichen letztwilligen Verfügung mit dem Tode des anderen Ehegatten, wenn es sich um eine wechselbezügliche Verfügung handelt. Wechselbezüglich ist eine Verfügung gemäß § 2270 Abs. 1 BGB, wenn anzunehmen ist, daß die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der Verfügungen des einen Ehegatten gerade deshalb betroffen worden ist, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat und jede Verfügung somit nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden mit der anderen stehen und fallen soll (vgl.BayObLG FamRZ 1986, 392/393 m. w. N.). Dabei muß die Wechselbezüglichkeit für jede einzelne Bestimmung des Testamentes gesondert geprüft werden (vgl. BayObLG a.a.O.).

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Für seine Prüfung der Wechselbezüglichkeit hat das Landgericht sogleich auf die Regelung in § 2270 Abs. 2 BGB abgestellt, wonach Wechselbezüglichkeit im Zweifel anzunehmen ist, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht. Diese Vorschrift ist jedoch nur eine Auslegungsregel, die erst dann zur Anwendung kommt, wenn sich im Rahmen der gebotenen Willenserforschung weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der beiderseitigen Verfügungen ergibt (vgl. Senat OLGZ 1987, 1/7 f.; BayObLGZ 1983, 213/217; BayObLG FamRZ 1988, 879, 880). Auf diese Auslegungsregel durfte das Landgericht hier allerdings zurückgreifen, weil die Erforschung des Willens der testierenden Eheleute weder das Vorhandensein noch den Ausschluß der Wechselbezüglichkeit ergibt.

Die Entscheidung des Landgerichts hat der Senat darauf nachzuprüfen, ob die Verfügung von Todes wegen eindeutig und nicht auslegungsfähig oder unklar und deshalb auslegungsbedürftig ist (vgl. BayObLGZ 1983, 213/218; BayObLG Rpfleger 1985, 445; FamRZ 1986, 392/394). Da hier dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung nichts über die Wechselbezüglichkeit zu entnehmen ist, kommt es auf eine Auslegung des Testamentes an (vgl. BayObLGZ 1983, 213/218). Diese Auslegung obliegt dem Landgericht als Tatsacheninstanz.

Zwar hat das Landgericht nicht erörtert, ob auf Grund von außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umständen der Schluß auf die Wechselbezüglichkeit der letztwilligen Verfügung der Eheleute gerechtfertigt ist. Dieses war jedoch nicht rechtsfehlerhaft; denn es bestanden keine Anhaltspunkte dafür, daß durch eine Aufklärung des Landgerichts weitere, für die Auslegung verwertbare Umstände hätten ermittelt werden können.

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Ohne Rechtsfehler hat deshalb das Landgericht auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB zurückgegriffen, wonach eine Wechselbezüglichkeit zwischen der Erbeinsetzung des überlebenden Ehegatten durch den erstverstorbenen und der Einsetzung des Schlußerben durch den überlebenden Ehegatten im Zweifel anzunehmen ist, wenn der zum Schlußerben Eingesetzte mit dem erstverstorbenen Ehegatten verwandt ist oder ihm nahesteht.

Da ein Verwandtschaftsverhältnis in dem erwähnten Sinne nicht besteht, hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, ob die Beteiligte zu 1) dem Ehemann der Erblasserin nahestand. Dies hat es auf Grund der getroffenen Feststellungen bejaht und deshalb rechtlich zutreffend unter Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2270 Abs.2 BGB angenommen, daß eine Wechselbezüglichkeit zwischen der Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann einerseits und der Einsetzung der Beteiligten zu 1) als Schlußerbin durch die Erblasserin andererseits bestehe.

Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß die Beteiligte zu 1) den testierenden Eheleuten und damit auch dem Ehemann nahestand. Der Begriff der “nahestehenden Person” ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zu bestimmen (vgl. Senat Rpfleger, 1983, 26/27 m.w.N.), und zwar kommt es darauf an, im Einzelfall festzustellen, ob die guten persönlichen Beziehungen des anderen Ehegatten zu der “nahestehenden” Person deutlich über das normale Maß des Umganges und des Miteinanderauskommens hinausgehen (vgl. Senat a.a.O.).

Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang rechtsirrtumsfrei gewürdigt, daß die Beteiligte zu 1) die Eheleute seit ihrer – der Beteiligten zu 1) – Geburt kenne, daß seitdem enge Kontakte zwischen diesen Personen bestanden hätten und daß die Beteiligte zu 1) sehr häufig mit den Eheleuten gemeinsam verreist gewesen sei; auch hätten die Eheleute und die Beteiligte zu 1) gemeinsames Wohnungseigentum in Westdeutschland erworben. Dies alles rechtfertigt die Würdigung, die Beteiligte zu 1) habe dem vorverstorbenen Ehemann nahegestanden.

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Der Hinweis der Rechtsbeschwerdeführer, zwischen dem vorverstorbenen Ehemann und der Beteiligten zu 1) hätten geschlechtliche Beziehungen bestanden, sie sei die “Geliebte” des Ehemannes gewesen, ändert nichts an der”Feststellung, sie hätte dem Ehemann nahegestanden”.

Durch die hier anzunehmende Bindung des überlebenden Ehegatten an die von ihm verfügte Schlußerbeinsetzung soll das Vertrauen des vorversterbenden Ehegatten geschützt werden, sein ihn beerbender Ehegatte werde sich an die Schlußzuwendung halten. Dies ist nicht davon abhängig, wie die Beziehungen des vorverstorbenen Ehegatten zu der Person gestaltet waren, die ihm “nahestand”.

Vielmehr ist unter dem erwähnten Gesichtspunkt allein zu fragen, ob die Erbeinsetzung der Schlußerbin durch die Ehefrau im gemeinschaftlichen Testament etwa als gegen die guten Sitten verstoßend und damit gemäß § 138 BGB als sittenwidrig anzusehen ist.

d) Indessen hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) im Testament der Eheleute durch die Ehefrau für wirksam gehalten und das Vorliegen der Voraussetzungen des 138 Abs.1 BGB verneint.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 53, 369) ist regelmäßig anzunehmen, daß dann, wenn ein Erblasser in seinem Testament die Frau, zu der er ehebrecherische Beziehungen unterhalten hat, letztwillig bedenkt, um sie für die geschlechtliche Hingabe zu entlohnen oder zur Fortsetzung der geschlechtlichen Beziehungen zu bestimmen oder diese festigen will, die letztwillige Verfügung schon wegen dieses Beweggrundes sittenwidrig und nichtig ist; eine andere Beurteilung kann dann gerechtfertigt sein, wenn die letztwillige Zuwendung nicht ausschließlich einen derartigen Entgeltcharakter trägt, wenn mithin nicht allein die Belohnung für geschlechtlichen Umgang oder die Bestimmung zu einem solchen der Grund für die Zuwendung ist.

Unter diesem Gesichtspunkt bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß die überlebende Ehefrau die Beteiligte zu 1) in dem erwähnten Sinne “entlohnen” wollte. Davon unberührt bleibt die Frage einer möglichen Anfechtung der letztwilligen Verfügung durch die Ehefrau, z.B. wegen Irrtums oder Drohung.

Abgesehen davon bestehen auch bei Gesamtbetrachtung des gemeinschaftlichen Testaments – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei angenommen hat – keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Zuwendung an die Beteiligte zu 1) sei sittenwidrig. Die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung setzt – wie vom Landgericht rechtlich zutreffend dargelegt worden ist – voraus, daß diese Verfügung ausschließlich den oben näher dargelegten Entgelt-Charakter hat (vgl. BGH a.a.O.).

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht jedoch nach seinen dazu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ausgeführt, daß eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1) allein aus sexuellen Motiven zu verneinen sei, weil zwischen der Beteiligten zu 1) und den Eheleuten über Jahrzehnte ein enger freundschaftlicher Kontakt bestanden habe, weshalb die Beteiligte zu 1) von der Erblasserin nach dem Tode des Ehemannes im März 1986 bevollmächtigt worden sei, diese in den gemeinsamen Eigentumsangelegenheiten zu vertreten, und die Erblasserin der Beteiligten zu 1) eine Vollmacht für ihr Konto bei der Sparkasse erteilt habe.

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e) Ferner hat das Landgericht die Möglichkeit einer Anfechtung des gemeinschaftlichen Testamentes rechtsfehlerfrei verneint. Zwar kommt eine Anfechtung des gemeinschaftlichen wechselbezüglichen Testamentes analog 2281 BGB in Verbindung mit § 2078 BGB für den überlebenden Ehegatten in Betracht, wenn er von dem Vorverstorbenen durch unlautere Mittel zu seiner wechselbezüglichen Verfügung von Todes wegen veranlaßt worden ist.

Das Landgericht hat jedoch ohne Rechtsfehler dargelegt, daß die Erblasserin von diesem Recht innerhalb der für die Anfechtung geltenden Jahresfrist (§§ 2283 Abs. 1, 2082 Abs. 1 BGB), die im Falle einer Drohung spätestens mit dem Tode ihres Ehemannes zu laufen begann (§ 2283 Abs. 2 BGB, § 2082 Abs. 2 BGB), keinen Gebrauch gemacht und daß wegen der analog anwendbaren Vorschrift des § 2285 BGB auch für die Beteiligten zu 2) und 3) kein Anfechtungsrecht mehr bestanden habe (vgl. dazu auch Senat, FamRZ 1968, 218/219; NJW 1963, 766, 767; OLG Hamm OLGZ 1971, 312 f; Palandt/Edenhofer, BGB, 49.Aufl., § 2271 Anm.4 b).

Nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 2) und 3) hatte die Erblasserin bereits vor der Testamentserrichtung Kenntnis von den behaupteten geschlechtlichen Beziehungen zwischen ihrem Ehemann und der Beteiligten zu 1), so daß eine Anfechtung wegen Irrtums ohnehin nicht in Betracht kommt.

f) Rechtlich nicht zu beanstanden sind schließlich die Ausführungen des Landgerichts, wonach die Erblasserin das Recht zum Widerruf ihrer letztwilligen Verfügung auch durch Ausschlagung des ihr durch das gemeinschaftliche Testament Zugewendeten nicht wiedererlangt habe.

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Zwar kann der überlebende Ehegatte nach dem Tode des anderen seine Testierfreiheit wiedergewinnen, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt (§ 2271 Abs.2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB). Fraglich ist indessen, welches erbrechtliche Vermögensopfer er bei der Ausschlagung erbringen muß, damit er seine Testierfreiheit wiedererlangt. Die Vorschrift des § 1948 Abs.1 BGB räumt einem Erben, der ohne die testamentarische Verfügung als gesetzlicher Erbe berufen wäre, das Recht ein, die Erbschaft als eingesetzter Erbe auszuschlagen und als gesetzlicher Erbe anzunehmen.

Die Vorschrift des § 2271 Abs.2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB macht die Wiederherstellung der Testierfreiheit dem Wortlaut nach davon abhängig, daß der überlebende Ehegatte das ihm vom Erblasser – also durch letztwillige Verfügung – Zugewendete ausschlägt. Wenn man nur auf den Wortlaut abstellte, könnte der überlebende Ehegatte die Testierfreiheit allein durch Verzicht auf das ihm testamentarisch Zugewendete wiedergewinnen, während er möglicherweise einen Großteil oder die gesamte Erbschaft auf Grund gesetzlicher Erbfolge erhielte.

Diese Konsequenz widerspräche aber dem Willen des Gesetzgebers, der durch die grundsätzliche Bindung des überlebenden Ehegatten an die Wechselbezüglichkeit der gemeinschaftlichen Verfügung den vorverstorbenen Ehegatten in seinem Vertrauen auf den Fortbestand der Bindungswirkung nach dessen Tode gerade schützen wollte (vgl. BayObLG JFG 15, 36/38),

Deshalb ist ein Wegfall der Bindungswirkung durch bloße Ausschlagung des dem überlebenden Ehegatten testamentarisch Zugewendeten nur gerechtfertigt, wenn dies mit Sinn und Zweck der Bindungswirkung der wechselbezüglichen Verfügung vereinbar ist.

Dafür ist die Sicht des vorverstorbenen Ehegatten maßgebend, dessen vom Gesetzgeber unterstellter Wille dahingeht, dem überlebenden Ehegatten mit Hilfe der Bindungswirkung die Möglichkeit zu nehmen, über das ererbte Vermögen von Todes wegen abweichend von der gemeinschaftlich getroffenen Regelung zu verfügen.

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Damit ist eine Befreiung des überlebenden Ehegatten von der Bindung durch bloße Ausschlagung des nur testamentarisch Zugewendeten lediglich dann vertretbar, wenn dies dem Vertrauen des vorverstorbenen Ehegatten auf die nach seinem Tode eintretende Bindung nicht widerspricht.

Deshalb ist es unter Berücksichtigung des Willens des vorverstorbenen Ehegatten nicht gerechtfertigt, die Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten durch den überlebenden Ehegatten genügen zu lassen, wenn der testamentarische und der gesetzliche Erbteil gleich groß sind oder wenn der erstverstorbene Ehegatte den Überlebenden sogar nur auf den gesetzlichen Erbteil eingesetzt hat (vgl. Musielak a.a.O. § 2271 Rdn.25; derselbe in Festschrift für Kegel, 1987, Seite 433, § 447 f.; Staudinger/Kanzleiter, BGB, 12.Aufl., § 2271 Rdn.43; ferner Palandt/Edenhofer, BGB, 49.Aufl., § 2271 Anm.3 a; Soergel/Wolf, BGB, 11.Aufl., § 2271 Rdn.19).

Dagegen ist es auch unter Berücksichtigung des zu schützenden Vertrauens des vorverstorbenen Ehegatten nicht erforderlich, generell die Ausschlagung des überlebenden Ehegatten für beide Berufungsgründe zur Wiedererlangung der Testierfreiheit zu verlangen. Ist nämlich der gesetzliche Erbteil wesentlich geringer als der testamentarische, und erleidet deshalb der überlebende Ehegatte durch die Ausschlagung des testamentarischen Erbteils einen erheblichen Nachteil, weil der ihm als gesetzlicher Erbe zufließende Nachlaß geringer ist, so ist grundsätzlich nicht anzunehmen, daß der vorverstorbene Ehegatte auch in diesem Fall auf den uneingeschränkten Fortbestand der Bindung vertraut und bei vorausschauender Sicht den überlebenden Ehegatten enterbt haben würde.

Bestehen keine Anhaltspunkte für einen entgegengesetzten Willen des vorverstorbenen Ehegatten, so ist jedenfalls dann, wenn der gesetzliche Erbteil erheblich geringer als die testamentarische Zuwendung ist, anzunehmen, daß der vorverstorbene Ehegatte den überlebenden nicht enterbt hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, der Überlebende werde sich durch Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten von der wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Verfügung lösen.

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Erleidet der überlebende Ehegatte allein durch die Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten eine erhebliche Vermögenseinbuße, so kann dies mangels gegenteiliger Anhaltspunkte aus der Sicht des vorverstorbenen Ehegatten ein angemessenes und ausreichendes Druckmittel sein, den anderen von der Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten zwecks Befreiung von der Bindungswirkung abzuhalten.

Angesichts dessen ist das “Zugewendete” im Sinne von § 2271 Abs.2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB das, was der vorverstorbene Ehegatte dem Überlebenden im Vertrauen auf die Bindung des überlebenden Ehegatten an die gemeinschaftliche wechselbezügliche Verfügung zugewendet hat und was er ihm deshalb im Falle der Ausschlagung auch nicht aufgrund gesetzlicher Erbfolge belassen will (vgl. OLG München JFG 15, 36, 38; Staudinger/Otte/Marotzke,a.a.O.,§ 1948 Rdn.7).

Ist also der gesetzliche Erbteil nicht erheblich niedriger als das testamentarisch Zugewendete, so gilt er als zugewendet im Sinne der genannten Vorschrift, und es bedarf auch insoweit der Ausschlagung durch den überlebenden Ehegatten, um die Testierfähigkeit wieder zu erlangen (vgl. Staudinger/Kanzleiter a.a.O.; Palandt/Edenhofer a.a.O.; Kipp/Coing, Erbrecht, 13. Bearbeitung, § 35 III 3 b Note 26; von Lübtow, Erbrecht, Band I Seite 506; Soergel/Wolf a.a.O.).

Es bedarf hier keiner allgemeinen prozentualen Festlegung, wie groß die Vermögenseinbuße für den überlebenden Ehegatten sein muß, um sie aus der maßgeblichen Sicht des vorverstorbenen Ehegatten für erheblich und damit die Wiederherstellung der Testierfreiheit rechtfertigend zu halten.

Deshalb ist auch nicht zu erörtern, ob dem Oberlandesgericht München zuzustimmen ist, das in seiner Entscheidung vom 8. Januar 1937 einen gesetzlichen Erbteil in Höhe der Hälfte des testamentarischen als erheblich geringer angesehen und deshalb eine Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten für ausreichend gehalten hat (a.a.O.).In jedem Fall reicht es für die Wiedererlangung der Testierfreiheit grundsätzlich nicht aus, wenn der überlebende Ehegatte als gesetzlicher Erbe 3/4 des ihm testamentarisch Zugewendeten erhielte.

KG Berlin 1 W 949/89

Fehlen Anhaltspunkte für einen anderen Willen des Erblassers, so ist bei einer Einbuße von nur einem Viertel des sonst dem überlebenden Ehegatten zugewendeten Nachlasses nicht zu erwarten, daß dadurch der überlebende Ehegatte von einer Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten abgehalten werden könnte und deshalb der in seinem Vertrauen auf die Bindung zu schützende vorverstorbene dem überlebenden Ehegatten im Falle der Ausschlagung einen gesetzlichen Erbteil von 3/4 des testamentarisch Zugewendeten belassen hätte.

Bei der Berechnung des gesetzlichen Erbteils des überlebenden Ehegatten sind – entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 2) und 3) – außer dem in § 1931 Abs. 1 BGB vorgesehenen Ehegattenerbteil die Erhöhung dieses Erbteils nach § 1931 Abs.3,§ 1371 Abs.1 BGB bei Bestehen einer Zugewinngemeinschaft zu berücksichtigen. Daß es sich bei der Erhöhung des Ehegattenerbteils um einen gesetzlichen Erbteil des im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehegatten handelt, ergibt sich aus der Bezugnahme in der erbrechtlichen Vorschrift des § 1931 BGB und vor allem aus der Formulierung in § 1371 Abs. 1 BGB, wonach sich “der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft” erhöht.

Dieses Viertel der Erbschaft ist also kein selbständiger Erbteil, sondern ein Element des einheitlichen Miterbenanteils des überlebenden Ehegatten (vgl. Gernhuber in MünchKomm., a.a.O., § 1371 Rdn. 12; Leipold in MünchKomm., a.a.O., § 1931 Rdn. 25; Palandt/Edenhofer, a.aO., § 1931 Anm. 4), weshalb der überlebende Ehegatte auch nicht den einen oder anderen Bestandteil allein annehmen oder ausschlagen kann (Leipold,a.a.O.; Palandt/Edenhofer a.a.O.).

Deshalb ist zur Erforschung der Willensrichtung des vorverstorbenen Ehegatten auch nicht zu ermitteln, was dem überlebenden Ehegatten außerhalb der erbrechtlichen Lösung an Zugewinnausgleich zugestanden hätte.

Nimmt – wie hier – der überlebende Ehegatte infolge Ausschlagung der testamentarischen Zuwendung die Erhöhung der gesetzlichen Erbquote nach § 1371 BGB in Anspruch, muß er sich in Anbetracht des Vertrauensschutzes des vorverstorbenen Ehegatten so behandeln lassen, als stünde ihm ein Erbteil in dem durch § 1371 BGB erhöhten Umfang zu.

KG Berlin 1 W 949/89

Erwägungen der weiteren Beschwerde, bei Nichtvorhandensein von Abkömmlingen könne der überlebende Ehegatte niemals durch bloße Ausschlagung der testamentarischen Erbeinsetzung seine Testierfreiheit wiedererlangen, wenn man den Verzicht auf ein Viertel als unbedeutend ansähe, rechtfertigen keine andere Beurteilung. In solchem Falle kann dem Überlebenden durchaus zugemutet werden, auch den gesetzlichen Erbteil auszuschlagen, wenn er seine Testierfreiheit wieder erlangen will.

Da Verwandte der ersten Ordnung nicht lebten, als der Ehemann der Erblasserin starb, belief sich – wie das Landgericht fehlerfrei angenommen hat – ihr gesetzlicher Erbteil auf 3/4.

Damit war nach den vorstehenden Ausführungen eine Ausschlagung des testamentarisch Zugewendeten ohne gleichzeitige Ausschlagung des gesetzlichen Erbteils nicht geeignet, die Testierfähigkeit wieder herzustellen, weshalb die Erblasserin, die hier nur die Erbschaft als eingesetzter Erbe ausgeschlagen hat, an die gemeinschaftliche wechselbezügliche Verfügung über die Einsetzung der Beteiligten zu 1) zur Alleinerbin nach dem Tode des Letztversterbenden gebunden war und deshalb nicht wirksam zugunsten der Beteiligten zu 2) und 3) testieren konnte.

Damit ist der hier der Beteiligten zu 1) auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments erteilte Erbschein richtig und nicht als unrichtig einzuziehen (§ 2361 BGB).

Darauf, daß hier die Erblasserin – der überlebende Ehegatte – infolge Ausschlagungen anderer gesetzlicher Erben den vorverstorbenen Ehegatten kraft Gesetzes allein beerbt hat, kommt es nicht an.

3. Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 130 Abs.2, 30 KostO

KG Berlin 1 W 949/89

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