LAG Hamm, Beschluss vom 04.06.2019 – 7 TaBV 93/18

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 04.06.2019 – 7 TaBV 93/18

Die Einigungsstelle ist jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig, wenn der Betriebsrat sich auf ein Initiativrecht zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung beruft (Anschluss an LAG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse v. 22.01.2015, 10 TaBV 1812/14 und 10 TaBV 2124/14).
Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberinnen gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 07.12.2018 – 2 BV 25/18 – wird zurückgewiesen.
Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand “Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung”,nachdem die Arbeitgeberinnen gegenüber dem antragstellenden Betriebsrat erklärt haben, sie hätten die Entscheidung getroffen, vollständig auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verzichten.

Wegen des weitergehenden Tatbestandes wird auf A. der Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen. Von einer umfassenden Darstellung wird abgesehen (vgl. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberinnen ist nicht begründet, da das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass ein Fall der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht vorliegt und dementsprechend die Einigungsstelle wie vom Betriebsrat beantragt eingesetzt hat.

I. Da die Beteiligten im Beschwerdeverfahren allein über die Rechtsfrage streiten, ob dem Betriebsrat ein sogenanntes Initiativrecht zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zusteht, ging es nicht um die Frage, ob in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG schon bei summarischer Prüfung unter keinen Umständen bestehen kann, sondern vielmehr darum, inwieweit im Rahmen des Maßstabes der offensichtlichen Unzuständigkeit gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG festzustellen ist, ob dem Betriebsrat auch hinsichtlich der Einführung einer technischen Überwachungseinrichtung ein Initiativrecht zusteht.

1. Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass eine elektronische Zeiterfassung als solche grundsätzlich dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfällt, so dass die Beschwerdekammer in diesem Punkt von einer weiteren Begründung absieht.

2. Als Maßstab für die Frage der offensichtlichen Unzuständigkeit kommt als einziger Ansatzpunkt in Betracht, ob es eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, die das entsprechende Initiativrecht des Betriebsrates verneint (vgl. hierzu LAG Niedersachsen, Beschluss vom 22.10.2013, 1 TaBV 53/13).

a) Die Beschwerdekammer musste nicht entscheiden, ob sie dem Ansatz, dass eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Prüfung der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG maßgeblich ist, folgt. Jedenfalls scheint es bedenkenswert, dass auch die höchstrichterliche Rechtsprechung einem Wandel unterliegt und es gerade wegen des das Einigungsstelleneinrichtungsverfahren nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG prägenden Offensichtlichkeitsgrundsatzes Schwierigkeiten bereiten kann, hierauf zurückzugreifen.

b) Jedenfalls ist festzuhalten, dass es zur Frage des Initiativrechts zur Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung jedenfalls im Bereich der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung allein die von den Beteiligten angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11.1989, 1 ABR 97/88, gibt, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich bei dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG um ein Abwehrrecht handele und jedenfalls diese Vorschrift ein Initiativrecht des Betriebsrates im oben genannten Sinne nicht begründe. Einer vertieften Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts durch die Beschwerdekammer bedurfte es nicht, obschon die Beschreibung eines Mitbestimmungsrechtes bei § 87 Abs. 1 BetrVG als “Abwehrrecht” auch durchaus Kritik erfahren hat, soll es sich doch bei der Formulierung “mitzubestimmen” um ein Recht auf Mitgestaltung, und nicht lediglich – wie es etwa § 99 BetrVG im Bereich der personellen Maßnahmen beschreibt – um ein sogenanntes Veto- oder Abwehrrecht handeln (hierzu ausführlich Wiese/Gutzeit, GK/BetrVG 11. Aufl., § 87 Rdnr. 142 sowie LAG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 22.01.2015, 10 TaBV 1812/14 und 10 TaBV 2124/14 m.w.N.).

c) Nach Auffassung der Beschwerdekammer – wenn man überhaupt den Ausgangspunkt, dass eine höchstrichterliche Rechtsprechung im Rahmen des § 100 ArbGG zu beachten ist – folgt, kann jedenfalls dann nicht (mehr) von einer “gefestigten” Rechtsprechung ausgegangen werden, wenn es sich um einzelne Entscheidungen – hier des Bundesarbeitsgerichts – handelt, die zudem eine beachtliche Kritik erfahren haben (so ausdrücklich ErfK/Koch, 19. Aufl., § 100 ArbGG Rdnr. 3).

aa) Die Beschwerdekammer folgt hierzu ausdrücklich (vgl. § 69 Abs. 2 ArbGG) den umfassenden Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Seite 8 der angegriffenen Entscheidung, wo das Arbeitsgericht sowohl auf die bereits zitierte Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg hingewiesen hat und zudem die Literaturstellen zutreffend wiedergegeben hat, die sich mit der Frage des Initiativrechts bei § 87 Abs. 1 Nr. 6BetrVG im Sinne des antragstellenden Betriebsrates äußern.

bb) Soweit die Arbeitgeberinnen die in der Literatur geäußerte Kritik für nicht beachtlich gehalten haben, so ist zu bedenken, dass – gerade in der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg aaO – eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechtes aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, der Gesetzgebungshistorie sowie einer wortlautgetreuen Auslegung Grundlage der Kritik war. Es ist nicht entscheidungserheblich, ob die Beschwerdekammer diese Kritik teilt; jedenfalls ist sie aufgrund der fundierten Begründung nicht als unbeachtlich zu klassifizieren. Damit besteht ein rechtlicher Diskurs, der jedenfalls nach den Maßstäben des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht zur offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle führen kann (im Ergebnis so auch LAG Hamm, Beschluss vom 18.12.2009, 13 TaBV 52/09 und LAG Düsseldorf, Beschluss vom 29.09.2009, 17 TaBV 107/09).

d) Es war auch noch zu bedenken, dass das Bundesarbeitsgericht im Beschluss zur sogenannten “Vertrauensarbeitszeit” vom 06.05.2003, 1 ABR 13/02, ausdrücklich festgestellt hat, dass der Arbeitgeber seinen Betrieb so zu organisieren hat, dass er die Durchführung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen selbst gewährleisten kann und sich deswegen über die hierzu erforderlichen Daten in Kenntnis setzen muss, was wiederum mit einem entsprechenden Auskunftsanspruch des Betriebsrates aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG korrespondiert. Zwar handelt es sich bei der Überwachungsaufgabe des Betriebsrates nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht um ein Mitbestimmungsrecht im Sinne eines Mitgestaltungsrechtes, wie es § 87 Abs. 1 BetrVG beinhaltet. Indessen kann der Betriebsrat gleichwohl verlangen, dass der Arbeitgeber entsprechend tätig wird. Die Beschwerdekammer ist sich bewusst, dass sich allein hieraus – neben den bereits genannten Gründen – ein Initiativrecht des Betriebsrates zur Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung nicht ableiten lässt; indessen zeigt aber diese Wertung, dass es jedenfalls nicht unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt ausgeschlossen sein kann.

e) Soweit verfassungsrechtliche Grundentscheidungen vor dem Hintergrund der unternehmerischen Organisationsfreiheit (abzuleiten aus Art. 12 und Art. 14 GG) eine Rolle spielen können, ist zu bedenken, dass die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit durch die Beteiligungsrechte des Betriebsrates und die unmittelbar und mittelbar auferlegten Verpflichtungen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnen (vgl. Fitting u.a., BetrVG 99. Aufl., § 1 Rdnr. 4 und 5 m. zahlreichen N.).

II. Die Person des Einigungsstellenvorsitzenden sowie die Anzahl der Beisitzer waren nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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