LAG Hamm, Beschluss vom 08.09.2015 – 7 TaBVGa 5/15

Juni 27, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 08.09.2015 – 7 TaBVGa 5/15

Tenor

Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 15.07.2015 – 4 BVGa 4/15 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Abteilungen der Verwaltung in R (Entwicklung, Personal, Finanzen, Vertrieb und technische Planung) ausgenommen sind.
Gründe

A.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in derBeschwerdeinstanz noch um einen Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung der Durchführung von Samstags- und Sonntagsarbeit.

Antragsteller ist der am Standort der Arbeitgeberin in R gewählte Betriebsrat. Die Arbeitgeberin produziert dort mit etwa 500 Beschäftigten Komponenten für die Automobilindustrie. Sie ist durch Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband der Metallindustrie an die Tarifverträge der Nordrhein-Westfälischen Metallindustrie gebunden.

Arbeitgeberin und Betriebsrat schlossen unter dem 22.11.2002 eine Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die mittlerweile gekündigt ist. Insoweit befinden sich die Betriebspartner in Verhandlungen vor der Einigungsstelle. Die Betriebsvereinbarung beschreibt u.a. folgendes:

Ҥ 3 Rahmen der Flexibilisierung

Es gilt die 5-Tage-Woche von Montag bis Freitag (§ 4, Abs. 1 MTV)

§ 4 Arbeitszeiten und Ankündigungsfristen

Besteht aufgrund erheblicher Auftragsschwankungen, Maschinenstillständen, aus Mangel an Material oder vergleichbarem Gründen die dringende Notwendigkeit, die Arbeitszeit kurzfristig zu verlängern oder zu verkürzen, kann dies in Ausnahmefällen und mit Einverständnis des Mitarbeiters am gleichen Tag erfolgen.”

Wegen der Einzelheiten der vorstehenden Betriebsvereinbarung wird auf die Fotokopie Bl. 11 ff. d.A. Bezug genommen.

§ 4 Ziffer 1 Abs. 1 und 2 des zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung geltenden § 4 des Manteltarifvertrages Metall NRW lautete (insoweit gleichlautend mit der aktuellen Bestimmung im einheitlichen Manteltarifvertrag für die Metallindustrie (EMTV)):

“1. Die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit sowie die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit können gleichmäßig oder ungleichmäßig grundsätzlich auf fünf Werktage von Montag bis Freitag verteilt werden.

Eine davon abweichende Regelung kann nach Maßgabe der betrieblichen Erfordernisse unter angemessener Berücksichtigung der Belange der betroffenen Arbeitnehmer mit dem Betriebsrat vereinbart werden. …”

Aufgrund möglicher Betriebsänderung verhandelt derzeit die Arbeitgeberin mit der IG Metall über einen von ihnen sogenannten “tariflichen Sozialplan”.

Unter dem 29.01.2015 beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur geplanten Mehrarbeit für den 31.01. und 01.02.2015 (Samstag und Sonntag). Noch mit elektronischer Post vom 29.01.2015 lehnte der Betriebsrat ab. Gleichwohl wurde an beiden Tagen auf freiwilliger Basis gearbeitet. Mit weiterem Schreiben vom 05.02.2015 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrates zur geplanten Mehrarbeit für Samstag, den 07.02.2015. Noch am gleichen Tage verweigerte der Betriebsrat die Zustimmung. Gleichwohl nahmen 26 Beschäftigte, ebenfalls auf freiwilliger Basis, ihre Tätigkeit am 07.02.2015 auf. Gleiches geschah am 14.02.2015 nach entsprechendem Antrag der Arbeitgeberin beimBetriebsrat vom 12.02.2015. Ebenso am 21.02.2015 (Samstag) wurde im Betrieb gearbeitet, ohne dass der Betriebsrat dem zugestimmt hätte.

Mit Antragsschrift vom 12.02.2015 zum Arbeitsgericht Bielefeld hat der Betriebsrat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Unterlassungsverfügung – soweit im Beschwerdeverfahren noch von Interesse – beantragt, mit der der Arbeitgeberin aufgegeben werden soll, Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb in R an Samstagen und Sonntagen arbeiten zu lassen, solange hierzu die Bestimmung des Betriebsrates nicht vorliegt bzw. die mangelnde Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.

Der Betriebsrat meint, ihm stünde wegen eines mitbestimmungswidrigen Verhaltens der Arbeitgeberin ein entsprechender Unterlassungsanspruch zu.

Die Arbeitgeberin ist dem entgegengetreten und hat sowohl erstinstanzlich wie auch im Beschwerdeverfahren die Auffassung vertreten, dass

– die Anträge des Betriebsrates zu weit gefasst seien, da nicht sämtliche Beschäftigten des R Betriebes überhaupt von Samstags- und Sonntagsarbeit betroffen sein können und insofern auch nicht deutlich geworden ist, für welche Bereiche überhaupt eine Wiederholungsgefahr bestehe,

– sie die Samstags- und Sonntagsarbeit einseitig anordnen durfte, da die Betriebsvereinbarung über die Flexibilisierung der Arbeitszeit aus dem Jahre 2002 ihr im Falle dringender betrieblicher Bedürfnisse dieses Recht einräume,

– es sich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um einen Notfall handele, da u.a. plötzliche und jedenfalls so kurzfristig nicht vorhersehbare Kundenabrufe eine Auslastung der Produktion in der laufenden Woche zur Folge hätten und Überhänge sowie Wartungsarbeiten an Wochenenden abgearbeitet werden müssten, da ansonsten Vertragsstrafen, ein schlechteres Kundenrating oder gar der Verlust der Auftragsbeziehung drohten,

– der Betriebsrat sich in jedem Fall rechtsmissbräuchlich verhalte, da er pauschal und ohne jede Begründung in nahezu allen Fällen die Wochenendarbeit ablehne und sie teilweise nur deshalb erforderlich würde, weil der Betriebsrat ebenso eine Verlängerung der täglichen Sieben-Stunden-Schichten auf acht Stunden ablehne und dadurch die vollständige Produktion in der Woche nicht gefahren werden könne. Außerdem nutze der Betriebsrat die Verweigerungshaltung für dieWochenarbeit nur dazu aus, um Druck auf die Arbeitgeberin im Rahmen der Verhandlungen über einen Rahmensozialplan auszuüben.

Soweit für das Beschwerdeverfahren von Belang, hat das Arbeitsgericht Bielefeld durch Beschluss vom 25.02.2015 dem Antrag des Betriebsrates stattgegeben und der Arbeitgeberin aufgegeben, es zu unterlassen, Arbeitnehmer (innen) in R an Samstagen oder Sonntagen arbeiten zu lassen, solange hierzu die Zustimmung des Betriebsrates nicht vorliegt bzw. die mangelnde Zustimmung des Betriebsrates nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.

Hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit der vorliegenden, vorab per Telefax beim Landesarbeitsgericht am 31.03.2015 eingegangenen und nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 02.07.2015 mit der vorab per Telefax am 02.07.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründeten Beschwerde.

Arbeitgeberin und Betriebsrat vertiefen im Beschwerdeverfahren ihr Vorbringen sowohl in tatsächlicher als auch rechtlicher Hinsicht. Im Termin zur mündlichen Anhörung vor der Beschwerdekammer am 08.09.2015 ist zwischen den Beteiligten unstreitig geblieben, dass für die bisherige Wochenendarbeit, die streitauslösend war, die Abteilungen der Verwaltung in R, soweit sie die Entwicklung, das Personal, die Finanzen, den Vertrieb und die technische Planung betreffen, ausgenommen sind.

Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 936, 922 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da gegen diese Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zweifelsfrei gemäß § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

B.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist mit Ausnahme der aus dem Tenor ersichtlichen Klarstellungen nicht begründet, da das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung zutreffend einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats angenommen hat.

I. Der Antrag des Betriebsrates ist zulässig.

1. Der Betriebsrat verfolgt sein Begehren zu Recht im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren, da sämtliche Fragen im Zusammenhang mit dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechtes eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG i.V.m. § 87 Abs. 1 BetrVG darstellen.

2. Der Antrag des Betriebsrates ist auch unter dem Gesichtspunkt des auch im Beschlussverfahren anwendbaren § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO hinreichend bestimmt. Dabei bedurfte es im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob es sich – wie die Arbeitgeberin meint – um einen Globalantrag handelt. Dies wäre nämlich keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Antrages. Indessen ist zu bedenken, dass es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, in welchem die Vorschriften über die Antragsfassung gemäß § 83 Abs. 1 ArbGG, § 308 ZPO nur bedingt Anwendung finden, da § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 87 Abs. 2 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO bestimmen, dass das Gericht nach freiem Ermessen bestimmt, welche Anordnungen zu Erreichung des Zweckes erforderlich sind.

3. Dem Betriebsrat steht auch der gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1, § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO erforderliche Verfügungsgrund zur Seite. Im Beschlussverfahren gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist neben dem materiellen Verfügungsanspruch ein Verfügungsgrund Voraussetzung für deren Zulässigkeit (vgl. Germelmann u.a., ArbGG 8. Aufl./Matthes/Spinner; § 85 ArbGG Rdnr. 35). Dieser Verfügungsgrund besteht in der Regel in einer besonderen Eilbedürftigkeit; d.h. es muss die Besorgnis bestehen, dass zur Abwendung der Gefahr eines Rechtsverlustes eine einstweilige Verfügung erforderlich ist.

Die Beschwerdekammer folgt dabei vollinhaltlich der auch den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens bekannten ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Betriebsrat bei Verletzung von Mitbestimmungsrechten aus § 87 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen des Arbeitgebers hat (BAG, Beschlüsse vom 03.05.1994, 1 ABR 24/93 und vom 16.06.1998, 1 ABR 68/97), mit der Folge, dass es sich für jeden Fall der Verletzung von Mitbestimmungsrechten ein mitbestimmungswidriger Zustand perpetuiert, also im Sinne der vorstehenden Voraussetzungen ein ständiger Rechtsverlust droht. Ein solcher Rechtsverlust droht auch weiterhin, da die Arbeitgeberin selbst für sich aufgrund der von ihr geschilderten Rechtsauffassung meint, auch zukünftig einseitig Überstunden anordnen zu können. Damit handelt es sich um keinen abgeschlossenen, in der Vergangenheit liegenden Vorgang, bei dem zweifelhaft erscheinen könnte, ob eine besondere Eilbedürftigkeit im oben genannten Sinne angenommen werden kann.

II. Der Antrag des Betriebsrates ist auch begründet mit Ausnahme der Bereiche, die nach übereinstimmendem Vorbringen der Beteiligten von Wochenendarbeit nicht betroffen sind, wie aus dem Tenor ersichtlich. Dem Betriebsrat steht nämlich jedenfalls ein allgemeiner Unterlassungsanspruch gemäß § 87 BetrVG i.V.m. § 2 Abs. 1 BetrVG zu. Auf die obigen Ausführungen zur grundlegenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird insoweit Bezug genommen.

1. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 bei der Anordnung von Wochenendarbeit zu, da es sich insoweit – streitlos – jedenfalls um eine vorübergehende Verlängerung der betrieblichen Arbeitszeit und/oder eine Regelung zum Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit im gesetzlichen Sinne handelt.

2. Die Arbeitgeberin verletzt mit der Anordnung der Wochenarbeit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates.

a. Die Beachtung des Mitbestimmungsrechts setzt entweder gemäß § 77 BetrVG den Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die jeweilige Wochenendarbeit, zumindest aber ein Einverständnis des Betriebsrates in Form einer formlosen Regelungsabrede voraus. Diese Grundsätze sind zwischen den Beteiligten nicht im Streit; sie sind – ebenso streitlos – nicht beachtet worden.

b. Der Arbeitgeberin steht hinsichtlich der Wochenendarbeit ein einseitiges Anordnungsrecht gestützt auf die Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit aus dem Jahre 2002 nicht zu. Wenngleich diese Betriebsvereinbarung trotz Kündigung nach wie vor wegen der ihr gesetzlich beigemessenen Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 BetrVG) fortgilt, so ermächtigt sie die Arbeitgeberin nicht zur einseitigen Anordnung von Wochenendarbeit. Eine solche Rechtsfolge gibt bereits der Wortlaut der Betriebsvereinbarung nicht her, wobei die Beschwerdekammer mit der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgeht, dass Betriebsvereinbarungen wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge oder Gesetzes auszulegen sind (BAG, Urteil vom 18.10.2011, 1 AZR 376/10). Jedenfalls gebührt im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (BAG, Urteil vom 27.07.2010, 1 AZR 67/09). Ausgehend hiervon gilt, dass die Betriebsvereinbarung unter Bezugnahme der Regelung des § 4 Ziffer 1 MTV Metall NRW die regelmäßigen Arbeitstage von montags bis freitags beschreibt und an weiterer Stelle ein einseitiges Verlängerungsrecht der Arbeitszeit für die Arbeitgeberin nur an den jeweils betroffenen Tag einräumt. Dieses Verständnis des Wortlautes der Betriebsvereinbarung darf nicht im Wege exzessiver Auslegung als Anordnungsrecht für Wochenendarbeit verstanden werden. In diesem Falle wäre die Betriebsvereinbarung nämlich weder tarif- noch gesetzeskonform. Die tarifliche Norm des § 4 Ziffer 1 MTV bzw. EMTV setzt nämlich zwingend eine Vereinbarung für eine Arbeitszeit außerhalb der Tage von Montag bis Freitag mit dem Betriebsrat voraus (vgl. auch zu § 4 MTV Metall Ziepke/Weiss, Kommentar zum MTV Metall NRW § 4 Anm. 4 Ziffer 1), sofern ein Betriebsrat gewählt ist. Damit haben die Tarifvertragsparteien im Rahmen einer sogenannten tariflichen Öffnungsklausel festgelegt, welcher Verfahrensweg zu beschreiten ist, um in Betrieben mit gewählten Betriebsräten eine Samstag- und Sonntagsarbeit zu erreichen. Eine einseitige Anordnungsbefugnis würde sich damit nur schwerlich im Rahmen der Tariföffnungsklausel halten. Im Übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Betriebsrat auch im Rahmen einer abgeschlossenen Betriebsvereinbarung auf Mitbestimmungsrechte nicht gänzlich verzichten kann (BAG, Beschlüsse vom 14.02.1967, 1 ABR 6/66 Rdnr. 11, Beschluss vom 23.06.1992, 1 ABR 53/91 Rdnr. 22, Urteil vom 26.05.1998, 1 AZR 704/97 Rdnr. 57 und LAG Düsseldorf, 8 TaBV 15/07, Beschluss vom 20.03.2007, Rdnr. 97). Besonders deutlich hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts, dem die Beschwerdekammer folgt, dies im Leitsatz Nr. 3 in der Entscheidung vom 17.11.1998, 1 ABR 12/98, formuliert, indem es heißt: “Hingegen sind weder die Betriebspartner noch die Tarifvertragsparteien in der Lage, den Arbeitgeber pauschal zur Anordnung von Überstunden zu ermächtigen”.

Ein einseitiges Anordnungsrecht des Arbeitgebers auf Grundlage der Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit aus dem Jahre 2002 scheidet damit aus.

c. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG entfällt auch nicht dadurch, dass die Mitarbeiter die Wochenendarbeit “freiwillig” verrichtet haben. Auch insoweit folgt die Beschwerdekammer der zutreffenden, ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach nicht nur die Anordnung, sondern auch die Duldung der von Arbeitnehmern freiwillig geleisteten Überstunden nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist (BAG, Beschluss vom 27.11.1990, 1 ABR 77/98 und vom 24.04.2007, 1 ABR 47/06). Dies folgt bereits aus dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 BetrVG, das letztendlich kollektiven Interessen dient.

d. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG ist auch nicht wegen eines sogenannten Notfalles eingeschränkt. Zwar ist nach allgemeiner Auffassung im Schrifttum wie auch in der Literatur eine solche Einschränkung in Notfällen anzunehmen, wobei es sich um eine sogenannte Extremsituation handeln muss (BAG, Beschluss vom 17.11.1998, 1 ABR 12/98 m. zahlreichen N. zur Rechtsprechung und Literatur). Nach der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss eine unvorhersehbare und schwerwiegende Situation vorliegen, in welcher der Betriebsrat entweder nicht erreichbar oder nicht zur rechtzeitigen Beschlussfassung in der Lage ist, der Arbeitgeber aber sofort handeln muss, um vom Betrieb oder den Arbeitnehmern nicht wieder gutzumachende Schäden abzuwenden.

In diesem Sinne ist ein Notfall nicht gegeben, da es sich jedenfalls bei der Anordnung der Samstags- und Sonntagsarbeit nicht um eine unvorhersehbare Situation handelt. Nach eigenem Vorbringen der Arbeitgeberin stellt sich die Situation nämlich so dar, dass in den Fällen, in denen es unter Umständen zu erhöhten Kundenabrufen kommt, die Produktion im Rahmen der grundlegend mit dem Betriebsrat vereinbarten Sieben-Stunden-Schicht zwischen Montag und Freitag nicht zu erledigen ist. Dabei ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, dass solche Situationen erhöhter Kundenabrufe durchaus öfter vorkommen, wenn auch nicht die Regel der Produktionsplanung sind. Nach eigenem Vorbringen der Arbeitgeberin ist in einer solchen Situation die Wochenendarbeit unumgänglich. Nach Auffassung der erkennenden Beschwerdekammer ist es daher Bestandteil des unternehmerischen Konzeptes der Arbeitgeberin, auch in außergewöhnlichen Fällen kurzfristiger, erhöhter Kundenabrufe mit entsprechender Produktion zu reagieren. Bestandteile eines unternehmerischen Konzepts können indessen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine “unvorhersehbaren” Ereignisse auslösen; es bedarf hier vielmehr einer Regelung zwischen den Betriebspartnern, die sich als tarifvertragskonform erweist und solchen Anforderungen sowohl im Interesse des unternehmerischen Konzeptes wie auch im Interesse der Belegschaft und des Betriebsrates gerecht wird.

Es kann sich damit bei der notwendigen Durchführung von Wochenendarbeit nicht um einen Notfall, sondern allenfalls um einen Eilfall im Sinne der Rechtsprechung handeln, der indessen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates entzogen ist (BAG, Beschluss vom 17.11.1998, aaO.).

e. Dem Unterlassungsbegehren des Betriebsrats steht auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen.

Zwar weist die Arbeitgeberin zutreffend darauf hin, dass der Einwand des Rechtsmissbrauchs als allgemeine Schranke der Rechtsausübung subjektive Rechte ebenso wie Rechtsinstitute und Rechtsnormen begrenzt (BAG, Beschluss vom 18.02.2003, 1 ABR 17/02). Allerdings ist zu bedenken, dass eine Berufung des Betriebsrates darauf, der Arbeitgeber habe die gesetzliche Mitbestimmung nicht eingehalten, wegen Rechtsmissbrauchs nur in besonderen Ausnahmefällen entfallen kann. Die Grundlage des Rechtsmissbrauchs findet sich nämlich im Vertragsrecht u.a. in den Grundsätzen, dass eine Vertragspartei, die sich selbst vertragsuntreu verhält, sich nicht auf die Vertragstreue des anderen Partners berufen kann. Vorliegend geht es indessen nicht um die Ausgestaltung einer Vertragsbeziehung, sondern um ein gesetzliches Recht des Betriebsrates betreffend die Mitbestimmung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3. Auch dieser Grund führt dazu, dass Anforderungen an die tatbestandlichen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs sehr hoch anzusetzen sind. Danach kann eine Rechtsausübung missbräuchlich sein, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt, wenn also die Ausübung eines Rechts als Vorwand für die Erreichung unlauterer Zwecke dient. Nach Lage der gesamten Umstände muss ein anderer Zweck als der der Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen sein. Rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betriebsrates kann nicht angenommen werden, wenn dieser lediglich subjektiv aus zu missbilligenden oder verwerflichen Gründen von seinem Mitbestimmungsrecht Gebrauch macht. Es muss feststehen, dass die Rechtsausübung dem Berechtigten objektiv kein Vorteil bringen kann und damit feststeht, dass ein schützenswertes Interesse nicht besteht und lediglich Schädigungsabsicht vorliegt (so ausdrücklich LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.10.2007, 5 TaBV 1/07, juris Rdnr. 40).

In diesem Sinne kann ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betriebsrates nicht gesehen werden. Insbesondere aus der von der Arbeitgeberin vorgetragenen und unstreitig gebliebenen Tatsache, dass der Betriebsrat erst zu einem solchen Zeitpunkt begonnen hat, Wochenendarbeit abzulehnen, als in Frage stand, dass dieArbeitgeberin bestimmte Produktionslinien nach Osteuropa verlagern wollte, kann ein Rechtsmissbrauch nicht gesehen werden. Es existiert nämlich kein Rechtssatz, wonach ein bestimmtes Verhalten des Betriebsrates zu mitbestimmungspflichtigen Tatbeständen in der Vergangenheit den Schluss darauf zulässt, dass jegliche Änderung in den Ansichten und Verfahrensweisen des Betriebsrates nur der Schädigung dient und ihr keinerlei schützenswertes Interesse zugrunde liegt.

Schließlich ist zur Frage des Rechtsmissbrauchs auch zu bedenken, dass derArbeitgeberin – wie auch geschehen – alle betriebsverfassungsrechtlichen Möglichkeiten offen stehen, eine Regelung in Form einer Betriebsvereinbarung mit demBetriebsrat herbeizuführen, die im Sinne einer Verfahrensregelung praktikableLösungen für die Durchführung von nicht regelmäßiger Wochenendarbeit ermöglicht (s. hierzu nochmals den Beschluss des BAG vom 17.11.1998, aaO., Leitsatz 3).

3. Zur Frage eines nicht hinreichend bestimmten Globalantrages wird auf die Ausführungen im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages des Betriebsrates Bezug genommen.

4. Die im Tenor beschriebenen Verwaltungsabteilungen waren nicht mit einer entsprechenden Unterlassungsverfügung zu belegen, da diese streitlos von der Wochenendarbeit nicht betroffen sind mit der Folge, dass eine entsprechende Anordnung zur Erreichung des Zweckes, nämlich der Sicherung des Mitbestimmungsrechtes des Betriebsrates, im Sinne des § 938 Abs. 1 ZPO nicht geboten war.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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