LAG Hamm, Beschluss vom 12.03.2019 – 7 TaBV 49/18

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 12.03.2019 – 7 TaBV 49/18

Entscheidet sich der Wahlvorstand zutreffend zur Übersendung von Briefwahlunterlagen, weil er gem. § 24 Abs. WOBetrVG von der Abwesenheit der wahlberechtigten Arbeitnehmer (hier: Zeitungszusteller) vom Betriebssitz am Wahltage ausgeht, so muss er im Vorfeld das Wahlausschreiben so zeitig übersenden, dass ihnen eine Entscheidung über die aktive Wahlteilnahme möglich ist, wenn nicht sichergestellt ist, dass diesem Personenkreis das Wahlausschreiben überhaupt während der betriebsüblichen Arbeitszeit zugänglich ist. Andernfalls ist die Betriebsratswahl anfechtbar (Anschluss an LAG Hamburg v. 28.03.2007, 5 TaBV 2/07 und BAG v. 29.01.1992, 7 ABR 27/91 Rdnr. 41).
Tenor

1. Auf die Beschwerde der Gewerkschaft Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14.03.2018 – 6 BV 37/17 – abgeändert und die Betriebsratswahl vom 12.05.2017 für unwirksam erklärt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

A.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Neben der – das ist im Beschwerdeverfahren zwischen den Beteiligten nicht mehr im Streit – im Betrieb vertretenen Gewerkschaft ver.di haben erstinstanzlich die weiteren Beteiligten zu 2., 3. und 4., sämtlichst Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen der Arbeitgeberin, der Beteiligten zu 6., das Verfahren gerichtet auf Anfechtung einer am 12.05.2017 durchgeführten Betriebsratswahl eingeleitet.

Die Arbeitgeberin erbringt Zustelldienstleistungen insbesondere für eine im ostwestfälischen Raum weit verbreitete Tageszeitung. Ende März 2017 beschäftigte sie insgesamt 170 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, von denen zwei ihren Arbeitsplatz in der von den Beteiligten so bezeichneten Geschäftsstelle in der Nstraße 12 in H haben während die Übrigen als Zusteller arbeiten. Die einzigen Betriebsräumlichkeiten, über die die Arbeitgeberin verfügt, sind ein Flur und zwei Räume (eben die “Geschäftsstelle”). In einem Raum befinden sich drei Schreibtische, namentlich der des Geschäftsführers sowie der bereits bezeichneten zwei weiteren Mitarbeiter sowie ein knapp über 9 Quadratmeter großer Besprechungsraum, der mit einem Tisch, vier Stühlen, einer Ablage sowie einem Kopierer ausgestattet ist.

Die 168 Zustellerinnen bzw. Zusteller verrichten ihre Tätigkeit morgens zwischen 1.00 Uhr und 6.00 Uhr; aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen sind sie gehalten, die zuzustellenden Tageszeitungen bis 6.00 Uhr morgens zum Kunden zu bringen. Während dieser Arbeitszeiten ist die Geschäftsstelle geschlossen.

Anfang des Jahres 2017 waren bei der Arbeitgeberin Betriebsratswahlen durchzuführen, da die Belegschaft – wie mit den Beteiligten im Termin zur Anhörung vor der Beschwerdekammer erörtert – über ein Maß gewachsen war, welches die Neuwahl eines Betriebsrates erforderlich machte. Der eingesetzte Wahlvorstand erließ unter dem 24.03.2017 ein Wahlausschreiben. Hierin war u.a. vermerkt, dass die Wählerliste “zur Einsichtnahme” im Raum der M, Erdgeschoss, ausliege. Nach übereinstimmendem Verständnis der Beteiligten handelt es sich hierbei um die sogenannte “Geschäftsstelle”. Daneben enthielt das Wahlausschreiben als Einspruchsfrist gegen die Wählerliste den 07.04.2017, 15.00 Uhr, Angaben zur Größe des zu wählenden Betriebsrates, sowie zur Geschlechterverteilung. Ebenso wurde die Frist für den Eingang von Wahlvorschlägen auf den 07.04.2017, 15.00 Uhr, festgesetzt und als Zeitpunkt der Stimmabgabe der 12.05.2017. Als Ort zur Stimmabgabe wurde das “Besprechungszimmer Erdgeschoss, Nstr. 12, H” angegeben, ebenso für den Ort der Stimmauszählung. Ausweislich des auf dem Wahlausschreiben angebrachten “Vermerk des Wahlvorstands” fanden der Aushang am 24.03.2017 und eine Kontrolle am 31.03.2017 statt. Wegen der Einzelheiten des Wahlausschreibens wird auf die Kopie Bl. 7 bis 12 d.A. Bezug genommen.

Ebenfalls am 24.03.2017 erfolgte auf einem Deckblatt, das sich auf dem Stapel der zuzustellenden Zeitungen befindet und das u.a. auch Besonderheiten für die Zustellungen als Einzelanweisung beinhaltet, folgender Hinweis:

“Liebe Kolleginnen und Kollegen,

zum heutigen Freitag den 24.03.2017 hat der Wahlvorstand das Wahlausschreiben zur Betriebsratswahl in der M GmbH erlassen und ausgehängt. Alle Wahlunterlagen liegen zur Einsichtnahme von Mo – Fr 9.00 bis 15.00 Uhr in folgenden Räumen aus:

– Büro der M GmbH, Nstraße 12, H, Besprechungszimmer Erdgeschoss.”

Darüber hinaus waren eine Telefonnummer des Wahlvorstandes und dessen Erreichbarkeitszeiten angegeben. Auf die Kopie Bl. 66 d.A. wird Bezug genommen.

Mit Poststempel vom 05.05.2017 (Freistempler “FRANKIT”) übersandte der Wahlvorstand an die Zeitungszusteller sowohl das Wahlausschreiben, als auch Stimmzettel für die Betriebsratswahlen, eine vorgedruckte “Erklärung gegenüber dem Wahlvorstand bei schriftlicher Stimmabgabe …” mit dazugehörigem Merkblatt sowie die Vorschlagslisten. Der Zugang dieser Wahlumschläge erfolgte am 06. bzw. 08.05.2017. Am 12.05.2017 fanden sodann die Wahlen zum Betriebsrat statt. Ausweislich des Protokolls des Wahlvorstandes vom 12.05.2017 wurden insgesamt 47 gültige und zwei ungültige Stimmen abgegeben. Auf die Kopie Bl. 73 d.A. wird Bezug genommen.

Der Geschäftsführer der Arbeitgeberin teilte mit, dass das Wahlergebnis am 19.05.2017 vom Wahlvorstand ausgehängt worden sei und die konstituierende Sitzung am 22.05.2017 stattgefunden habe. Eine Mitteilung auf den Packzetteln für die Zeitungszustellung erfolgte am 25.05.2017. Der aus dieser Wahl hervorgegangene Betriebsrat ist der Beteiligte zu 5..

Mit dem vorliegenden Antrag auf Einleitung des Beschlussverfahrens, beim Arbeitsgericht Bielefeld am 29.05.2017 eingegangen, haben die Gewerkschaft ver.di sowie die Beteiligten zu 2., 3. und 4. die Betriebsratswahl angefochten und diese Anfechtung auf drei Gründe gestützt:

– Das Wahlausschreiben vom 24.03.2017 sei – insoweit unstreitig – am 06.05. bzw. 08.05.2017 per Post zugegangen, ebenso die Stimmzettel und die Kandidatenlisten. Hierin liege ein Verstoß gegen § 10 Abs. 2 WOBetrVG. Die antragstellenden Beteiligten würden den auf dem Wahlausschreiben vermerkten Aushang des Wahlausschreibens bestreiten. Zudem sei der Besprechungsraum in der Geschäftsstelle der Arbeitgeberin völlig ungeeignet, da dieser als Abstellraum benutzt werde und den Zustellerinnen und Zustellern größtenteils unbekannt sei.

– Der Gewerkschaft ver.di hätte das Wahlausschreiben ebenfalls zugestellt werden müssen.

– Bei der Arbeitgeberin seien sieben ausländische Arbeitnehmer beschäftigt, denen gegenüber die Wahlunterlagen in ihrer Muttersprache hätte erläutert werden müssen.

Erstinstanzlich haben die antragstellenden Beteiligten klargestellt, dass nicht die Nichtigkeit der Betriebsratswahl geltend gemacht werden solle und beantragt,

die Betriebsratswahl vom 12.05.2017 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat wie auch die Arbeitgeberin haben beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Betriebsrat und Arbeitgeberin haben vorgetragen, dass das Wahlausschreiben ordnungsgemäß am 24.03.2017 vom Wahlvorstand im Besprechungszimmer ausgehängt worden sei. Bedenken hinsichtlich des Ortes des Aushanges würden nicht bestehen; es handele sich um ein ganz normales Besprechungszimmer, welches auch regelmäßig von Zustellern zu Besprechungen genutzt würde. Die Arbeitgeberin verfüge eben nur über dieses Besprechungszimmer wie auch das Büro, in dem auch der Geschäftsführer sitze und einen Flur. Eine Übersendung des Wahlausschreibens an die Gewerkschaft ver.di sei gesetzlich nicht geboten; eine Übersetzung für die ausländischen Arbeitnehmer sei nicht erforderlich gewesen, da diese der deutschen Sprache mächtig seien, was sowohl bei Einstellungsgesprächen überprüft werde als auch für die Erbringung von Postdienstleistungen wie z.B. Zustellungen erforderlich sei. Sämtliche Kommunikation innerhalb des Betriebes würde in deutscher Sprache erfolgen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Frage des Aushangs des Wahlausschreibens im so bezeichneten Besprechungszimmer durch Vernehmung des Wahlvorstandsmitgliedes Herrn S sowie Herrn C. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift im Protokoll des Arbeitsgerichts vom 14.03.2018, Bl. 233 ff. d.A., Bezug genommen.

Durch Beschluss vom 14.03.2018, allen Beteiligtenvertretern am 24.07.2018 zugestellt, hat das Arbeitsgericht den Antrag abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Durchführung der Beweisaufnahme feststehe, dass das Wahlausschreiben ordnungsgemäß ausgehängt worden sei, eine Rechtsvorschrift, die zur Übermittlung des Wahlausschreibens an die Gewerkschaft verpflichte, nicht existent sei sowie eine Übersetzung für die ausländischen Arbeitnehmer nicht geboten gewesen sei, da aufgrund des Wahlergebnisses maximal eine Verschiebung eines Kandidaten innerhalb der gewählten Betriebsratsmitglieder hätte eintreten können und daher ein Einfluss auf das Wahlergebnis nicht denkbar sei. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf Bl. 241 ff. d.A. Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Gewerkschaft ver.di sowie die Beteiligten zu 3. und 4. mit der vorliegenden, beim Landesarbeitsgericht am 15.08. eingegangenen und nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 24.10. mit Schriftsatz vom 22.10.2018, beim Landesarbeitsgericht am selben Tage vorab per Telefax eingegangen, begründeten Beschwerde.

Die Gewerkschaft ver.di sowie die Beteiligten zu 3. und 4. tragen vor:

Die Auffassung des Arbeitsgerichts, das Wahlausschreiben sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an einen geeigneten Ort ausgehängt worden, sei unzutreffend. Die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Zeitungszusteller würden sich keinesfalls an diesem Ort aufhalten mit Ausnahme von vier bis fünf Zustellern, die an der Nstraße ihre zu verteilenden Zeitungen aufnehmen würden, dabei aber auch nicht die Räume betreten würden. Das Aufsuchen des Besprechungszimmers durch Zeitungszusteller sei die Ausnahme. Die Zeitungen würden – das ist zwischen den Beteiligten nicht streitig – an vereinbarten Punkten im jeweiligen Zustellbezirk abgelegt und dort vom Zusteller übernommen. Damit sei jedenfalls ein Aushang in diesem Besprechungszimmer nicht geeignet, um jedem Wahlberechtigten die aktive und passive Teilnahme an der Wahl zu ermöglichen. Mangels geeigneten Raumes sei der Wahlvorstand verpflichtet gewesen, den Zeitungszustellern die Wahlunterlagen rechtzeitig unaufgefordert zuzusenden. Denn nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses seien diese voraussichtlich zum Zeitpunkt der Wahl nicht im Betrieb anwesend. Für diesen Fall müssen aber die Wahlunterlagen so zeitgerecht bei den Wahlberechtigten eingehen, dass diese zumindest auch ihr passives Wahlrecht hätten ausüben können. Das Aufbringen des Zusatzes auf den Packzettel vom 24.03.2017 sei ungeeignet, da dieser Aufdruck selbst nicht die Wahlunterlage darstelle und zudem auch nicht gewährleistet werden könne, dass alle Zeitungszusteller hiervon hätten Kenntnis nehmen können. Insoweit dürfte klar sein, dass Zeitungszusteller urlaubsbedingt oder krankheitsbedingt auch abwesend gewesen seien. Schließlich habe der Mitarbeiter S der Arbeitgeberin als leitender Angestellter an der Wahl teilgenommen.

Die Gewerkschaft ver.di sowie die Beteiligten zu 3. und 4. beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 14.03.2018 – 6 BV 37/17 – abzuändern und die Betriebsratswahl vom 12.05.2017 für unwirksam zu erklären.

Betriebsrat und Arbeitgeberin beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung in allen Punkten als zutreffend und tragen darüber hinaus vor, warum es sich aus ihrer Sicht bei dem Mitarbeiter S nicht um einen leitenden Angestellten handele.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Beteiligten wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 4. ist im laufenden Verfahren aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden.

B.

Die zulässige Beschwerde ist, soweit sie von der Gewerkschaft ver.di eingelegt wurde, begründet und führt daher zur Abänderung der angegriffenen Entscheidung.

I. Der Antrag der Beteiligten zu 2., 3. und 4. ist unzulässig (geworden).

1. Allerdings haben die Antragsteller die Wahlanfechtung zutreffend im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren verfolgt, da die Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1BetrVG eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz gemäß § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG darstellt. Dabei hat das Arbeitsgericht den von den Antragstellern in der Antragsschrift zunächst formulierten Feststellungsantrag zutreffend als Antrag auf Erklärung der Wahl für unwirksam erachtet und auf diese Antragstellung hingewirkt. Letzterer ist der gebotene Antrag, der bei der Wahlanfechtung im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG zu stellen ist.

2. Die Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG von zwei Wochen ist gewahrt, da das Wahlergebnis frühestens am 19.05. verkündet worden und der Antrag bei Gericht am 29.05.2017 eingegangen ist.

3. Die Antragsschrift enthält die von den Antragstellern vorgebrachten Anfechtungsgründe (vgl. LAG Hamm vom 21.03.2014, 13 TaBV 110/13; BAG vom 24.05.1965, 1 ABR 1/65 und vom 21.03.2017, 7 ABR 19/15 Rdnr. 20).

4. Allerdings ist der Wahlanfechtungsantrag der Beteiligten zu 2., 3. und 4. unzulässig geworden, da sie jedenfalls im Beschwerdeverfahren das Quorum des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nicht erreichen, wonach die Wahl von mindestens drei Wahlberechtigten angefochten werden muss.

a) Dabei kam es nicht darauf an, dass die Beteiligte zu 4. mittlerweile bei der Arbeitgeberin ausgeschieden ist. Maßgeblich ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. die Nachweise bei Fitting u.a., BetrVG, 29. Aufl., § 19 Rdnr. 29), dem die Beschwerdekammer folgt, allein, dass bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung das Wahlanfechtungsverfahren von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern, die zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl wahlberechtigt waren, weiterverfolgt wird. Dies ist in Person der Beteiligten zu 4. der Fall, da sie sowohl den entsprechenden Antrag gestellt hat als auch das Beschwerdeverfahren betreibt.

b) Nicht hingegen trifft das auf den Beteiligten zu 2. zu, der zwar ursprünglich ebenso die Wahlanfechtung betrieben hat, allerdings nach abweisender Entscheidung des Arbeitsgerichts keine Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt hat. Dieser Fall ist gleich zu würdigen, als hätte er seinen Antrag zurückgenommen, da es jedenfalls an einer weiteren Verfolgung des Wahlanfechtungsverfahrens fehlt (vgl. grundsätzlich auch BAG, Beschluss vom 12.02.1985, 1 ABR 11/84).

II. Der Antrag der Gewerkschaft ver.di ist zulässig.

1. Wegen des Verfahrens, der Anfechtungsfrist sowie der in der Antragsschrift notwendig anzugebende Anfechtungsgründe wird auf die Ausführungen oben zu I. 1 – 3 Bezug genommen.

2. Die Gewerkschaft ver.di ist auch aktiv legitimiert. Sie ist nämlich im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Betrieb vertreten, was zwischen den Beteiligten nach entsprechender Darlegung der Gewerkschaft ver.di in erster Instanz nicht mehr Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist.

III. Der Antrag der Gewerkschaft ver.di ist auch begründet, da bei der Betriebsratswahl vom 12.05.2017 im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen wurde und nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder hätte beeinflusst werden können.

1. Der Wahlvorstand hat gegen die Bestimmung des § 24 Abs. 2 WOBetrVG verstoßen, indem die Zeitungszusteller die Wahlunterlagen im Sinne des § 24 Abs. 1 BetrVG erst am 06. bzw. 08.05.2017 erhalten haben, wobei die Wahl selber dann am 12.05.2017 stattgefunden hat.

a) Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerdekammer den Streit der Beteiligten über die Eignung des Besprechungszimmers als Ort des Aushangs des Wahlausschreibens nicht zu entscheiden hatte, da der Verstoß gegen die Bestimmung des § 24 Abs. 2 WOBetrVG unabhängig hiervon zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl vom 12.05.2017 führt.

b) Denn nach der Bestimmung des § 24 Abs. 2 WOBetrVG sind Wahlberechtigte, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Wahlunterlagen – u.a. das Wahlausschreiben – ohne Aufforderung durch die Wahlberechtigten zu übersenden.

Im Sinne des § 24 Abs. 2 WOBetrVG war bekannt, dass die weit überwiegende Gruppe der Beschäftigten, namentlich die Zusteller, nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses am Wahltage nicht im Betrieb anwesend sein würden.

aa) Für die Abwesenheit vom Betrieb am Wahltage kommt es wiederum nicht entscheidend darauf an, ob die Zusteller die Möglichkeit hatten, außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit den Besprechungsraum aufzusuchen, da insoweit – ebenso wie beim Aushang des Wahlausschreibens selbst – maßgeblich ist, dass die betreffenden Räumlichkeiten während der gesamten betrieblichen Arbeitszeiten zugänglich sind (Düwell, Betriebsverfassungsgesetz 5. A., WO § 3 Rn. 7 m.w.Nachw.).

bb) Die Kenntnis des Wahlvorstandes von der Abwesenheit vom Betrieb ist aktenkundig dokumentiert, da der Wahlvorstand mit Poststempel vom 05.05.2017 den Zeitungszustellern die Wahlunterlagen postalisch übermittelt, also die Briefwahl i.S.d. § 24 Abs. 2 WOBetrVG durchgeführt hat. Weiterer Feststellungen hierzu bedurfte es nicht, da es nicht auf eine 100 %ig sichere Kenntnis des Wahlvorstandes, sondern eben – wie es die Vorschrift des § 24 Abs. 2 WOBetrVG formuliert – auf eine “Voraussichtlichkeit” ankommt. Im Übrigen folgt die Beschwerdekammer der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit der grundlegenden Entscheidung zur Wahlberechtigung von Zeitungszustellern vom 29.01.1992, 7 ABR 27/91, wonach den Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses eines Zeitungszustellers durch die Ermöglichung der Briefwahl Rechnung zu tragen ist (zur insoweit inhaltsgleichen Vorschrift des § 26 WOBetrVG a.F., BAG vom 29.01.1992, 7 ABR 27/91, Rdnr. 41).

c) Allerdings erfolgte die Übersendung der Briefwahlunterlagen im Sinne des § 24 Abs. 2 WOBetrVG in wahlverfahrensverletzender Art und Weise zu spät, nämlich zu einem Zeitpunkt, als es den Zeitungszustellern nicht mehr möglich war, selbst Entscheidungen zur Ausübung des passiven Wahlrechts treffen zu können. Denn mit dem 07.04.2017, also mehr als einen Monat vor Zugang des Wahlausschreibens, waren die Fristen für die Einreichung von Wahlvorschlägen bei weitem abgelaufen. Damit aber wird die grundlegende Möglichkeit der Teilnahme an der Betriebsratswahl nach demokratischen Prinzipien nicht mehr möglich. Denn der Hinweis in einem Wahlausschreiben auf die Möglichkeit zur Kandidatur, also zur Erstellung von eigenen Wahlvorschlägen, ist von elementarer Bedeutung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts (grundlegend BAG, Beschluss vom 05.05.2004, 7 ABR 44/03 m.w.N.).

Die Beschwerdekammer verkennt hierbei nicht, dass § 24 Abs. 2 WOBetrVG selbst keinen Zeitrahmen oder keine Frist für die Übersendung von Briefwahlunterlagen vorsieht. Gemeinhin wird angenommen, dass durch die Nennung der Vorschlagslisten als zu übersendende Unterlagen in § 24 Abs. 1 Nr. 2 WOBetrVG die Wahlunterlagen spätestens eine Woche vor Stimmabgabe beim Wähler eingetroffen sein müssen (§ 10 Abs. 2 WOBetrVG; vgl. Fitting, § 24 Rdnr. 6 i.V.m. § Rndr. 15). Allerdings betrifft dies nur den Regelfall, in welchem den wahlberechtigten Arbeitnehmern durch Zugänglichmachung des Wahlausschreibens durch Aushang während der normalen Arbeitszeiten die grundlegende Kenntnisnahme vom Wahlverfahren bereits ermöglicht worden ist und somit lediglich eine Verhinderung am Wahltage selber zu besorgen ist. Diesen Fall betrifft letztendlich auch die von der Arbeitgeberin und vom Betriebsrat herangezogene Entscheidung des LAG Köln vom 11.04.2003, 4 (13) TaBV 63/02, in welchem eine grundlegende postalische Übersendung des Wahlausschreibens abgelehnt wird. Der dortige Sachverhalt war jedoch – soweit ersichtlich – so gestaltet, dass eine Betriebsstätte zwar aufgesucht wurde, dies allerdings nicht regelmäßig. Hiermit ist der vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar, da – streitlos – der Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während der normalen Arbeitszeiten der Zeitungszusteller für sie nicht zugänglich war.

In dieser Konstellation sind die Grundgedanken des § 3 WOBetrVG über die Zugänglichkeit des Wahlausschreibens als grundlegende Regel für eine demokratische Wahl auf den Fall übertragbar, in dem eine Abwesenheit vom Ort des Aushangs des Wahlausschreibens während des Wahlverfahrens insgesamt voraussichtlich anzunehmen ist. Für diesen Kreis von Beschäftigten muss der Wahlvorstand dafür Sorge tragen, dass sie so rechtzeitig Kenntnis vom Wahlausschreiben erlangen, dass sie sowohl aktiv als auch passiv in das Wahlgeschehen eingreifen können (so ausdrücklich und mit überzeugender Begründung LAG Hamburg, Beschluss vom 28.03.2007, 5 TaBV 2/07, LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.11.1990, 4 TaBV 2/90 sowie Fitting aaO., § 24 WO Rdnr. 10 ff.).

d) Der Hinweis auf dem Packzettel vom 24.03.2017 ist insoweit nicht ausreichend, da diese Information lediglich den Ort des Aushanges betrifft und zudem noch als Zeit zur Einsichtnahme eine Spanne angibt, die streitlos außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeiten der Zeitungszusteller liegt. Informationen zum Wahlverfahren selbst, wie sie das Wahlausschreiben enthalten muss, sind dort nicht aufgeführt.

e) Nur klarstellend weist die Beschwerdekammer darauf hin, dass von der Briefwahl für die Zeitungszusteller nicht der Fall der unzulässigen generellen Briefwahlanordnung durch den Wahlvorstand betroffen ist. In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und in der arbeitsrechtlichen Literatur ist zwar allgemein anerkannt, dass die generelle Zulassung einer Briefwahl die Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl begründen kann (LAG, Beschluss vom 05. August 2011, 10 TaBV 13/11 m.w.Nachw.); das allerdings nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 oder 3 WOBetrVG nicht vorliegen. Letzteres ist – wie dargelegt – hier indessen der Fall.

2. Der Verstoß gegen die Rechtzeitigkeit der Übersendung insbesondere des Wahlausschreibens bleibt auch nicht im Sinne des § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG ohne Bedeutung. Nach dieser Norm berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise die Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zum selben Wahlergebnis geführt hätte. Nur wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre, bleibt der Verfahrensverstoß ohne Bedeutung; ansonsten bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (zuletzt BAG, Beschluss vom 12.09.2012, 7 ABR 37/11 Rdnr. 31). Eine solche konkrete Feststellung eines identischen Wahlergebnisses kann vorliegend nicht getroffen werden.

a) Es kann bereits nicht ausgeschlossen werden, dass mindestens die neun Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer, die sich ausdrücklich in der Anlage zur Antragsschrift (Bl. 23 d.A.) aufgrund der Übersendung des Wahlausschreibens erst am 06.05.2017 mit der Wahl nicht einverstanden erklärt haben, von ihrem passiven Wahlrecht Gebrauch gemacht hätten.

b) Zudem ist die Wahlbeteiligung zu betrachten. Von insgesamt mindestens 169 wahlberechtigten Arbeitnehmern haben insgesamt 49 an der Wahl teilgenommen (2 ungültige Stimmen). Hätten alle Zeitungszusteller im oben genannten Sinne rechtzeitig das Wahlausschreiben erhalten, so kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass es ein größeres Interesse an der Betriebsratswahl mit der Folge einer deutlich höheren Wahlbeteiligung gegeben hätte, was sich – selbstverständlich – auch auf das Wahlergebnis hätte auswirken können.

3. Auf die weiteren, von der Gewerkschaft ver.di geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe kam es demnach nicht an, weshalb es einer Entscheidung der Beschwerdekammer zur Eigenschaft des Mitarbeiters S als leitender Angestellter (oder nicht) ebenso wenig bedurfte wie es auf die Frage ankam, ob eine Übersetzung des Wahlausschreibens nebst sonstiger Unterlagen für die ausländischen Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 5 WO zwingend geboten gewesen wäre.

Es verbleibt letztendlich der Hinweis, dass die Beschwerdekammer der angegriffenen Entscheidung insofern beitritt, als dass eine Rechtsgrundlage für das Begehren der Gewerkschaft ver.di, das Wahlausschreiben hätte ihr zugestellt werden müssen, nicht ersichtlich ist. Die Beteiligung der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist im Betriebsverfassungsgesetz umfassend und abschließend geregelt, ohne dass der Gesetzgeber eine solche Verpflichtung eingeführt hätte. Es sei auf die Möglichkeit der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften verwiesen, nach § 16 Abs. 1 Satz 6BetrVG ein nicht stimmberechtigtes Mitglied in den Wahlvorstand zu entsenden.

Nach alledem hatte der Anfechtungsantrag der Gewerkschaft ver.di Erfolg.

IV. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Sinne des § 92 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Frage zur Übersendung von Briefwahlunterlagen bei Zeitungszustellern hat das Bundesarbeitsgericht bereits am 29.01.1992 aaO. entschieden.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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