LAG Hamm, Urteil vom 02.04.2019 – 16 Sa 28/19

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 02.04.2019 – 16 Sa 28/19

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 19.11.2018 – 4 Ca 1036/18 – wird unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe

I.

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche.

Mit Urteil vom 19. November 2018 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.954,45 € brutto sowie weitere 1.000,00 € brutto zu zahlen. Das Urteil wurde der Beklagten am 05. Dezember 2018 zugestellt.

Am 08. Januar 2019 ging im EGVP des Landesarbeitsgerichts eine aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) auf elektronischem Weg übermittelte Berufungsschrift ein. Nachdem das Landesarbeitsgericht den Bevollmächtigten der Beklagten darauf hingewiesen hat, dass die Berufung verspätet sei, teilte dieser mit Schriftsatz vom 26. Januar 2019 mit, die Berufungsschrift sei bereits am 28. Dezember 2018 per beA an das Landesarbeitsgericht gesendet worden. Gleichzeitig hat er für den Fall, dass die Berufungsschrift nicht frist- und formgerecht übermittelt worden sein sollte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zum Nachweis dafür, dass die Berufungsschrift am 28. Dezember 2018 versendet wurde, hat er eine Übermittlungsdatei vorgelegt, wonach die Berufung am 28. Dezember 2018 um 10:34 Uhr an das Landesarbeitsgericht gesendet wurde. Die in der Übermittlungsdatei enthaltenen Rubriken “Empfangen” und “Zugegangen” weisen keine Einträge auf.

Auf Nachfrage des Gerichts, ob er gemäß § 46c Abs. 5 S. 2 ArbGG eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs erhalten habe, teilte der Bevollmächtigte der Beklagten mit, dass der Zugang tatsächlich nicht bestätigt wurde.

Mit der Einführung des beA-Systems seien die folgenden Arbeitsanweisungen an die Mitarbeiterinnen erteilt worden:

bei Versendung per beA ist durch die Mitarbeiterin zunächst zu prüfen, dass das entscheidende Dokument die Signatur enthält,

sodann sind die Anlagen auf Vollständigkeit und Inhalt zu prüfen,

Versendung der beA-Nachricht mit den entsprechenden Anhängen an das Gericht,

nach Versendung der beA-Nachricht wird die Nachricht selber und die Übermittlungsdatei automatisch zur Akte gespeichert,

zur Prüfung des Empfangs ist die Nachricht aus dem “Gesendet” – Ordner aufzurufen und im Nachrichtenjournal die erfolgreiche Übermittlung zu prüfen und per Mausklick ebenfalls zur Akte zu speichern.

Diese Arbeitsanweisung sei von der langjährig beschäftigten und zuverlässigen Mitarbeiterin G offenbar nicht vollständig durchgeführt worden. Die gesonderte Empfangsprüfung sei nach jetzigem Kenntnisstand unterlassen worden, so dass die fehlerhafte Sendung nicht aufgefallen sei. Der nicht fristgerechte Eingang der Berufungsschrift beruhe auf einer fahrlässigen Unachtsamkeit der im Übrigen zuverlässigen und auch in das beA-System eingeführten Mitarbeiterin.

II.

A) Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.

I. Das arbeitsgerichtliche Urteil ist der Beklagten ausweislich der aktenkundigen Postzustellungsurkunde am 05. Dezember 2018 zugestellt worden. Die einmonatige Berufungsfrist endete damit unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der 05. Januar 2019 auf einen Samstag fiel, am Montag, den 07. Januar 2019 (§§ 222 ZPO, 188,193 BGB).

II. Innerhalb dieser Frist ist zur vollen Überzeugung der Kammer kein Berufungsschriftsatz beim Landesarbeitsgericht eingegangen, insbesondere nicht über das EGVP.

Dies ergibt sich zum einen aus den gerichtsinternen Ermittlungen der Kammer und zum anderen auch aus den Erklärungen des Beklagtenvertreters selbst. Ein Eingang des Berufungsschriftsatzes am 28. Dezember 2018 lässt sich weder im EGVP noch sonst feststellen. Auch aus der vom Beklagtenvertreter vorgelegten Übermittlungsdatei ergibt sich nicht, dass der Berufungsschriftsatz am 28. Dezember 2018 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Nach der Übermittlungsdatei ist die Nachricht zwar am 28. Dezember 2018 um 10:34 Uhr gesendet worden. Die in der Übermittlungsdatei enthalten Felder “Empfangen” / “Zugegangen” enthalten demgegenüber keinerlei Einträge. Die Übermittlungsdatei ist daher nicht geeignet, einen Eingang der Nachricht beim Landesarbeitsgericht zu belegen. Vielmehr spricht die Datei dafür, dass die Nachricht gerade nicht zugegangen ist.

Nach § 46c Abs. 5 Satz 1 ArbGG ist ein elektronisches Dokument eingegangen, sobald es auf der für den Empfang bestimmten Einrichtung des Gerichts gespeichert ist. Ist dies der Fall, wird dem Absender nach § 46c Abs. 5 Satz 2 ArbGG eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs erteilt. Eine entsprechende, automatisch generierte Bestätigung, dass die am 28. Dezember 2018 elektronisch versandte Nachricht beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, wurde vom EGVP nicht generiert und ist dem Beklagtenvertreter dementsprechend auch nicht zugegangen.

Damit kann zwar zugunsten der Beklagten davon ausgegangen werden, dass die Nachricht am 28. Dezember 2018 gesendet wurde. Ein Eingang der Nachricht bei Gericht lässt sich demgegenüber nicht feststellen.

III. Die schließlich am 08. Januar 2019 beim Landesarbeitsgericht über das EGVP eingegangene Berufungsschrift wahrt die einmonatige Frist zur Einlegung der Berufung nicht, da diese, wie oben dargelegt, am 07. Januar 2019 endete.

B) Der Beklagten kann wegen der Fristversäumnis keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

I. Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache für die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung außerhalb eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Anwaltsverschulden liegt.

1. Bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs (wie auch bei Übersendungen per Telefax) werden die an den Prozessbevollmächtigten zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht gewahrt, wenn dieser nicht für eine wirksame Ausgangskontrolle des auf diesem Übertragungsweg versandten Schriftsatzes sorgt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.08.2007, 2 A 10492/07 juris Rn 22). Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs sind dementsprechend Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der Eingangsbestätigung unabdingbar (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 03. Januar 2018 – L 17 U 298/17 -, Rn. 12, juris).

2. Vorliegend kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Mitarbeiterinnen besondere Anweisungen für die Übermittlung von Schriftsätzen aus dem beA erteilt hat und dass diese Anweisungen auch eine Prüfung des Empfangs beinhalteten. Des weiteren kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass es sich bei der Mitarbeiterin, die mit der Übersendung der Nachricht beauftragt war, um eine zuverlässige Mitarbeiterin handelt, die auf Grund einer einmaligen Unachtsamkeit die Empfangsprüfung unterlassen hat. Gleichwohl liegt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor, dass sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Berufungskammer folgt, hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Dies setzt zum einen voraus, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Ferner gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04. November 2014 – VIII ZB 38/14 – NJW 2015, 253, m. w. N).

Der Rechtsanwalt hat also die Ausgangskontrolle von fristgebundenen Schriftsätzen so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet. Bei der allabendlichen Kontrolle fristgebundener Sachen ist eine nochmalige, selbständige Prüfung erforderlich (Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07. Januar 2015 – IV ZB 14/14 – Juris; Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04. November 2014 – VIII ZB 38/14 -; jeweils m. w. N.).

2. Gemessen daran beruht die Fristversäumnis im Streitfall auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welches diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich bereits nicht, dass bei Sendungen aus dem beA überhaupt ein Fristenkalender geführt wird. Auch ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, dass er den Büroangestellten die Weisung erteilt hätte, Fristen erst dann zu streichen bzw. als erledigt zu kennzeichnen, wenn die automatisch generierte Eingangsbestätigung aus dem EGVP und damit der Nachweis der erfolgreichen Übermittlung vorliegt. Insofern sind die Sorgfaltsanforderungen bei der Übermittlung von Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mit denen bei der Übersendung per Telefax identisch. Auch dort dürfen Fristen erst gestrichen bzw. als erledigt gekennzeichnet werden, wenn anhand des Sendeprotokolls die erfolgreiche Übermittlung festgestellt wurde.

Schließlich ergibt sich aus dem Vortrag der Beklagten auch nicht, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft nochmals überprüft wird. Dabei besteht der große Vorteil der Übermittlung aus dem beA gerade darin, dass der Einreicher direkt nach Eingang der Nachricht bei Gericht eine automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs erhält. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt und einer erneuten Prüfung am Abend wäre daher aufgefallen, dass keine Eingangsbestätigung vorliegt, was Anlass zu weiteren Nachforschungen gegeben hätte. Sodann wäre es auch möglich gewesen, die Berufungsschrift innerhalb der Berufungsfrist erneut an das Landesarbeitsgericht zu senden.

C) Die Kammer hat die Revisionsbeschwerde zugelassen, weil die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen per beA bzw. EGVP bislang nicht höchstrichterlich geklärt sind.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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