LAG Hamm, Urteil vom 14.03.2019 – 18 Sa 1196/18

Juni 13, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 14.03.2019 – 18 Sa 1196/18

Ein Arbeitnehmer, der Samstagsarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leistet, erhält keinen Zeitzuschlag für Samstagsarbeit nach § 14 Abs. 1 S. 2 Buchst. f TV AWO NRW. Das gilt auch dann, wenn ein Schichtarbeitszuschlag nach § 13 Abs. 2 S. 2 TV AWO NRW für die geleistete Samstagsarbeit nicht gezahlt wird.
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 09.10.2018 – 2 Ca 444/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin auf Gewährung einer tariflichen Zulage für Samstagsarbeit.

Die Klägerin ist seit dem 15.11.2004 bei dem beklagten Verein als Hauswirtschafterin in einem Seniorenzentrum tätig. § 2 des Arbeitsvertrages, den die Parteien unter dem 23.11./03.12.2004 abschlossen, lautet:

“Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen und Vorschriften des jeweils für die Arbeiterwohlfahrt Bezirk Westliches Westfalen e.V. anwendbaren Tarifvertrages mit den dazu ergangenen und noch ergehenden Zusatzbestimmungen in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.”

Der Tarifvertrag für die Arbeiterwohlfahrt in Nordrhein-Westfalen (TV AWO NRW) vom 05.01.2008 lautet auszugsweise:

Ҥ 13 Sonderformen der Arbeit

(1) Wechselschichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen die Beschäftigten durchschnittlich längstens nach Ablauf eines Monats erneut zu mindestens zwei Nachtschichten herangezogen wird. Wechselschichten sind wechselnde Arbeitsschichten, in denen ununterbrochen bei Tag und Nacht, werktags, sonntags und feiertags gearbeitet wird. Nachtschichten sind Arbeitsschichten, die mindestens 2 Stunden Nachtarbeit umfassen.

Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht.

(2) Die Beschäftigten, die ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt sind, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§ 13 Absatz 1 Satz 2) vorsieht, und die dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leisten, erhalten eine Wechselschichtzulage.

Die Beschäftigten, die ständig Schichtarbeit (§ 13 Absatz 1 Unterabsatz 2) zu leisten haben, erhalten eine Schichtzulage, wenn

a) sie nur deshalb die Voraussetzungen des Absatz 1 Unterabsatzes 2 nicht erfüllen,

aa) weil nach dem Schichtplan eine Unterbrechung der Arbeit am Wochenende von höchstens 48 Stunden vorgesehen ist oder

bb) weil sie durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht nur in je sieben Wochen leisten,

b) die Schichtarbeit innerhalb einer Zeitspanne von mindestens

aa) 18 Stunden

bb) 13 Stunden

geleistet wird.

(…).

§ 14 Ausgleich für Sonderformen der Arbeit

(1) Die Beschäftigten erhalten neben dem Entgelt für die tatsächliche Arbeitsleistung Zeitzuschläge. Die Zeitzuschläge betragen – auch bei Teilzeitbeschäftigten – je Stunde

a) (…)

f) für Arbeit an Samstagen von 13 bis 21 Uhr,

soweit diese nicht im Rahmen von Wechselschicht

oder Schichtarbeit anfällt 20 v.H.,

des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Tabellenentgelts der Stufe 3 der jeweiligen Entgeltgruppe.

(…).”

Die Klägerin arbeitet regelmäßig an den Wochentagen Montag bis Freitag von 07.42 Uhr bis 14.12 Uhr und an jedem zweiten Wochenende samstags und sonntags von 14.15 Uhr bis 19.30 Uhr. Die Arbeitszeiten der Klägerin ergeben sich aus einem Dienstplan, den der Beklagte unter Beteiligung des Betriebsrats aufstellt. Mit Schreiben vom 19.10.2017 und vom 16.04.2018 forderte die Klägerin den Beklagten auf, Samstagszuschläge gemäß § 14 TV AWO NRW zu zahlen. Mit ihrer Klage, die am 02.05.2018 bei dem Arbeitsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin ihre Ansprüche weiterverfolgt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf Zahlung eines Zeitzuschlages für geleistete Samstagsarbeit nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. fTV AWO NRW zu. Sie erbringe die Arbeitsleistung an Samstagen nicht im Rahmen von Schichtarbeit, da ihre tägliche Arbeitszeit keinem regelmäßigen Wechsel unterliege. Weil die Klägerin aufgrund der festgelegten Arbeitszeit keine Schichtzulage gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 TV AWO NRW erhalte, könne sie die Zahlung der Samstagszulage verlangen; zwischen § 13 Abs. 1 Satz 4 TV AWO NRW und § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW bestehe ein Alternativverhältnis. – Mit dem Klageantrag zu 1) hat die Klägerin die Zahlung der Zulage für geleistete Samstagsarbeit im Zeitraum von April 2017 bis April 2018 eingefordert. Die Berechnung der Forderung ergibt sich aus der Klageschrift.

Die Klägerin hat beantragt,

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 348,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.04.2018 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist der Klägerin für die Arbeit an Samstagen zwischen 13.00 Uhr und 21:00 Uhr eine Samstagszulage in Höhe von 20 % des Stundenverdienstes zu zahlen, soweit nicht eine tarifliche Schichtzulage gezahlt wird.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, nicht zur Zahlung der begehrten Zulage für die Samstagsarbeit verpflichtet zu sein, da die Klägerin die Samstagsarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leiste. Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, die Klägerin arbeite in einer schichtplangesteuerten Einrichtung und nehme am Dienstplan teil.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Der Klägerin stehe kein Anspruch auf die begehrte tarifliche Zulage für Samstagsarbeit zu. Die Klägerin leiste Schichtarbeit im Sinne des § 13 Abs. 1 TV AWO NRW. Ihre tägliche Arbeitszeit wechsele regelmäßig alle zwei Wochen aufgrund der Wochenenddienste, die die Klägerin in der Spätschicht zu erbringen habe. Daher scheide die Zahlung einer Zulage für Samstagsarbeit gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW aus. Dies gelte nach dem Wortlaut des Tarifvertrages unabhängig davon, ob der Beklagte zur Zahlung einer Schichtzulage verpflichtet sei.

Das erstinstanzliche Urteil ist der Klägerin am 30.10.2018 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 22.11.2018 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Die Klägerin hat die Berufung mit einem am 18.12.2018 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, der Beklagte sei zur Zahlung einer Zulage für geleistete Arbeitszeit nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW verpflichtet. Das Arbeitsgericht habe lediglich den Wortlaut dieser Tarifnorm berücksichtigt, nicht jedoch deren Sinn und Zweck. Zwar sei nach der Formulierung des § 14 Abs. 1 Buchst. f TV AWO NRW Samstagsarbeit nicht zuschlagspflichtig, soweit sie im Rahmen von Wechselschicht oder Schichtarbeit anfalle. Es entspreche aber nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien, eine Gruppe von Arbeitnehmern sowohl von der Zahlung des Samstagszuschlages als auch von der Zahlung der Schichtzulage auszuschließen. Die Tarifvertragsparteien seien davon ausgegangen, dass die Arbeit am Samstagnachmittag in besonderer Weise vergütungsrelevant sei. Das ergebe sich aus der Tarifhistorie. Nach der Vorgängerregelung zum TV AWO NRW hätten alle Arbeitnehmer für Samstagsarbeit einen besonderen Zeitzuschlag beanspruchen können, es sei denn, sie erhielten für diese Leistung bereits andere Zulagen (§ 16 BMT-AW II i.V.m. Nr. 2 Abs. 2 des Zusatztarifvertrages zu § 16 BMT-AW II). Der TV AWO NRW habe sich mehr an den TVöD angenähert, indem Arbeitnehmer aus den Regelungen zum Samstagszuschlag ausgeschlossen seien, die regelmäßig Wechselschicht- oder Schichtarbeit leisteten. Allerdings stelle § 7 Abs. 2 TVöD wesentlich höhere Anforderungen an das Vorliegen von Schichtarbeit als Ausnahme für die Zahlung des Samstagszuschlags. Dies gewährleiste, dass nach den Vorschriften des TVöD niemand “leer ausgehe”, da für die samstägliche Arbeit entweder eine Schichtzulage oder eine Samstagszulage gemäß § 8 TVöD gezahlt werde. Demgegenüber führe eine Auslegung der §§ 13, 14 TV AWO NRW nach der Lesart des Arbeitsgerichts dazu, dass schon bei geringen Verschiebungen der Lage der Arbeitszeit Schichtarbeit vorliege und damit der Anspruch auf Zahlung des Zuschlags für Samstagsarbeit entfalle, während nur ein kleiner Teil der so arbeitenden Beschäftigten die Zahlung einer Schichtzulage beanspruchen könne. So verhalte es sich bei der Klägerin: Sie übe zwar Schichtarbeit im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 4 TV AWO NRW aus, erhalte dafür jedoch keine Schichtzulage im Sinne des § 13 Abs. 2 Buchst. b TV AWO NRW, da zwischen dem frühesten Beginn ihrer Arbeit und dem spätesten Ende ihrer zu leistenden Schichten nicht 13 Stunden lägen. Es fehle an Anhaltspunkten dafür, dass die Tarifvertragsparteien eine solche Schlechterstellung von Arbeitnehmern gewollt hätten. § 14 Abs. 1 Buchs. f TV AWO NRW bedürfe daher einer teleologischen Reduktion. Die Norm sei so auszulegen, dass der Samstagszuschlag gezahlt wird, soweit die Samstagsarbeit nicht im Rahmen von Wechselschicht- oder Schichtarbeit anfalle und dafür bereits eine Wechselschicht- oder Schichtzulage gezahlt werde.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 09.10.2018 – 2 Ca 444/18 – abzuändern und den Beklagten zu verurteilen,

1. an die Klägerin 348,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.04.2018 zu zahlen.

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Arbeit an Samstagen zwischen 13.00 Uhr und 21:00 Uhr eine Samstagszulage in Höhe von 20 % des Stundenverdienstes zu zahlen, soweit nicht eine tarifliche Schichtzulage gezahlt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Er meint, die Tarifparteien hätten die Formulierung des § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW bewusst gewählt. Die Tarifparteien seien in § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW, ebenso wie in anderen Regelungen dieses Tarifvertrages, von den Vorgaben des TVöD abgewichen und hätten ein eigenständiges Regelungswerk geschaffen, das hinsichtlich der Zahlung des Samstagszuschlags gerade nicht darauf abstelle, ob der samstäglich arbeitende Arbeitnehmer eine Schichtzulage erhalte.

Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Gründe

I.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig.

Die Klägerin hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II.

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung des begehrten Zuschlages für Samstagsarbeit aus § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW zu. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

1. Der Anspruch auf Zahlung eines Zeitzuschlages gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW scheitert daran, dass die Klägerin ihre samstägliche Arbeit im Rahmen von Schichtarbeit erbringt.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 4 TV AWO NRW ist Schichtarbeit die Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan), der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Zeitabschnitten von längstens einem Monat vorsieht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin arbeitet nach einem Schichtplan. Sie wird, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, im Dienstplan für den hauswirtschaftlichen Bereich geführt. Der Schichtplan sieht einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit für die Klägerin vor. Sie arbeitet wochentags von 07.42 Uhr bis 14.12 Uhr und vierzehntägig an den Wochenenden von 14.15 Uhr bis 19.30 Uhr. Der Wechsel ihrer Arbeitszeit vollzieht sich in Zeitabschnitten von längstens einem Monat, nämlich in vierzehntägigen Zeitabschnitten (jedes zweite Wochenende). Ergänzend wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter II 1 b der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

2. Die Zahlung einer Schichtzulage an die Klägerin stellt keine Voraussetzung für den Ausschluss des Zeitzuschlags für Samstagsarbeit nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW dar. Das folgt aus einer sachgerechten Auslegung des Tarifvertrages.

Um den Inhalt einer Tarifnorm festzustellen, muss der Auslegungskanon herangezogen werden, der bei der Gesetzesinterpretation üblich ist (Löwisch/Rieble, 2. Aufl. 2004, § 1 TVG, Rdnr. 554 ff.; Wank, in: Wiedemann, Tarifvertragsgesetz, 7. Aufl. 2007, § 1 TVG, Rdnr. 999 ff.; Wißmann, in: Thüsing/Braun, Tarifrecht, 4. Kapitel, Rdnr. 154 ff.): Zu berücksichtigen sind Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Tarifvorschrift. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. etwa BAG, Urteil vom 11.10.2010 – 8 AZR 392/09, Urteil vom 12.08.2015 – 7 AZR 592/13 m.w.N.) ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Norm ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

Nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 2 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW ist die Zahlung des Zeitzuschlags für Samstagsarbeit schon ausgeschlossen, wenn diese Arbeit im Rahmen von Schichtarbeit anfällt. Nach der Formulierung der Tarifnorm ist es unerheblich, ob für die Schichtarbeit ein Zuschlag gezahlt wird.

Das entspricht der Regelungssystematik des Tarifvertrages. Die Bestimmungen über die Schichtarbeit und die Schichtzulage finden sich in § 13 TV AWO NRW. Systematisch getrennt davon sind Zeitzuschläge für Sonderformen der Arbeit in § 14 TV AWO NRW geregelt.

Auch die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages spricht gegen die Annahme der Klägerin, ohne die Zahlung einer Schichtzulage für samstägliche Schichtarbeit sei der Anspruch auf Zahlung eines Zeitzuschlages nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW nicht ausgeschlossen. Dieses Regelungsmodell entsprach dem vormals geltenden § 16 BMT-AW II. Der im Zusatztarifvertrag geregelte Zuschlag für die Arbeit an Samstagen war nach § 16 Abs. 2 Satz 2 BMT-AW II neben anderen Zeitzuschlägen nicht zu zahlen. Diese tarifliche Regelung wurde durch den Übergangstarifvertrag Bund-West vom 23.12.2004 außer Kraft gesetzt. Nach dem Übergangstarifvertrag war gar kein Zeitzuschlag für die Arbeit an Samstagen mehr vorgesehen. Vor diese Hintergrund stellt die Regelung unter § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, einen Kompromiss dar zwischen der großzügigen Regelung in § 16 BMT-AW II (Ausschluss des Samstagszuschlags nur, wenn für die Samstagsarbeit ein anderer Zeitzuschlag gezahlt wird) und dem völligen Ausschluss des Samstagszuschlages nach Maßgabe des Übergangstarifvertrages.

Der Kompromisscharakter, den die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW trägt, ist auch im Rahmen der teleologischen Auslegung zu respektieren. Nach dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW soll der Samstagszuschlag nur dann gezahlt werden, wenn die Samstagsarbeit für den betroffenen Arbeitnehmer eine erhebliche Belastung darstellt. Das ist bei Arbeitnehmern, die Schichtarbeit verrichten und deshalb ohnehin mit regelmäßig wechselnden Arbeitszeiten eingesetzt werden, nicht der Fall.

3. Eine rechtsfortbildende Ausgestaltung im Sinne der von der Klägerin angeregten teleologischen Reduktion des § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW kommt nicht in Betracht.

Die Voraussetzungen, die an eine Fortbildung bzw. ergänzende Auslegung tarifvertraglicher Vorschriften zu stellen sind, liegen nicht vor. Wie bei der Rechtsfortbildung von Gesetzen oder bei der ergänzenden Vertragsauslegung ist auch für die Fortbildung von Tarifverträgen erforderlich, dass eine unbewusste Regelungslücke besteht, die die Gerichte zu schließen befugt sind.

Die erforderliche Regelungslücke kann sich daraus ergeben, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen einer Tarifnorm nachträglich geändert haben (BAG, Urteil vom 09.10.1956 – 3 AZR 643/54), oder daraus, dass der Tarifvertrag mit höherrangigem Recht kollidiert (BAG, Urteil vom 15.11.2005 – 3 AZR 520/04), insbesondere, wenn die Tarifregelung infolge eines Verfassungsverstoßes teilunwirksam ist (BAG, Urteil vom 10.03.1994 – 2 AZR 323/94). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.

Eine Lücke, die ggf. im Wege der Rechtsfortbildung zu schließen ist, kann auch dann vorliegen, wenn das tarifliche Normenwerk nach dem ihm zugrunde liegenden Regelungsplan, der im Wege der historischen und teleologischen Auslegung zu erschließen ist, sich als unvollständig erweist (BAG, Urteil vom 10.05.1989 – 6 AZR 660/87). Auf eine solche Regelungslücke beruft sich die Klägerin, wenn sie die Auffassung vertritt, die Tarifparteien hätten sich im Hinblick auf die Ausgestaltung der Zeitzuschläge dem Regelungswerk des TVöD annähern und nicht in Kauf nehmen wollen, dass Arbeitnehmer sowohl von der Schichtzulage als auch von dem Zuschlag für Samstagsarbeit ausgeschlossen werden.

Dem ist nicht zu folgen. Der Regelungsplan, den die Klägerin unterstellt, lässt sich dem Tarifvertrag nicht entnehmen. Dagegen spricht schon die historische Auslegung (siehe oben unter I 2 der Entscheidungsgründe). Ein Vergleich der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 2 Buchst. f TV AWO NRW mit den Vorgängerregelungen zeigt, dass die Formulierung der Anspruchsvoraussetzungen für den Samstagszuschlag von den Tarifparteien bewusst im Sinne einer Kompromisslösung gewählt wurde. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass der Regelungsplan der Tarifparteien auf das Prinzip ausgerichtet war, Samstagsarbeit solle stets zuschlagspflichtig sein. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Tarifparteien sich dem Regelungswerk des TVöD, nach dem im Ergebnis eine großzügigere Zahlung des Samstagszuschlages erfolgt, “annähern” wollten. Sie beabsichtigten vielmehr, eine eigenständige Regelung zu schaffen. Das ergibt sich daraus, dass nicht nur die Höhe der Schichtzulage (§ 14 Abs. 5 TV AWO NRW) anders geregelt ist als im TVöD, sondern auch die Definition der Schichtarbeit (§ 13 Abs. 1 Satz 4 TV AWO NRW). § 7 Abs. 2 TVöD regelt als zusätzliche einschränkende Merkmale für die Schichtarbeit vor, dass der Schichtplan einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden vorsieht und dass die Arbeitszeit innerhalb einer Zeitspanne von mindestens 13 Stunden geleistet wird. Diese einschränkenden Merkmale sind im TV AWO NRW nicht übernommen worden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere wirft der Rechtsstreit keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, die klärungsbedürftig ist. An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn diese so einfach zu beantworten ist, dass keine divergierenden Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte zu erwarten sind, insbesondere, wenn die gesetzliche oder tarifliche Regelung völlig eindeutig ist (Müller-Glöge, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 9. Aufl. 2017, § 72 ArbGG Rn. 14 m.w.N.). Im Streitfall ist das Ergebnis der Auslegung der streitentscheidenden Tarifnorm eindeutig; eine rechtsfortbildende Einschränkung der Tarifnorm kommt offensichtlich unter keinem Gesichtspunkt in Betracht.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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