LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2015 – 13 Sa 576/15

Juni 27, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2015 – 13 Sa 576/15

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 04.03.2015 – 3 Ca 2003/14 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

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Tatbestand

Der am 27.11.1982 geborene Kläger ist verheiratet und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtet. Er trat mit Wirkung ab 04.04.2011 als Kraftfahrer für den Transport von Wäsche und Instrumenten zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.743,94 € in die Dienste der Beklagten, bei der etwa 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Kläger ist Ersatzmitglied in dem im Betrieb bestehenden Betriebsrat und nahm letztmals am 24.09.2014 an einer Betriebsratssitzung teil.

In der Vergangenheit erhielt der Kläger unter dem 15.11.2013 sowie 10.01., 06.02. und 30.06.2014 Abmahnungen, in denen ihm vorgeworfen wurde, sich nicht rechtzeitig um die Voraussetzungen der Verlängerung einer Fahrerlaubnis gekümmert zu haben, Wegezeiten als Arbeitszeit eingetragen zu haben, aggressiv auf eine Anweisung einer Vorarbeiterin reagiert zu haben und insgesamt drei Mal verspätet zur Arbeit erschienen zu sein. Hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf die mit Beklagtenschriftsatz vom 22.12.2014 eingereichten Kopien (Bl. 32 f. d. A., 36 ff. d. A.).

Mit einem arbeitgeberseitigen Schreiben vom 28.05.2014, das den Kläger am 11.06.2014 zugegangen ist, erhielt er eine “Dienstanweisung” folgenden Inhalts:

“…aus aktuellem Anlass machen wir darauf aufmerksam, dass die Tür zum Waschhaus durch den jeweiligen Fahrer der Spätschicht immer zu verschließen ist.

Bei Nichtbeachtung ist mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.”

Am 25.09.2014 abends zwischen 22.00 und 22.30 Uhr schloss der Kläger in der Waschküche der Beklagten die Tür im Rolltor nicht ab. Hierauf wurde er vom Mitarbeiter B zur Rede gestellt. Der anschließende Geschehensablauf ist zwischen den Parteien streitig.

Unter dem 07.10.2014 verfasste die Beklagte ein an den Betriebsrat gerichtetes Schreiben “Anhörung zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund”, mit dem sie Zustimmung zur fristlosen Beendigungskündigung des Klägers beantragte. Zur Begründung führte sie darin u.a. aus:

“Mit Schreiben vom 01.10.2014 teilte Herr B Frau T2 nachstehenden Vorfall mit:

“Bei meinem allabendlichen Rundgang am 25.09.2014 habe ich in der Waschküche festgestellt, dass mal wieder die Tür im Rolltor nicht verschlossen und abgeschlossen ist. Der Fahrer, der in Begleitung eines Beifahrers (nicht WIDI-Angehöriger) den Hof verlässt, ist Herr T.

Draußen vor der Expedition stelle ich Herrn T zur Rede, warum er die Waschküche nicht abgeschlossen habe, obwohl es doch eine Anweisung für die Fahrer gibt, dies nach 22.00 Uhr zu tun.

Seine Äußerung sinngemäß: Ich solle mich um meine Angelegenheiten kümmern und ob ich nichts zu tun hätte.

Meine Erwiderung dazu, dass das meine Angelegenheit ist, zu überprüfen, ob alle Türen abgeschlossen sind, und wenn das nochmal vorkommt, ich das melden würde.

Daraufhin hat Herr T einen Schritt auf mich zugetan und mich “am Kragen gefasst”, also Hand an die Knopfleiste meines Polo´s und gedreht.

Dann mein Hinweis, er solle sofort die Hand da wegnehmen, ansonsten würde ich auch handgreiflich werden können.

Herr T nimmt daraufhin seine Hand weg und wir gingen unserer Wege.” …

Herr B, Ersatzmitglied des Betriebsrats, fühlte sich durch die Handgreiflichkeit des Herrn T ihm gegenüber stark bedroht.

Die Bedrohung und der Versuch gegenüber einem Kollegen, diesen unter Androhung von Gewalt einzuschüchtern, obwohl dieser nur seinen Pflichten nachgeht, ist für uns völlig inakzeptabel und stellt eine schwerwiegende Störung des Betriebsfriedens dar.

Aufgrund des aufbrausenden Verhaltens müssen wir zudem eine Wiederholungsgefahr annehmen. Herr T wurde diesbezüglich bereits am 06.02.2014 einschlägig abgemahnt. Auch hier reagierte er aggressiv auf eine Anweisung der Vorarbeiterin unserer PBW-Abteilung, Frau P, wobei die Situation auf die anwesenden Beschäftigten bedrohlich wirkte.”

Mit Schreiben vom 09.10.2014, zugegangen an diesem Tag, wurde dann dem Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt (Bl. 4 d. A.).

Dieser hat behauptet, es habe nur zu seinen Aufgaben gehört, die Tür zu schließen, nicht aber abzuschließen. Davon abgesehen habe in kurzer Entfernung ein Fahrerkollege gewartet, der nach ihm habe abladen wollen und deshalb die Tür wieder hätte aufschließen müssen. Mit dem Arbeitnehmer B sei es nur zu einem Wortwechsel gekommen, nicht aber zu irgendwelchen Beleidigungen oder sogar Handgreiflichkeiten.

Der Kläger hat auch die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 09.10.2014 ausgesprochene Kündigung aufgelöst wird, und zwar weder fristlos noch fristgemäß.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dass sich der Vorfall am 25.09.2014 so abgespielt habe, wie es im Schreiben an den Betriebsrat dargestellt worden sei. Der Kläger habe entgegen einer klaren Dienstanweisung die Tür nicht verschlossen und versucht, den Mitarbeiter B unter Androhung von Gewalt einzuschüchtern – und das vor dem Hintergrund bereits erfolgter Abmahnungen.

Die Anhörung des Betriebsrates sei mit Schreiben vom 07.10.2014 ordnungsgemäß eingeleitet worden.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 04.03.2015 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe zur ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrates nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie behauptet, am 07.10.2014 mittags dem Betriebsrat das Anhörungsschreiben nebst Anlagen übergeben zu haben. Per Mail am 08.10.2014 und durch ein am 09.10.2014 ausgedrucktes Schreiben (Bl. 150 d. A.) habe der Betriebsrat dem Kündigungsantrag zugestimmt. Erst danach sei die Kündigung erfolgt.

Auslöser für deren Ausspruch sei der Vorfall am 25.09.2014 gewesen – vor dem Hintergrund der zuvor erfolgten Abmahnungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 04.03.2015 – 3 Ca 2003/14 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet weiterhin die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates, namentlich dass dieser das Anhörungsschreiben vom 07.10.2014 einschließlich der Anlagen erhalten hat.

Was das Geschehen am 25.09.2014 angehe, sei es zu keinerlei Berührungen zwischen ihm und dem Mitarbeiter B gekommen. Die vorangegangenen Abmahnungen seien unbegründet und überwiegend auch bereits unsubstantiiert.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht ist das Arbeitsgericht nämlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitbefangene außerordentliche Kündigung vom 09.10.2014 unwirksam ist.

I. In dem Zusammenhang kann allerdings unentschieden bleiben, ob der Betriebsrat im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG im Vorfeld ordnungsgemäß angehört worden ist.

II. Denn die außerordentliche Kündigung ist schon deshalb unwirksam, weil kein wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger gegeben ist (§ 626 Abs. 1 BGB).

1. Allerdings sind nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – DB 2009, 964; 06.10.2005 – 2 AZR 280/04 – AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 25; 12.01.1995 – 2 AZR 456/94 – RzK I 6g Nr. 22; 31.03.1993 – 2 AZR 492/92 – AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 32) Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu bilden. Im Einzelfall hängt es aber von der Schwere des Pflichtverstoßes, also nicht zuletzt von der Intensität und den Folgen eines tätlichen Angriffs ab, ob die einschneidenste arbeitsrechtliche Sanktion einer fristlosen Kündigung gerechtfertigt ist oder “nur” der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung bzw. einer “bloßen” Abmahnung.

2. An diesen Maßstäben gemessen, reicht hier der Sachverhalt, selbst wenn man den gesamten Vortrag der Beklagten zum Ablauf des Geschehens am 25.09.2014 als richtig unterstellt, nicht aus, um die ausgesprochene außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Zwar hätte danach der Kläger, als er auf einen rechtmäßigen Vorhalt seines Arbeitskollegen B mit einer Handgreiflichkeit reagierte und diesen “am Kragen fasste”, seine arbeitsvertragliche Pflicht, Konflikte ausschließlich friedlich – ggf. unter Einschaltung des Vorgesetzten – beizulegen, in beträchtlichem Umfang verletzt. Der erfolgte Angriff war aber in der Relation zu anderen denkbaren Geschehnissen weniger intensiv, weil der Kläger auf eine entsprechende Aufforderung des Arbeitnehmers B sofort “die Hand wegnahm” und damit die Auseinandersetzung beendet war und beide “des Weges gingen”. In einer solchen Konstellation mit keinen ersichtlichen Folgen für den Arbeitnehmer B, der sich bemerkenswerterweise auch erst fast eine Woche später am 01.10.2014 überhaupt veranlasst sah, seiner Arbeitgeberin davon Mitteilung zu machen, war es nicht gerechtfertigt, das zum Kündigungszeitpunkt gut 3,5 Jahre bestandene Arbeitsverhältnis zum fast 32 Jahre alten Kläger, der seiner Ehefrau und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtig ist, mit sofortiger Wirkung zu beenden (vgl. BAG, 12.07.1984 – 2 AZR 320/83 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 32: Wirksamkeit einer ordentlichen (!) Kündigung u.a., weil ein Arbeitnehmer seinen Kollegen an den Arbeitsanzug und ins Gesicht gefasst hatte).

3. Daran ändert auch das zugunsten der Beklagten an dieser Stelle als richtig unterstellte, möglicherweise vergleichbare Geschehen am 08.01.2014, das mit Schreiben vom 06.02.2014 abgemahnt wurde, nichts. Denn sollte der Kläger an dem Tag tatsächlich auf die Schichtleiterin P aggressiv reagiert haben mit dem Ausspruch “Geh jetzt weg” und diese Situation auf Anwesende bedrohlich gewirkt haben sollte, könnte das – zusammen mit dem Vorfall am 25.09.2014 – vielleicht eine ordentliche, aber keine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.

Insoweit darf dem Kläger aber nicht die Tatsache zum Nachteil gereichen, dass er wegen seiner zuletzt am 24.09.2014 erfolgten Teilnahme an einer Betriebsratssitzung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor dem Ausspruch einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung geschützt war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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