LAG Hessen, 18.05.2015 – 16 Sa 999/14

April 28, 2019

LAG Hessen, 18.05.2015 – 16 Sa 999/14
Leitsatz:

1.

Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage ist auch, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestanden hat und nicht schon zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst wurde. Daher wird auch eine zunächst nicht ausdrücklich angegriffene außerordentliche Kündigung vom 25. Juli 2013 durch eine gegen eine ordentliche Kündigung vom 29. Juli 2013 fristgerecht erhobene Klage vom Streitgegenstand erfasst.
2.

Die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ist ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben.
3.

War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, wiegt die mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses regelmäßig weniger schwer.

Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Arbeitnehmer nicht die Gewährung von Urlaub erreichen wollte, sondern die Befreiung von der Verpflichtung, einen auswärtigen dienstlichen Termin wahrzunehmen.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 25. Juni 2014 – 3 Ca 367/13 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, Weiterbeschäftigung sowie über Annahmeverzugsvergütung.

Die Beklagte betreibt ein Altenheim und beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet. Die am xxxxx geborene Klägerin ist seit 1. Juni 2000 bei der Beklagten als Ergotherapeutin zu einer Bruttomonatsvergütung von 3450 € nach Maßgabe des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 5. Mai 2000 (Bl. 198, 199 d.A.) beschäftigt.

Am 16. Juli 2013 forderte die Vorgesetzte der Klägerin (L, jetzt: S) diese auf, am 18. Juli 2013 einen Termin in B wahrzunehmen. Hiermit war die Klägerin nicht einverstanden. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sie dies der Beklagten mit den Worten es gehe ihr nicht gut, sie wolle zum Arzt gehen, erklärte oder ob sie mitteilte, den Termin nicht wahrnehmen zu wollen und sich krankschreiben zu lassen, sollte die Beklagte eine Nichtwahrnehmung des Termins durch sie nicht akzeptieren. Am selben Tag suchte die Klägerin ihre Ärztin, die Zeugin Dr. med. R, auf, die sie für die Zeit vom 16. bis 19. Juli 2013 krankschrieb. Mit Schreiben vom 23. Juli 2013 (Bl. 191 d.A.) mahnte die Beklagte die Klägerin ab, weil die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 16. Juli 2013 erst am 17. Juli 2013 gegen 13:25 Uhr mit der Post bei der Beklagten einging, die Klägerin aber an diesem Tag seit 8:00 Uhr zum Dienst eingeteilt war. Bereits mit Schreiben vom 27. Oktober 2011 (Bl. 60 d.A.) war die Klägerin von der Beklagten abgemahnt worden.

Unter dem 22. Juli 2013 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung der Klägerin an (Bl. 23 d.A.). Mit Schreiben vom 25. Juli 2013, der Klägerin zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und mit Schreiben vom 29. Juli 2013 (Bl. 4 d.A.) ordentlich zum 31. März 2014.

Mit ihrer am 5. August 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2013 gewandt, einen allgemeinen Feststellungsantrag sowie hilfsweise im Falle des Obsiegens einen Weiterbeschäftigungsantrag angekündigt. Mit Beschluss vom 14. Oktober 2013 (Bl. 25 d.A.) forderte das Arbeitsgericht die Klägerin auf, die Anträge im Hinblick auf die ebenfalls ausgesprochene außerordentliche Kündigung klarzustellen. Sodann hat die Klägervertreterin mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2013, eingegangen beim Arbeitsgericht am 15. Oktober 2013, die Klage hinsichtlich der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 25. Juli 2013 nicht beendet wurde sowie um die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung für die Monate August 2013 bis Februar 2014 erweitert (Bl. 26, 39, 61, 66 d.A.).

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 81-82 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Kündigungen seien unwirksam. Nach dem Parteivortrag könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihre zukünftige Arbeitsunfähigkeit angedroht habe. Der vorliegende Fall sei nicht mit der Situation vergleichbar, in der ein Arbeitnehmer seinen Urlaubs- oder anderen Wünschen Nachdruck verleihen wolle. Die Klägerin habe, wie sich auch aus der Aktennotiz vom 16. Juli 2013 (Bl. 23 d.A.) ergebe, lediglich darauf hingewiesen, dass sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, den auswärtigen Termin wahrzunehmen und daran anschließend -nachdem die Beklagte dennoch an dem Entsendungswunsch festhalten wollte- angekündigt, zum Arzt zu gehen. Der Klägerin könne allenfalls vorgeworfen werden, sich ungeschickt verhalten zu haben. Dies rechtfertige weder eine ordentliche noch eine außerordentliche Kündigung. Der allgemeine Feststellungsantrag sei unzulässig, der Zahlungsantrag auf Annahmeverzugsvergütung dagegen begründet.

Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 7. Juli 2014 zugestellt. Er hat dagegen mit einem am 30. Juli 2017 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 7. August 2014 begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht stelle vor allem darauf ab, dass die Klägerin ihrer Behauptung nach zum Zeitpunkt der Äußerung bereits arbeitsunfähig gewesen sei. Dies sei jedoch von der Beklagten bestritten worden, so dass das Arbeitsgericht hätte Beweis erheben müssen. Die Klägerin habe eine Erkrankung ausdrücklich nur für den Fall angekündigt, dass sie an der Schulung teilnehmen solle. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das Gespräch zwischen der Klägerin und Frau L am 16. Juli 2013 stattfand, die Klägerin ihre Erkrankung aber für den 18. Juli 2013 angekündigt habe. Es sei nicht nachvollziehbar, dass hierin lediglich die Mitteilung einer zu erwartenden zukünftigen teilweisen Arbeitsunfähigkeit liegen sollte. Die Indizwirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei durch die vorherige Androhung der Erkrankung erschüttert, so dass dieser keine Beweiswirkung zukomme. Das Arbeitsgericht hätte die Zeugin L vernehmen müssen. Die Aktennotiz (Bl. 22 d.A.) sei missverständlich. Die Zeugin L könne bestätigen, dass die Klägerin bereits in den Vorgesprächen die angeblichen gesundheitlichen Gründe immer in einen konditionalen Zusammenhang mit der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung gestellt habe. Die Klägerin habe nicht lediglich darauf hingewiesen, dass sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, den auswärtigen Schulungstermin wahrzunehmen und anschließend ankündigt zum Arzt zu gehen. Vielmehr habe sich der Sachverhalt eindeutig als Androhung einer Krankschreibung für den Fall des Festhaltens an der Entsendung der Klägerin zur Schulung dargestellt. Die Klägerin habe am 16. Juli 2013 nicht geäußert, sie fühle sich krank. Sie habe unmissverständlich gesagt, sich krankschreiben zu lassen, sollte die Beklagte an ihrer Teilnahme an der Schulung festhalten. Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin an Arthrose leidet und deswegen generell, insbesondere am 16., 17. und 18. Juli 2013 Ibuprofen 800 eingenommen habe. Jedenfalls habe sie dies zu keinem Zeitpunkt gesagt. Die Beklagte bestreitet, dass die Klägerin aufgrund der Einnahme von Ibuprofen 800 an Übelkeit leidet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda vom 25. Juni 2014-3 Ca 367/13 -abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie rügt die Betriebsratsanhörung als nicht ordnungsgemäß. Sie bestreitet, dass sie sich am 16. Juli 2013 dahingehend geäußert habe, sie werde sich krankmelden, wenn sie nicht von dem Termin in B freigestellt werde. Vielmehr habe sie gesagt, dass sie den Termin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen könne. Aus der Aktennotiz (Bl. 22 d.A.) ergebe sich, dass Frau L der Klägerin Hilfen angeboten habe. Dieses Hilfsangebot ergebe nur dann einen Sinn, wenn die Klägerin vorher erläutert hat, dass und aus welchen Gründen sie den Termin nicht wahrnehmen kann. Die Klägerin habe bereits vor dem 16. Juli 2013 an einer schweren Arthrose gelitten, weshalb sie starke Schmerzmittel einnehmen müsse. Diese bewirkten bei ihr Übelkeit. Schon während ihres Urlaubs in der Zeit vom 24. Juni bis 14. Juli 2013 habe die Klägerin starke Beschwerden wegen der Arthrose gehabt und deshalb Ibuprofen 800 eingenommen, wodurch bei ihr Übelkeit hervorgerufen worden sei. Auch am Morgen des 16. Juli 2013 sei dies der Fall gewesen. Die Übelkeit sei so stark gewesen, dass sie eigentlich arbeitsunfähig krank gewesen sei. Sie habe dies aber nicht an die große Glocke gehängt. Ihre übliche Arbeit als Ergotherapeutin habe sie einigermaßen erledigen können. Als Frau L dann an diesem Vormittag mit dem Ansinnen auf die Klägerin zugegangen sei, sie könne an dem Informationsgespräch in B teilnehmen, habe die Klägerin ihr mitgeteilt, dass sie sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sehe, mit dem Auto nach B zu fahren, da ihr beim Autofahren aufgrund der Tabletteneinnahme noch stärker übel werde. Trotzdem habe Frau L sie dann zu einem Gespräch am 16. Juli 2013 gegen 12:00 Uhr gebeten, in dem die Klägerin deutlich gemacht habe, dass sie den Termin am 18. Juli wegen der Übelkeit aufgrund der Medikamenteneinnahme nicht wahrnehmen könne. Als Frau L dies nicht habe einsehen wollen, habe sich die Klägerin ihre bereits bestehende Erkrankung ärztlich feststellen lassen.

Das Landesarbeitsgericht hat eine schriftliche Zeugenaussage der Zeugin Dr. med. R eingeholt; insoweit wird auf Bl. 183-185 der Akten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Absatz 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. Juli 2013 ist unwirksam.

Die Wirksamkeit der Kündigung wird nicht gem. § 7 KSchG fingiert. Die Klägerin hat rechtzeitig innerhalb der Frist des § 4 S. 1 KSchG Klage erhoben.

Der Umfang der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung im Kündigungsschutzprozess bestimmt sich nach dem Streitgegenstand. Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage mit einem Antrag nach § 4 S. 1 KSchG ist, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien aus Anlass einer bestimmten Kündigung zu dem in ihr vorgesehenen Termin aufgelöst worden ist. Die begehrte Feststellung erfordert nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung. Mit Rechtskraft des der Klage stattgebenden Urteils steht deshalb fest, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwischen den streitenden Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat, das nicht schon zuvor durch andere Ereignisse aufgelöst worden ist (sogenannter erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff, Bundesarbeitsgericht 26. September 2013 -2 AZR 682/12- Rn. 18; 23. Mai 2013 -2 AZR 102/12- Rn. 13; 22. November 2012 -2 AZR 732/11- Rn. 19; 10. November 2005 -2 AZR 623/04- Rn. 30; 5. Oktober 1995-2 AZR 909/94-Rn. 31). Dies gilt selbst dann, wenn diese von keiner Seite in den Prozess eingeführt wurden (Bundesarbeitsgericht 18. Dezember 2014 -2 AZR 163/14- Rn. 22).

Zwar hat die Klägerin mit ihrer am 5. August 2013 eingegangenen Kündigungsschutzklage ausdrücklich nur die (ordentliche) Kündigung der Beklagten vom 29. Juli 2013 angegriffen. Erst auf Hinweis des Arbeitsgerichts hat sie am 15. Oktober 2013 die Klage dahingehend erweitert, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die fristlose Kündigung vom 25. Juli 2013 nicht beendet wird. Dies war zwar außerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 S. 1 KSchG. Innerhalb dieser Frist (am 5. August 2013) war jedoch die Klage gegen die ordentliche Kündigung vom 29. Juli 2013 eingegangen. Deren Streitgegenstand erfasst auch die Frage des Bestands des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Zugangs der ordentlichen Kündigung vom 29. Juli 2013 und damit die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 25. Juli 2013.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände “an sich”, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles -jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist- zumutbar ist oder nicht (Bundesarbeitsgericht 20. November 2014 -2 AZR 651/13-Rn. 13 mit weiteren Nachweisen).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem unberechtigten Verlangen auf Gewährung von Urlaub nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (Bundesarbeitsgericht 12. März 2009 -2 AZR 251/07- Rn. 20). Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber nicht berechtigt, diese zu verlangen. Dies gilt auch wenn der Arbeitnehmer bislang trotz bestehender Erkrankung -insoweit gegebenenfalls überobligatorisch- dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung angeboten haben sollte. Weist ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Urlaubsgesuches darauf hin, “dann sei er eben krank”, schließt dies zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht von vornherein aus. Auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als Druckmittel einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen. Unabhängig davon, ob eine bestehende Erkrankung des Arbeitnehmers dazu führt, dass die Ankündigung der Krankschreibung lediglich als Hinweis auf ein ohnehin berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit verstanden werden müsste, wiegt jedenfalls in einem solchen Fall eine mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig weniger schwer. Dann kann nicht ohne weiteres von einer erheblichen, eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigenden Pflichtverletzung ausgegangen werden (Bundesarbeitsgericht 12. März 2009, Rn. 23,24).

Danach liegt ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Hierbei kann der Beklagten zugestanden werden, dass die Äußerung seitens der Beklagten so erfolgte, wie von ihr -der Beklagten- im Verfahren vorgetragen wurde. Danach durfte die Äußerung der Klägerin seitens der Beklagten so verstanden werden, dass diese durch die Ankündigung der Erkrankung von der Verpflichtung zur Teilnahme an der Veranstaltung in B am 18. Juli 2013 entbunden werden wollte. Durch diese Äußerung wurde der Beweiswert der von der Klägerin später vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Die Klägerin hat im Einzelnen vorgetragen, dass sie an Übelkeit gelitten habe, die sie auf die Einnahme des Schmerzmittels Ibuprofen 800, das sie wegen ihrer Arthrose-Erkrankung annimmt, zurückführt. Hierüber hat die Kammer durch Vernehmung der behandelnden Ärztin der Klägerin, Zeugin Dr. med. R, Beweis erhoben.

Diese hat in ihrer schriftlichen Zeugenaussage (Bl. 183-185 der Akten) ausgesagt, dass die Klägerin sie am 16. Juli 2013 als Akutpatientin wegen Diarrhoe und Übelkeit in der Sprechstunde aufgesucht habe. Die Symptomatik und der Befund hätten einem Magen-Darm-Infekt (Gastroenteritis) entsprochen. Die Klägerin habe berichtet, dass sie wegen Gelenkschmerzen “viel Ibu” eingenommen habe. Die Untersuchung habe ergeben: Abdomen weich, Darmgeräusche zweifach -positiv – also vermehrt, wie bei einer Gastroenteritis typisch. Diarrhoe und Übelkeit seien typische Symptome bei Gastroenteritis aber nicht unbedingt führende Nebenwirkungen bei Ibuprofeneinnahme. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde vom 16. bis 19. Juli 2013 ausgestellt. Eine längere Autofahrt sei bei einer Durchfallerkrankung nicht zumutbar. Auch bestehe ein Ansteckungsrisiko für die mitfahrenden Personen. Die von der Patientin geschilderten Beschwerden seien glaubhaft gewesen und hätten sich mit den erhobenen Befunden gedeckt. Für die Zeugin habe kein Anlass bestanden, die Angaben anzuzweifeln. Eine hundertprozentige Möglichkeit nachzuprüfen, ob das den Tatsachen entsprach und ob die Beschwerden bereits am Morgen bestanden, gebe es allerdings nicht.

Die Zeugin ist glaubwürdig. Allein der Umstand dass sie die behandelnde Ärztin der Klägerin ist rechtfertigt es nicht, ihre Aussage von vornherein als wertloses Beweismittel anzusehen. Ihre Aussage ist auch glaubhaft. Die Zeugin schildert sehr eingehend die erhobenen Befunde und die gestellte Diagnose. Sie belegt dies durch einen Auszug aus ihrer Patientendatei sowie die Fotokopie einer Karteikarte. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht auch, dass die Zeugin sehr deutlich zwischen objektiven Befunden (Abdomen weich, Darmgeräusche zweifach positiv) und bloßen Schilderungen der Klägerin unterscheidet.

Damit ist aus Sicht der Kammer bewiesen, dass die Klägerin am 16. Juli tatsächlich arbeitsunfähig krank war und diese Erkrankung bis 19. Juli 2013 andauerte. Die Kammer geht auch davon aus, dass die am 16. Juli 2013 festgestellte Erkrankung bereits zum Zeitpunkt des am selben Tag geführten Gesprächs zwischen der Klägerin und ihrer Vorgesetzten bestand. Es wäre sehr unwahrscheinlich und mit der Lebenserfahrung kaum vereinbar, dass die Gastroenteritis, die von der Zeugin am 16.07.2013 diagnostiziert wurde, zum Zeitpunkt des am selben Tag geführten Gesprächs mit ihrer Vorgesetzten noch nicht vorhanden war. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Gesprächs an der Gastroenteritis erkrankt war. Dass sie die Symptome (Übelkeit) auf die zuvor erfolgte Einnahme von Ibuprofen wegen der Gelenkschmerzen zurückführte, ist ohne Bedeutung, denn auch als Ergotherapeutin ist die Klägerin medizinischer Laie und kann nicht beurteilen, auf welcher Ursache körperliche Beschwerden beruhen, sondern allenfalls hierüber Vermutungen anstellen.

Steht damit fest, dass die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Gesprächs mit ihrer Vorgesetzten am 16. Juli 2013 erkrankt war, wiegt ihre Äußerung, auch wenn sie so, wie von der Beklagten im Prozess vorgetragen, erfolgt sein sollte, nicht so schwer, dass sie eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt.

Die ordentliche Kündigung vom 29. Juli 2013 ist sozial ungerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG. Sie ist nicht aus verhaltensbedingten Gründen gerechtfertigt. Auch wenn sich die Klägerin, wie von der Beklagten vorgetragen gegenüber ihrer Vorgesetzten geäußert haben sollte, stellt dies zwar eine Verletzung ihrer Pflichten aus dem Schuldverhältnis i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB dar, die jedoch aufgrund des Umstands, dass sie tatsächlich bereits zu diesem Zeitpunkt arbeitsunfähig krank war, weniger schwer wiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Lebensalter der Klägerin von im Zeitpunkt der Kündigung 61 Jahren zu berücksichtigen, aufgrund dessen es für die Klägerin mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte, eine vergleichbare Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Zu berücksichtigen ist auch ihre Betriebszugehörigkeit seit 1. Juni 2000, also von zum Kündigungszeitpunkt mehr als 13 Jahren. Andererseits war das Arbeitsverhältnis aufgrund der Abmahnungen vom 24. Oktober 2011 (Bl. 60 d.A.) und 23. Juli 2013 (Bl. 191 d.A.) belastet. Hinsichtlich der Abmahnung vom 27. Oktober 2011 ist jedoch zu berücksichtigen, dass das dort gerügte Fehlverhalten (Nichtbenachrichtigung des Arbeitgebers über einen Spaziergang mit einem Kurzzeitpflegegast, was eine Suchaktion auslöste) zwar zu einer großen Aufregung im Hause der Beklagten geführt haben mag, aber letztlich weniger schwerwiegend war. Auch die der Abmahnung vom 23. Juli 2013 zu Grunde liegende nicht rechtzeitige Anzeige der Arbeitsunfähigkeit stellt keine gravierende Belastung der Vertragsbeziehung der Parteien dar. Die Kammer stellt daher die Prognose, dass das Arbeitsverhältnis in Zukunft von beiden Parteien ohne nennenswerte Beeinträchtigungen fortgesetzt werden kann.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch ergibt sich aus §§ 611, 613,242 BGB, der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung aus §§ 615, 293 ff. BGB, dessen Verzinsung aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

III. Die Beklagte hat die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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