Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 07.09.2015 – 14 Ta 458/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 07.09.2015 – 14 Ta 458/15

Entscheidet das Arbeitsgericht erst nach Durchführung einer Beweisaufnahme und nach Erlass seines klageabweisenden Urteils über den Prozesskostenhilfeantrag zulasten der klagenden Partei, verstößt ein solches Vorgehen gegen deren Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG .

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bochum vom 8. Juli 2015 (5 Ca 574/15) abgeändert.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung vom 19. März 2015 für den ersten Rechtszug bewilligt.

Zur Wahrnehmung seiner Rechte in diesem Rechtszug wird ihm Rechtsanwalt C aus I beigeordnet.

Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger beantragte mit seiner am 19. März 2015 eingegangenen Zahlungsklage zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen beigefügt, auf deren Grundlage unter dem 30. März 2015 festgestellt wurde, dass insoweit die Voraussetzungen für eine Bewilligung ohne Zahlungsanordnung vorliegen.

Die Beklagte legte mit ihrer am 13. April 2015 eingegangenen Klageerwiderung eine von ihr vorformulierte und vom Kläger unterzeichnete “Ausgleichsquittung” vom 24. März 2015 vor, welche neben der Bestätigung des Empfangs verschiedener Arbeitspapiere folgende Erklärung als letzten Absatz enthielt:

Nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers war ihm von dem “Seniorchef”, dem Vater der Geschäftsführer der Beklagten, vor der Unterzeichnung erklärt worden, er müsse den Empfang der Arbeitspapiere quittieren, und sodann die Erklärung vorgelegt worden. Bestritten war die weitere Behauptung des Klägers, diese habe den Schlussabsatz nicht enthalten. Das Arbeitsgericht vernahm den Vater als Zeugen und wies sodann die Klage mit Urteil vom 17. Juni 2015 ab; der Kläger hat hiergegen Berufung eingelegt.

Am 8. Juli 2015 erfolgte die Zurückweisung des Prozesskostenhilfeantrages, der Beschluss wurde dem Kläger am 27. Juli 2015 zugestellt. Hiergegen richtet sich die am 20. August 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Beschwerde.

II. Die gemäß § 46 Abs. 2 Satz 3, § 78 Satz 1 ArbGG, § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Klägers vom 18. August 2015, welche rechtzeitig nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 27. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht am 20. August 2015 eingegangen ist, ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 Abs. 1 ZPO abgelehnt.

1. Das Arbeitsgericht hat verkannt, dass seine ohne erkennbaren sachlichen Grund erst nach Abschluss des Verfahrens ergangene Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die zu diesem Zeitpunkt auf Grundlage des ergangenen Urteils von ihm erfolgte tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Gesuchs nicht maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist.

a) Der Kläger hatte bereits mit seiner am 19. März 2015 beim Gericht eingegangenen Klageschrift Prozesskostenhilfe beantragt und eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen beigefügt. Auf Grundlage dieser Erklärung wurde von der Rechtspflegerin bereits am 30. März 2015 festgestellt, dass – vorbehaltlich einer hinreichenden Erfolgsaussicht – die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung erfüllt sind.

Nach Vorlage der hier strittigen Ausgleichsquittung durch die Beklagte hatte der Kläger bereits vor dem Gütetermin vorgetragen, dass der später vernommene Zeuge vor der Übergabe der Arbeitspapiere ihm mitgeteilt hatte, dass der Kläger den Empfang der Arbeitspapiere quittieren müsse, und ihm sodann die vorgefertigte Erklärung vorgelegt hatte. Nach Erinnerung des Klägers habe diese den Schlussabsatz, wonach wechselseitig keine Ansprüche mehr bestehen, bei der Gegenzeichnung nicht enthalten. Dieses Vorbringen vertiefte er sodann vor dem Kammertermin vom 17. Juni 2015 unter Beweisantritt mit seinem Schriftsatz vom 22. Mai 2015. Auf der Grundlage dieses Vorbringens hat das Arbeitsgericht sodann eine Beweisaufnahme für erforderlich gehalten. Damit bestand zwingend zu diesem Zeitpunkt hinreichende Erfolgsaussicht für die erhobene Klage. Auch im Urteil hat das Arbeitsgericht die Abweisung der Klage nicht mit deren Unschlüssigkeit, sondern mit dem aus seiner Sicht für den Kläger negativen Ergebnis der Beweisaufnahme begründet.

b) Sachliche Gründe dafür, dass das Arbeitsgericht nicht schon vor dem Kammertermin am 17. Juni 2015 über das Prozesskostenhilfegesuch entschieden hat, sondern erst nach Zustellung des an diesem Tag verkündeten Urteils, sind nicht erkennbar. Unabhängig davon, ob man bereits der Auffassung folgt, dass grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife (Bewilligungsreife) des Prozesskostenhilfegesuchs für die Beurteilung der Erfolgsaussicht maßgeblich ist (vgl. dazu und zum Streitstand: LAG Hamm, 22. Juli 2013, 14 Ta 138/13, […]), ist es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, 7. März 2012, XII ZB 391/10, NJW 2012, 1964) und des Beschwerdegerichts (vgl. LAG Hamm, 2. Februar 2002, 4 (14) Ta 24/02, NZA-RR 2003, 151; 27. Januar 2006, 4 Ta 854/05, NZA RR 2006, 601) anerkannt, dass es nicht zu Lasten der Partei geht, wenn die Entscheidung über das bewilligungsreife Prozesskostenhilfegesuch vom Gericht verzögert wird und sich infolge der Verzögerung die Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussicht zum Nachteil der antragstellenden Partei verändert hat (vgl. BGH, a. a. O.). Bei einem “steckengebliebenen” Prozesskostenhilfegesuch, das zwar rechtzeitig eingegangen ist, aber vom Gericht vor Instanzbeendigung nicht beschieden wird, ist nicht der Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch maßgeblich, wenn bis zur Beendigung der Instanz oder des Verfahrens die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung tatsächlich aussichtsreich war und ein formgerechter Antrag mit den erforderlichen Belegen eingereicht wurde (vgl. LAG Hamm, a. a. O.).

Nur diese Auffassung wird den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht, gegen welche das Arbeitsgericht mit seiner Vorgehensweise verstoßen hat, in dem es nach Erlass seiner Entscheidung in der Hauptsache den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen und zur Begründung lediglich seine Urteilsgründe in der angefochtenen Entscheidung wiederholt hat. Der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebots des Art. 20 Abs. 3 GG wird (auch) dann verletzt, wenn das Gericht gleichzeitig oder erst nach seiner Hauptsacheentscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe entscheidet und sich zur Begründung seiner Ablehnung auf die Gründe seiner Hauptsacheentscheidung stützt (vgl. BVerfG, 26. Juni 2003, 1 BvR 1152/02, NJW 2003, 3190; 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05, NJW 2005, 3489; 19. Dezember 2007, 1 BVR 2036/07, FamRZ 2008, 581). Diese Entscheidung würdigt das Geschehen in einer mündlichen Verhandlung, die erst nach Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrages stattgefunden hat. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten kann dies kein Grund sein, dem Rechtschutzbegehren – gewissermaßen nachträglich – die Erfolgsaussichten abzusprechen, die zuvor bestanden haben (vgl. BVerfG, 19. Dezember 2007, a. a. O.). Eine solche Beurteilung des Anspruchs auf Gewährung von Prozesskostenhilfe stellt eine vielmehr unzulässige Betrachtung im Nachhinein dar (vgl. BVerfG, 13. Juli 2005, a. a. O.).

c) Bestand danach im vorliegenden Fall die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme, war damit zwingend auch eine hinreichende Erfolgsaussicht für die vom Kläger erhobene Zahlungsklage gegeben. Dies führt zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren. Der Nettolohnanspruch als solcher ist unstreitig, es geht nur noch um die Berechtigung der Schadensersatzansprüche der Beklagten, wegen denen sie die Lohneinbehalte vorgenommen hat.

2. Aufgrund der anwaltlichen Vertretung der Gegenseite war dem Kläger ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO).

Der Kläger ist ausweislich seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, einen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten. Auf die Berechnung, welche der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren durch den Beschluss des Berufungsgerichts vom 19. August 2015 (3 Sa 1033/15 PKH) zugrunde liegt, wird Bezug genommen.

3. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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