Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 01.10.2015 – 18 Sa 157/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 01.10.2015 – 18 Sa 157/15

Die in § 23 Abs. 1 AVR-Caritas geregelte Ausschlussfrist ist gemäß §§ 134 , 202 Abs. 1 BGB unwirksam, soweit Ansprüche des Arbeitgebers betroffen sind, die auf vorsätzlichen Schadensersatz begründenden Handlungen des Arbeitnehmers beruhen (Fortführung von BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12 ).

Tenor:

Die Berufung der Beklagten zu 1. gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 02.09.2014 – 4 Ca 2530/13 – wird zurückgewiesen.

Das erstinstanzliche Urteil wird klarstellend wie folgt gefasst:

Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an die Klägerin 3.943.875,86 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

aus

9.442,93 € seit dem 12.06.2009,

23.505,70 € seit dem 16.06.2009,

20.363,38 € seit dem 05.10.2009,

8.678,42 € seit dem 26.10.2009,

8.405,13 € seit dem 29.10.2009,

58.554,73 € seit dem 03.11.2009,

34.069,43 € seit dem 11.11.2009,

21.202,54 € seit dem 18.11.2009,

12.252,43 € seit dem 27.11.2009,

8.768,55 € seit dem 09.02.2010,

14.391,53 € seit dem 22.02.2010,

5.455,71 € seit dem 22.02.2010,

43.318,20 € seit dem 26.02.2010,

35.223,45 € seit dem 16.03.2010,

32.917,29 € seit dem 16.04.2010,

59.473,58 € seit dem 19.05.2010,

73.926,56 € seit dem 20.05.2010,

41.988,05 € seit dem 21.05.2010,

69.572,75 € seit dem 21.06.2010,

31.932,11 € seit dem 23.06.2010,

82.650,60 € seit dem 25.06.2010,

73.695,60 € seit dem 20.08.2010,

95.243,28 e€ seit dem 13.10.2010,

78.015,84 € seit dem 19.10.2010,

69.095,90 € seit dem 19.10.2010,

421.033,11 € seit dem 09.11.2010,

7.153,76 € seit dem 20.06.2011,

66.029,39 € seit dem 21.06.2011,

197.105,42 € seit dem 05.07.2011,

340.065,28 € seit dem 25.07.2011,

397.939,78 € seit dem 24.02.2012,

234.064,45 € seit dem 27.02.2012,

373.667,97 € seit dem 08.05.2012,

448.182,63 € seit dem 07.09.2012,

397.125,23 € seit dem 14.09.2012,

49.347,15 € seit dem 22.01.2013

abzüglich

am 13.06.2014 gezahlter 11.250,- €,

am 31.07.2014 gezahlter 80.000,- € sowie

am 25.08.2014 gezahlter 18.625,05 €

zu zahlen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 1).

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund von der Beklagten zu 1) begangener Untreuehandlungen, den Verfall dieser Ansprüche und die Beteiligung des Beklagten zu 2) an diesen Handlungen. Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus. Die Beklagten sind Eheleute.

Die Beklagte zu 1) ist 1980 geboren und war vom 01.08.2008 bis zum 30.04.2013 bei der Klägerin zuletzt – seit dem 01.04.2010 – als Leiterin der Buchhaltung beschäftigt. In § 2 des Dienstvertrages, den die Parteien unter dem 28.05.2008 abschlossen, ist geregelt, dass für das Dienstverhältnis die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) gelten. In § 23 AVR heißt es:
“§ 23 Ausschlussfrist (1) Ansprüche aus dem Dienstverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Mitarbeiter oder vom Dienstgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit die AVR nichts anderes bestimmt. (2) Für denselben Sachverhalt reicht die einmalige Geltendmachung des Anspruches aus, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen.”

Der Beklagte zu 2) ist 1968 geboren. Er ist Bilanzbuchhalter, Certified IFRS Accountant und Prüfer bei der IHK. Er war auf Grundlage von zwei Verträgen über freie Mitarbeit (Ablichtung Blatt 88 ff. der Akten) vom 01.06.2010 bis 30.11.2010 und ab 01.11.2011 im Bereich “Unterstützung bei allen anfallenden Arbeiten in der Buchhaltung und im Controlling” für die Klägerin tätig. Die Verträge nehmen nicht Bezug auf die AVR.

Die Beklagte zu 1) veranlasste zwischen dem 12.06.2009 und 22.01.2013 eine Vielzahl von Überweisungen in Höhe von insgesamt 3.943.875,86 € an Freunde und Bekannte, ohne dass es einen Rechtsgrund für diese Zahlungen gab. Wegen der Zeitpunkte der Überweisungen, der Beträge und der Zahlungsempfänger wird auf die Auflistung in der Klageschrift (Bl. 6 – 9 d. A.) Bezug genommen.

Die Organisationsstruktur der Klägerin basiert auf dem Prinzip der Funktionstrennung und der sog. Vier-Augen-Kontrolle. Die Abteilungen prüfen sachliche und rechnerische Richtigkeit und geben die geprüften Belege zur Buchung und Zahlung in die Buchhaltung. Von der Buchhaltung erstellte Zahlungsläufe sind vor der Überweisung der Verwaltungsleitung – vorrangig dem stellvertretenden Verwaltungsleiter – zur Prüfung vorzulegen. Das Vier-Augen-Prinzip ist zusätzlich bei den Banken und im EDV-Zahlungsverkehrsprogramm abgesichert. Es sind zwei elektronische Signaturen für einen Zahlungslauf erforderlich. Auch zwischen Debitoren- und Kreditorenbuchhaltern findet eine Funktionstrennung und Kontrolle statt. Zur Aushebelung der Sicherheitsmechanismen ist grundsätzlich ein Zusammenwirken von zwei Personen erforderlich.

Die Beklagte zu 1) führte die streitgegenständlichen Überweisungen mit Hilfe eines Mitarbeiters aus, der teilweise unterzeichnete und dessen Kennung die Beklagte teilweise verwendete. Zum Zeitpunkt der Quartalsabschlüsse machte die Beklagte das maßgebliche Konto durch “Scheinbuchungen” nachträglich “passend”. Die Beklagte zu 1) nahm einer Buchhalterin die Kontrolle der Kontoauszüge und der damit verbundenen Buchungen ab und betraute sie mit anderen Aufgaben.

Die Beklagte zu 1) verfasste unter dem 18.04.2013 ein handschriftliches Schreiben (Abl. Bl. 329 f. d. A.), mit dem sie unrechtmäßige Überweisungen einräumte und Rückzahlungen zusicherte. Mit Schreiben vom 07.05.2013 machte die Klägerin erstmals schriftlich Schadensersatzansprüche in Höhe von 3.117.568,28 € für den Zeitraum 13.10.2010 bis 14.09.2012 gegenüber der Beklagten zu 1) geltend. Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.05.2013 (Abl. Bl. 95 d. A.) ließ die Beklagte zu 1) mitteilen, sie sei bemüht, im Hinblick auf die Rückzahlung des geltend gemachten Betrages “wirtschaftlich vernünftige Lösungen zu finden”.

Mit Schreiben vom 16.05.2013 machte die Klägerin die Höhe des zu dem Zeitpunkt bekannt gewordenen Schadensumfangs (3.684.091,74 €) gegenüber der Beklagten geltend. Am 12.06.2013 fand ein Gespräch zwischen den Parteien über die Modalitäten einer Schadenswiedergutmachung statt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.06.2013 (Abl. Bl. 97 d. A.), ließ die Beklagte zu 1) mitteilen, sie sei “nach wie vor bereit und willig, den durch sie verursachten Schaden so gut es eben geht wieder gutzumachen.”

Erst mit der am 09.01.2014 zugestellten Klageschrift machte die Klägerin den letztlich streitgegenständlichen Schadensumfang in voller Höhe geltend.

Die Klägerin hat – zusammengefasst – Folgendes vorgetragen: Die Schadensersatzansprüche seien nicht nach § 23 AVR verfallen. Die Klägerin habe die Taten der Beklagten zu 1) erst am 18.04.2013 entdeckt und sei in Ermittlungen eingetreten. Sie habe bis zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis von den Taten erlangen können. Die Beklagte zu 1) habe ihre Taten verschleiert. Es sei nicht möglich gewesen, anhand der Konten Differenzen festzustellen, da jährlich ein Zahlungsvolumen von über 100 Millionen Euro mit einer sechs- bis siebenstelligen Anzahl von Buchungen bewegt worden sei. Zudem seien die liquiden Mittel der Klägerin in den Jahren 2009 bis 2012 aufgrund einer erfolgreichen wirtschaftlichen Sanierung des Unternehmens trotz der Veruntreuungshandlungen kontinuierlich gestiegen. Die Beklagte zu 1) könne sich nicht auf den Verfall der Schadensersatzansprüche berufen, da sie ihre Haftung außergerichtlich bereits eingeräumt und von Anfang an Regulierungsbereitschaft signalisiert habe. Der Beklagte zu 2) sei zumindest in der Zeit vom 09.02.2010 bis zum 09.11.2010 an 15 Untreuehandlungen beteiligt gewesen.

Die Klägerin hat ihre Schadensersatzansprüche ursprünglich ohne Abzug geltend gemacht. Sie verfolgt Erstattungsansprüche gegen die Zahlungsempfänger vor den ordentlichen Gerichten und erhielt nach Klageerhebung am 13.06.2014 einen Betrag von 11.250,- €, am 31.07.2014 einen Betrag von 80.000,- € sowie am 25.08.2014 einen Betrag von 18.625,05 € zurück. In dieser Höhe hat die Klägerin den Rechtsstreit im Kammertermin zunächst einseitig für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich hierzu nicht ausdrücklich erklärt.

Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 3.943.875,86 € – in Höhe eines Betrages von 1.122.137,40 € als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 2) – nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 9.442,93 € seit dem 12.06.2009, 23.505,70 € seit dem 16.06.2009, 20.363,38 € seit dem 05.10.2009, 8.678,42 € seit dem 26.10.2009, 8.405,13 € seit dem 29.10.2009, 58.554,73 € seit dem 03.11.2009, 34.069,43 € seit dem 11.11.2009, 21.202,54 € seit dem 18.11.2009, 12.252,43 € seit dem 27.11.2009, 8.768,55 € seit dem 09.02.2010, 14.391,53 € seit dem 22.02.2010, 5.455,71 € seit dem 22.02.2010, 43.318,20 € seit dem 26.02.2010, 35.223,45 € seit dem 16.03.2010, 32.917,29 € seit dem 16.04.2010, 59.473,58 € seit dem 19.05.2010, 73.926,56 € seit dem 20.05.2010, 41.988,05 € seit dem 21.05.2010, 69.572,75 € seit dem 21.06.2010, 31.932,11 € seit dem 23.06.2010, 82.650,60 € seit dem 25.06.2010, 73.695,60 € seit dem 20.08.2010, 95.243,28 € seit dem 13.10.2010, 78.015,84 € seit dem 19.10.2010, 69.095,90 € seit dem 19.10.2010, 421.033,11 € seit dem 09.11.2010, 7.153,76 € seit dem 20.06.2011, 66.029,39 € seit dem 21.06.2011, 197.105,42 € seit dem 05.07.2011, 340.065,28 € seit dem 25.07.2011, 397.939,78 € seit dem 24.02.2012, 234.064,45 € seit dem 27.02.2012, 373.667,97 € seit dem 08.05.2012, 448.182,63 € seit dem 07.09.2012, 397.125,23 € seit dem 14.09.2012, 49.347,15 € seit dem 22.01.2013 abzüglich am 13.06.2014 gezahlter 11.250,- €, am 31.07.2014 gezahlter 80.000,- € sowie am 25.08.2014 gezahlter 18.625,05 € zu zahlen; 2. den Beklagte zu 2) als Gesamtschuldner mit der Beklagten zu 1) zu verurteilen, an die Klägerin 1.122.137,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5-%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 8.768,55 € seit dem 09.02.2010, 14.391,53 € seit dem 22.02.2010, 5.455,71 € seit dem 22.02.2010, 43.318,20 € seit dem 26.02.2010, 35.223,45 € seit dem 16.03.2010, 32.917,29 € seit dem 16.04.2010, 59.473,58 € seit dem 19.05.2010, 73.926,56 € seit dem 20.05.2010, 41.988,05 € seit dem 21.05.2010, 69.572,75 € seit dem 21.06.2010, 73.695,60 € seit dem 20.08.2010, 95.243,28 € seit dem 13.10.2010, 78.015,84 € seit dem 19.10.2010, 69.095,90 € seit dem 19.10.2010, 421.033,11 € seit dem 09.11.2010 abzüglich am 13.06.2014 gezahlter 11.250,- €, am 31.07.2014 gezahlter 80.000,- € sowie am 25.08.2014 gezahlter 18.625,05 € zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1) ist den Schadensersatzansprüchen dem Grunde und der Höhe nach nicht entgegengetreten, hat aber die Auffassung vertreten, die Schadensersatzansprüche der Klägerin seien nach § 23 AVR verfallen. Hierzu hat die Beklagte zu 1) – zusammengefasst – Folgendes vorgetragen: Die Klägerin habe es versäumt, sich rechtzeitig einen Überblick über die Gründe für ihre Kontenfehlbestände zu verschaffen. Aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen dem von der Klägerin behaupteten Zeitpunkt der Kenntniserlangung am 18.04.2013 und dem ersten Geltendmachungsschreiben vom 07.05.2013 sei ersichtlich, dass die Schadenspositionen unproblematisch zu ermitteln und zu addieren gewesen seien. Die Geschäftsleitung der Klägerin habe aus dem täglich vorgelegten Finanzstatus unschwer den Abfluss von Schadensbeträgen in Höhe von annähernd 4 Millionen Euro bemerken können. Auch der stellvertretende Verwaltungsleiter habe erkennen können, dass mehr Geld ausgegeben als von ihm abgezeichnet wurde. Im Rahmen der Jahresabschlusserstellung 2010 habe der Sachbearbeiter einer externen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft darauf hingewiesen, dass erhöhte Forderungsabschreibungen auffielen, nachdem die Beklagte die in der Klageschrift vorgetragenen Ausfälle als Forderungsausfälle gebucht hatte. Die Klägerin habe aber durch ihren Verwaltungsleiter bestätigt, dass die Forderungsabschreibungen unbedenklich seien. Die Klägerin habe es in fahrlässiger Weise verabsäumt, sie zu kontrollieren. Die vorgerichtliche Bereitschaft der Beklagten zu 1), den Schaden wieder gut zu machen, stehe dem Verfall nicht entgegen, da zu diesem Zeitpunkt die Ansprüche bereits verfallen gewesen seien.

Der Beklagte zu 2) hat die Schadensersatzansprüche dem Grunde nach bestritten und eine Beteiligung an den Taten der Beklagten zu 1) in Abrede gestellt. Er hat sich ebenfalls auf Verfall berufen.

Die Beklagte zu 1) hat im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 02.09.2014 die ordnungsgemäße Besetzung der Kammer im Hinblick auf die Person des Vorsitzenden gerügt. Die erkennende Kammer des Arbeitsgerichts war an diesem Tag mit einem Richter als Vorsitzenden besetzt, der planmäßig am Arbeitsgericht Dortmund tätig ist. Aufgrund der bei dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen seinerzeit noch nicht besetzten Direktorenstelle und der krankheitsbedingten Abwesenheit eines weiteren Richters am Arbeitsgericht Gelsenkirchen ist der Vorsitzende mit seinem Einverständnis durch Teilabordnung unter Übertragung eines weiteren Richteramtes an das Arbeitsgericht Gelsenkirchen abgeordnet worden. Die Abordnung erfolgte mit der Verfügung des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29.07.2014 (Ablichtung Bl. 565 der Akten). Sie wurde dem Vorsitzenden sowie der Vertreterin im Amt des Direktors des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen mit Schreiben vom selben Tag mitgeteilt. Das Präsidium des ArbG Gelsenkirchen hat durch Beschluss vom 11.08.2014 (Abl. Bl. 453 R d. A.) den Geschäftsverteilungsplan des richterlichen Dienstes, soweit dies den 02.09.2014 betrifft, wie folgt geändert:
“Sachverhalt: Aufgrund der längerfristigen Erkrankung des Vorsitzenden der 4. Kammer und der dankenswerter Weise durch die Richter des ArbG Dortmund zugesagten Unterstützung ist die Vertretungsregelung des Geschäftsverteilungsplanes anzupassen. Beschluss: 1. […] 2. Abweichend von der Vertretungsregelung nach A.I.2 des Geschäftsverteilungsplans vertritt ….. ….. den Vorsitz der 4. Kammer ……, der Ri am ArbG X bei der Wahrnehmung des für den 02.09.2014 anberaumten Kammertermins ….. . Gelsenkirchen, den 11.08.2014.”

Das Arbeitsgericht hat im Wege des Teilurteils der Klage gegen die Beklagte zu 1) stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Untreuehandlungen der Beklagten zu 1) seien als unstreitig zugrunde zu legen, da die Beklagte zu 1) solche Handlungen eingeräumt habe, ohne einzelne Schadenspositionen konkret zu bestreiten. Die Schadensersatzansprüche der Klägerin seien nicht verfallen. Die Klägerin habe ihre Ansprüche rechtzeitig gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht. Die Klägerin habe erst am 18.04.2013 von den Taten der Beklagten zu 1) Kenntnis erlangt. Die Schadensersatzansprüche seien nicht vor Kenntniserlangung fällig geworden. Die Klägerin habe es nicht fahrlässig versäumt, die Untreuehandlungen früher zu erkennen. Die Beklagte habe die Buchhaltung geleitet und die Buchführung so manipuliert, dass ihre Untreuehandlungen gerade nicht erkennbar gewesen seien. Eine Pflicht der Klägerin, die Tätigkeit der Beklagten ohne besonderen Anlass im Detail zu überprüfen, habe nicht bestanden.

Im Übrigen wird, auch zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz, auf das arbeitsgerichtliche Teilurteil Bezug genommen.

Das Teilurteil ist der Beklagten zu 1) am 03.02.2015 zugestellt worden. Sie hat mit einem Schriftsatz, der am 02.02.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt und die Berufung mit einem 04.05.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist durch gerichtlichen Beschluss bis zum 04.05.2015 verlängert worden war.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte zu 1) vorrangig das Ziel, das Teilurteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Gelsenkirchen zurückzuweisen. Die Beklagte zu 1) meint, das Gericht sei unrichtig besetzt gewesen und habe unzulässigerweise durch Teilurteil entschieden. Die unrichtige Besetzung des Gerichts ergebe sich daraus, dass eine Abordnungsverfügung des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Hamm sich nicht in den Akten des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen befunden habe, in denen der Geschäftsverteilungsplan und die diesen ergänzenden Beschlüsse aufbewahrt worden seien. Nach § 19 Abs. 2 ArbGG habe nicht der Präsident des Landesarbeitsgerichts, sondern das Präsidium des Landesarbeitsgerichts die Vertretung einsetzen müssen. Nehme man an, die Abordnung des Vorsitzenden sei nicht gemäß § 19 ArbGG, sondern nach § 37 DRiG erfolgt, sei die Abordnung fehlerhaft, da sie in diesem Fall nur dann hätte erfolgen dürfen, wenn eine gerichtsinterne Regelung nicht möglich gewesen sei. Der Beschluss des Präsidiums des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 11.08.2014 sei rechtsfehlerhaft. Eine Notwendigkeit zur Vertretung durch einen auswärtigen Richter bestehe nicht, wenn die Vertretung des Vorsitzenden gerichtsintern mit Hilfe des Geschäftsverteilungsplans möglich sei. Bedenklich sei zudem die Zuweisung des Richters nur für einen Verhandlungstag. Es liege ein schwerer Verfahrensfehler vor, da der Beklagten zu 1) der gesetzliche Richter ohne ausreichend begründeten Anlass entzogen worden sei. Es komme hinzu, dass das Arbeitsgericht unzulässigerweise durch ein Teilurteil entschieden habe, weil es ausweislich des Tenors die Beklagte zu 1) “in Höhe eines Betrages von 1.122.137,40 Euro als Gesamtschuldner mit dem Beklagten zu 2)” verurteilt habe. An einer Begründung gegenüber dem Beklagten zu 2) fehle es jedoch. Falls das Gericht im Rechtsstreit gegen den Beklagten zu 2) zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass er in Ermangelung einer deliktischen Handlung nicht hafte, scheide eine Gesamtschuld mit der Beklagten zu 1) aus. In diesem Fall könne die Beklagte zu 1) nach dem Urteilstenor gleichwohl den Beklagten zu 2) in einen Gesamtschuldnerregress nehmen. Für die Frage der gesamtschuldnerischen Haftung sei die gemeinsame Vorfrage zu klären, ob es ein Zusammenwirken beider Beklagten gegeben habe. Auch die Frage, ob ein Verfall eingetreten sei, gelte für die gesamte Klageforderung.

Hilfsweise begehrt die Beklagte zu 1), das erstinstanzliche Teilurteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht entschieden, dass die Schadensersatzforderungen nicht nach § 23 AVR verfallen seien. Ein Schadensersatzanspruch sei bereits dann fällig, wenn er feststellbar sei und geltend gemacht werden könne; dies sei der Fall, sobald der Gläubiger sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern verschaffen und seine Forderungen wenigstens annähernd beziffern könne. Die Klägerin habe es fahrlässig versäumt, sich Kenntnis von den Voraussetzungen für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs zu verschaffen. Den Arbeitgeber treffe eine generelle Verpflichtung, seine Mitarbeiter zu kontrollieren. Es hätten Anzeichen bestanden, die eine Überprüfung der Beklagten zu 1) nicht nur sinnvoll, sondern sogar erforderlich gemacht hätten.

Die Beklagte zu 1) beantragt,
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 02.09.2014, Az.: 4 Ca 2530/13, zugestellt am 03.02.2015, aufzuheben und an das Arbeitsgerichts Gelsenkirchen zurückzuverweisen; hilfsweise dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Der Vorsitzende Richter der erkennenden Kammer sei wirksam bestellt worden. Durch die Entscheidung über die gesamtschuldnerische Haftung gemeinsam mit dem Beklagten zu 2) sei die Beklagte zu 1) gar nicht beschwert. Auf die Nichteinhaltung der Ausschlussfrist nach § 23 AVR könne sich die Beklagte zu 1) nicht berufen, da sie die Schadensersatzforderung anerkannt habe. Es bestehe auch keine generelle anlasslose Pflicht zur Überwachung von Mitarbeitern, vielmehr dürfe der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer zunächst grundsätzlich Vertrauen entgegen bringen. Die Klägerin habe umfangreiche Sicherungsinstrumente eingebaut, die die Beklagte mit massiver krimineller Energie unterlaufen habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten zu 1) ist zulässig.

Die Beklagte zu 1) hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II.

Der Rechtsstreit war nicht an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Es kann offen bleiben, ob das Arbeitsgericht mit Blick auf die Person des Vorsitzenden Richters im Kammertermin vom 02.09.2014 ordnungsgemäß besetzt war. Die fehlerhafte Besetzung der Richterbank stellt keinen Grund zur Zurückverweisung des Rechtsstreits dar.

Insoweit kann lediglich ein Fehler des Verfahrens im ersten Rechtszug vorliegen (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Nach § 68 ArbGG kommt indes die Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren des Arbeitsgerichts nicht in Betracht. Das Zurückverweisungsverbot gilt auch bei schwersten Verfahrensfehlern (BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 864/12; Germelmann, in: Germelmann/Matthes/Prütting, 8. Aufl. 2013, § 68 ArbGG, Rdnr. 3 m.w.N.). Der Verlust eines mangelfreien Verfahrens vor dem Arbeitsgericht soll durch die Beschleunigung des Verfahrens insgesamt aufgewogen werden.

Eine Zurückverweisung an das Arbeitsgericht kommt nur ausnahmsweise dann in Frage, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG, Urteil vom 20.02.2014 – 2 AZR 864/12, Urteil vom 26.06.2008 – 6 AZR 478/07). Das ist etwa der Fall, wenn Sachanträge nicht (wirksam) gestellt wurden oder wenn ein Urteil gegen eine in Wahrheit nicht beklagte Partei ergangen ist. Die unrichtige Besetzung der Richterbank ist damit nicht vergleichbar. Sofern das Gebot des gesetzlichen Richters verletzt wird, ist dieser Mangel zu beheben, indem das ordnungsgemäß besetzte Landesarbeitsgericht über den Rechtsstreit entscheidet (BAG, Urteil vom 25.04.2006 – 3 AZR 78/05). Die fehlerhafte Besetzung des Gerichts kann allenfalls dann zur Zurückverweisung führen, wenn sie auf Willkür beruht (BAG, Urteil vom 25.02.1988 – 2 AZR 500/87). So verhält es sich im Streitfall aber nicht. Der Vorsitzende wurde nicht willkürlich eingesetzt. Seinem Tätigwerden lagen eine Abordnungsverfügung des Präsidenten des LAG Hamm und ein Beschluss des Präsidiums des Arbeitsgerichts zugrunde. Ob gegen die Abordnungsverfügung des Präsidenten oder den Beschluss des Präsidiums rechtliche Bedenken bestehen, kann dahin gestellt bleiben. Beide Maßnahmen halten jedenfalls einer Willkürkontrolle stand. Der Grundsatz zur Gewährung rechtlichen Gehörs wurde nicht verletzt; insbesondere erhielt die Beklagte zu 1) Gelegenheit, die ordnungsgemäße Besetzung der Kammer zu rügen. Das Arbeitsgericht hat sich mit diesem Einwand im Urteil auseinandergesetzt. Die Überlegung, dass die Kammer, hätte ein anderer Vorsitzender die Verhandlung geleitet, zu einer anderen Sachentscheidung gelangt wäre, ist nicht weiterführend, da die Sachentscheidung ohne Weiteres in der Berufungsinstanz korrigiert werden kann.

2. Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 ZPO scheidet ebenfalls aus.

Nach dieser Vorschrift kann die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen werden, wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO erlassenen Teilurteil ist. Ein unzulässiges Teilurteil stellt einen wesentlichen, die Zurückverweisung rechtfertigenden Mangel dar, denn durch die Möglichkeit abweichender Entscheidung im Instanzenzug besteht die Gefahr, dass in der Sache widersprechende Entscheidungen ergehen (Heßler, in: Zöller, 31. Aufl. 2016, § 538 ZPO, Rdnr. 55).

Das vom Arbeitsgericht erlassene Teilurteil erging jedoch nicht entgegen den Voraussetzungen des § 301 ZPO. Nach § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht durch Teilurteil zu entscheiden, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur ein Anspruch zur Endentscheidung reif ist.

Entscheidungsreife setzt voraus, dass das Teilurteil unabhängig vom Schlussurteil erlassen werden kann bzw. zwischen dem durch ein Teilurteil entschiedenen Teil einerseits und dem noch nicht entschiedenen Teil andererseits kein Widerspruch entstehen darf (vgl. dazu und zum Folgenden: BAG, Urteil vom 17.04.2013 – 4 AZR 361/11). Bei Erlass eines Teilurteils darf es nicht auf solche Urteils- oder Begründungselemente ankommen, die auch bei der weiteren Entscheidung über den noch nicht entscheidungsreifen Teil maßgeblich sein können. Ein Teilurteil ist demnach unzulässig, sofern eine Entscheidung über den Gegenstand des Teilurteils nur möglich ist, wenn bei der Rechtsanwendung Fragen beantwortet werden, die auch für den verbleibenden Teil des Rechtsstreits von entscheidungserheblicher Bedeutung sind. Das Gebot der Widerspruchsfreiheit zwischen Teil- und Schlussurteil betrifft jedoch nur die Begründungselemente und nicht den Tenor selbst, an den das Gericht nach Maßgabe des § 318 ZPO ohnehin gebunden ist.

Nach diesen Grundsätzen bestehen gegen den Erlass des Teilurteils gegen die Beklagte zu 1) keine Bedenken. Die Klageansprüche gegen die beiden Beklagten, die die Klägerin im Wege der subjektiven Klagehäufung verfolgt, sind auf unterschiedliche Lebenssachverhalte zurückzuführen und bilden deshalb in der Sache jeweils einen eigenen Streitgegenstand. Das Arbeitsgericht hat angenommen, nur der Klageanspruch gegen die Beklagte zu 1) sei zur Entscheidung reif, nicht jedoch der Klageanspruch gegen den Beklagten zu 2). Vor dem Hintergrund, dass der Beklagte zu 2) eine Tatbeteiligung abgestritten hat, während die Beklagte zu 1) den Vorwürfen im Hinblick auf die von ihr begangenen Untreuehandlungen nicht entgegen getreten ist, begegnet die Annahme des Arbeitsgerichts keinen durchgreifenden Bedenken.

Bei der Entscheidung über den Klageanspruch gegen die Beklagte zu 1) hat das Arbeitsgericht keine entscheidungserhebliche Frage beantwortet, die sich bei der Entscheidung über den Klageantrag, der sich gegen den Beklagten zu 2) richtet, erneut stellen würde.

Zwar hat das Arbeitsgericht (überflüssigerweise, weshalb das Urteil insoweit klarstellend abgeändert wurde) im Tenor ausgesprochen, dass die Beklagte zu 1) in Höhe eines Teilbetrages als Gesamtschuldnerin mit dem Beklagten zu 2) haftet. Das hat jedoch keine Auswirkungen auf den noch fortzuführenden Rechtsstreit zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2). Das Teilurteil betrifft ersichtlich nur die Beklagte zu 1). Eine gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagter setzt voraus, dass eine entsprechende Haftungsfeststellung zum Nachteil des Beklagten zu 2) getroffen wird. Dazu hat das Arbeitsgericht jedoch keine Entscheidung getroffen. Ein Urteil zwischen dem Gläubiger und einem Gesamtschuldner im Außenverhältnis erstreckt sich nicht auf den Regressanspruch im Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern (Böttcher, in: Erman, 13. Aufl. 2011, § 421 BGB Rdnr. 31; Grüneberg, in: Palandt, 75. Aufl. 2016, § 421 BGB Rdnr. 13, beide m.w.N.). Zur Haftung des Beklagten zu 2) finden sich im arbeitsgerichtlichen Urteil keine Ausführungen. Deshalb kann es im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten keine widersprüchlichen Begründungselemente zwischen Teil- und Schlussurteil geben.

Das arbeitsgerichtliche Teilurteil enthält auch sonst keine Begründungselemente, die für die Entscheidung des verbleibenden Teils des Rechtsstreits (gegen den Beklagten zu 2) von Bedeutung sein können. Die Frage, ob Schadensersatzansprüche der Klägerin aufgrund einer vertraglicher Ausschlussklausel verfallen sind, muss für beide Beklagte getrennt geprüft werden, da unterschiedliche Handlungen in Rede stehen und unterschiedliche Verträge abgeschlossen wurden. Etwas anderes hat das Arbeitsgericht auch nicht entschieden. Die Ausführungen zur Frage des Verfalls im erstinstanzlichen Urteil betreffen allein die Beklagte zu 1).

III.

Das Urteil des Arbeitsgerichts war nicht abzuändern. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu 1) zu Recht verurteilt, Schadensersatz an die Klägerin zu leisten.

1. Anspruchsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin ist § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die Beklagte zu 1) verletzte ihre Vertragspflichten, indem sie zum Nachteil der Klägerin Überweisungen an Freunde und Bekannte vornahm, ohne hierzu befugt gewesen zu sein. Insoweit muss der Sachverhalt, wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, gemäß § 138 Abs. 2, Abs. 3 ZPO als unstreitig gelten. Die Klägerin hat die einzelnen vermögensschädigenden Handlungen und die Art und Weise des Vorgehens der Beklagten zu 1) näher dargelegt. Die Beklagte zu 1) ist dem nicht konkret entgegengetreten und hat keinen substantiierten Gegenvortrag gehalten. Sie hat im Gegenteil vorgerichtlich eingeräumt, die ihr vorgeworfenen Überweisungen vorgenommen zu habe und hat sich zudem zur Schadenswiedergutmachung bereit erklärt. Hiervon ist sie im Laufe des Rechtsstreits nicht abgerückt.

2. Die Beklagte zu 1) handelte vorsätzlich.

Die vermögensschädigenden Handlungen erfolgten bewusst und gewollt; die Beklagte zu 1) nahm eine Vermögensschädigung der Klägerin billigend in Kauf. Dass die Beklagte zu 1) die Überweisungen nur fahrlässig vornahm, kann nach dem Sachverhalt nicht ernsthaft angenommen werden. Die Beklagte zu 1) trägt dies selbst nicht vor.

3. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nicht gemäß § 23 AVR verfallen.

Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin ihre Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht hat, insbesondere, ob sie bei sorgfältigerem Handeln hätte eher erkennen können, dass die Beklagte zu 1) vermögensschädigende Handlungen beging. Die in § 23 Abs. 1 AVR geregelte Ausschlussfrist ist nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB unwirksam. Dies gilt jedenfalls, soweit die Haftung für vorsätzliche Handlungen ausgeschlossen wird, die eine Vertragspartei selbst begeht.

Zwar ist davon auszugehen, dass nach der Bestimmung des § 23 Abs. 1 AVR auch Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen und vorsätzlichen Vertragsverletzungen von der Ausschlussfrist erfasst werden sollen. Bei den AVR handelt es sich auf eine im so genannten dritten Weg beschlossene Arbeitsrechtsregelung. Sie stellt eine Kollektivvereinbarung besonderer Art dar, in welcher allgemeine Bedingungen für die Vertragsverhältnisse der kirchlichen Arbeitnehmer durch eine paritätisch zusammengesetzte Kommission festgelegt werden. Sie finden zwar nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Dennoch erfolgt die Auslegung kirchenrechtlicher Arbeitsvertragsordnungen nach denselben Grundsätzen, die für die Tarifauslegung maßgeblich sind (BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12 m.w.N.). Eine an diesen Grundsätzen ausgerichtete Auslegung des § 23 Abs. 1 AVR ergibt, dass von dieser Ausschlussfrist auch Ansprüche aus vorsätzlich unerlaubten Handlungen und vorsätzlichen Vertragsverletzungen erfasst werden sollen, da die Ausschlussklausel generell “Ansprüche aus dem Dienstverhältnis” erfasst (so BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12 zur wortgleichen Bestimmung in § 33 Abs. 1 Satz 1 TV-Ärzte-KF).

Eine solche umfassende Ausschlussfrist ist zwar in einem Tarifvertrag grundsätzlich zulässig (BAG, Urteil vom 20.06.2013 – 8 AZR 280/12). Insbesondere steht die Vorschrift des § 202 Abs. 1 BGB einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist, die auch Ansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst, nicht entgegen, soweit der Tarifvertrag nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG (Tarifbindung) oder § 5 Abs. 4 TVG (Allgemeinverbindlichkeit) normative Wirkung entfaltet. Dann handelt es sich nämlich nicht um eine Haftungserleichterung “durch Rechtsgeschäft”.

Etwas Anderes gilt jedoch für kirchliche Arbeitsvertragsregelungen. Diese gelten nur kraft vertraglicher Inbezugnahme und müssen sich daher an § 202 Abs. 1 BGB messen lassen (BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12). Das Bundesarbeitsgericht hat bereits entschieden, dass Ausschlussfristen in kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen insoweit unwirksam sind, als sie Ansprüche des Arbeitnehmers wegen vorsätzlicher Handlungen des Arbeitgebers selbst oder wegen vorsätzlicher Handlungen von Organen einer juristischen Person erfassen (BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 8 AZR 1013/12). Das muss entsprechend für Ansprüche des Arbeitgebers wegen vorsätzlicher schädigender Handlungen des Arbeitnehmers gelten. Die Vorschrift des § 202 Abs. 1 BGB verbietet generell verjährungserleichternde Abreden im Hinblick auf die Haftung wegen Vorsatzes. Sie stellt nicht darauf ab, welche Vertragspartei die vorsätzliche schädigende Handlung beging. Die Vorschriften der §§ 202 Abs. 1, 276 Abs. 3 BGB sind insoweit im Zusammenhang zu sehen. Nach § 276 Abs. 3 BGB kann die Haftung wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden. Eine Verkürzung der Verjährung in Gestalt einer Ausschlussfrist würde dieses Verbot umgehen. Dabei kommt es nicht drauf an, welcher Vertragspartei die Erleichterung der Verjährung zum Vorteil gereicht. Denn § 276 Abs. 3 BGB spricht allgemein von “dem Schuldner”. In der Schuldnerrolle befinden sich aber bei einem synallagmatischen Vertrag im Hinblick auf die jeweiligen Hauptleistungspflichten beide Parteien.

Dass die Nichtigkeitsfolge hier zugunsten der klagenden Arbeitgeberin eingreift, ist unbedenklich. Die Nichtigkeit der Ausschlussklausel, soweit sie Ansprüche wegen vorsätzlicher Handlungen erfasst, folgt aus § 134 BGB. Nur dann, wenn die Nichtigkeit vorformulierter Vertragsbedingungen sich aus den Bestimmungen der §§ 307 ff. BGB ergibt, wird angenommen, der Arbeitgeber könne sich als Klauselverwender nicht auf die Unwirksamkeit der von ihm selbst vorformulierten Vertragsbedingungen berufen (BAG, Urteil vom 28.03.2007 – 10 AZR 261/06, Urteil vom 27.10.2005 – 8 AZR 3/05). Das mag mit Blick auf den Schutzzweck der §§ 307 ff. BGB richtig sein. Diese Vorschriften wollen (nur) den Vertragspartner des Klauselverwenders schützen. Die §§ 134, 202 Abs. 1, 276 Abs. 3 BGB zielen hingegen nicht auf den Schutz bestimmter Verkehrskreise oder bestimmter Personengruppen ab. Die Vorschriften schränken vielmehr die Privatautonomie zum Schutze des jeweiligen Vertragspartners ein. Derjenige, der vorsätzlich einen Schaden herbeiführt, soll sich nicht auf vertragliche Erleichterungen berufen können. Der Gerechtigkeitsgehalt dieses Gebots besteht unabhängig davon, welche Vertragspartei vorsätzlich handelt. Jeder, der vorsätzlich die Vermögensinteressen seines Vertragspartners schädigt, handelt treuwidrig, wenn er sich auf vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen beruft, um der Haftung zu entgehen. Die Vorschrift des § 134 BGB ist auch systematisch den §§ 307 ff. BGB vorgelagert (Grünberg, in: Palandt, Überbl v § 305 BGB, Rdnr. 14). Die Abweichung von zwingendem Recht unterliegt keiner AGB-Kontrolle (Deinert, in: Däubler/Bonin/Deinert, 4. Aufl. 2014, § 307 BGB Rdnr. 39 m.w.N.). Verletzt eine Vertragsklausel ein gesetzliches Verbot, ist sie nach § 134 BGB unwirksam; einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB bedarf es dann nicht mehr (Deinert, a.a.O.; Roloff, in: Erman, vor §§ 307 – 309 BGB Rdnr. 10).

4. Die Höhe des Schadens ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben.

5. Die Klägerin muss sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB anrechnen lassen.

Es ist nicht erkennbar, dass die Klägerin Obliegenheiten zur Schadensvermeidung oder Schadensabwendung verletzt hat. Sie hat durch das Prinzip der Funktionstrennung und der Vier-Augen-Kontrolle die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um schädigende Handlungen zu vermeiden. Sie muss sich auch nicht vorhalten lassen, die Beklagte zu 1) nicht hinreichend kontrolliert zu haben, da keine Veranlassung bestand, an der Redlichkeit der Beklagten zu 1) zu zweifeln, bevor ihre Untreuehandlungen zu Tage traten.

Jedenfalls würde ein etwaiges Mitverschulden hinter das Verschulden der Beklagten zu 1) zurücktreten. Bei entsprechend großem Täterverschulden tritt das Mitverschulden des Geschädigten ganz zurück; Vorsatz des Schädigers führt dazu, dass Fahrlässigkeit des Geschädigten bei der Schadensentstehung in der Regel den Ersatzanspruch nicht mindert (BGH, Urteil vom 09.10.1991 – VIII ZR 19/91; Ebert, in: Erman, § 254 BGB, Rdnr. 93; Grüneberg, in: Palandt, § 254 BGB Rdnr. 65, jew. m.w.N.). Anhaltspunkte, von dieser Grundregel zum Nachteil der Klägerin, die allenfalls fahrlässig handelte, abzuweichen, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Mit Blick auf die hohe kriminelle Energie, mit der die Beklagte zu 1) vorging, stünde eine Mithaftung der geschädigten Klägerin mit dem Abwägungsprinzip des § 254 BGB nicht im Einklang.

6. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte zu 1) befand sich schon mit Vornahme der einzelnen Überweisungen im Verzug. Eine Mahnung war gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB entbehrlich. Der Täter einer unerlaubten Handlung bedarf keiner besonderen Aufforderung zur Rückgabe der rechtswidrig erlangten Sache (Grüneberg, in: Palandt, § 286 BGB Randnr. 25; Hager, in: Erman, § 286 BGB Rdnr. 48 m.w.N.).

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte zu 1) hat die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden, da sich im Hinblick auf die sich im vorliegenden Fall zugunsten der Arbeitgeberin auswirkende Nichtigkeit der vertraglichen Ausschlussklausel Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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