Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 01.12.2015 – 14 Sa 509/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 01.12.2015 – 14 Sa 509/15

Ein als Fahrer bei einem Personaldienstleister beschäftigter Arbeitnehmer, der Leiharbeitnehmer von und zu den Einsatzbetrieben zu transportieren hat und dazu von seiner Wohnung zum Abholort und vom Rückkehrort zu seiner Wohnung mit dem ihm zur Verfügung gestellten Dienstfahrzeug fährt, leistet die ihm obliegende Arbeit; die Fahrten von und zur Wohnung sind Arbeitszeit und keine Wegezeit.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 13. Februar 2015 (3 Ca 1673/14) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten verhaltensbedingten Kündigung.

Der 1973 geborene, zum Zeitpunkt der Kündigung ledige und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 10. September 2012 als Fahrer bei der Beklagten zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.350,00 Euro beschäftigt, wobei der Stundenlohn zuletzt 8,50 Euro betrug. Bei der Beklagten handelt es sich um einen Personaldienstleister. Als Fahrer ist der Kläger im Wesentlichen dafür verantwortlich, die bei der Beklagten tätigen Leiharbeitnehmer an einem vereinbarten Treffpunkt aufzunehmen und zum jeweiligen Arbeitsort zu fahren sowie diese bei Arbeitsende dort wieder abzuholen und zurück zum Treffpunkt zu fahren. In der Zwischenzeit führt er auch andere Tätigkeiten wie beispielsweise Kleiderausgabe, Kontrollen und Mitarbeiterbetreuung durch.

Zwischen den Parteien besteht ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 9. September 2012. Gemäß § 4 Arbeitsvertrag finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge Zeitarbeit der iGZ-DGB-Tarifgemeinschaft Anwendung. Des Weiteren enthält der Vertrag u. a. folgende Regelungen:

§ 6 Arbeitszeit

Die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit richtet sich nach der Anzahl der Arbeitstage …

Das entspricht einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden. …

Die Arbeitszeit beginnt am jeweiligen Einsatzort. An- und Auskleidung und sonstige Pausen gelten nicht als Arbeitszeit. Die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage richtet sich nach der Arbeitszeit des jeweiligen Entleihbetriebes. Beträgt die Arbeitszeit des Arbeitsnehmers aus von ihm zu vertretenden Gründen weniger als die vereinbarten Stunden, entfällt für diese Fehlzeit der Lohnanspruch. …

§ 19 Sonstige Vereinbarungen

Es ist die Wegezeit zu vergüten, die die Dauer von zwei Stunden für die einfache Wegstrecke von der Niederlassung zu der Tätigkeitsstätte auf dem zeitlich günstigsten Weg überschreitet. …

Der Kläger erfasste seine Arbeitszeit eigenverantwortlich in so genannten Einsatznachweisen. Der Einsatznachweis wird in Form einer Tabelle geführt. Die Spalten der Tabelle sind mit den Überschriften “Datum”, “Start”, Ende”, “gearb. Zeit”, “Route”, “Wartezeit” und “Bemerkungen” überschrieben. Einzutragen waren jede einzelne Fahrt mit Abfahrt- und Zielort, Start- und Ankunftszeit, die sich daraus ergebende Arbeitszeit, Wartezeiten mit der Möglichkeit von Angaben zu Art und Inhalt der geleisteten Arbeit.

Der Kläger trug unter anderem die Fahrzeit von seinem Wohnort zum ersten Treffpunkt sowie die Fahrzeit vom letzten Treffpunkt bzw. vom Büro der Beklagten bis zu seinem Wohnort ein, wobei er für diese Fahrten das ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellte Dienstfahrzeug nutzte. Im Zeitraum von Juli 2014 bis September 2014 fielen insgesamt für solche Fahrten zwischen Wohnort und Treffpunkt/Büro 70,25 Stunden nach den Eintragungen des Klägers an. Ausweislich der vom Kläger für die Monate August und September 2014 vorgelegten Abrechnungen wurden Fahrten zwischen Wohnung und Treffpunkten bzw. Büro trotz Nutzung des Firmenfahrzeuges nicht zusätzlich als geldwerter Vorteil vergütet

Am 20. Oktober 2014 überreichte die Beklagte dem Kläger eine Dienstanweisung, welche dieser unter dem Datum desselben Tages unterzeichnete. In dieser Dienstanweisung heißt es:

Arbeitszeitrechtliche Anweisungen

Arbeitszeit im Sinne dieses Gesetzes ist die Zeitspanne zwischen Arbeitsbeginn (Abholen des ersten Mitarbeiters) und Arbeitsende (Absetzten des letzten Mitarbeiters) inklusive der Ruhepausen, in der sich der Kraftfahrer an seinem Arbeitsplatz befindet, dem Kunden zur Verfügung steht und während der er seine Funktionen und Tätigkeiten ausübt (z.B. Kleiderausgabe, Kontrolle, Mitarbeiterbetreuung).

Keine Arbeitszeit ist die Zeit, während der sich der Kraftfahrer für den Arbeitgeber bereithalten muss, um seine Tätigkeit aufnehmen zu können, ohne sich an seinem Arbeitsplatz aufhalten zu müssen.

Die Arbeitszeiten sind korrekt und minutengenau aufzuzeichnen und abzurechnen und die angefahrenen Kunden sind ebenfalls korrekt und vollständig aufzuzeichnen.

Arbeitszeitunterbrechungen sind ebenfalls zu dokumentieren.

Keine Arbeitszeit sind Pausen. Gesetzlich vorgeschriebene Pausen sind einzuhalten und in der Stundenerfassung zu dokumentieren.

In der Dienstanweisung heißt es unter der Überschrift “Kraftfahrrechtliche bzw. den Umgang mit dem Pkw betreffende Anweisungen” weiter, dass die Durchführung von Privatfahrten mit firmeneigenen Fahrzeugen ausnahmslos verboten ist. Am Ende der Dienstanweisung vom 20. Oktober 2014 heißt es sodann, dass der Arbeitnehmer darauf hingewiesen wird, dass er bei Nichteinhaltung dieser Dienstanweisung mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat.

Auch nach Erhalt der Dienstanweisung vom 20. Oktober 2014 erfasste der Kläger in der 43. Kalenderwoche (20. bis 26. Oktober 2014) in seinem Einsatznachweis erneut die Zeiten für die Fahrten von seinem Wohnort zum ersten Treffpunkt und vom letzten Treffpunkt zurück zu seinem Wohnort. Der Umfang der dafür erfassten Zeiten betrug 1,07 Stunden. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. Oktober 2014, welches dem Kläger am selben Tage zuging, fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30. November 2014.

Der Kläger erhob am 7. November 2014 Kündigungsschutzklage. Er hat die Kündigung für rechtsunwirksam gehalten und vorgetragen, dass er in seinen Einsatznachweisen seinen Tagesablauf minutiös dokumentiert habe. Für die Beklagte sei klar erkennbar gewesen, welche Zeiten er erfasst habe. Dies gelte insbesondere auch für die von ihm erfassten An- und Abfahrten. Eine Täuschung habe er dadurch nicht begangen. Er habe weder einen Arbeitszeitbetrug versucht noch vollendet. Ein Vertrauensbruch könne nicht festgestellt werden. Die vom Kläger eingetragenen Zeiten und Routen seien zutreffend. Zu keinem Zeitpunkt sei ihm ein Fehlverhalten von der Beklagten ausreichend deutlich gemacht worden. Insbesondere sei er nicht abgemahnt worden. Die Dienstanweisung sei als solche nicht zu werten.

Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung mit Ablauf des 31. Oktober 2014 noch durch die hilfsweise ausgesprochen fristgerechte Kündigung vom 31. Oktober 2014 mit dem Ablauf des 30. November 2014 seine Beendigung gefunden hat.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe einen Arbeitszeitbetrug begangen, weil er in seinen Einsatznachweisen die Zeiten für die Fahrten zu seiner Wohnung zum ersten Einsatzort und vom letzten Einsatzort zurück zu seinem Wohnort als Arbeitszeit eingetragen habe. Trotz der überreichten Dienstanweisung, welcher Abmahnungscharakter zukomme, habe er in der 43. Kalenderwoche in seinem Einsatznachweis erneut die Fahrten von seinem Wohnort und zurück als Arbeitszeit eingetragen. Dadurch habe er sich eine tatsächlich nicht geleistete Arbeitszeit von 1,07 Stunden erschlichen. Für die Beklagte sei dadurch das notwendige Vertrauensverhältnis für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger unwiederbringlich zerstört.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zwar fehlerhaft die An- und Abfahrten zu seinem Wohnort in den Einsatznachweisen eingetragen. Die Eintragungen seien jedoch offen und leicht feststellbar erfolgt. Er habe nicht versucht, die Arbeitszeit irgendwie zu manipulieren. Eine Täuschung sei nicht feststellbar, und zwar auch nicht nach Erhalt der Dienstanweisung für die 43. Kalenderwoche. Die fehlerhafte Eintragung mag auf einer fehlerhaften Einschätzung des Klägers beruht haben, was zur Arbeitszeit gehöre und was nicht. Vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung hätte die Beklagte dem Kläger durch Erteilung einer Abmahnung deutlich machen müssen, welche Vorgehensweise sie beim Ausfüllen der Einsatznachweise von ihm verlange. Dies habe sie nicht getan. Ebenso scheide eine Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung, welche auch für die Verweigerung konkreter Arbeitsanweisung hinsichtlich des Eintragens bzw. Ausfüllens von Einsatznachweisen ergeben könne. Die Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, dass der Kläger sich ihrer konkreten Anweisung, die Einsatznachweise ohne die Fahrten von und zur Wohnung zurück auszufüllen, nachhaltig widersetzt habe. Zudem hätte es auch im Hinblick auf das pflichtwidrige Verhalten des Klägers einer vorherigen Abmahnung bedurft, die hier fehle. An der fehlenden Abmahnung scheitere auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Seite 6 ff. des Urteils, Bl. 100 ff. d. A.) verwiesen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 18. März 2015 zugestellt. Hiergegen richtet sich die am 9. April 2015 eingelegte und mit dem am 18. Mai 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zur Rechtswirksamkeit der fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung trägt die Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz vor, dass nach einem ersten Gespräch zwischen dem Kläger und der Geschäftsführerin Q am 15. Oktober 2014 und nach Rückkehr der Geschäftsführerin E aus ihrem Urlaub am 20. Oktober 2014 ein weiteres Personalgespräch mit dem Kläger stattgefunden habe. Während des Gespräches habe er eine schriftliche Abmahnung vom 20. Oktober 2014 (wegen der Einzelheiten vgl. Anlage B6 zur Berufungsbegründung, Bl. 147 d. A.) erhalten. Die Beklagte habe es zwar versäumt, die Abmahnung vom 20. Oktober 2014 erstinstanzlich in das Verfahren einzuführen. Hintergrund hierfür sei ein Missverständnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und der Geschäftsführerin Q gewesen, das erst im Rahmen der Vorbereitung der Berufungsbegründung habe aufgeklärt werden können.

Nachdem erneut die falschen Eintragungen am 29. Oktober 2014 festgestellt worden seien, habe die Beklagte mit dem Kläger am Folgetag ein weiteres Personalgespräch geführt. Auf den Vorwurf, dass er erneute seine Anfahrzeiten als Arbeitszeiten angegeben habe, habe der Kläger mitgeteilt, dass er diese Eintragungen so in Ordnung fände und daran auch nichts ändern werde, und im weiteren Verlauf des Gesprächs behauptet, dass die Beklagte ihn um Stunden betrügen wolle. Auf den Hinweis, dass er seinen Arbeitsplatz verliere und auch eine Sperrzeit bei der Agentur für Arbeit riskiere, habe der Kläger geantwortet, dass er sich dessen bewusst sei, die Anweisung dennoch nicht akzeptiere und seine Arbeitszeiten weiter wie bisher erfassen werde. Daraufhin habe die Beklagte die streitgegenständlichen Kündigungen ausgesprochen.

Soweit das Berufungsgericht auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache C-266/14 hinweise, passe diese auf den vorliegenden Sachverhalt nicht. Es handele sich beim Kläger nicht um einen Kundendienstmitarbeiter ohne feste Betriebsstätte. Nach § 6 Abs. 2 Arbeitsvertrag beginne die Arbeitszeit am jeweiligen Einsatzort, der Wohnort des Klägers sei nicht sein Einsatzort. Weiterhin regele § 19 Abs. 2 Arbeitsvertrag die Vergütung von Wegezeit. Der Kläger habe einen Fahrplan schriftlich durch den Fahrdienst ausschließlich in der Betriebsstätte am Vortag vor Dienstende erhalten. Auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers hin habe die Beklagte ihm erlaubt, ein Poolfahrzeug mit nach Hause zu nehmen. Dadurch seien für ihn Fahrzeiten zur Betriebsstätte weggefallen und er habe kürzere Wege zum tatsächlichen Einsatzort laut Fahrplan gehabt. Unabhängig davon sei zwischen den Parteien klar geregelt, dass Fahrten vom Wohnort zum ersten Einsatzort laut Fahrplan nicht zu vergüten gewesen seien. Arbeitsbeginn sei die im Fahrplan vorgegebene Anfangszeit für den Kläger gewesen. Unabhängig davon habe der Kläger getäuscht, weil er in dem Zeitraum vom 20. bis 24. Oktober 2014 weder sein Fahrzeug wie in dem Einsatznachweis angegeben betankt habe, noch an zwei Tagen Wäsche bei einer Wäscherei morgens gegen 4.30 Uhr abgegeben habe. Die Wäscherei sei zu diesem Zeitpunkt gar nicht geöffnet.

Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn vom 13. März 2015 (3 Ca 1673/14) die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens zur Sach- und Rechtslage. Er bestreitet, am 20. Oktober 2014 die von der Beklagten nunmehr vorgelegte Abmahnung erhalten zu haben. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt vor Ausspruch der Kündigung mündlich oder schriftlich abgemahnt worden. Die Abmahnung sei von der Beklagten auf das Urteil des Arbeitsgerichts hin im Nachhinein gefertigt und sodann vordatiert worden. Ebenso wenig habe der Kläger eingeräumt, Arbeitszeiten auf ganze und halbe Stunde zu seinen Gunsten aufgerundet zu haben. Auch hier werde vorsätzlich falsch vorgetragen. Der Sachvortrag zum Inhalt des Gesprächs sei schlicht falsch. Dem Kläger sei lediglich kommentarlos die Dienstanweisung überreicht worden.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 10. September 2015 in der Rechtssache C-266/14 sei nach Auffassung des Klägers auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Falsch sei es, dass der Kläger die Fahrtdienstplanung ausschließlich in der Betriebsstätte am Vortrag vor Dienstende erhalten habe. Tatsächlich sei diese ihm regelmäßig per E-Mail zugeschickt worden. Er sei nie im Büro der Beklagten gewesen, außer wenn er Schlüssel oder Arbeitsverträge habe abgeben müssen. Zudem habe das Fahrdienstende regelmäßig von den Büroschließungszeiten abgewichen. Ebenso wenig habe ihm die Beklagte auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin erlaubt, ein Poolfahrzeug mit nach Hause zu nehmen. Vielmehr sei ihm im Rahmen des Vorstellungsgespräches mitgeteilt worden, dass er das Fahrzeug mit nach Hause nehmen dürfe, um so zu gewährleisten, dass er direkt vom Wohnsitz aus zum ersten Einsatzort fahren könne. Mit der Wäscherei H bestehe im Übrigen eine Vereinbarung, dass schmutzige Wäsche in Säcken verpackt außerhalb der Öffnungszeiten vor der Eingangstür der Wäscherei abgelegt werden könnten. Auch habe der Kläger zu den angegebenen Zeiten in der Zeit vom 20. bis 24. Oktober 2014 das Fahrzeug, mit dem er insgesamt 1.439 Kilometer zurückgelegt habe, betankt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Sitzungen des Arbeitsgerichts vom 25. November 2014 und 13. März 2015 sowie des Landesarbeitsgerichts vom 1. Dezember 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Die Kündigung der Beklagten vom 30. Oktober 2010 ist sowohl als außerordentliche wie auch als ordentliche Kündigung rechtsunwirksam, weil es an einem wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bzw. an einem verhaltensbedingten Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG fehlt.

1. Soweit die Beklagte die ausgesprochenen Kündigungen darauf stützen will, dass der Kläger die Fahrzeiten von seinem Wohnort zum ersten Abholort bzw. vom letzten Rückkehrort oder Büro zum Wohnort als Arbeitszeiten eingetragen hat, fehlt es bereits an einer Pflichtverletzung des Klägers. Diese Fahrten sind aufgrund der mit dem Kläger vereinbarten Tätigkeit als Fahrer Arbeitszeit.

a) Der Kläger war laut § 1 Arbeitsvertrag “als Fahrer Klasse 3 “Pkw” (Berufsbezeichnung)” eingestellt. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte es, die bei der Beklagten tätigen Leiharbeitnehmer zum Entleiher zu transportieren und abzuholen sowie verschiedene Nebentätigkeiten zu verrichten. Seine Arbeit begann und endete nicht an der Betriebsstätte, sondern sowohl tatsächlich als auch rechtlich mit Aufnahme und Beendigung seiner Tätigkeit am Wohnort.

b) Arbeit ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Keine Arbeit wird für den Arbeitgeber grundsätzlich durch den Weg des Arbeitnehmers zur Arbeit erbracht, so dass die Fahrt vom Wohnort zum Arbeitsort keine vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellt. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos.

aa) So gehört die Reisetätigkeit bei Außendienstmitarbeitern zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Mangels festen Arbeitsorts können sie ihre vertraglich geschuldete Arbeit ohne dauernde Reisetätigkeit nicht erfüllen. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist darauf gerichtet, verschiedene Kunden zu besuchen, wozu die jeweilige Anreise zwingend gehört. Das gilt nicht nur für die Fahrten zwischen den Kunden. Die Fahrten zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und stellen nach der Verkehrsanschauung jedenfalls bei Außendienstmitarbeitern, Vertretern, “Reisenden” und ähnlich Arbeitnehmern insgesamt die Dienstleistung im Sinne der §§ 611, 612 BGB dar. Das ist unabhängig davon, ob der Fahrtantritt ab der Betriebsstätte des Arbeitgebers oder ab der Wohnung des Arbeitnehmers erfolgt. Solche Fahrten sind nicht mit Fahrten zu mehrwöchigen Einsätzen in anderen Betrieben gleichzusetzen. In jedem Fall ist eine dem Arbeitgeber zu Gute kommende Arbeitsleistung dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise selbst tätig werden muss und die Fahrt vom Arbeitgeber kraft Direktionsrecht bestimmt wird (vgl. zum Ganzen BAG, 22. April 2009, 5 AZR 292/08, NZA-RR 2010, 231, Rn. 15).

bb) Im Sinne von Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während derer ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt. Arbeitszeit liegt danach vor, wenn ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber zur Verfügung steht, er also rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Kann der Arbeitnehmer hingegen ohne größere Zwänge über seine Zeit verfügen und seinen eigenen Interessen nachgehen, handelt es sich nicht um Arbeitszeit (vgl. EuGH, 10. September 2015, C-266/14, NZA 2015, 1177, Rn. 25, 35, 37).

Bei Arbeitnehmern, die wie Servicetechniker bei verschiedenen Kunden eingesetzt werden, sind die Fahrten von Arbeitnehmern zu den von ihren Arbeitgebern bestimmten Kunden das notwendige Mittel, damit diese Arbeitnehmer bei den Kunden technische Leistungen erbringen können. Sie üben während der Fahrzeit vom Wohnort zum Kunden ihre Tätigkeiten aus oder nehmen ihre Aufgaben wahr (vgl. EuGH, 10. September 2015, C-266/14, NZA 2015, 1177, Rn. 32, 34). Unabhängig davon, ob solche Mitarbeiter während der Fahrzeit über eine gewisse Freiheit verfügen, die sie während des Einsatzes bei einem Kunden nicht haben, unterstehen sie den Anweisungen ihres Arbeitgebers, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen kann. Die Arbeitnehmer haben jedenfalls während der erforderlichen Fahrzeit nicht die Möglichkeit, frei über ihre Zeit zu verfügen und ihren eigenen Interessen nachzugehen, so dass sie ihren Arbeitgebern zur Verfügung stehen (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 39). Arbeitnehmer, die mit einem Firmenfahrzeug von ihrem Wohnort zu einen von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden sich begeben bzw. vom Standort eines solchen Kunden zu ihrem Wohnort zurückkehren und sich während ihres Arbeitstages vom Standort eines Kunden zu einem anderen begeben, arbeiten im Sinne von Art. 2 NR 1 RL 2003/88/G (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 46).

c) Entsprechendes gilt für Arbeitnehmer, die Fahrtätigkeiten wie der Kläger zu erbringen haben. Die Fahrten vom Wohnort zum ersten Abholort einerseits, vom letzten Rückkehrort bzw. Büro zum Wohnort sind notwendiges Mittel für die Erbringung der Arbeitsleistung, die dem Kläger obliegt, nämlich der Transport von Leiharbeitnehmern. Der Kläger kann während der Zeit, in der er fährt, nicht frei über seine Zeit verfügen oder seinen eigenen Interessen nachgehen. Er hat keinen festen Arbeitsort, vielmehr ist es seine Aufgabe, Personen zu verschiedenen Orten zu transportieren. Diese Fahrten gehören untrennbar zu seiner Tätigkeit als Fahrer. Entsprechendes gilt, soweit er auf dem Weg von oder zu seinem Wohnort Materialtransporte (Wäscherei u. ä.) erledigt oder das zur Verfügung gestellte Fahrzeug wäscht oder betankt. Die Tätigkeit des Klägers als Fahrer unterscheidet sich insoweit nicht von der Tätigkeit eines Außendienstmitarbeiters, Vertreters, Reisenden, Servicetechnikers oder ähnlichen Personen, die ihre Arbeit nur dann verrichten können, wenn sie von einem Kunden zum anderen fahren. Dann zählt bereits die erste Fahrt zum Abholort bzw. vom letzten Rückkehrort oder Büro als Arbeitszeit. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Fahrten in der Betriebsstätte der Beklagten hätten begonnen und beendet werden müssen. Das ist jedoch nicht der Fall.

d) Die Regelungen des Arbeitsvertrags in § 6 Abs. 2 und § 19 Abs. 2 stehen dem nicht entgegen. Eine abweichende Vereinbarung des Beginns der Arbeitszeit lässt sich – unabhängig von der Frage ihrer rechtlichen Zulässigkeit – hieraus nicht ableiten. Bei dem Arbeitsvertrag handelt es sich um einen Formulararbeitsvertrag für Leiharbeitnehmer, d. h. die Beschäftigten, welche der Kläger als Fahrer zu ihren Einsatzorten in den Entleihbetrieben transportiert. Er ist jedoch nicht speziell auf die Tätigkeit des Klägers als Fahrer, der gerade nicht als Leiharbeitnehmer tätig wird, abgestimmt. Die Abhol- bzw. Rückkehrorte, welche der Kläger als Fahrer anzufahren hat, sind keine Einsatzorte, an denen er wie ein Leiharbeitnehmer seine eigentliche Tätigkeit verrichtet. Insoweit fällt auch keine Wegezeit an, wenn er von seinem Wohnort zum Abholort und vom Rückkehrort bzw. Büro zum Wohnort zurück fährt. Die Regelung über die Wegezeit in § 19 Abs. 2 Arbeitsvertrag steht demnach nicht der Annahme entgegen, dass es sich vorliegend bei einer Einstellung als Fahrer bei diesen Fahrten um Arbeitszeit handelt.

e) Die Erfassung der Arbeitszeiten in den Einsatznachweisen durch den Kläger ist danach zutreffend erfolgt. Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor. Er hat weder getäuscht noch sich zu Unrecht geweigert, diese Fahrten nicht zu erfassen. Zu einer entsprechenden Weisung in der Dienstanweisung vom 20. Oktober 2014 war die Beklagte nicht berechtigt. Sie konnte nicht einseitig die Definition dessen, was bei einer vereinbarten Fahrertätigkeit als Arbeitszeit gilt, nachträglich ändern und abweichend festlegen, dass die Arbeitszeit erst am ersten Abholort beginnt und schon am letzten Rückkehrort endet. Insoweit wäre der Kläger angehalten worden, abweichend von den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Arbeitszeit unzutreffend zu erfassen, wozu er nicht verpflichtet war.

Auf die Frage der Übergabe einer Abmahnung im Gespräch vom 20. Oktober 2014 kam es danach nicht mehr an.

2. Auch die weiteren von der Beklagten behaupteten Kündigungsgründe rechtfertigen weder eine außerordentlich noch eine ordentliche Kündigung.

a) Soweit die Beklagte nunmehr beanstandet, der Kläger habe die Arbeitszeitnachweise in der Woche vom 20. bis 24. Oktober 2014 falsch geführt, in dem er angegeben habe, Wäsche zur Wäscherei gebracht und getankt zu haben, ist dieser Vortrag nicht geeignet, die ausgesprochenen Kündigungen zu rechtfertigen.

aa) Zwar hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe am 21. Oktober 2014 und 23. Oktober 2014 um 4:39 Uhr bzw. 4:44 Uhr nicht Wäsche abgeben, weil die Wäscherei zu dieser Zeit noch nicht geöffnet habe. Auf den Vortrag des Klägers, dass eine entsprechende Vereinbarung mit der Wäscherei bestanden habe, außerhalb der Öffnungszeiten die Wäsche vor der Eingangstür in Säcken verpackt abzulegen, hat die Beklagte zwar erwidert, dass eine solche Vereinbarung nicht bestanden habe. Die Beklagte hat ihren Vortrag jedoch nicht unter Beweis gestellt.

bb) Entsprechendes gilt, soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe am 20. Oktober 2014, 22. Oktober 2014 und 24. Oktober 2014 nicht getankt, und dies darauf stützt, dass es auf der dem Kläger zur Verfügung gestellten Tankkarte keine entsprechenden Buchungen gebe. Auch diesen Vortrag hat sie weder dadurch substantiiert, dass sie die entsprechenden Abrechnungen über die Tankkarte vorgelegt hat, noch unter Beweis gestellt. Insbesondere hat sie nicht widerlegt, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum insgesamt 1.439 Kilometer zurückgelegt hat. Dann erscheint ein mehrfaches Tanken zwingend erforderlich.

b) Soweit die Beklagte darüber hinaus vorgetragen hat, der Kläger habe in dem Personalgespräch am 20. Oktober 2014 zugegeben, auf volle und halbe Stunden aufzurunden, kann auch dies die ausgesprochene Kündigung weder als außerordentliche noch als ordentliche Kündigung rechtfertigen. Zweifel an einer solchen Äußerung des Klägers bestehen schon deswegen, weil dies ausweislich der vorgelegten Aufzeichnungen für die 42. Kalenderwoche (Anlage B1 zur Klageerwiderung, Bl. 31 ff. d. A.) nicht zutrifft, da hier keine Aufrundungen auf volle Stunden (“00”) oder halbe Stunden (“30”) eingetragen sind, sondern allenfalls auf “0” und “5”. Zudem hat der Kläger in der 43. Kalenderwoche an die sich aus der Dienstanweisung ergebende Vorgabe der minutengenauen Erfassung gehalten. Eine erneute Pflichtverletzung nach dem entsprechenden Hinweis der Beklagten liegt demnach nicht vor.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht. Die Entscheidung hat weder grundsätzliche Bedeutung, da sie lediglich die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs im vorliegenden Einzelfall anwendet. Ebenso wenig liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines der anderen in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichts vor.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

a very tall building with a moon in the sky

Ist Mobbing strafbar?

März 13, 2024
Von RA und Notar Krau:Mobbing kann je nach den Umständen strafbar sein, aber nicht immer.Es gibt kein spezifisches Gesetz, das Mobbing al…
filling cans with freshly brewed beers

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21

Februar 4, 2024
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21 – Urteil vom 15.11.2023 – Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit…
man holding orange electric grass cutter on lawn

Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22

Februar 4, 2024
Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22 – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes …