Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 10.12.2015 – 18 Sa 1307/15

Juni 16, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 10.12.2015 – 18 Sa 1307/15

Ist eine Arbeitsstelle endgültig mit einer anderen Person besetzt, steht dem Anspruch aus §9 TzBfG der Unmöglichkeitseinwand entgegen.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 12.08.2015 – 4 Ca 504/15 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit.

Die Klägerin ist seit 1989 für die Beklagte als Krankenschwester tätig. Die Klägerin war zunächst in zwei chirurgischen Abteilungen und danach (bis zum Jahr 2011) im ambulanten Pflegezentrum beschäftigt. Die Parteien schlossen unter dem 31.07.2006 einen bis zum 31.12.2006 befristeten Arbeitsvertrag (Ablichtung Bl. 7 f. der Gerichtsakten). Der Vertrag sieht eine Teilzeitbeschäftigung der Klägerin mit 25 % der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit vor und nimmt Bezug auf die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) in ihrer jeweiligen Fassung. Vom 01.01.2007 bis zum 31.05.2010 war die Klägerin mit einem Beschäftigungsumfang von 50 % einer Vollzeitstelle tätig. In der Zeit vom 01.06.2010 bis zum 31.12.2010 wurde die Arbeitszeit der Klägerin befristet auf 75 % einer Vollzeitstelle erhöht. Von Januar 2011 bis September 2011 war die Klägerin aufgrund eines Arbeitsunfalles arbeitsunfähig erkrankt. Seit Oktober 2011 wurde sie im Umfang von 50 % einer Vollzeitstelle beschäftigt. Im Jahr 2012 bewarb sich die Klägerin für den stationären Pflegedienst und wurde auch dort berücksichtigt und beschäftigt. Die Regelvergütung der Klägerin für den Monat Februar 2015 betrug ausweislich der Gehaltsmitteilung (Ablichtung Bl. 23 der Akten) 1.535,14 € brutto.

Die Klägerin hatte sich seit 2008 mehrfach erfolglos auf Vollzeitstellen bei der Beklagten beworben. Auch Anträgen auf Erhöhung ihrer Arbeitszeit entsprach die Beklagte nicht. Zur Angliederung der Klägerin an eine Vollzeitstelle im Bereich der stationären Pflege wurde ein Stufenplan (Ablichtung Bl. 67 R der Akten) entwickelt und im Zeitraum von Juli 2014 bis September 2014 durchgeführt. Hintergrund dieser Maßnahme war es, dass die Beklagte an die im stationären Pflegedienst vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer die Anforderung stellt, eine Patientengruppe eigenverantwortlich führen zu können; die Beklagte sah insoweit bei der Klägerin Defizite. Nach Durchführung des Stufenplans wurde am 09.12.2014 ein Schlussgespräch mit der Klägerin geführt. Ausweislich der Gesprächsnotiz vom 11.12.2014 (Ablichtung Bl. 68 der Akten) wurde bei dem Gespräch festgestellt, dass die Klägerin noch “nicht in der Lage ist, eine Pflegegruppe in der Woche selbständig zu übernehmen”. In der Gesprächsnotiz heißt es weiter: “Aus diesen Gründen wird der Antrag auf die Erhöhung des Arbeitsumfangs nicht gewährt”. Die Klägerin bat um eine weitere Einarbeitungsphase, die ihr jedoch nicht eingeräumt wurde.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09.02.2015 (Ablichtung Bl. 36 der Akten) bekundete die Klägerin ihr Interesse an einer Vollzeitstelle und wies auf ihre abgelehnten Bewerbungen sowie auf § 9 TzBfG hin. Zum 01.04.2015 stellte die Beklagte fünf neu examinierte Krankenschwester und Pfleger ein, die auf Vollzeitstellen beschäftigt wurden. Die Klägerin wurde über die beabsichtigte Besetzung dieser Stellen nicht vorab informiert.

Mit ihrer Klage, die am 25.03.2015 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, hat die Klägerin Ansprüche auf Erhöhung der Arbeitszeit geltend gemacht. Sie hat behauptet, seit März 2012 laufend Überstunden zu leisten, “die teilweise ein Zeitvolumen von 25 % der Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten erreichen”. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei für die Stellen geeignet, die zum 01.04.2015 besetzt wurden. Ausweislich der erteilten Arbeitszeugnisse sei die Beklagte mit ihrer Arbeitsleistung voll zufrieden gewesen. Die Klägerin hat behauptet, nicht alle neu eingestellten Vollzeitkräfte müssten eine Patientengruppe führen. Im Herbst 2014 sei ein Krankenpfleger eingestellt worden, der die gleiche Tätigkeit ausübe wie die Klägerin. Die Klägerin verrichte derzeit Überstunden von bis zu 30 Stunden im Monat, ohne eine Pflegegruppe zu führen. Sie habe nicht die im Stufenplan vorgesehene vollständige Einarbeitung in die Software erhalten. Eine Einarbeitung sei wegen schwangerschaftsbedingter Ausfälle von Krankenschwestern nicht möglich gewesen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe sie zu einer externen Fortbildung senden müssen.

Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, der Erhöhung der Arbeitszeit der Klägerin von 19,5 Stunden pro Woche auf 39 Stunden pro Woche ab dem 01.03.2015 zuzustimmen; 2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, der Erhöhung der Arbeitszeit der Klägerin von 19,5 Stunden pro Woche auf 29,25 Stunden pro Woche ab dem 01.03.2015 zuzustimmen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin sei nicht geeignet, eine Tätigkeit im stationären Pflegedienst im Rahmen einer Vollzeitstelle wahrzunehmen. Die Beklagte stelle, so hat sie behauptet, Vollzeitkräfte für den stationären Pflegedienst nur ein, wenn diese in der Lage seien, eine Patientengruppe eigenverantwortlich zu führen. Darauf sei die Klägerin auch hingewiesen worden. Im Gegensatz zur Klägerin seien die zum 01.04.2015 eingestellten Arbeitnehmer in der Lage, Patientengruppen selbständig zu führen. Derzeit sei kein weiterer Arbeitsplatz ausgeschrieben. Die Klägerin arbeite auch unter Berücksichtigung von bezahlten Überstunden in einem Umfang, der deutlich unter einer Vollzeit- oder 3/4-Tätigkeit liege.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei für die Arbeitsplätze, die zum 01.04.2015 besetzt wurden, in gleicher Weise geeignet, wie die neu eingestellten Arbeitnehmer. Im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast hätte die Beklagte konkret vortragen müssen, woraus sich die fehlende Eignung der Klägerin ergebe und was genau es bedeute, eine Patientengruppe eigenverantwortlich zu führen. Dieser Darlegungspflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen. Die Besetzung der Stellen stehe dem Anspruch der Klägerin auf Erhöhung der Arbeitszeit nicht entgegen. Anderenfalls hätte der Arbeitgeber die Möglichkeit, dem Anspruch des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers aus § 9 TzBfG durch anderweitige Stellenbesetzung zu verhindern. Ein möglicher Schadensersatzanspruch sei nicht als gleichwertig im Verhältnis zum Anspruch auf Erhöhung der Arbeitszeit anzusehen. Dem Arbeitnehmer, dem ein Anspruch aus § 9 TzBfG zustehe, müsse auch die Möglichkeit der tatsächlichen Beschäftigung gewährt werden. Dies folge aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Im Übrigen wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bezug genommen.

Das Urteil erster Instanz ist der Beklagten am 14.08.2015 zugestellt worden. Die Beklagte hat mit einem Schriftsatz, der am 09.09.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung mit einem am 14.10.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit Schreiben vom 16.09.2015 (Ablichtung Bl. 130 der Akten) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass diese ab dem 01.10.2015 mit einem Beschäftigungsumfang von durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich eingesetzt wird. Die Klägerin wird seit dem 01.10.2015 als Vollzeitkraft nur im Frühdienst eingesetzt. Dabei ist sie nicht mit den so genannten Innendiensttätigkeiten betraut, zu denen unter anderem die Eingabe von Daten der Visite in den PC zählt.

Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, die Klägerin sei nicht in der Lage, die gesamten Anforderungen zu erfüllen, um eine volle Pflegegruppe zu übernehmen. Dies sei jedoch für die Besetzung einer Vollzeitstelle erforderlich. Die Klägerin sei von August bis November 2014 eingearbeitet worden, um ihre Eignung zu testen. Die Klägerin habe insbesondere lernen sollen, die gesamten verantwortlichen Tätigkeiten wie Visite, Visitenausarbeitung, alleinige Anordnungen und computermäßige Dokumentationen durchzuführen. Nach Durchführung der Einarbeitung sei festgestellt worden, dass die Klägerin trotz Einarbeitung diese Arbeiten nicht durchführen könne. Freie Arbeitsplätze seien nicht vorhanden. Die Klägerin sei ab dem 01.10.2015 auf einer neu eingerichteten Stelle beschäftigt worden. Der Stellenplan sei insoweit in Absprache mit der Geschäftsleitung “überzogen” worden. Die Beschäftigung sei nur für die Dauer des Gerichtsverfahrens vorgesehen.

Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des am 12.08.2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Paderborn, Az.: 4 Ca 504/15, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin räumt ein, die Tätigkeit im Innendienst derzeit nicht ausüben zu können. Sie trägt jedoch vor, die Ausübung dieser Tätigkeit sei nicht zwingend erforderlich, da die Haupttätigkeit auf der Station in der Arbeit am Patienten bestehe. Die computermäßige Dokumentation sämtlicher Arbeiten werde derzeit noch nicht durchgeführt, da es an einer entsprechenden Software fehle. Die Beklagte habe in den letzten Jahren immer wieder neue Krankenschwestern/Krankenpfleger eingestellt, die nicht im Innendienst arbeiten können, so beispielsweise den Krankenpfleger Herrn N. Die Klägerin sei zwar von August bis Oktober 2014 in die Aufgaben des Innendienst eingearbeitet, jedoch in dieser Zeit weiterhin als Krankenschwester auf der Inneren Station eingesetzt worden. Die Einarbeitung sei durch eine Krankenschwester erfolgt, die zu diesem Zeitpunkt erst seit 1,5 Jahren das Examen bestanden hatte. Die Anleitende habe in dieser Zeit zudem noch ihren Jahresurlaub genommen. Die Einarbeitung sei praktisch unmöglich gewesen, da die Station aufgrund von sieben schwangeren Krankenschwestern und sechs kündigenden Ärzten chronisch unterbesetzt gewesen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Die Beklagte hat die Berufung insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet.

II

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht kein Anspruch auf die begehrte Arbeitszeiterhöhung zu. Dies gilt sowohl für den Hauptantrag (Erhöhung der Arbeitszeit auf 39 Stunden wöchentlich) als auch für den Hilfsantrag (Erhöhung der Arbeitszeit auf 19,5 Stunden wöchentlich).

1. Die Klägerin kann die geltend gemachten Ansprüche nicht auf § 9 TzBfG stützen.

Nach § 9 TzBfG dieser hat der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen, es sei denn, das dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.

a) Das Berufungsgericht lässt es offen, ob die Klägerin im Hinblick auf die Stellen, die zum 01.04.2015 besetzt wurden, “gleich geeignet” im Sinne des § 9 TzBfG ist.

Die Frage der gleichen Eignung beurteilt sich nach der auszuübenden Tätigkeit (Hessisches LAG, Urteil vom 28.11.2014 – 14 Sa 465/12; LAG Berlin, Urteil vom 02.12.2013 – 3 Sa 1041/03). Denn nach der gesetzlichen Begründung des § 9 TzBfG (BT-Drucksache 4/4374, S. 18) bezieht sich die Vorschrift auf alle Arbeitsplätze, für die der Arbeitnehmer nach Qualifikation und Ausbildung geeignet ist. Eine gleiche Eignung liegt vor, wenn der Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zum Mitbewerber über insgesamt dieselben persönlichen und fachlichen Fähigkeiten, theoretischen und praktischen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügt und im bisherigen Berufsleben dieselben Leistungen erbracht hat (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.09.2011 – 3 Sa 71/11, Urteil vom 24.09.2008 – 6 Sa 3/08; Hessisches LAG, Urteil vom 28.11.2014 – 14 Sa 465/12). Dabei legt zunächst der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für die Arbeitsstelle fest; ihm steht für die Feststellung der Eignung ein Beurteilungsspielraum zu (LAG Berlin, Urteil vom 02.12.2003 – 3 Sa 1041/03; LAG München, Urteil vom 07.05.2008 – 11 Sa 1000/07; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.09.2011 – 3 Sa 71/11). Mit dem Arbeitsgericht geht auch das Berufungsgericht davon aus, dass die Darlegungslast für die “gleiche Eignung” zunächst den Arbeitnehmer trifft, der Ansprüche aus § 9 TzBfG geltend machen will. Die Darlegungslast ist allerdings abgestuft (so auch LAG Berlin, Urteil vom 02.12.2003 – 3 Sa 1041/03), da der Arbeitgeber das Anforderungsprofil der Stelle bestimmt und somit als sachnähere Partei konkreter zu den Eignungserfordernissen und etwaigen Defiziten vortragen kann.

Unter Berücksichtigung des beiderseitigen Parteivorbringens ist festzustellen, dass zu den Tätigkeiten, die diejenigen zu verrichten haben, die zum 01.04.2015 auf Vollzeitstellen eingestellt worden sind, der so genannte Innendienst zählt. Zum Innendienst gehört auch das Arbeiten am PC. Wenngleich, wie die Klägerin vorträgt, eine computermäßige Dokumentation sämtlicher Arbeiten noch nicht durchgeführt wird, so ist doch – zwischen den Parteien unstreitig – eine Eingabe von Daten der Visite in den PC erforderlich. Die Klägerin hat selbst eingeräumt, dass insoweit noch Defizite bestehen und dass sie derzeit nicht die (gesamte) Tätigkeit im Innendienst ausüben kann. Die Klägerin hat sich aber darauf berufen, unzureichend eingearbeitet worden zu sein. Insoweit wird – im Hinblick auf die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB zu Recht – die Auffassung vertreten (LAG Berlin, Urteil vom 02.12.2003 – 3 Sa 1041/03; Düwell/Pakirnus in: Düwell/Göhle-Sander/Kohte, […] PK – Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kap. 7.6 – § 9 TzBfG Rdnr. 27), dass ein Einarbeitungsvorsprung eines Bewerbers als zu berücksichtigender Qualifikationsunterschied dann ausscheidet, wenn die erforderliche Einarbeitungszeit im konkreten Fall nicht die betriebsübliche Dauer überschreitet. Das LAG Berlin (a.a.O.) hielt eine dreimonatige Einarbeitungszeit für zumutbar. Im Streitfall erstreckte sich die Einarbeitungszeit der Klägerin zwar über mehrere Monate. Jedoch waren ausweislich des Stufenplans lediglich sechs Tage monatlich für die Einarbeitung vorgesehen. Es erscheint fraglich, ob dies zureicht und ob die vorgesehenen Einarbeitungstage tatsächlich genutzt worden sind, um der Klägerin fehlende Qualifikationen zu vermitteln. Die Klägerin hat insoweit Defizite und Erschwernisse der Einarbeitung vorgetragen; die Beklagte ist dem nicht konkret entgegengetreten.

b) Es fehlt jedenfalls an einem “freien Arbeitsplatz” im Sinne des § 9 TzBfG.

aa) Ein freier Arbeitsplatz ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin, wie sie vorgetragen hat, regelmäßig Mehrarbeit leistet.

Wie sich aus dem Wortlaut des § 9 TzBfG ergibt, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen, um den Wunsch nach einer Verlängerung der Arbeitszeit erfüllen zu können; dementsprechend hat er auch nicht zur Schaffung eines freien Arbeitsplatzes Überstunden abzubauen (Linck in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl. 2015, § 43 Rdnr. 126 m.w.N.).

bb) Die Beschäftigung der Klägerin seit dem 01.10.2015 erfolgte nicht auf einem freien Vollzeitarbeitsplatz.

Es handelt sich um eine bloße Prozessbeschäftigung, nachdem die Klägerin vor dem Arbeitsgericht obsiegte. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, die Stelle sei unter Überschreitung des Stellenplans eigens eingerichtet worden, um die Klägerin für die Dauer des Rechtsstreits zu beschäftigen. Die Klägerin ist dem nicht entgegengetreten. Sie hat sich auch nicht darauf berufen, die Beklagte könne auf dieser Stelle den Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit dauerhaft erfüllen.

cc) Die Stellen, die zum 01.04.2015 besetzt wurden, scheiden als freie Arbeitsplätze im Sinne des § 9 TzBfG aus.

Ist eine Stelle endgültig mit einer anderen Person besetzt und kann dem Arbeitnehmer, der Ansprüche aus § 9 TzBfG geltend macht, der Arbeitsplatz aus diesem Grund nicht übertragen werden, so ist die Erfüllung des Anspruchs aus § 9 TzBfG dem Arbeitgeber rechtlich unmöglich im Sinne des § 275 Abs. 1 und 4 BGB; der Unmöglichkeitseinwand steht dem Anspruch aus § 9 TzBfG entgegen, so dass dem Arbeitnehmer nurmehr Schadensersatzansprüche zustehen (so BAG, Urteil vom 16.09.2008 – 9 AZR 781/07; Thüringer LAG, Urteil vom 26.01.2012 – 6 Sa 393/10; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.01.2010 – 12 Sa 44/09; LAG Hamm, Urteil vom 06.11.2008 – 16 Sa 875/08; Hessisches LAG, Urteil vom 12.09.2007 – 18 Sa 231/07; anderer Ansicht: Düwell/Pakirnus, a.a.O., § 9 TzBfG Rdnr. 46 f.; LAG Hamm, Urteil vom 25.02.2014 – 14 Sa 1174/13; jeweils m.w.N. zum Meinungsstand). Dann fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal des entsprechenden freien Arbeitsplatzes (Thüringer LAG, Urteil vom 26.01.2012 – 6 Sa 393/10). Wollte man anders entscheiden, so wäre dies gleichbedeutend mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen. Es wird ihm nämlich nicht in allen Fällen möglich sein, sich ohne rechtliche Probleme von dem Arbeitnehmer zu trennen, der die Stelle besetzt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Rechtsstreit mit dem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer längere Zeit dauert und der neu eingestellte Arbeitnehmer mittlerweile Kündigungsschutz nach § 1 KSchG genießt. Die Interessen des “übergangenen” Arbeitnehmers, der seinen Anspruch aus § 9 TzBfG nicht mehr durchsetzen kann, werden durch Schadensersatzansprüche gewahrt. Der Schadensersatz richtet sich auf die entgangene Vergütung, also auf die Differenz zwischen dem Entgelt nach Maßgabe der kürzeren Arbeitszeit und dem Entgelt nach Maßgabe der gemäß § 9 TzBfG verlängerten Arbeitszeit; der Anspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 und 2, 283 BGB (Hessisches LAG, Urteil vom 28.11.2014 – 14 Sa 465/12). Vor dem Hintergrund der drohenden Schadensersatzverpflichtung wird kein Arbeitgeber leichtfertig die Vorgaben des § 9 TzBfG zum Schutze der Teilzeitbeschäftigten missachten.

Es besteht kein Grund, in dieser Konstellation den Sekundäranspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz zurück zu drängen und dem Arbeitgeber den Unmöglichkeitseinwand zu entziehen. Dies gilt auch in Ansehung der Beschäftigungspflicht, die den Arbeitgeber als vertragliche Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis trifft (§ 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 GG – Allgemeines Persönlichkeitsrecht, vgl. BAG GS, Beschluss vom 27.02.2985 – GS 1/84). Ein gravierender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, der darin besteht, den Arbeitnehmer für das Entgelt nicht arbeiten zu lassen und ihn in die Rolle des Almosenempfängers zu drängen, liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gar nicht beschäftigt. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitgeber – wie hier – Arbeiten zuweist, allerdings nicht in dem Umfang, wie es der Arbeitnehmer wünscht. In diesem Fall erfordern es verfassungsrechtliche Wertungen nicht, die Vorschriften des § 9 TzBfG (im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal “freier Arbeitsplatz”) und des § 275 Abs. 1 und 4 BGB rechtsfortbildend umzudeuten.

2. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Verlängerung der Arbeitszeit folgt nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 7 Abs. 2 TzBfG i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB als Naturalrestitution.

Die Klägerin kann aus diesem Schadensersatzanspruch keine weitergehenden Rechte herleiten als aus § 9 TzBfG. Der Unmöglichkeitseinwand im Hinblick auf das Fehlen einer freien Stelle steht auch dem auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch entgegen.

3. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 15 Abs. 1 AGG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 BGB.

Dem Anspruch steht § 15 Abs. 6 AGG entgegen. Die Vorschrift schließt auch Vertragsänderungen, Ergänzungen und Neuabschlüsse aus (Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rdnr. 554). Jedenfalls wird der Anspruch auf Schadensersatz in Form der Naturalrestitution durch den Unmöglichkeitseinwand ausgeschlossen.

III

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin unterlag im Rechtsstreit und hat die Kosten zu tragen.

Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG im Hinblick auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25.02.2014 – 14 Sa 1174/13 zugelassen worden.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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