Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 12.01.2016 – 7 Sa 1039/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 12.01.2016 – 7 Sa 1039/15

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 06.05.2015 – 3 Ca 2060/14 – abgeändert:

a) Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.10.2014 nicht aufgelöst worden ist,

b) die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenschlosser jedenfalls bis zum 30.06.2016 weiter zu beschäftigen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der 1965 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.12.2000 bei der Beklagten als Maschinenschlosser mit einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.029,– € und einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 28.11.2000; wegen der Einzelheiten wird auf die Kopie Bl. 10 d.A. Bezug genommen. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie Anwendung.

Die Beklagte beschäftigt ständig weit mehr als 10 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden; ein Betriebsrat ist gewählt. Bis zu den Betriebsratswahlen im April 2014 war der Kläger ordentliches Betriebsratsmitglied; seither ist er Ersatzmitglied. In dieser Funktion hat er zuletzt am 02. Juli 2014 Betriebsratstätigkeit verrichtet.

Der Kläger ist alkoholkrank; ob er darüber hinaus an einer Drogenabhängigkeit erkrankt ist, ist zwischen den Parteien streitig. Wegen seiner Alkoholerkrankung unternahm der Kläger im Jahre 2011 eine Entwöhnungstherapie.

Nachdem der Kläger am 16.09. und 17.09.2014 der Arbeit fernblieb, ohne sich bei der Beklagten zu melden, teilte seine Lebensgefährtin am Nachmittag des 17.09.2014 einem Betriebsratsmitglied der Beklagten mit, der Kläger habe einen Rückfall erlitten. Am 19.09.2014 erreichte die Beklagte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 16.09. bis 18.09. und am 22.09.2014 eine Folgebescheinigung bis zum 07.10.2014.

Am 25.09.2014 ereignete sich ein Zwischenfall, den die Beklagte zum Anlass für die hier streitgegenständliche, außerordentliche Kündigung nahm: Morgens rief der Kläger seinen stellvertretenden Vorgesetzten an und forderte eine Entschuldigung von ihm, da dieser Schuld daran sei, dass er, der Kläger, kein Geld bekommen habe. Außerdem erklärte der Kläger, er werde ihn, den Leiter der Abteilung Vorrichtungsbau sowie den Personalleiter wegen Mobbings und dem Vorenthalten von Geld anzeigen. Versuche, die Geschäftsführung telefonisch zu erreichen, scheiterten; er hinterließ im Sekretariat die Nachricht, dass er persönlich vorbeikommen werde, um mit dem Geschäftsführer Herrn K zu sprechen. Am Abend desselben Tages begab sich der Kläger zum Betrieb der Beklagten und stempelte sich um 20.32 Uhr ein. Der Kläger hatte Wunden im Gesicht, blutverschmierte Hände, trug blutverschmierte Kleidung und hatte eine Bierdose dabei, als er sich in die Fertigungshalle begab, dort in die Männerumkleide. Der Mitarbeiter X folgte ihm. Der Kläger hielt sich Bier trinkend und rauchend in der Männerumkleide auf und erklärte Herrn X, er wolle ein paar Sachen abholen. Zudem wies der Kläger darauf hin, er sei alkoholkrank und zeigte ein Päckchen mit Marihuana. Er begab sich in Begleitung des Mitarbeiters in den Betriebsmittelbau, um dort etwas abzuholen und bot Herrn X an, Kaffee zu kochen. Nach Hinweis des Klägers, dass andere Mitarbeiter noch sehen würden, was sie davon hätten und er persönlich mit dem Geschäftsführer K sprechen wolle, holte er ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche und sagte, er wolle die Klinge am Schraubstock gerade biegen, weil diese beim Zerstechen der Reifen seines Vermieters krumm geworden sei. Herr X wich zurück; der Kläger steckte das Messer wieder ein und setzte die Unterhaltung vor. Er erläuterte, er komme gerade aus einer Ausnüchterungszelle und habe vielleicht Aids. Auf die Frage des Herrn X, ob er gleich nach Hause gehen wolle, erwiderte der Kläger, er habe noch etwas zu erledigen und wolle in den Schweißraum gehen, um ihm etwas zu zeigen. Herr X ging nicht mit zum Schweißraum, sondern begab sich zurück zu einer Anlage. Er sowie ein weiterer Mitarbeiter stoppten die Produktion und riefen die in der Produktion arbeitenden Mitarbeiterinnen zusammen und sammelten sie im Meisterbüro. Der Schichtleiter Herr Q sowie der Segmentleiter Herr X1 wurden von zu Hause herbeigerufen und kamen gegen 21.00 Uhr am Werksgelände an. Sie trafen den Kläger im Betriebsmittelbau an, der kurz zuvor mit einem im Schweißraum mitgenommenen Hammer die Türklinke der Eingangstür zur Abteilung innenseitig kaputt geschlagen hatte. Die Anwesenheit der Herren Q und X1 ignorierte der Kläger und versuchte, seinen Rundgang mit dem Hammer fortzusetzen. Der Kläger entriss sich einem versuchten Gespräch und begab sich zu einem Notausgang, wo er die dortige Türklinke kaputt schlug und den Zugang im Treppenhaus versperrte. Mittlerweile war die Polizei herbeigerufen worden, die den Kläger zusammen mit Herrn Q und Herrn X1 gegen 21.30 Uhr antraf. Sie begleitete den Kläger eine Viertelstunde später zum Werkstor. Hierbei gab der Kläger seine Schlüssel ab und teilte mit, er kündige. Nachdem die Mitarbeiter Q und X1 bemerkt hatten, dass der Kläger sich gegen 22.10 Uhr immer noch auf dem Parkplatz am Betriebsgelände aufhielt, begleiteten sie ihn in ein Krankenhaus, welches sie nach einer Unterbrechung auf einem Tankstellengelände, worum der Kläger gebeten hatte, gegen 23.30 Uhr erreichten.

Während seiner Anwesenheit am 25.09.2014 leerte der Kläger den Inhalt seiner Bierdose über den Schreibtisch, die Computertastatur und andere Gegenstände aus. Am Folgetag, dem 26.09.2014, fand ein Telefonat zwischen dem Kläger und dem Betriebsratsvorsitzenden statt. Der Kläger äußerte ihm gegenüber, auch mit ihm sei er noch nicht fertig; er habe sich kaufen lassen und werde sehen, was er davon habe.

Die Mitarbeiter X und Q fertigten ausführliche Berichte über diese Geschehnisse. Mit Schreiben vom 02.10.2014 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten, außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Auf einem Formularblatt teilte sie dem Betriebsrat die Sozialdaten des Klägers, die Abteilung, in der er beschäftigt ist sowie seine Tätigkeit mit. Als Anlage fügte sie eine Schilderung der Geschehnisse vom 25.09./26.09.2014 ebenso bei wie die ausführlichen Berichte der vorbezeichneten Mitarbeiter. Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Betriebsratsanhörung wird auf Bl. 69 bis 71 d.A., wegen der Berichte der Mitarbeiter auf Bl. 63 ff. d.A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 06.10.2014 teilte der Betriebsrat mit, dass er die geplante Maßnahme zur Kenntnis nehme, für ein Gespräch zur Verfügung stehe und eine einvernehmliche Lösung befürworten würde. Auf die Kopie Bl. 72 d.A. wird verwiesen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 07.10.2014, welches ihm am selben Tage zugegangen ist, fristlos (Bl. 12 d.A.).

Mittlerweile hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger vorsorglich unter dem 17.12.2015 ordentlich zum 30.06.2016 gekündigt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Iserlohn zum Aktenzeichen 3 Ca 37/16.

Gegen die fristlose Kündigung vom 07.10.2014 hat sich der Kläger mit der vorliegenden, vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Iserlohn am 23.10.2014 eingegangenen Klage zur Wehr gesetzt und vorgetragen:

Der Kläger sei der Ansicht, ihm stünde besonderer Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied zu mit der Folge, dass die Beklagte die Zustimmung des Betriebsrates im Sinne des § 103 BetrVG entweder hätte einholen oder im Verweigerungsfalle diese durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen müssen.

Die außerordentliche Kündigung sei rechtsunwirksam, da der Kläger sowohl alkohol- als auch drogenkrank sei und demzufolge für die Geschehnisse am 25.09., die er mangels Erinnerungsvermögen nicht bestreiten könne, nicht verantwortlich sei. Die Beklagte sei daher gehalten gewesen, allenfalls eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, was sie indessen nicht getan habe. Der Betriebsrat sei im Übrigen nicht ordnungsgemäß angehört worden, da die Betriebsratsanhörung sich allein auf eine verhaltensbedingte Kündigung beziehe, die indessen nicht möglich gewesen sei.

Zudem habe die Beklagte unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Vorfälle bereits erkrankt gewesen sei und sich nunmehr in eine umfangreiche Therapie begeben habe, die nach Einschätzung der Fachklinik erfolgreich verlaufe bzw. erfolgreich verlaufen sei. Der Kläger wisse, dass man bei einer Suchterkrankung nicht von einer Heilung sprechen könne; gleichwohl führe die erfolgreiche Therapie dazu, dass eine Wiederholungsgefahr nicht bestehe.

Der Kläger hat im Kammertermin vom 06.05.2015 beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.10.2014 nicht beendet wird, 2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenschlosser weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Die außerordentliche Kündigung vom 07.10.2014 sei wirksam. Insbesondere stehe dem Kläger kein besonderer Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied zu. Der Kläger sei nämlich lediglich Ersatzmitglied und habe seine letzte Tätigkeit im Juli 2014 verrichtet. Ab diesem Zeitpunkt stünde dem Kläger lediglich der nachwirkende Kündigungsschutz zur Seite mit der Folge, dass die Beklagte zwar gehalten sei, eine ordentliche Kündigung nicht auszusprechen; die außerordentliche Kündigung sei aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ohne Zustimmung des Betriebsrates möglich.

Der Beklagten stehe auch ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung zur Seite. Das Verhalten des Klägers am 25.09. und 26.09.2014 sei geeignet, die Weiterbeschäftigung auch für den Lauf der ordentlichen Kündigungsfrist als unzumutbar erscheinen zu lassen. Die Beklagte bestreite, dass der Kläger auch drogenabhängig sei. Letztendlich komme es nicht darauf an, ob den Handlungen des Klägers tatsächlich eine Erkrankung zugrunde liege, da im Ausnahmefall ein Fehlverhalten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht zwingend eines Verschuldens bedürfe. Wenn man mit dem Kläger davon ausgehe, sein Verhalten sei durch seine Erkrankung bedingt, sei von Rückfällen immer wieder auszugehen. Auch eine Interessenabwägung gehe zu Gunsten der Beklagten aus, da hier zu berücksichtigen sei, dass der Kläger bereits im Jahre 2011 eine Entziehungskur gemacht und die Beklagte ihn hierbei unterstützt habe. Zum Zeitpunkt der Kündigung sei nicht bekannt gewesen, dass der Kläger eine weitere Entziehungskur plane. Die Beklagte habe auch eine Fürsorgepflicht gegenüber allen anderen Arbeitnehmern des Betriebes, die vor weiteren Angriffen des Klägers geschützt werden müssten. Der Kläger neige im alkoholisierten Zustand zu Brutalitäten, mit denen er sich selbst und seine Arbeitskollegen gefährde.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nach Ausspruch der Kündigung am 23.10.2014 den Mitarbeiter der Qualitätssicherung Herrn I anrief und auf seine Mobilbox sprach, ob er sehen wolle, wie die Firma brennen werde. Er werde gleich vorbeikommen und hoffe, dass das Handy abgehört werde. Er sei der Antichrist. Wegen der Einzelheiten der Worte des Klägers vom 23.10.2014 wird auf Seite 14 der Klageerwiderung (Bl. 60 d.A.) Bezug genommen.

Durch Urteil vom 06.05.2015, dem Vertreter des Klägers zugestellt am 03.07.2015, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Verhalten des Klägers sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen; ein Verschulden an der vertraglichen Pflichtverletzung sei nicht erforderlich und die Interessenabwägung gehe insbesondere deswegen zugunsten der Beklagten aus, weil der Kläger bereits im Jahre 2011 eine Alkoholentwöhnung durchgeführt habe, weshalb eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden könne. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt; der besondere Kündigungsschutz, der ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrates verlange, stehe dem Kläger nicht zu. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung wird auf Bl. 130 ff. d.A. Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vorliegenden, vorab per Telefax beimLandesarbeitsgericht Hamm am 22.07.2015 eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.10.2015 mit Schriftsatz vom 24.09.2015, beim Landesarbeitsgericht am 24.09.2015 eingegangen, begründeten Berufung.

Der Kläger trägt vor:

Er verbleibe dabei, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes des Klägers die Zustimmung des Betriebsrates nach § 103 BetrVG einzuholen. Hierzu beruft er sich auf eine Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 10.02.2015, 6 Sa 514/04.

Das Arbeitsgericht habe in der angegriffenen Entscheidung nicht gewürdigt, dass Ursache des Verhaltens des Klägers ein krankheitsbedingtes, nicht steuerbares Verhalten sei, sodass die Kündigung an den Maßstäben einer krankheitsbedingten Kündigung gemessen werden müsse. Das Arbeitsgericht habe darüber hinaus keinerlei Zukunftsprognose angestellt. Diese hätte zugunsten des Klägers ausgehen müssen, da nach der absolvierten Therapie in Zukunft mit weiteren suchtbedingten Ausfällen nicht zu rechnen sei. Zu Unrecht sei eine Wiederholungsgefahr angenommen worden unter Hinweis auf die im Jahre 2011 durchgeführte Alkoholentwöhnung.

Soweit das Arbeitsgericht angenommen habe, eine schuldhafte Handlung im Rahmen einer Vertragspflichtverletzung sei nicht erforderlich, sei übersehen worden, dass nach der sowohl von den Parteien als auch vom Gericht zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 21.01.1999, 2 AZR 665/98, auf ein Verschulden nur in Extremfällen verzichtet werden könne. Das Bundesarbeitsgericht habe ausdrücklich festgehalten, dass solche Extremfälle bei fortlaufenden Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers vorliegen können, was nach der Sachverhaltskonstellation im vorliegenden Fall nicht gegeben sei. Es habe sich lediglich um einen einmaligen Vorgang gehandelt, der einen Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung zur Frage des Verschuldens nicht darstellen könne. Es habe sich um einen Exzess gehandelt, als der Kläger am 25.09.2014 wie geschildert im Betrieb aufgelaufen sei. Darüber hinaus sei der Kläger nach Ausspruch der fristlosen Kündigung monatelang arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe sich insbesondere in der Therapie aufgehalten. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist sei von daher schon nicht unzumutbar gewesen. Bei der Interessenabwägung sei nicht berücksichtigt worden, dass der Kläger aufgrund seines Alters und seiner Erkrankung nicht in der Lage sein wird, eine neue Erwerbstätigkeit zu finden. Dieser Umstand in Verbindung mit einer fast 14jährigen Betriebszugehörigkeit müsse den Ausschlag zugunsten des Klägers geben.

Das Vorbringen der Beklagten zum Telefonanruf des Klägers am 23.10.2014 sei für die vorliegend ausgesprochene Kündigung nicht relevant, da es zeitlich später erfolgt und zudem nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung gewesen sei.

Da die Beklagte mittlerweile eine ordentliche Kündigung zum 30.06.2016 ausgesprochen habe, beschränke er den Weiterbeschäftigungsantrag und beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 06.05.2015 – 3 Ca 2060/14 – abzuändern und a) festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.10.2014 nicht beendet worden ist. b) Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu a) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Maschinenschlosser jedenfalls bis zum 30.06.2016 weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung als zutreffend und nimmt insbesondere auf den unstreitigen Sachverhalt zum Verhalten des Klägers am 25.09.2014 Bezug.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers (§§ 66 Abs. 1 Satz 2; 64 Abs. 6 ArbGG; 516 ff. ZPO) hat in der Sache Erfolg, da die fristlose Kündigung der Beklagten vom 07.10.2014 das Arbeitsverhältnis zum Kläger nicht aufgelöst hat und dem Kläger wegen des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses ein Weiterbeschäftigungsanspruch zusteht.

II.

Die Kündigung der Beklagten vom 07.10.2014 ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtsunwirksam.

1. Das Arbeitsgericht hat unter zutreffender Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Einzelnen herausgearbeitet, dass es sich bei dem Verhalten des Klägers insbesondere am 25.09.2014 um einen vertraglichen Pflichtenverstoß erheblicher Art handelt, der “an sich” geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ergibt. Ebenso hat das Arbeitsgericht zutreffend dargestellt, dass es nicht in jedem Falle eines Verschuldens im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes des § 626 Abs. 1 BGB bedarf. Die Berufungskammer folgt diesen Ausführungen der angegriffenen Entscheidung und verweist daher gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils, soweit sie sich zur Frage des wichtigen Grundes und des Erfordernisses eines Verschuldens bei Begehung der Vertragspflichtverletzung verhalten.

2. Allerdings fällt die abschließend bei jeder Kündigung vorzunehmende Interessenabwägung nach Auffassung der Berufungskammer zugunsten des Klägers aus. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen ist der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar.

a. Die Berufungskammer verkennt nicht, dass das Verhalten des Klägers am 25.09.2014 eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt, nicht nur, weil der Kläger mittels eines Schweißerhammers Türklinken abgeschlagen und den Inhalt einer Bierdose über einen Schreibtisch ergossen hat, sondern insbesondere wegen des Auftretens des Klägers, welches mit einem nachvollziehbaren Produktionsstopp sowie der ebenso für die Berufungskammer nachvollziehbaren Angst für die Arbeitskollegen verbunden war, die Situation könne aufgrund des Erscheinungsbildes und des Auftretens des Klägers eskalieren. Selbstverständlich – hierauf weist die Beklagte zu Recht hin – muss sie sich schützend vor ihre anderen Beschäftigten stellen.

b. Diesem so begründeten Interesse der Beklagten, den Kläger keinesfalls weiter zu beschäftigen, stehen allerdings höher anzusetzende Interessen des Klägers gegenüber. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung war der Kläger nahezu 14 Jahren bei der Beklagten beschäftigt, wobei die Berufungskammer davon ausgehen musste, dass das Arbeitsverhältnis mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Vorbringen der Parteien ohne vertragliche Pflichtverletzungen verlaufen ist. Die Beklagte hat zwar insoweit – ebenso wie die angegriffene Entscheidung – darauf hingewiesen, dass der Kläger bereits im Jahre 2011 eine Entwöhnungstherapie wegen einer Alkoholkrankheit durchgeführt hat. Allerdings wäre ein solcher Aspekt allenfalls im Rahmen einer sogenannten krankheitsbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG zu berücksichtigen (ausdrücklich BAG, Urteil v. 20.12.2012, 2 AZR 32/11 m.w.N.), da es jedenfalls im Zusammenhang mit der Alkoholerkrankung des Klägers und auch der Entwöhnungstherapie im Jahre 2011 zu keinen irgendwie gearteten Auffälligkeiten im Rahmen der Erbringung der Arbeitsleistung gekommen ist. Die Beklagte selbst hat im Termin zur Verhandlung vor der Berufungskammer erklärt, hierzu seien ihr auch keine anderen Anhaltspunkte mitgeteilt worden. Sie hat darüber hinaus vorgetragen, den Kläger seinerzeit bei der Entwöhnungstherapie unterstützt zu haben. Demzufolge ist mit dem Berufungsvorbringen des Klägers davon auszugehen, dass sich der Vorfall am 25.09. (und Telefonat am 26.09.) in der Tat als Exzess dargestellt hat, der für sich genommen nicht den Schluss darauf zulässt, der Kläger werde auch zukünftig aufgrund seiner Alkoholkrankheit oder seiner – nach seinem Vorbringen bestehenden – Drogenabhängigkeit wieder so verhalten (vgl. auch LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.12.1997, 18 Sa 1390/97 […] Rdnr. 53 und 54). Soweit die Beklagte angemerkt hat, der Kläger neige unter Alkoholeinfluss zu Brutalitäten, so handelt es sich hierbei um eine Vermutung, die durch sonstige Tatsachen im Vorbringen der Parteien nicht gestützt ist.

c. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen geht die Berufungskammer bei der Interessenabwägung davon aus, dass es sich bei dem Fehlverhalten des Klägers am 25.09.2014 um einen einmaligen Vorfall handelte, der bei der Beklagten nicht die Befürchtung aufkommen lassen muss, dass zukünftig mit derart gravierenden Pflichtverletzungen zu rechnen ist (vgl. BAG, Urteil vom 30.09.1993, 2 AZR 188/93 […] Rdnr. 35). Dies lässt sich bereits aufgrund der lange Zeit unbelasteten Erbringung der Arbeitsleistung durch den Kläger ableiten, ohne dass die Berufungskammer – wie der Kläger meint – die von ihm selbst nach dem 25.09.2014 eingeleitete Therapie berücksichtigen musste.

Schließlich muss zugunsten des Klägers im Rahmen der Interessenabwägung – auch wenn dies nicht alleine den Ausschlag geben kann, siehe oben – bedacht werden, dass er wegen seines Lebensalters gekoppelt mit der Tatsache, dass er jedenfalls an einer Alkoholkrankheit leidet, auf dem Arbeitsmarkt nur schwer wieder wird Fuß fassen können.

d. Soweit die Beklagte – streitlos – dargelegt hat, dass der Kläger am 23.10.2014 die dargelegten Worte auf das Mobiltelefon des Mitarbeiters der Qualitätssicherung gesprochen hat, war es der Berufungskammer verwehrt, diesen Sachvortrag zu berücksichtigen, da er zeitlich nach Ausspruch der Kündigung lag und nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung war, worauf der Kläger hingewiesen hat und was durch die Beklagte nicht bestritten wurde.

e. Soweit die Parteien auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.01.1999, 2 AZR 665/98, hingewiesen haben, lag dort eine nicht vergleichbare Sachverhaltskonstellation zugrunde. Der dortige Kläger litt an einer psychischenErkrankung, auf die er sich zur Verneinung eines Verschuldens berufen hat. Allerdings hatte der dortige Kläger ein Verhalten an den Tag gelegt, was dadurch gekennzeichnet war, dass er über einen längeren Zeitraum hinweg Dienstvorgesetzte und Kollegen beschimpft und mit Schreiben traktiert hat, die schwere Beleidigungen und ehrabschneidende Unterstellungen enthielten und deshalb mehrfach einschlägig abgemahnt gewesen ist. Im dortigen Rechtsstreit lag demnach ein massiv belastetes Arbeitsverhältnis zugrunde, als sich die dortige Beklagte zur Kündigung entschloss.

Nach alledem überwiegen die Beschäftigungsinteressen des Klägers das Interesse der Beklagten, den Kläger nicht wieder zu beschäftigen mit der Folge, dass sich die streitgegenständliche Kündigung vom 07.10.2014 als rechtsunwirksam erweist.

III. Eine Umdeutung der Kündigung vom 07.10.2014 in eine ordentliche Kündigung kam wegen des Sonderkündigungsschutzes des Klägers als zuletzt am 02.07.2014 tätig gewordenes Ersatzmitglied des Betriebsrates gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht in Betracht; schließlich entspricht eine Umdeutung auch nicht dem Erklärungswillen der Beklagten, die selbst zutreffend davon ausgegangen ist, dass dem Kläger der nachwirkende Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG zur Seite stand, als sie die streitgegenständliche Kündigung aussprach.

IV. Soweit der Kläger darüber hinaus meint, die streitgegenständliche Kündigung vom 07.10.2014 sei rechtsunwirksam, da gemäß § 103 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrates nicht vorliegt, folgt die Berufungskammer dem nicht. Insoweit hat das Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung die Grundlagen des nachwirkenden Kündigungsschutzes für tätig gewordene Ersatzmitglieder des Betriebsrates zutreffend dargestellt und bewertet, sodass die Berufungskammer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung, dort Ziffer 3, Bezug nimmt, § 69 Abs. 2 ArbGG.

V. Der vom Kläger geltend gemachte Weiterbeschäftigungsantrag ist ebenfalls begründet, da ihm gemäß § 611 BGB ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung im beantragten Sinne zusteht. Da nämlich die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 07.10.2014 festgestellt ist, überwiegt das Interesse des Klägers an der Beschäftigung im bestehenden Arbeitsverhältnis (grundlegend BAG in GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Soweit die Beklagte das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung vom 17.12.2015 vorsorglich zum 30.06.2016 gekündigt hat, hat der Kläger dies zutreffend im Rahmen seiner Antragstellung im Berufungsverfahren berücksichtigt.

VI. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits als unterlegene Partei, § 91 ZPO.

VII. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hatte keine besondere Bedeutung, weil die Entscheidung allein auf den Umständen des Einzelfalles beruht und die sonstigen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht ersichtlich sind.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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