Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 21.04.2016 – 15 Sa 1780/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 21.04.2016 – 15 Sa 1780/15

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 10.11.2015 – 3 Ca 963/15 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf eine arbeitsvertragliche Weihnachtsgratifikation.

Die Klägerin war in der Zeit vom 17.10.2005 bis zum 31.12.2014 bei der Beklagten als Ergotherapeutin beschäftigt; das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung. Die Klägerin verband mit dem Gesellschafter U C der Beklagten eine nichteheliche Lebensgemeinschaft, welche nicht mehr besteht.

Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der schriftliche Arbeitsvertrag vom 29.09.2005 (für die Einzelheiten s. Bl. 5 – 11 d. A.), dessen § 5 den folgenden Wortlaut hat:
“§ 5 Weihnachtsgratifikation 1) Der Arbeitnehmer erhält eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von -100,00-€ monatlich. Diese Weihnachtsgratifikation ist eine freiwillige soziale Leistung, auf die auch bei mehrmaliger vorbehaltloser Zahlung kein Rechtsanspruch besteht. 2) Die Art der Auszahlung der Weihnachtsgratifikation steht im Ermessen des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist auch berechtigt, die Zahlung anteilig monatlich vorzunehmen. 3) Die Weihnachtsgratifikation ist zurückzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eigener Kündigung oder wegen außerordentlicher Kündigung bzw. aus von ihm zu vertretender verhaltensbedingter Kündigung des Arbeitgebers bis zum 31.03. des Folgejahres ausscheidet.”

Während ihrer gesamten Tätigkeit erhielt die Klägerin eine Weihnachtsgratifikation von monatlich 100,00 Euro, dargestellt in den Entgeltabrechnungen als Lohnart “001”, ohne Vorbehalt.

Mit der Entgeltabrechnung für den Monat Dezember 2014 zog die Beklagte von dem Gehalt der Klägerin für die Monate Januar bis November 2014 11 x 100,00 Euro, insgesamt somit 1.100,00 Euro, ab. Zudem gelangten für den Monat Dezember 2014 weitere 100,00 Euro Weihnachtsgratifikation nicht zur Auszahlung.

Mit ihrer am 14.04.2015 eingereichten Zahlungsklage hat die Klägerin eine Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2014 in Höhe von 1.200,00 Euro brutto begehrt.

Sie hat vorgetragen, dass die Zahlung von 100,00 Euro monatlich eine regelmäßige Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistungen gewesen sei. Der Freiwilligkeitsvorbehalt sei rechtsunwirksam. Zumindest handele es sich jedenfalls um eine Sonderzahlung mit Mischcharakter. Die Honorierung einer Betriebstreue sei im Arbeitsvertrag nicht erwähnt. Stets sei ihr mitgeteilt worden, dass die separate Ausweisung der monatlichen Zahlung von 100,00 Euro steuerlich begründet sei. Die Aufrechnung sei unzulässig, da es sich um eine angebliche Forderung der Privatperson U C handele. Ein Anspruch des U C gegen sie sei ohnehin nicht gegeben.

Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.01.2015 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Zahlung des Weihnachtsgeldes arbeitsvertraglich unter Freiwilligkeitsvorbehalt gestanden habe. Die Weihnachtsgratifikation sei ausschließlich zur Honorierung der Betriebstreue der Klägerin gezahlt worden. Deshalb sei auch im Arbeitsvertrag die Formulierung “freiwillige soziale Leistung” gewählt worden.

Hilfsweise hat die Beklagte die Aufrechnung mit Rückforderungsansprüchen des Gesellschafters U C erklärt. Die Klägerin habe vom gemeinsamen Baukonto eigenmächtig und rechtswidrig Beträge in Höhe von insgesamt 4.500,00 Euro abgehoben.

Das Arbeitsgericht Herne hat mit Urteil vom 10.11.2015 der Klage stattgegeben. Es hat seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:

Die Klägerin habe gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 1.200,00 Euro brutto als Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2014, welcher sich aus § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ergebe. Die Formulierung im Arbeitsvertrag, nach der die Klägerin eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 100,00 Euro monatlich “erhält”, führe zu einer Zahlungsverpflichtung in der genannten Höhe und zwar monatlich. Der Freiwilligkeitsvorbehalt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die Regelung verstoße gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und sei deshalb unwirksam. Denn der Freiwilligkeitsvorbehalt stehe im Widerspruch zu dem nach § 5 Abs. 1 Satz 1 klar gewährten Anspruch.

Auch die Rückzahlungsklausel gemäß § 5 Abs. 3 des Arbeitsvertrags stehe dem Anspruch nicht entgegen. Sie stehe nämlich im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, da sie der Klägerin bereits erarbeiteten Lohn wieder entziehen würde. Aus den Formulierungen in § 5 des Arbeitsvertrages ergebe sich in keiner Weise, dass damit ausschließlich eine Betriebstreue honoriert werden sollte. Einem solchen Verständnis stehe auch entgegen, dass die Gratifikation monatlich zur Auszahlung gelangt sei. Dies spreche gerade dafür, dass es sich um einen monatlichen Gehaltsbestandteil handele.

Der Anspruch sei auch nicht durch die hilfsweise erklärte Aufrechnung erloschen, da diese bereits unzulässig sei. Denn die zur Aufrechnung gestellte Forderung sei nicht eine der Beklagten. Eine Aufrechnungslage sei nicht gegeben.

Gegen das ihr am 19.11.2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 07.12.2015 Berufung eingelegt und diese mit einem am 17.12.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Anspruch der Klägerin der klar und deutlich formulierte Freiwilligkeitsvorbehalt gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags entgegenstehe. Darüber hinaus stehe dem Anspruch die Rückzahlungsklausel gemäß § 5 Abs. 3 des Arbeitsvertrags entgegen. Aus der Formulierung “freiwillige soziale Leistung” gehe eindeutig hervor, dass es sich gerade nicht um eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung handele. Es liege noch nicht einmal eine Sonderzahlung mit Mischcharakter vor. Die Leistung sei vielmehr ausschließlich zur Belohnung der Betriebstreue erfolgt.

Die Beklagte behauptet, dass die Mitarbeiter um monatliche Auszahlung gebeten hätten, und zwar einerseits aus steuerlichen Gründen und andererseits, damit ihnen regelmäßig mehr Zahlungen monatlich zur Verfügung ständen.

Die Beklagte behauptet darüber hinaus, dass der Gesellschafter U C seine Forderung an die Beklagte mittlerweile abgetreten habe.

Mit weiterem Schriftsatz vom 30.12.2015 hat die Beklagte eine Abtretungserklärung vom 21.12.2015, für dessen Einzelheiten auf Bl. 101 d. A. verwiesen wird, eingereicht.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 10.11.2015 (3 Ca 963/15) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Der arbeitsvertragliche Freiwilligkeitsvorbehalt sei ebenso rechtsunwirksam wie die Rückzahlungsklausel des Vertrags. Mit Nichtwissen bestreitet die Klägerin, dass die Weihnachtsgratifikation auf Wunsch der Mitarbeiter in monatliche Zahlungen á 100,00 Euro umgewandelt worden sei.

Der Anspruch sei auch nicht aufgrund erklärter Aufrechnung der Beklagten mit nunmehr behaupteten abgetretenen Forderungen des U C erloschen. Eine Aufrechnung in der Berufungsinstanz sei grundsätzlich nur mit Einwilligung des Gegners, hier ihrer Einwilligung, zulässig. Sie verweigere diese Einwilligung ausdrücklich. Die Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten hinsichtlich der mit Schriftsatz vom 30.12.2015 erstmals vorgelegten und auf den 21.12.2015 datierenden Abtretungserklärung führte auch zu einer Verzögerung des Rechtsstreits, da bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung der Rechtsstreit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach Rechtskraft eines Vorbehaltsurteils an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwiesen werden müsste. Zudem sei das Vorbringen der Beklagten zur Abhebung von Geldbeträgen, der zweckgebundenen Tilgungsbestimmung sowie zu Auswirkungen behaupteter Abhebungen auf das vermeintliche Verrechnungskonto denkbar unsubstantiiert.

Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen in erster und zweiter Instanz, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

II. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts erweist sich als zutreffend.

Die Klägerin hat die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation in Höhe von 1.200,00 Euro brutto für das Jahr 2014. Der Anspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen.

1. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Weihnachtsgratifikation folgt aus § 5 Abs. 1 Satz 1 des schriftlichen Arbeitsvertrags der Parteien vom 29.09.2005.

a) § 5 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsvertrags bestimmt, dass der Arbeitnehmer eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 100,00 Euro monatlich erhält. Die Formulierung beinhaltet die Verpflichtung der Beklagten auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation an die Klägerin in Höhe von 100,00 Euro monatlich; die Klägerin hat einen vertraglichen Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation. Der Anspruch steht der Klägerin zu für die Monate Januar bis Dezember 2014, somit in Höhe von insgesamt 1.200,00 Euro brutto.

b) Dem steht der Vorbehalt in § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags nicht entgegen. Der Vorbehalt ist rechtsunwirksam.

aa) Bei der von der Beklagten in § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vorformulierten Vertragsbedingung handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB.

Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung wesentlich darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist. Ist auch der mit dem Vertrag erfolgte Zweck einzubeziehen, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (st. Rspr., s. etwa BAG, 14.09.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81). Nicht behebbare Zweifel nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden gehen gemäß § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (st. Rspr., etwa BAG, 25.08.2010 – 10 AZR 275/09, NZA 2010, 1355).

bb) Hiervon ausgehend hat die Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsvertrags einen Anspruch auf Weihnachtsgratifikation. Die vertragliche Regelung sieht vor, dass der Arbeitnehmer eine Weihnachtsgratifikation “erhält”. Eine solche Formulierung ist typisch für die Begründung eines Entgeltanspruchs. Darüber hinaus ist in § 5 Abs. 1 Satz 1 auch die Höhe der Leistung präzise festgelegt. Dem steht nicht entgegen, dass die Weihnachtsgratifikation in § 5 Abs. 1 Satz 2 als “freiwillige soziale Leistung” bezeichnet wird. Diese Formulierung genügt für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen. Denn die Bezeichnung als freiwillig kann auch zum Ausdruck bringen, dass der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet ist.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem in § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalt, wonach auf die Weihnachtsgratifikation auch bei mehrmaliger vorbehaltloser Zahlung kein Rechtsanspruch bestehen soll. Diese Regelung verstößt, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist deshalb unwirksam.

(1) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Das Transparenzgebot will der Gefahr vorbeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. In der Gefahr, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders wegen unklar abgefasster Allgemeiner Vertragsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB (st. Rspr., etwa BAG, 14.09.2011 – 10 AZR 526/10, NZA 2012, 81).

(2) Der Vorbehalt in § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags will ausschließen, dass auch bei mehrmaliger vorbehaltloser Zahlung ein Rechtsanspruch auf die Weihnachtsgratifikation besteht. Insoweit ist der Wortlaut der vertraglichen Abrede zwar eindeutig, steht aber im Widerspruch zu dem nach § 5 Abs. 1 Satz 1 gewährten Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation. Die vertragliche Bestimmung ist deshalb nicht klar und verständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und unwirksam (BAG, 20.02.2013 – 10 AZR 177/12, NZA 2013, 1015). Die unwirksame Regelung fällt gemäß § 306 Abs. 1 BGB ersatzlos weg; der Arbeitsvertrag im Übrigen bleibt erhalten.

c) Dem Anspruch der Klägerin auf die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2014 steht ebenso wenig die vertragliche Rückzahlungsklausel des § 5 Abs. 3 entgegen. Nach dieser arbeitsvertraglichen Regelung ist die Weihnachtsgratifikation zurückzuzahlen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eigener Kündigung oder wegen außerordentlicher Kündigung bzw. aus von ihm zu vertretender verhaltensbedingter Kündigung des Arbeitgebers bis zum 31.03. des Folgejahres ausscheidet.

Die Klägerin ist zwar zum 31.12.2014 durch Eigenkündigung aus dem Arbeitsverhältnis zur Beklagten ausgeschieden. Gleichwohl ist dadurch ihr Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2014 nicht ausgeschlossen. Die vertragliche Einschränkung des Anspruchs ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie die Klägerin unangemessen benachteiligt.

aa) Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Rechtsvorschriften im Sinne von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind neben den Gesetzesbestimmungen die dem Gerechtigkeitsgebot entsprechenden allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, somit auch alle ungeschriebenen Rechtsgrundsätze und die Regeln des Richterrechts (BAG, 18.01.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 560). In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, dass mit Sonderzahlungen verbundene einzelvertragliche Stichtags- und Rückzahlungsklauseln einen Arbeitnehmer nicht in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit behindern dürfen und insoweit einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB unterliegen (st. Rspr., etwa BAG, 24.10.2007 – 10 AZR 825/06, NZA 2008, 40 m.w.N.).

Dem Arbeitgeber ist es nicht schlechthin untersagt, Sonderzahlungen mit Bindungsklauseln zu versehen, solange die Zahlungen nicht ausschließlich Gegenleistung für schon erbrachte Arbeit sind. Allerdings dürfen derartige Klauseln den Arbeitnehmer nicht unangemessen benachteiligen, ihn insbesondere nicht in unzulässiger Weise in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) behindern. Insoweit unterliegen sie einer Inhaltskontrolle durch die Arbeitsgerichte gemäß § 307 BGB.

bb) Die vorliegend zu beurteilende Stichtagsklausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand. Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, abhängig gemacht werden. Eine solche Stichtagsklausel steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, indem sie dem Arbeitnehmer bereits erarbeiteten Lohn entzieht. Darüber hinaus verkürzt sie in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert (BAG, 18.01.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561 m.w.N.).

cc) Mit dem Arbeitsgericht geht auch die Berufungskammer davon aus, dass die vertragliche Weihnachtsgratifikation jedenfalls nicht ausschließlich eine Betriebstreue der Klägerin honorieren wollte. Dies ist den Formulierungen des Arbeitsvertrags schon nicht entnehmbar. Zutreffend weist das Arbeitsgericht darauf hin, das einem solchen Verständnis bereits entgegenstehe, dass die Weihnachtsgratifikation monatlich zur Auszahlung gelangt ist. Gerade die ratierliche Auszahlung der Gratifikationsleistung spricht für ihren Entgeltcharakter. Dass es sich bei der monatlichen Zahlung von 100,00 Euro um (zumindest auch) Entgelt gehandelt haben dürfte, ist zudem den Abrechnungen entnehmbar, die – beispielhaft nachzuvollziehen an der Entgeltabrechnung für Juli 2014 (Bl. 12 d.A.) – unter der “Lohnart 001” ein die 100,00 Euro einschließendes (Gesamt-) Gehalt beziffern. Die Beklagte kann insoweit nicht damit gehört werden, dass die Mitarbeiter um monatliche Auszahlung gebeten hätten aus steuerlichen Gründen bzw. aus Gründen des Zurverfügungstehens eines monatlich höheren Entgeltbetrags. Der Vortrag ist unsubstantiiert geblieben und zudem von der Klägerin bestritten worden. Auch erschließt sich nicht ohne weitere von der Beklagten vorzubringende Erläuterung, inwieweit ein Wunsch von Arbeitnehmern nach monatlicher Auszahlung einer Gratifikationsleistung deren Entgeltcharakter ausschließt. Es muss daher dabei verbleiben, dass gerade die monatliche Auszahlung der Gratifikation für einen monatlichen Entgeltbestandteil spricht und die Leistungserbringung durch die Beklagte eine Gegenleistung für erbrachte Arbeit darstellt. Eine Sonderzahlung, die jedenfalls auch Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung darstellt, kann jedoch nicht vom ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt außerhalb des Bezugszeitraums, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, abhängig gemacht werden. Eine solche Stichtagsklausel steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, der einen nachträglichen Entzug bereits erarbeiteten Entgelts nicht vorsieht (BAG, 18.01.2012 – 10 AZR 612/10, NZA 2012, 561). Darüber hinaus verkürzt, wie bereits ausgeführt, die Stichtagsklausel die grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit der Klägerin, weil sie die Ausübung ihres Kündigungsrechts unzulässig erschwert.

2. Der Anspruch der Klägerin ist nicht gemäß §§ 387, 389 BGB durch eine von der Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung erloschen.

a) Eine Aufrechnung des klägerischen Anspruchs mit einer Forderung des Gesellschafters U C der Beklagten ist mangels Gegenseitigkeit der Forderungen und damit wegen Nichtvorliegens einer Aufrechnungslage unzulässig, wie das Arbeitsgericht richtig festgestellt hat.

b) Auch die nunmehr mit Schriftsatz vom 30.12.2015 erstmals vorgelegte Abtretungserklärung vom 20.12.2015 führt nicht dazu, dass der Anspruch der Klägerin aufgrund erklärter Aufrechnung der Beklagten mit abgetretenen Forderungen des Gesellschafters U C erloschen ist.

aa) Erstmals in der Berufungsinstanz hat die Beklagte die Aufrechnung mit behaupteten abgetretenen Forderungen ihres Gesellschafters U C erklärt. Gemäß § 533 Nr. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG ist eine Aufrechnung in der Berufungsinstanz grundsätzlich nur mit Einwilligung des Gegners, hier der Klägerin, zulässig. Die Klägerin hat ihre Einwilligung ausdrücklich verweigert.

bb) Darüber hinaus ist die Aufrechnungserklärung in der Berufungsinstanz bei Sachdienlichkeit zulässig, wenn die dazu vorgetragenen Tatsachen nach § 529 ZPO berücksichtigt werden können.

Unabhängig davon, dass die Abtretungserklärung, auf die sich die Berufungsbegründung nunmehr stützt, nicht bereits mit der Berufungsbegründung, sondern erst mit Schriftsatz vom 30.12.2015 vorgelegt worden ist, führte die Berücksichtigung des nunmehrigen Vorbringens zur behaupteten Abtretung der zur Aufrechnung gestellten Forderungen zu einer Verzögerung des Rechtsstreits. Denn im Falle der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung, wie es vorliegend der Fall ist, wäre der Rechtsstreit nach einer rechtsbeständigen Erledigung der Klageforderung wegen der Gegenforderung an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verweisen (BAG, 28.11.2007 – 5 AZB 44/07, NZA 2008, 843). Darüber hinaus ist Sachdienlichkeit bereits deshalb zu verneinen, da der Rechtsstreit ohne die Aufrechnungsforderung entscheidungsreif ist. Zudem erscheint die Aufrechnung in keiner Weise ohne weiteres als durchgreifend oder als unbegründet mit der Folge, dass auch dieser Streitpunkt zwischen den Parteien ohne neuen Prozess bereinigt werden könnte (vgl. insoweit Zöller-Heßler, ZPO, 31. Aufl., § 533 Rn. 28).

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht gegeben.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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