Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 23.09.2015 – 10 Sa 647/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 23.09.2015 – 10 Sa 647/15

Die Begründung einer betrieblichen Übung zur Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung setzt voraus, dass es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will.

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford – Az. 3 Ca 753/14 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Vergütung des Klägers gemäß dem Tarifabschluss für die Mitarbeiter der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW zum 01.05.2014 um 2,2% zu erhöhen.

Der Kläger ist bei der Beklagten, nachdem er dort zuvor schon seine Ausbildung absolviert hatte, seit dem 01.04.2007 als Industriemechaniker beschäftigt. Im April 2014 erzielte er gemäß der vorgelegten Lohnabrechnung (Bl. 3 d.A.) ein “Gesamtentgelt” in Höhe von 2.935,00 € brutto. In dem am 28.02.2007 geschlossenen Arbeitsvertrag, wegen dessen Inhalt auf Blatt 7 ff. der Akte verwiesen wird, heißt es unter anderem:
“§ 2 Aufgrund der vorgesehenen Tätigkeit erhält der/die Arbeitnehmerin eine Vergütung in Höhe von: Arbeitsentgelt insgesamt brutto 2.256,47 €. Das Entgelt wird als “festes Monatsentgelt” gezahlt. Zurzeit liegt diesem Monatsentgelt eine Stundenzahl von 152,25 zugrunde (35 Std. pro Woche x 4,35 Wochen/Mon.) ….. § 23 Sonstige Vereinbarungen: Tarifverträge finden auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. …..”

Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Nachdem die Parteien erstinstanzlich zunächst über die Tarifbindung der Beklagten gestritten haben, hat der Kläger im Anschluss an eine Auskunft des Arbeitgeberverbandes Herford e.V. (Bl. 132 d.A.) im Termin vor der Berufungskammer unstreitig gestellt, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes für die Metall- und Elektroindustrie war.

In der Vergangenheit hat die Beklagte die Lohnerhöhungen nach den Tarifabschlüssen der Metall- und Elektroindustrie NRW über Jahrzehnte an ihre Arbeitnehmer weitergegeben; gesonderte Mitteilungen darüber erfolgten nicht. Die zum 01.05.2014 in Kraft getretene Tariflohnerhöhung für die Mitarbeiter der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NRW in Höhe von 2,2% hat die Beklagte gegenüber ihren Arbeitnehmern hingegen nicht umgesetzt. Aufgrund dessen ergibt sich ein Differenzlohnanspruch des Klägers für den Monat Mai 2014 in Höhe von 64,57 € brutto.

In 2009 hatte die Beklagte aufgrund von Refinanzierungsschwierigkeiten zusammen mit weiteren Mitgliedern der “OYSTAR-Gruppe”, die nur teilweise tarifgebunden sind, einen Sanierungs-Haustarifvertrag mit der IG Metall abgeschlossen. Der Tarifvertrag sieht u.a. folgende Regelungen vor:
“2. Entgelte (Löhne und Gehälter) 2.1 Die Erhöhung der Entgelte um 2,1 % gemäß TV Entgelte und Ausbildungsvergütungen vom 12.11.2008 wird an den Standorten spätestens zum 1.12.2009 umgesetzt. An Standorten, an denen einseitig Zahlungen aus diesem Tarifvertrag nicht umgesetzt wurden, erfolgt eine pauschale Abgeltung der entstandenen Ansprüche der Beschäftigten. Die Ausgestaltung hierzu wird jeweils an den Standorten zwischen der jeweiligen Geschäftsführung und mit der IG Metall vereinbart. 2.2 Die im Jahr 2010 anstehende Tariflohnerhöhung wird um zwölf Monate verschoben. Tarifliche Regelungen zur Altersteilzeit bleiben von dieser Verschiebung unberührt. 2.3 Die im Jahr 2011 anstehende Tariflohnerhöhung wird auf den 01.01.2012 verschoben. ….. 8. Verhandlungsabsicht hinsichtlich einer Tarifbindung 8.1 Die zur OYSTAR-Gruppe gehörigen Unternehmen werden innerhalb der nächsten Monate ernsthafte Verhandlungen mit der IG Metall aufnehmen, um eine umfassende Tarifbindung an allen Standorten herbeizuführen. Hierbei ist den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Standorte Rechnung zu tragen. 8.2 Falls bis zum 30.4.2010 keine Einigung über eine umfassende Tarifbindung zustande kommt, wird das jeweilige Unternehmen zumindest dahingehend eine Bindung eingehen, dass die Tarifdynamik der einschlägigen Flächentarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie übernommen wird. “

Ferner regelt der Tarifvertrag die Kürzung von Sonderzahlungen für die Jahre 2009 bis 2011 sowie eine Mitarbeitererfolgsbeteiligung; außerdem wurden betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31.03.2011 ausgeschlossen und eine Standorterhaltung bis Ende 2012 vereinbart. Unter Ziffer 11 haben die Parteien ein Auslaufen des Tarifvertrages zum 31.12.2012 ohne Nachwirkung vereinbart. Wegen des weiteren Inhalts des Haustarifvertrages wird auf Bl. 154 ff. d.A. verwiesen. Im Februar 2010 forderte die Beklagte den Kläger schriftlich auf, sich mit der Geltung des Sanierungstarifvertrages einverstanden zu erklären (Bl. 149 d.A.).

Der Kläger macht mit seiner Klage die Vergütungsdifferenz für Mai 2014 geltend und begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab Mai 2014 die Lohnerhöhungen nach dem Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie NRW in Höhe von 2,2 % zu zahlen. Er hat dazu erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Beklagte schon deshalb zur Weitergabe der Tariflohnerhöhungen verpflichtet sei, da sie aufgrund ihrer Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband tarifgebunden sei. Selbst wenn sie nicht tarifgebunden sei, sei sie jedenfalls aufgrund einer betrieblichen Übung verpflichtet, die Tariflohnerhöhungen an den Kläger weiterzugeben. Die vom Bundesarbeitsgericht für einen Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhungen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung verlangten deutlichen Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers, die auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen schließen lassen, lägen vor. Denn die Beklagte habe die Tariflohnerhöhungen seit 25 Jahren, im Falle des Klägers jedenfalls seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses, weitergegeben und darüber weder gesondert Mitteilung gemacht, noch einen Widerrufs- oder Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt. Auch dass die Beklagte in der Vergangenheit Arbeitsverträge mit anderen Arbeitnehmern abgeschlossen habe, die ausdrücklich eine Tarifbindung vorsehen, sei ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen wollte.

§ 23 des Arbeitsvertrages, der ausdrücklich regle, dass Tarifverträge keine Anwendung finden, sei unwirksam. Da unklar gewesen sei, ob die Beklagte tarifgebunden ist, sei auch § 23 des Arbeitsvertrages unklar und wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam nach § 307 Abs. 1 BGB.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab Mai 2014 auf das ihm zustehende monatliche Gesamtentgelt, bestehend aus Monatsgrundlohn und Leistungszulage, die Lohnerhöhungen nach den Tarifverträgen der Metallindustrie NRW in Höhe von 2,2 % zu zahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für Mai 2014 64,57 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger keinen Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhung 2014 habe. Die Beklagte sei zu keinem Zeitpunkt tarifgebundenes Mitglied in dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie NRW gewesen. Die Bindung der Beklagten an den Sanierungstarifvertrag ergebe sich allein daraus, dass es sich um einen Haustarifvertrag handele. Gerade wegen der fehlenden Tarifbindung habe die Beklagte den Kläger im Februar 2010 aufgefordert, seine Zustimmung zu der Anwendbarkeit dieses Tarifvertrages zu erklären.

Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aufgrund betrieblicher Übung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entstehe eine betriebliche Übung auf Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung nicht allein dadurch, dass der nicht tarifgebundene Arbeitgeber die Tariflohnerhöhungen über einen längeren Zeitraum an die Arbeitnehmer weitergebe. Vielmehr seien weitere deutliche Anhaltspunkten im Verhalten des Arbeitgebers erforderlich, die darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Lohnerhöhungen auch künftig übernehmen wolle. Solche Anhaltspunkte seien vorliegend nicht ansatzweise erkennbar. Vielmehr verdeutliche § 23 des Arbeitsvertrages – der weder unklar noch aus sonstigen Gründen unwirksam sei -, dass die Beklagte sich einer Tarifbindung gerade nicht unterwerfen wollte. Das Gleiche ergebe sich aus ihrer OT-Mitgliedschaft, denn Sinn und Zweck einer OT- Mitgliedschaft sei es, sich nicht der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien zu unterwerfen. Würde die Beklagte über eine betriebliche Übung verpflichtet, so sei sie entgegen diesem nach außen in Erscheinung getretenen Willen sogar stärker an die Tariflohnentwicklung gebunden als ein tarifgebundener Arbeitgeber, der sich anders als der tariflich nicht gebundene Arbeitgeber durch einen Verbandsaustritt von der Tarifbindung lösen könne.

Mit Urteil vom 31.03.2015, auf dessen Tatbestand zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Weitergabe der Tariflohnerhöhungen sich nicht aus § 4 Abs. 1 TVG ergebe, da die Beklagte nicht tarifgebunden sei, wie sich aus dem Bestätigungsschreiben des Arbeitgeberverbandes Herford e.V. ergebe. Der Anspruch des Klägers folge auch nicht aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung. Die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderlichen deutlichen Anhaltspunkte in dem Verhalten der Beklagten, die auf den Willen schließen lassen, sich dauerhaft der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien zu unterwerfen, seien nicht erkennbar. Der Hinweis des Klägers auf eine Lohnabrechnung aus dem Jahr 2005, die sein damaliges Gehalt als “Tarifgehalt Azubi” ausweise, sei unerheblich, da eine Lohnabrechnung nur den abgerechneten Lohn dokumentiere, nicht aber den Anspruch bestimme. Der Wille der Beklagten zu einer dauerhaften Bindung an die tariflichen Entgelterhöhungen lasse sich auch nicht aus dem Schreiben aus Februar 2010 herleiten, denn der Kläger hätte seine Zustimmung zur Anwendung des Sanierungstarifvertrages nicht erklären müssen, wenn ohnehin eine Tarifbindung bestanden hätte. Zudem sage die Anwendung des Sanierungstarifvertrages nichts aus über den Willen der Beklagten, auch den Entgelttarifvertrag anzuwenden. Auch aus dem Umstand, dass die Beklagte mit einigen Arbeitnehmern Arbeitsverträge mit Tarifbindung abgeschlossen habe, könne der Kläger für sich nichts herleiten, ebenso wenig wie aus der Tatsache, dass die Beklagte die Tariflohnerhöhungen in den vergangenen Jahren jeweils ohne gesonderte Mitteilungen oder einen Freiwilligkeitsvorbehalt an den Kläger weitergegeben habe. Denn ohne gesonderte Mitteilung habe auch der Kläger davon ausgehen müssen, dass die Beklagte eine Entscheidung immer nur über die Weitergabe der jeweiligen Lohnerhöhung getroffen habe. Schließlich ergebe sich aus § 23 des Arbeitsvertrages, der nicht nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sei, ausdrücklich die fehlende Tarifbindung.

Gegen das klageabweisende, dem Kläger am 10.04.2015 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 07.05.2015, die er mit am 05.06.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz und führt ergänzend aus: Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch aus betrieblicher Übung abgelehnt, denn die von der Rechtsprechung geforderten deutlichen Anhaltspunkte im Verhalten der Beklagten ergäben sich schon aus der über 30-jährigen Weitergabe der Tariflohnerhöhungen. Das Arbeitsgericht stelle überzogene Anforderungen, wenn es darüber hinaus weitere Anhaltspunkte verlange, die auf einen jedenfalls konkludent bekundeten Willen der Beklagten schließen lassen.

Ungeachtet dessen lägen entsprechende Anhaltspunkte aber auch vor. So habe die Beklagte mit anderen Arbeitnehmern Arbeitsverträge geschlossen habe, die die einschlägigen Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Bezug nehmen. Zudem sei im Rahmen des Sanierungstarifvertrages geregelt worden, dass die “anstehenden Tariflohnerhöhungen” mit einer zeitlichen Verzögerung weitergegeben werden. Diese Regelung sei nur erklärlich, wenn die Beklagte von einer Verpflichtung zur Weitergabe der Tariflohnerhöhungen ausgegangen sei. Ferner werde gemäß Ziffer 8 des Sanierungstarifvertrages angestrebt, eine umfassende Tarifbindung an allen Standorten herbeizuführen. Von einer umfassenden Tarifbindung könne aber nur gesprochen werden, wenn sie auch die Anerkennung der aktuellen und zukünftigen Tariflohnerhöhungen umfasse. Ein Bindungswille der Beklagten ergebe sich auch aus Ziffer 8.2 des Sanierungstarifvertrages, wonach sich die Tarifpartner verpflichtet haben, jedenfalls die Tarifdynamik der einschlägigen Flächentarife zu übernehmen.

Jedenfalls hinsichtlich Ziffer 8, insbesondere Ziffer 8.2, könne sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Sanierungstarifvertrag am 31.12.2012 ohne Nachwirkung ausgelaufen sei. Denn wäre die Beklagte ihrer Verpflichtung gemäß Ziffer 8 des Tarifvertrages nachgekommen, so wäre es zu einer umfassenden Tarifbindung gekommen, die über das Ende des Sanierungstarifvertrages hinaus gewirkt hätte. Da es sich bei dem Sanierungstarifvertrag auch um einen Vertrag zugunsten Dritter, nämlich des Klägers handele, sei die Beklagte – die ihrer Verpflichtung aus Ziffer 8 des Tarifvertrages nicht nachgekommen sei – dem Kläger jedenfalls zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens i.H.d. Tariflohnerhöhung verpflichtet.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Herford, Az. 3 Ca 753/14, abzuändern und 1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab Mai 2014 auf das ihm zustehende monatliche Gesamtentgelt, bestehend aus Monatsgrundlohn und Leistungszulage, die Lohnerhöhungen nach den Tarifverträgen der Metallindustrie NRW in Höhe von 2,2 % zu zahlen, 2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für Mai 2014 64,57 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die beiden von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung im Wesentlichen vorgebrachten Argumente – dass erstens die Beklagte über einen langen Zeitraum hinweg die Tariflohnerhöhungen umgesetzt habe und es zweitens Arbeitnehmer gebe, deren Arbeitsverträge eine Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen der Metall- und Elektroindustrie enthielten – seien nicht geeignet, einen Anspruch aus betrieblicher Übung zu begründen. Der Hinweis der Klägers auf Arbeitsverträge anderer Arbeitnehmer mit Bezugnahmeklausel, insbesondere des Arbeitnehmers D aus dem Jahr 1998, sei unerheblich, da es im Laufe der letzten 40 Jahre die unterschiedlichsten Formen der Vertragsgestaltung gegeben habe. Weitere Umstände, die einen gesteigerten Bindungswillen erkennen ließen, habe der Kläger auch zweitinstanzlich nicht vorgetragen. Insbesondere aus dem Sanierungstarifvertrag könne der Kläger für sich nichts herleiten. Ziffer 2 des Sanierungstarifvertrages habe eine Regelung grundsätzlich nur für die Standorte mit Tarifbindung getroffen und bei den tarifungebundenen Unternehmen für diejenigen Arbeitsverhältnisse, denen Arbeitsverträge mit Bezugnahmeklauseln zugrunde lagen. Sie könne aber nicht als ein “Signal” aufgefasst werden, dass die Beklagte sich “allgemein tarifgebunden gefühlt” habe oder sogar eine entsprechende Tarifbindung hätte eingehen wollen. Ziffer 8 sei nur auf massives Drängen der IG Metall als “Absichtserklärung” aufgenommen worden, um auch an den nicht tarifgebundenen Standorten über maßgeschneiderte Lösungen sprechen zu können. Tatsächlich sei aufgrund der wirtschaftlich schwierigen Situation zu keinem Zeitpunkt über eine Tarifbindung verhandelt worden. Jedenfalls aber sei der Sanierungstarifvertrag zum 31.12.2012 ohne Nachwirkung ausgelaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Beklagte keine Tarifbindung eingegangen und danach sei sie dazu auch nicht mehr verpflichtet gewesen.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. b ArbGG) und nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 30.04.2014 gegen das am 10.04.2016 zugestellte Urteil innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie wurde auch innerhalb der verlängerten Frist des § 66 Abs. 1 S. 1, S. 5 ArbGG nach den §§ 520 Abs. 3 in Verbindung mit 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG am 05.06.2015 begründet.

II. Die Berufung mit dem Ziel, weiterhin die tariflichen Lohnerhöhungen zu erhalten, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger besitzt hinsichtlich des Klageantrags zu 1) das erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO.

a) Der Feststellungsantrag gem. § 256 Abs. 1 ZPO muss sich nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Er kann sich auf Teilrechtsverhältnisse, insbesondere auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Lediglich bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können nicht zum Gegenstand eines Feststellungsantrags gemacht werden (vgl. BAG, Urteile vom 27. Oktober 2005 – 6 AZR 123/05 – BAGE 116, 160; vom 27. Januar 2004 – 1 AZR 105/03 – […]). Bei der von dem Kläger zur Entscheidung gestellten Verpflichtung zur Weitergabe der Tariflohnerhöhung und der sich daraus ergebenden Vergütungspflicht handelt es sich nicht lediglich um eine Vorfrage oder abstrakte Rechtsfrage. Vielmehr geht es um die konkrete Ausgestaltung eines wesentlichen Teils des Arbeitsverhältnisses.

b) Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Rechtsverhältnisses. Ein solches Interesse ist anzunehmen, wenn das angestrebte Feststellungsurteil geeignet ist, den Konflikt der Parteien endgültig zu lösen (BAG, Urteile vom 23. September 2009 – 5 AZR 628/08 – […]; vom 13. Februar 2003 – 8 AZR 102/02 – AP BGB § 613a Nr. 245). Die Beklagte lehnt einen Anspruch des Klägers auf Weitergabe der Tariflohnerhöhung generell ab. Die Feststellungsklage ist geeignet, den Streit der Parteien insgesamt beizulegen, insbesondere da die Beklagte erklärt hat, sich einer rechtskräftigten Entscheidung in diesem Verfahren, das als “Pilotverfahren” auch für vergleichbare Fälle anderer Arbeitnehmer geführt wird – zu beugen.

Mit der begehrten Feststellung wird die Leistungspflicht der Beklagten auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstands auch in den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft abschließend geklärt. Das Feststellungsbegehren ist dahin auszulegen, die Beklagte solle zur begehrten Leistung im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses verpflichtet sein. Dem Feststellungsinteresse des Klägers steht vorliegend auch der Grundsatz des Vorrangs der Leistungsklage nicht entgegen. Zwar lassen sich die bisher fälligen Ansprüche beziffern. Der Kläger begehrt Vergütung jedoch nicht nur für zurückliegende Zeiträume, sondern auch für die Zukunft. Von der Rechtskraft einer auf Zahlung der entsprechenden Differenzbeträge gerichteten Klage würden jedoch zukünftige Zahlungsansprüche nicht erfasst. Deshalb kann aus prozessökonomischen Gründen der gesamte Streit zwischen den Parteien nur durch ein Feststellungsurteil beigelegt werden.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn für das Begehren des Klägers gibt es keine tragfähige Rechtsgrundlage.

a) Der Kläger kann sein Zahlungsverlangen nicht auf den Entgelttarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie stützen, denn dieser ist weder allgemeinverbindlich, noch ist der Entgelttarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung anwendbar. Insoweit ist zwischen den Parteien im Berufungsverfahren unstreitig geworden, dass die Beklagte zu keinem Zeitpunkt Mitglied in dem tarifschließenden Arbeitgeberverband war.

b) Der Entgelttarifvertrag ist auch nicht kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Vielmehr regelt der Arbeitsvertrag ausdrücklich, dass Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis nicht anwendbar sind.

c) Eine betriebliche Übung, tarifliche Lohnerhöhungen stets voll zu übernehmen, ist in dem Betrieb der Beklagten ebenfalls nicht entstanden. Dass die Beklagte in der Vergangenheit tarifliche Lohnerhöhungen stets voll an ihre Arbeitnehmer weitergegeben hat, hat eine entsprechende betriebliche Übung nicht entstehen lassen, weil die Beklagte nicht tarifgebunden ist und von ihr in diesem Zusammenhang auch keine hinreichend deutlichen Anhaltspunkte dafür gesetzt worden sind, dass sie auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will.

aa) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte. Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen musste, die Leistung werde nur unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt (st. Rspr., vgl. nur BAG, Urteile vom 19. Oktober 2011 – 5 AZR 359/10 -[…]; vom 09. Februar 2005 – 5 AZR 284704 – […]; vom 03. November 2004 – 5 AZR 73/04 – […]; vom 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56). Dabei ist es unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist ( BAG, Urteile vom 29. April 2003 – 3 AZR 339/02 – […]; vom 28. Juli 2004 – 10 AZR 19/04 – EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 2) .

bb) Bei einem nicht kraft Mitgliedschaft an den tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband tarifgebundenen Arbeitgeber – wie der Beklagten – kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, nur entstehen, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will (BAG, Urteile vom 19. Oktober 2011 – 5 AZR 359/10 -,[…]; vom 23. März 2011 – 4 AZR 268/09 – […]).

(1) Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts zu einem Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Beitrittsprüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers für eine dauerhafte Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit über die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Hierbei entstehen zwar auch weitere Kosten. Diese sind aber statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet (vgl. BAG, Urteile vom 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56; vom 13. März 2002 – 5 AZR 755/00 – EzA ZPO § 259 Nr. 1; vom 09. Februar 2005 – 5 AZR 284/04 – […]; vom 03. November 2004 – 5 AZR 73/04 – AP Nr. 28 zu § 611 BGB Lohnanspruch).

(2) Hinzu kommt, dass der tarifgebundene Arbeitgeber durch Austritt aus dem tarifschließenden Verband die Anwendbarkeit künftiger Tariflohnerhöhungen vermeiden kann (§ 3 Abs. 3 TVG). Eine betriebliche Übung wird bei Tarifbindung des Arbeitgebers allein aufgrund regelmäßiger Erhöhungen nicht entstehen können. Denn es ist anzunehmen, der Arbeitgeber wolle nur den gesetzlichen Verpflichtungen des Tarifvertragsgesetzes Rechnung tragen und seine Arbeitnehmer gleich behandeln. Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber, der sich (zeitweise) wie ein tarifgebundener Arbeitgeber verhält, darf deswegen nicht schlechter stehen als dieser, nämlich auf Dauer ohne Austrittsmöglichkeit (vertraglich) gebunden sein. Das muss der Arbeitnehmer erkennen, falls die Frage der Tarifbindung seines Arbeitgebers überhaupt eine Rolle für ihn spielt. Deshalb darf er in keinem Falle von einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers ausgehen (vgl. BAG, Urteile vom 09. Februar 2005 – 5 AZR 284/04 – a.a.O.; vom 03. November 2004 – 5 AZR 622/03 – a.a.O.).

cc) Die danach erforderlichen deutlichen Anhaltspunkte für eine dauerhafte Unterwerfung der Beklagten unter die Regelungsmacht der Parteien der Lohntarifverträge lassen sich vorliegend nicht erkennen.

(1) Soweit der Kläger dazu erstinstanzlich vorgetragen hat, dass im Jahr 2005 auf seiner Lohnabrechnung “Tarifgruppe Azubi” ausgewiesen war, ist dieser Vortrag rechtlich unerheblich. Unabhängig davon, dass die Bezeichnung des Lohnes als “Tariflohn” ohnehin kein hinreichendes Indiz für einen entsprechenden objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers darstellt, die Vergütung stets am Tariflohn auszurichten, da Lohnabrechnungen lediglich den konkret abgerechneten Lohn dokumentieren, nicht aber den Anspruch bestimmen (BAG 19. Oktober 2011- 5 AZR 359/10 -, a.a.O., Rn. 19 f.), haben die Parteien das Arbeitsverhältnis durch Abschluss des Arbeitsvertrages im Jahr 2007 auf eine neue Grundlage gestellt. Die Vergütung des Klägers wird entsprechend den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen seitdem in der Lohnabrechnung regelmäßig als “Gesamtentgelt” ohne Hinweis auf das Tarifentgelt ausgewiesen.

(2) Auch aus dem Fehlen gesonderter Lohnmitteilungen oder eines Widerrufs- bzw. Freiwilligkeitsvorbehalts lässt sich ein besonderer Bindungswille der Beklagten nicht entnehmen. Regelmäßige Gehaltserhöhungen entsprechend der Tarifentwicklung schaffen kein Vertrauen dahingehend, dass der Arbeitgeber auch künftig weiter so verfahren werde. Sie beziehen sich jeweils nur auf den konkreten Fall. Der Kläger musste deshalb jedes Mal auch ohne besonderen Hinweis davon ausgehen, die Beklagte habe sich nach Prüfung aller Umstände (auch diesmal wieder) für eine “Übernahme” entschieden (vgl. auch BAG, Urteil vom 09. Februar 2005 – 5 AZR 284/04 -[…], Rn. 24).

(3) Die Beklagte hat auch nicht dadurch deutliche Anhaltspunkte für einen Willen zur dauerhaften automatischen Weitergabe von Tariflohnerhöhungen gesetzt, dass sie mit anderen Arbeitnehmern – insbesondere dem Arbeitnehmer D – Arbeitsverträge mit Bezugnahmeklausel abgeschlossen hat. Unstreitig hat die Beklagte über die Jahre unterschiedliche Arbeitsverträge mit ihren Arbeitnehmern abgeschlossen, die nur teilweise eine Bezugnahmeklausel enthalten. Im Rahmen der Vertragsfreiheit steht es dem Arbeitgeber aber grundsätzlich frei, mit seinen Arbeitnehmern unterschiedliche Verträge auszuhandeln – jedenfalls solange der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt ist, wofür vorliegend keine Anhaltspunkte erkennbar sind. Daraus können andere Arbeitnehmer für sich regelmäßig nichts herleiten. Wenn die Beklagte mit einigen Arbeitnehmern Arbeitsverträge mit Bezugnahmeklausel abgeschlossen hat, mit anderen Arbeitnehmern hingegen solche, die die Geltung von Tarifverträgen ausschließen, spricht dies vielmehr erkennbar gegen den Willen des Arbeitgebers, sich dauerhaft den Regelungen der Tarifvertragsparteien zu unterwerfen. Hinzu kommt, dass dem vorgelegten Vertrag aus dem Jahr 1998 keine Aussagekraft hinsichtlich einer aktuellen Tarifbindung zukommt.

(4) Auch aus den Regelungen des Sanierungstarifvertrages lässt sich ein gesteigerter Bindungswille der Beklagten nicht entnehmen. Die Beklagte hat zu den Hintergründen des Tarifvertrages unbestritten vorgetragen, dass die an dem Tarifabschluss beteiligten Unternehmen teilweise tarifgebunden, teilweise nicht tarifgebunden waren. Die Entgeltregelungen unter § 2 sollten für die tarifgebundenen Unternehmen gelten sowie innerhalb der tarifungebundenen Unternehmen eine Regelung jedenfalls für diejenigen Arbeitnehmer treffen, deren Arbeitsvertrag eine Bezugnahmeklausel enthält. Ein weitergehender Aussagewert lässt sich § 2 des Sanierungstarifvertrages nach Auffassung der Kammer auch nicht entnehmen. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die Regelung zu “anstehenden” Tariferhöhungen zusammen mit den unstreitig seit Jahrzehnten weitergegebenen Tariflohnerhöhungen ein Hinweis darauf sein könnte, dass die Beklagte sich tariflich gebunden fühlt. Dafür spricht auch der Umstand, dass die Beklagte trotz der jedenfalls seit 2009 bestehenden wirtschaftlichen Krise die Tariflohnerhöhungen weiterhin auch an diejenigen Arbeitnehmer weitergegeben hat, deren Arbeitsvertrag keine Bezugnahme auf tarifliche Regelungen enthält.

Diese Indizien stellen aber nach Auffassung der Kammer keine hinreichend “deutlichen Anhaltspunkte” für den nach außen getretenen Willen der Beklagten dar, auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen zu übernehmen. Da der Sanierungstarifvertrag erst Ende 2009 abgeschlossen worden ist, ist er nicht geeignet, einen “deutlichen Anhaltspunkt” zur Begründung einer betrieblichen Übung vor diesem Zeitpunkt darzustellen. Damit gab es bis Ende 2009 außer der regelmäßigen Weitergabe der Tariflohnerhöhungen keine weiteren Hinweise auf einen entsprechenden Willen der Beklagten. Ein solcher Wille lässt sich aber auch den Regelungen des Sanierungstarifvertrages nicht entnehmen. Denn der Tarifvertrag ist ausweislich der Präambel zur Kostenentlastung der beteiligten Unternehmen aufgrund der gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten abgeschlossen worden; dazu sei auch “ein Arbeitnehmerbeitrag” erforderlich. Erkennbar hat der Sanierungstarifvertrag dazu Ansprüche der Arbeitnehmer in verschiedenen Bereichen (Lohnerhöhungen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld) gekürzt und im Gegenzug betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen sowie Regelungen zur Standorterhaltung getroffen. Damit war für die Arbeitnehmer erkennbar, dass die Regelungen des Sanierungstarifvertrages im Rahmen eines einheitlichen Sanierungskonzeptes zu sehen sind; sie konnten hingegen nicht davon ausgehen, dass die Beklagte – ebenso wie die anderen beteiligten Unternehmen – zusätzliche Ansprüche der Arbeitnehmer begründen wollte, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden. Deshalb konnten sie die Formulierung der “anstehenden Tariflohnerhöhungen” auch nur so verstehen, dass davon diejenigen Ansprüche auf Tariflohnerhöhungen erfasst werden sollten, die zu diesem Zeitpunkt – entweder kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der betreffenden Unternehmen oder kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme – ohnehin bestanden.

Denn dass eine Tarifbindung nicht bei allen an dem Abschluss des Sanierungstarifvertrages beteiligten Unternehmen bestand, lässt sich auch Ziffer 8 des Sanierungstarifvertrages entnehmen, wonach eine “umfassende Tarifbindung an allen Standorten” erst herbeigeführt werden soll. Die Formulierung dieser Absichtserklärung lässt erkennen, dass die beteiligten Unternehmen – so auch die Beklagte – weder davon ausgingen, dass eine Tarifbindung bereits bei allen am Abschluss beteiligten Unternehmen bestand, noch dass eine solche durch die Regelungen des Sanierungstarifvertrages begründet werden sollte. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien lediglich ihre Absicht kundgetan, eine solche Bindung eventuell in der Zukunft zu begründen.

Nach alledem lässt sich auch dem Sanierungstarifvertrag kein deutlicher Anhaltspunkt für den Willen der Beklagten entnehmen, sich dauerhaft dem Willen der Tarifvertragsparteien zu unterwerfen. Insbesondere der Kläger konnte davon nicht ausgehen, da sein Arbeitsvertrag unter § 23 – ohne dass es hier auf die Wirksamkeit der Regelung ankommt – ausdrücklich regelt, dass Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung finden. Damit hat die Beklagte ihren Willen, sich Tarifabschlüssen zu unterwerfen, ausdrücklich kundgetan.

dd) Soweit der Kläger seinen Anspruch auf Weitergabe der Tariflohnerhöhung ab dem 01.05.2014 auf eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten stützt, da die Beklagte ihre unter Ziffer 8.2 geregelte Verpflichtung nicht erfüllt habe, muss der Klage auch insoweit der Erfolg versagt bleiben. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf § 280 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag stützen.

Ein Schadensersatzanspruch ist schon deshalb nicht entstanden, weil die Beklagte keine gegenüber dem Kläger bestehende Pflicht verletzt hat, indem sie die Tarifdynamik zum 01.05.2014 nicht übernommen hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine entsprechende Verpflichtung, die Tarifabschlüsse aus dem Jahr 2014 zu übernehmen, nicht bereits daran scheitert, dass der Sanierungstarifvertrag zum 31.12.2012 ohne Nachwirkung ausgelaufen ist und deshalb nach diesem Zeitpunkt ohnehin keine Verpflichtung mehr bestand, weitere Tariflohnerhöhungen zu übernehmen. Jedenfalls enthält die Ziffer 8 des Sanierungstarifvertrages keine Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem Kläger, die sie verletzt haben könnte. Abgesehen davon, dass die Regelungen unter Ziffer 8 des Tarifvertrages nach Auffassung der Kammer lediglich eine Absichtserklärung, nicht aber eine verbindliche Pflicht der am Tarifabschluss beteiligten Unternehmen enthalten, bestünde eine etwaige sich aus Ziffer 8 ergebenden Verpflichtung auch nur zwischen den tarifvertragsschließenden Parteien, da es sich nicht um eine Inhaltsnorm i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG und auch nicht um eine Betriebsnorm, sondern um eine schuldrechtlich zwischen den tarifvertragschließenden Parteien wirkende Bestimmung handelt. Daraus folgt, dass der (schuldrechtliche) Anspruch auf Übernahme der Tarifdynamik nicht den einzelnen Arbeitnehmern, sondern allein der Gewerkschaft zusteht.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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