Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 28.08.2015 – 13 Sa 150/15

Juni 19, 2020

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 28.08.2015 – 13 Sa 150/15

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 03.09.2012 – 3 Ca 319/12 – wird zurückgewiesen, soweit der Kläger die Abänderung beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.02.2012 aufgelöst worden ist.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat der Kläger 3/4 und die Beklagte 1/4 zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten (noch) um die Wirksamkeit einer zum 31.03.2012 erklärten ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung vom 17.02.2012, nachdem eine außerordentliche Kündigung vom 15.03.2012 rechtskräftig für unwirksam und eine hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 15.03.2012 übereinstimmend für gegenstandslos erklärt wurden.

Der 1984 geborene, ledige Kläger trat nach einer ersten Tätigkeit vom 18.05. bis zum 15.09.2009 mit Wirkung ab 09.11.2010 erneut als Produktionsmitarbeiter zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 1.936,93 € in die Dienste der Beklagten. Diese produziert Wellpappe für Verpackungen und Displays und beschäftigt ca. 210 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 07.04.2011 erhielt der Kläger eine Abmahnung, in der es auszugsweise wie folgt heißt:

leider mussten wir feststellen, dass bei Ihnen permanent Fehlzeiten auftreten. Am 12.01.2011 und am 26.02.2011 sind Sie an beiden Tagen nicht zu Ihrer Frühschicht um 6:00 Uhr erschienen. Sie hatten sich nicht abgemeldet und wir erhielten erst später am Tag den Grund Ihres Nichterscheinens.

Desweiteren sind Sie am Freitag, 18.03.2011, erst um 7:00 Uhr statt um 6.00 Uhr zu Ihrer Frühschicht erschienen. Am Donnerstag, den 07.04.2011, hätten Sie auch um 6:00 Uhr an Ihrem Arbeitsplatz sein müssen, haben aber erst um 6:22 Uhr angestempelt und somit waren Sie zum wiederholten Mal zu spät an Ihrem Arbeitsplatz.

Unter dem 27.10.2011 erhielt der Kläger ein zweites Abmahnschreiben, in dem unter anderem Folgendes ausgeführt wird:

Am Sonntag, 23.10.2011, waren Sie für die Nachtschicht eingeteilt, doch wir mussten leider feststellen, dass Sie unentschuldigt von Ihrem Arbeitsplatz ferngeblieben sind. Durch dieses Fehlverhalten ihrerseits, konnten wir nicht rechtzeitig reagieren und einen Ersatz für Sie finden…

Am 16.02.2012 trat der Kläger nicht pünktlich um 6.00 Uhr seine Frühschicht an. Um wie viel Minuten er aus welchen Gründen zu spät kam, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 17.02.2012, zugegangen am Folgetag, sprach die Beklagte dem Kläger die ordentliche Kündigung zum 31.03.2012 aus (Bl. 5 der Akten).

Gegen deren Wirksamkeit wendet sich der Kläger im vorliegenden Verfahren.

Er hat klargestellt, am 12.01.2011 erst im Laufe des Vormittags über die bestehende Arbeitsunfähigkeit Mitteilung gemacht zu haben.

Wenn er am 26.02.2011 ab 6.00 Uhr zur Zusatzschicht eingeteilt gewesen sein sollte, was bestritten werde, habe man ihm dies von Seiten der Beklagten jedenfalls nicht rechtzeitig mitgeteilt.

Was die Schicht am 23.10.2011 angehe, habe der zuständige Vertreter der Beklagten, N, sich damit einverstanden erklärt, den durch den Besuch eines Bundesliga-Fußballspiels bedingten Ausfall zu kompensieren.

Am 16.02.2012 sei er nur wenige Minuten zu spät gekommen, bedingt durch die Witterungsverhältnisse mit Glätte durch überfrierende Nässe oder Schneeregen.

Soweit hier noch von Interesse, hat der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 17.02.2012 aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, am 26.02.2011 sei der Kläger für eine Zusatzschicht eingeteilt gewesen. Erst im Laufe des Tages um 12.00 Uhr habe er sich gemeldet und erklärt, er habe verschlafen.

Am 23.10.2011 sei der Kläger nicht zur regulären Nachtschicht erschienen, ohne dass es Absprachen namentlich mit dem dafür auch gar nicht zuständigen Mitarbeiter N gegeben habe.

Am 16.02.2012 habe er sich erneut um 15 Minuten verspätet. Die Witterung sei normal und trocken gewesen, so dass alle anderen Arbeitnehmer pünktlich zu Schichtbeginn im Betrieb gewesen wären.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 03.09.2012 die Klage abgewiesen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens beantragt er,
das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 03.09.2012 – 3 Ca 319/12 – teilweise abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.02.2012 aufgelöst worden ist.

Ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens beantragt die Beklagte,
die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 17.02.2012 wendet. Diese Kündigung ist nämlich gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 2. Fall KSchG sozial gerechtfertigt und damit rechtswirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( 16.09.2004 – 2 AZR 406/03 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; 15.11.2001 – 2 AZR 609/00 – AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 4) können wiederholte, gleichartige Pflichtverletzungen in Form von verspäteten Arbeitsantritten und/oder Verstößen gegen die Anzeigepflicht bei bestehender Arbeitsunfähigkeit nach einschlägigen vorherigen Abmahnungen an sich eine verhaltensbedingte Kündigung begründen, weil in einem solchen Arbeitnehmerverhalten eine spezifische Unzuverlässigkeit zum Ausdruck kommt, die es wegen der damit verbundenen betrieblichen Folgen für den Arbeitgeber unzumutbar macht, am Arbeitsverhältnis festzuhalten.

Nach diesen Grundsätzen ist hier die ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

I. So hat der Kläger unter dem 07.04.2011 eine erste Abmahnung erhalten. Diese ist jedenfalls in drei von vier Fällen zu Recht ergangen, wenn man einmal von der streitig gebliebenen Einteilung zu einer Zusatzschicht am 26.02.2011 absieht.

1. Am 12.01.2011 zeigte der Kläger entgegen der in § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG niedergelegten Pflicht nicht unverzüglich in zeitlicher Nähe zum Schichtbeginn um 6.00 Uhr seine Arbeitsunfähigkeit an, sondern erst einige Zeit später im Laufe des Vormittags, ohne sein Fehlverhalten entschuldigen zu können.

2. Weiterhin hat er am 18.03.2011 ohne nachvollziehbare Erklärung seine Schicht statt um 6.00 Uhr erst eine Stunde später um 7.00 Uhr angetreten. Nicht einmal drei Wochen danach am 07.04.2011 verspätete er sich wieder um 22 Minuten.

II. In der zweiten Abmahnung vom 27.10.2011 ist ihm dann zu Recht vorgehalten worden, die Nachtschicht von Sonntag, den 23.10.2011, auf Montag, den 24.10.2011, zu der er eingeteilt war, unentschuldigt nicht geleistet zu haben. Denn der Kläger hat sein ihm Rahmen des § 138 Abs. 2 ZPO erfolgtes Vorbringen im Schriftsatz vom 19.03.2015, der dazu befugte Zeuge N habe sich im Namen der Beklagten damit einverstanden erklärt, den durch den Besuch eines Bundesligafußballspiels bedingten Ausfall zu kompensieren, nach Ort und Zeit nicht näher konkretisiert, obwohl er dazu von der Beklagten aufgefordert wurde. Einer solchen näheren Darlegung bedurfte es um so mehr, als der Kläger – im Widerspruch dazu – im nachfolgenden Schriftsatz vom 21.05.2015 ausführen ließ, zur besagten Nachtschicht gar nicht eingeteilt gewesen zu sein, um dieses dann in der mündlichen Verhandlung am 28.08.2015 wieder zu korrigieren.

III. Weiterhin bleibt festzuhalten, dass der Kläger zuvor und danach weitere einschlägige Pflichtverletzungen begangen hat, obwohl die Beklagte insoweit nicht substantiiert darlegen konnte, wann genau unter welchen Umständen er insoweit vom Abteilungsleiter X mündlich abgemahnt wurde.

So ist der Kläger nicht den Vorwürfen substantiiert entgegengetreten, am 22.02.2011 unentschuldigt gar nicht zur Frühschicht erschienen zu sein und sich am 06.04.2011 um eine Stunde, am 08.04.2011 um drei Minuten, am 22.09.2011 um 1 3/4 Stunden und am 31.10.2011 um zehn Minuten verspätet zu haben.

IV. Wenn er in einer solchen Situation, nur gut drei Monate nach dem letzten Pflichtverstoß, am 16.02.2012 erneut zumindest einige Minuten zu spät zur Frühschicht erschienen ist, rechtfertigt dies den Ausspruch der streitbefangenen ordentlichen Kündigung.

Soweit der Kläger im Rahmen des § 138 Abs. 2 ZPO einwendet, er habe seinen Arbeitsplatz witterungsbedingt nicht rechtzeitig erreichen können, deckt sich dieser Vortrag nicht mit den Angaben in der von ihm selbst eingereichten Wetterwarnung für den 16.02.2012. Diese erstreckte sich nämlich nur auf den Zeitraum ab 8.00 bis 11.00 Uhr, während der Kläger bereits um 6.00 Uhr am Arbeitsplatz erscheinen musste; von der später möglicherweise aufgetretenen Glätte durch überfrierende Nässe oder Schneeregen war er also gar nicht betroffen. Davon abgesehen wäre es seine Aufgabe gewesen, sich auf die angekündigten Witterungsverhältnisse so einzustellen, dass er trotzdem pünktlich seine Arbeit hätte aufnehmen können. Bezeichnenderweise hat auch die Beklagte unwidersprochen vorgebracht, alle anderen Arbeitnehmer seien zu der Frühschicht pünktlich erschienen.

Nach alledem hat der Kläger, beginnend mit dem 12.01.2011, also schon gut zwei Monate nach Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses, über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr in mindestens neun Fällen, die in vier Fällen schriftlich abgemahnt wurden, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zum pünktlichen Arbeitsantritt und zur rechtzeitigen Anzeige einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit verletzt. Dies hatte, wie die Beklagte zuletzt im Schriftsatz vom 08.05.2015 unwidersprochen dargelegt hat, zur Folge, dass in dem aufeinander abgestimmten Drei-Schicht-Betrieb zur Vermeidung von Fehlproduktionen bzw. Produktionsausfällen jeweils ein Arbeitnehmer aus der vorhergehenden Schicht weiter arbeiten musste, bis der Kläger – verspätet – eintraf oder ein Vertreter gefunden war.

Wenn der Kläger in einer solchen Konstellation trotz der ohne Weiteres nachvollziehbaren strengen betriebsablaufbedingten Vorgaben nur gut drei Monate nach Erhalt der zweiten Abmahnung am 16.02.2012 erneut seine Schicht ohne nachvollziehbare Entschuldigung nicht rechtzeitig antrat, rechtfertigt dieses Fehlverhalten die Kündigung des nicht einmal 1,5 Jahre bestandenen Arbeitsverhältnisses.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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