OLG Düsseldorf I-3 Wx 198/11, Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments im Hinblick auf die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung eines Alleinerben
Wechselseitig sind gemäß § 2270 BGB letztwillige Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte.
OLG Düsseldorf I-3 Wx 198/11
Anzunehmen ist dies, wenn aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Partner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll. Hierbei ist die Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 2084 BGB) für jede einzelne Verfügung gesondert vorzunehmen.
Tenor
Auf das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 50.000,- Euro.
Gründe OLG Düsseldorf I-3 Wx 198/11
I.
Die am 11. September 2006 verstorbene Erblasserin war mit dem früheren Beteiligten zu 2 verheiratet, der am 15. September 2011 verstorben und – möglicherweise – von dem früheren Beteiligten zu 3, seinem Bruder, allein beerbt worden ist (vgl. Urkunde 345/2011 des Notars Dr. O. in Geldern – Testament vom 25. Juli 2011).
Die Beteiligte zu 1 ist die Nichte der Erblasserin.
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Die Erblasserin und ihr Ehemann errichteten am 15. Februar 1999 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament, in dem es heißt:
“Wir ,… bestimmen als unseren letzten Willen wie folgt:
(1) Ich E. H. setzte meine Frau E. hiermit zur Alleinerbin ein.
Sollte meine Frau E. vor mir sterben, ist die Nichte meiner Frau, S. K. Ersatzerbin.
(2) Ich, E. H., … berufe zur meiner Erbin die Tochter meines Bruders Otto K., meine Nichte und Patenkind S. K. …Diese Erbeinsetzung soll sich im wirtschaftlichen Ergebnis aber nur auf meinen Anteil am Hausgrundstück in Issum sowie auf das Auto. Sparbuch Postbank 270, …zur Bestattung und Pflege gedacht
ich möchte das Meine Nichte meinem Mann ein Wohnrecht im Hause lässt. Sollte S. noch nicht Alleineigentümerin sein bitte ich meinen Bruder O. dem Wohnungsrecht zuzustimmen.
Stirbt mein Mann E. H. vor mir, bekommt S. alles was mir gehört.
Unseren Willen erkennen wir gegenseitig an.
Issum 15.2.1999.
Die Beteiligte zu 1 hatte am 27. Oktober 2006 beantragt,
ihr einen Erbschein als Alleinerbin nach der Erblasserin zu erteilen.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – hatte mit Beschluss vom 22. Dezember 2006 dem Antrag entsprochen.
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Der frühere Beteiligte zu 2 , vertreten durch seinen Betreuer, hat beantragt,
den Erbschein einzuziehen.
Er hat geltend gemacht, der auf dem Testament vom 15. Februar 1999 basierende Erbschein sei unrichtig; das Testament sei unwirksam, weil er, der frühere Beteiligte zu 2 – dies ergebe sich aus einem im Betreuungsverfahren eingeholten Gutachten – nicht lesen und auch – bis auf seinen Namen – nicht schreiben könne und daher ein Testament nicht wirksam habe errichten können.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 02. Mai 2011 den Erbschein als unrichtig eingezogen.
Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt,
das gemeinschaftliche Testament sei gemäß §§ 2265, 2247 Abs. 4 BGB formwidrig zustande gekommen und daher unwirksam. Aufgrund des Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie U. P. vom 11. März 2010 im Betreuungsverfahren 10 XVII 32/10 Amtsgericht Geldern stehe fest, dass der frühere Beteiligte zu 2 Analphabet sei. Er könne daher ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament nicht wirksam errichten. Da die Verfügung wechselbezüglich sei, habe die Nichtigkeit der Verfügung des früheren Beteiligten zu 2 auch die Unwirksamkeit der Verfügung der Erblasserin zur Folge.
Der Unwirksamkeit des Testaments stehe nicht entgegen, dass der frühere Beteiligte zu 2 bei Beantragung des Erbscheines anwesend gewesen sei und die notarielle Niederschrift genehmigt habe.
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Dem tritt die Beteiligte zu 1 mit ihrer Beschwerde entgegen, beantragt den Einziehungsbeschluss aufzuheben und macht geltend, es werde bestritten, dass der frühere Beteiligte zu 2 bei Testamentserrichtung nicht habe lesen können; das deshalb möglicherweise unwirksame gemeinschaftliche Testament sei aber jedenfalls als Einzeltestament der Erblasserin wirksam. Die maßgebliche Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 sei einseitig und nicht wechselbezüglich erfolgt. Bei einem gemeinschaftlichen Testament von Eheleuten könne im Falle der Testierunfähigkeit eines Ehegatten eine einseitige Verfügung des anderen Ehegatten im Wege der Umdeutung aufrecht erhalten werden.
Das Amtsgericht hat am 08. August 2011 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Senat vorgelegt.
Am 15. September 2011 ist der Ehemann der Erblasserin, der frühere Beteiligte zu 2, verstorben; er ist (möglicherweise) von dem Beteiligten zu 3 beerbt worden, der in das Verfahren eingetreten ist.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 28. November 2011 ließ die Beteiligte zu 1 mitteilen, die Beteiligten hätten sich inzwischen außergerichtlich im Sinne eines Anerkenntnisses geeinigt, dass die Beteiligte zu 1 die Erblasserin aufgrund des Testaments vom 15. Februar 1999 allein beerbt habe und der Erbschein vom 22. Dezember 2006 zutreffend erteilt worden sei; des Weiteren sei man sich dahin einig, dass der frühere Beteiligte zu 3 der Alleinerbe nach dem früheren Beteiligten zu 2 sei. Demnach werde der frühere Beteiligte zu 3 den Antrag auf Einziehung des Erbscheins zurücknehmen. Folglich seien der Einziehungsbeschluss des Nachlassgerichts vom 02. Mai 2011 sowie der Nichtabhilfebeschluss vom 08. August 2011 aufzuheben.
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Der frühere Beteiligte zu 3 hat unter Hinweis auf seine angebliche Erbenstellung nach dem früheren Beteiligten zu 2 mit Anwaltsschrift vom 08. Dezember 2011 den Antrag auf Einziehung des Erbscheins zurückgenommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Das gemäß §§ 38, 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG als Beschwerde zulässige Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 ist nach der vom Nachlassgericht ordnungsgemäß erklärten Nichtabhilfe gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FamFG dem Senat zur Entscheidung angefallen.
a) Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 gegen die Anordnung der Einziehung des sie als Alleinerbin nach der Erblasserin begünstigenden Erbscheins vom 22. Dezember 2006 mit Beschluss vom 02. Mai 2011 ist statthaft, da die Einziehung noch nicht vollzogen ist, das heißt die Beteiligte zu 1 den Erbschein weder freiwillig noch im Wege der Vollstreckung an das Nachlassgericht zurückgegeben hat.
b) Der außergerichtliche Vergleich vom 25. November 2011 sowie mit Blick auf diesen abgegebene verfahrensrechtliche Erklärungen der Beteiligten tangieren das Rechtsschutzbedürfnis der Beteiligten zu 1 nicht. Denn die Alleinerbenstellung nach der Erblasserin ist nicht disponibel, kann der Beteiligten zu 1 also nicht im Wege des privaten Vergleichs oder übereinstimmender Erklärungen Verfahrensbeteiligter zuerkannt werden.
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Ob der frühere Beteiligte zu 3, der nach dem Tode des früheren Beteiligten zu 2 im Einverständnis der übrigen Beteiligten in dessen verfahrensrechtliche Beteiligtenstellung eingetretene Bruder des früheren Beteiligten zu 2, diesen wirklich (entsprechend dem notariellen Testament vom 25. Juli 2011) allein beerbt hat – auch seine Erbenstellung unterliegt nicht der Regelungsbefugnis der Beteiligten – mag hier (und auch für die weitere Entscheidung in diesem Verfahren) offen bleiben. Jedenfalls führt der Rücknahmeantrag des früheren Beteiligten zu 3 in Bezug auf die Einziehung des Erbscheins nicht dazu, dass der die Einziehung anordnende Beschluss gegenstandslos geworden ist. Denn die Einziehung setzt einen Antrag nicht voraus; Anträge haben nur die Bedeutung von Anregungen (Keidel/Zimmermann, FamFG 17. Auflage 2011 § 353 Rdz. 2).
Das Nachlassgericht hat den die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin nach der Erblasserin ausweisenden Erbschein vom 22. Dezember 2006 mit dem angefochtenen Beschluss vom 02. Mai 2011 zu Unrecht eingezogen.
Nur wenn sich ergibt, dass der erteilte Erbschein unrichtig ist, hat ihn das Nachlassgericht einzuziehen. (§ 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB).
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Dies ist indes in Bezug auf den Erbschein vom 22. Dezember 2006 nicht der Fall.
Die Verfügung der Erblasserin vom 15. Februar 1999 hat nämlich entweder auch bei Unwirksamkeit der Verfügungen ihres Ehemannes Bestand (§ 2270 Abs. 1 BGB; vgl. Zimmer Anm. zu OLG München, Beschluss vom 19.5. 2010 – 31 Wx 38/10 in ZEV 2010, 472 f.) oder das Testament ist in diesem Fall als gemeinschaftliches gescheitert , dann aber gemäß § 140 BGB in ein Einzeltestament der Erblasserin umzudeuten (vgl. OLG München, a. a. O., 471; s. a. MüKo-BGB-Busche § 140 Rdz. 26).
Denn die Verfügung der Erblasserin im privatschriftlichen Testament vom 15. Februar 1999, mit der sie die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin begünstigte, ist nicht wechselbezüglich zu einer Verfügung ihres Ehemannes.
Wechselbezüglich sind diejenigen Verfügungen, die ein Ehegatte nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen hätte, bei denen also aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Partner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat, wenn also nach dem Willen der gemeinschaftlich Testierenden die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll (Senat, FamRZ 2008, 307; BayObLG FG-Prax 2005, 164; OLG Hamm, FamRZ 2004, 662; Palandt-Weidlich, BGB 70. Auflage 2011, § 2270 Rdz. 1).
Hier ergibt die für jede einzelne Beziehung gesondert vorzunehmende individuelle Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 2084 BGB), dass die Erblasserin ihre Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 1 auch getroffen haben würde, wenn sie gewusst hätte, dass die Verfügung ihres – (unterstellt) abgesehen von seiner Unterschrift – nicht des Lesens und Schreiben mächtigen Ehemannes – unwirksam (§§ 2265, 2247 Abs. 4 BGB) war.
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Denn bei der Bedachten handelt es sich um die Nichte (Patenkind) der Erblasserin ohne ersichtliche besondere Nähebeziehung zum Ehemann der Erblasserin. Es besteht deshalb und auch sonst kein Anhalt dafür, dass die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 nach dem Willen der Testierenden von der Erbeinsetzung dieser Verwandten der Erblasserin auch durch den Ehemann abhängig sein sollte; ebenso wenig ist Anhalt dafür ersichtlich, dass die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 von der Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann abhängig gemacht werden sollte.
Hiernach hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – das Vorliegen der Voraussetzungen für die Einziehung des der Beteiligten zu 1 erteilten Erbscheins, nämlich dessen aus dem Testament vom 15. Februar 1999 hergeleitete Unrichtigkeit (vgl. § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB), zu Unrecht bejaht und ist auf das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1 der Einziehungsbeschluss aufzuheben.
III.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht angefallen, § 130 Abs. 3 KostO. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten ist nicht veranlasst, § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Weder liegt ein Regelbeispiel des § 81 Abs. 1 FamFG vor noch gebieten andere Ermessensgesichtspunkte, Beteiligten außergerichtliche Kosten aufzuerlegen.
Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 i. V. m. §§ 107, 108 KostO analog.
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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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