OLG Frankfurt 19 U 126/08 Pflichtteilsrecht: Einordnung einer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgten unentgeltlichen Zuwendung eines Unternehmens; Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Werts des übertragenen Unternehmens

November 4, 2017

 

OLG Frankfurt 19 U 126/08

Pflichtteilsrecht: Einordnung einer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erfolgten unentgeltlichen Zuwendung eines Unternehmens; Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Werts des übertragenen Unternehmens

 

  1. Erfolgt eine Zuwendung “im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich”, ist für die Pflichtteilsberechnung im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ eine Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte.
  2. Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem eine Firma betreffenden Übergabevertrag zwischen der Erblasserin und ihrem Sohn, dem Kläger, und dem 20 Jahre vor dem Tod der Erblasserin errichteten Testament kann einen Hinweis darauf geben, dass die Erblasserin schon bei Zuwendung der Firma die Möglichkeit einer Enterbungsabsicht in Betracht gezogen hat, was für die Annahme einer Anrechnungsbestimmung ausreicht.
  3. Die Annahme wird durch den unter Beweisantritt erfolgten Vortrag der Beklagten – Tochter und Enkel des Erblassers – gestützt, der Kläger habe bereits vor Abschluss des Übernahmevertrages aufgrund seines Benehmens und seiner Arbeitseinstellung ein schwieriges Verhältnis zu der Erblasserin gehabt.(Rn.25)
  4. Der Kläger, der wusste, dass er das Unternehmen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erhalten hatte, musste damit rechnen, im Erbfall einer Anrechnungs- bzw. Ausgleichungspflicht zu unterliegen; dass er die zur Ausgleichsberechnung notwendigen Unterlagen nicht aufbewahrt, muss zu seinen Lasten gehen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 27.03.2008 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung und des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten zu 1) bis 3) vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1              Der Kläger macht gegen seine Schwester (Beklagte zu 1.) und deren Kinder (Beklagte zu 2. und 3.) Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach der 2005 verstorbenen Mutter bzw. Großmutter der Parteien (Erblasserin) geltend. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bd. III, Bl. 598 – 602 d.A.).

2              Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme, wegen deren Ergebnis auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen SV1 vom 11. Dezember 2006 Bezug genommen wird, durch am 27.03.2008 verkündetes Urteil abgewiesen (Bl. 598 – 606 d.A.). Der Kläger hat gegen das ihm am 07.05.2008 zugestellte Urteil am 05.06.2008 Berufung eingelegt und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist diese am 07.08.2008 begründet.

3              Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung den erstinstanzlichen Klageanspruch, mit dem er Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend gemacht hat, nur noch in Höhe von 196.707,98 EUR weiter.

4              Er macht geltend, dass das Landgericht die Beweislastverteilung unzutreffend beurteilt habe und die Beklagten zu beweisen hätten, welchen Wert der auszugleichende Vorempfang des Klägers gehabt habe.

5              Ferner habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Kläger seiner Verpflichtung, die wertbildenden Faktoren der streitgegenständlichen Firma vorzutragen, nachgekommen sei. Er habe die Bilanz zum 31.12.1982 vorgelegt und ebenso einen Prüfbericht des Finanzamtes. Dies sei ausreichend, da seine Auskunftspflicht durch § 242 BGB begrenzt werde. Da die Beklagten nicht bestritten hätten, im Besitz der Bilanz zum 31.12.1981 zu sein, stände ihnen auch keine Auskunftspflicht über den Wert der streitgegenständlichen Firma zu.

6              Desweiteren habe das Landgericht verkannt, dass die vorgelegte Bilanz und der Prüfbericht eine Schätzung nach § 287 ZPO zulassen würden, nämlich dahingehend, dass das Unternehmen keinen Wert hatte. Er ist der Ansicht, dass nur der Wert des Unternehmens zum Zeitpunkt der Übertragung maßgeblich sei. Für den Wert des Unternehmens zum Stichtag 31.12.1981 habe er zudem das Zeugnis des früheren Steuerberaters der Firma, des Zeugen A, und ein Sachverständigengutachten angeboten.

7              Der Kläger beantragt,

8              unter Abänderung des am 27.03.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (Az. 2/7 O 361/05) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 196.707,98 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2005 und 1.649,38 EUR vorgerichtliche Mahnkosten zu zahlen.

9              Die Beklagten beantragen,

10            1. die Berufung des Klägers auf seine Kosten zurückzuweisen.

11            2. die durch die gerichtliche Inanspruchnahme des Sachverständigen SV1 entstandenen Kosten erster Instanz vollumfänglich dem Berufungskläger aufzuerlegen.

12            Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie sind der Ansicht, dass der Kläger sich die auf ihn unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragene Firma nicht nur als Zuwendung nach § 2050 Abs. 3 BGB, sondern gemäß § 2050 Abs. 1 BGB als Ausstattung anrechnen lassen müsse. Die Beklagten bestreiten, dass ihnen eine Wertermittlung für das Unternehmen möglich sei. Ohne die sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Geschäftsunterlagen, die den einzelnen Bilanzpositionen die jeweiligen Vorgänge zuordnen und die Entwicklung im Zeitablauf aufzeigen, sei eine Aufklärung über einen Firmenwert nicht möglich. Sie bestreiten die Behauptung des Klägers, das übertragene Unternehmen sei aufgrund eines negativen Kapitalkontos wertlos gewesen und sind der Ansicht, dass der Kläger, bezogen auf den Todestag der Erblasserin, einen Vorempfang im Wert von 400.000,-​- bis 450.000,-​- EUR erhalten habe und schon allein aufgrund seines Vorempfanges sein Pflichtteilsanspruch befriedigt sei. Der Auskunftsanspruch werde auch nicht durch § 242 begrenzt und der Kläger habe die Pflicht gehabt, die erforderlichen Unterlagen aufzubewahren.

13            Des Weiteren bestreiten die Beklagten weiterhin die Höhe des vom Kläger errechneten Nachlasses und verfolgen auch ihr erstinstanzliches Vorbringen weiter, dass die Beklagte zu 1) umfangreiche auszugleichende Sonderleistungen nach § 2057a BGB erbracht habe, deren Wert nach Einschätzung der Beklagten zu einem negativen Ausgleichsnachlass zu Lasten des Klägers führe. Für den Klageantrag zu 2) tragen die Beklagten vor, dass aufgrund der Ergebnisse des Sachverständigengutachtens das Bestreiten des Klägers hinsichtlich der von den Beklagten zugrunde gelegten Immobilienwerte eindeutig erfolglos gewesen sei.

14            Mit Urteil vom 25. März 2009 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen (Bd. III, Bl. 683 – 692 d.A.). Der Senat ist dabei davon ausgegangen, dass die Zuwendung unentgeltlich im Wege vorweggenommener Erbfolge erfolgen sollte und deshalb eine Anordnung einer Ausgleichung anzunehmen sei. Mit Rücksicht auf diese Ausgleichpflicht habe kein Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers festgestellt werden können.

15            Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.01.2010 (IV ZR 91/09) der Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben und das Urteil des 19. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. März 2009 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Bd. IV, Bl. 75 – 81). Der Tatrichter habe zu ermitteln, ob die im Übergabevertrag vereinbarte unentgeltliche Betriebsübergabe “im Wege vorweggenommener Erbfolge” nur einen Erbteilsbezug oder auch einen Pflichtteilsbezug haben sollte.

16            Der Kläger trägt daraufhin vor, dass schon sein Vater gewollt habe, dass er den Betrieb übernehme. Dies spreche für eine Ausgleichsregelung nach § 2316 BGB. Auch habe sich erst in den Folgejahren sein Verhältnis zur Erblasserin verschlechtert. Im Übrigen trägt der Kläger erneut zu dem Firmenwert zum Zeitpunkt der Übergabe vor. Insoweit wird verwiesen auf die Schriftsätze vom 06.05.2010, 27.07.2010, 21.01.2011, 25.01.2011, 09.02.2011, 23.03.2011 sowie ein Privatgutachten des Sachverständigen SV2 vom 20.01.2011.

17            Die Beklagten tragen erneut vor, dass der Kläger mit dem Vorempfang nach dem Willen der Erblasserin vollständig abgefunden werden sollte. Unter Beweisantritt bestreiten die Beklagten, dass sich das Verhältnis zwischen der Erblasserin und dem Kläger nach der Firmenübernahme verschlechtert habe und tragen vor, dass das Verhältnis zwischen der Erblasserin und dem Kläger schon vor der Firmenübernahme schwierig gewesen sei. Im Übrigen sind sie weiterhin der Ansicht, dass der Kläger nicht zusammenhängend und substantiiert zum Firmenwert vorgetragen habe, obwohl sich die entsprechenden Unterlagen in seinem Besitz befinden müssten.

18            Der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 27.10.2010 (Bd. V, Bl. 94 d.A.) und vom 10.01.2011 (Bd. V, Bl. 129 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die gerichtlichen Niederschriften vom 28.02.2011 (Bd. VI Bl. 299 ff. d.A.) und vom 04.04.2011 (Bd. VI, Bl. 321 ff. d.A.) verwiesen.

II.

19            Die Berufung ist unbegründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten keine Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche zu (§§ 2303 Abs. 1, 2317 Abs. 1, 2325, 2315 Abs. 1 BGB).

20            Grundsätzlich steht dem Kläger zwar als Abkömmling der Erblasserin ein Pflichtteilsanspruch zu, aber nach Anrechnung der erhaltenen Zuwendung nach § 2315 Abs. 1 BGB verbleibt kein positiver Wert mehr.

21            Dem Kläger wurde mit Vertrag vom 31.12.1981 (Bd. I, Bl. 188 ff. d.A.) mit Wirkung zum 01.01.1982 von der Erblasserin der Großhandel für Herrentextilien und Herrenaccessoires “im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich” übertragen. Erfolgt eine Zuwendung “im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich” ist für die Pflichtteilsberechnung im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob der Erblasser damit eine Ausgleichung gemäß §§ 2316 Abs. 1, 2050 Abs. 3 BGB, eine Anrechnung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB oder kumulativ eine Ausgleichung und Anrechnung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB anordnen wollte. Ausschlaggebend für den Willen des Erblassers ist, ob mit seiner Zuwendung zugleich auch eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung festgelegt (Anrechnung) oder aber nur klargestellt werden sollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es im Übrigen aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall (Ausgleichung) verbleiben soll. Begriff und Motivation legen es bei einer “vorweggenommenen Erbfolge” zunächst eher nahe, von einer Ausgleichungsordnung auszugehen. Aber eine pflichtteilsmindernde Anrechnungsbestimmung, die auch konkludent erfolgen kann, ist dadurch nicht ausgeschlossen. Sie ist anzunehmen, wenn der erkennbare Erblasserwille auf eine Kürzung der dem Empfänger am Restnachlass zustehenden Pflichtteilsrechte gerichtet war, wobei aber die Enterbungsabsicht bei Formulierung der Anrechnungsbestimmung noch nicht bestanden haben muss; es reicht aus, dass der Erblasser die Möglichkeit in Betracht gezogen hat. Die Ermittlung des Erblasserwillens erfordert dabei eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände, wobei insbesondere auch die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Vermögensgegenstand und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit durch den Empfänger sowie die Größenordnung der vorgezogenen Vermögenszuwendung zu berücksichtigen sind. Ebenso können Vorstellungen des Erblassers über eine gleichmäßige Behandlung von Abkömmlingen unter Umständen eine Rolle spielen (vgl. zum Ganzen: BGH, Urt. v. 27.01.2010, IV ZR 91/09, Bd. IV, Bl. 73ff. d.A.).

22            Aufgrund der danach gebotenen Auslegung kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass eine Anrechung der zugewendeten Firma auf den Pflichtteil nach § 2315 Abs. 1 BGB anzunehmen ist, d.h., dass der Vorempfang von allem abgezogen werden sollte, was der Empfänger aus dem Nachlass zu erhalten hat.

23            Zunächst gibt der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Übergabevertrag und dem Testament einen Hinweis darauf, dass die Erblasserin schon im Jahr 1981 bei der Zuwendung der Firma die Möglichkeit einer Enterbungsabsicht in Betracht gezogen hat, was bereits für die Annahme einer Anrechnungsbestimmung ausreicht (Staudinger/Haas, BGB [2006], § 2315 Rn. 21).

24            Die Erblasserin, die 2005 verstorben ist, hat am …01.1985 ein Testament errichtet, in dem sie den Kläger enterbt hat. Das bedeutet, dass die Erblasserin bereits zwanzig Jahre vor ihrem Tod den Entschluss gefasst hatte, den Kläger zu enterben. Dieser lange Zeitraum legt nahe, dass die Erblasserin bereits Ende 1981, also drei Jahre früher, bei Abschluss des Übernahmevertrages zumindest die Möglichkeit einer Enterbungsabsicht in Betracht gezogen hat.

25            Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, dass die Beklagten unter Beweisantritt (Bd. V, Bl. 89 d.A.) vortragen, dass der Kläger bereits vor Abschluss des Übernahmevertrages aufgrund seines Benehmens und seiner Arbeitseinstellung ein schwieriges Verhältnis zu der Erblasserin hatte. Soweit der Kläger ohne Beweisantritt dies bestreitet und behauptet, erst in den Folgejahren habe sich das Verhältnis verschlechtert (Bd. V, Bl. 53 d.A.), ist dieser Vortrag zu unsubstantiiert, um erheblich zu sein. Denn der Kläger trägt noch nicht einmal vor, aufgrund welcher Umstände und bei welchen Gelegenheiten eine Verschlechterung eingetreten sein soll und in welcher Weise sie sich manifestiert haben soll.

26            Ein starkes Indiz für eine Enterbungsabsicht der Erblasserin bei Abschluss des Übergabevertrages am 31.12.1981 ergibt sich aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme.

27            So hat der Zeuge B bekundet, dass die Erblasserin ihm gegenüber ausgeführt habe, dass der Kläger mehr bekommen habe, als ihm zustehe und sie durch das Testament auch sicherstellen wolle, dass er nichts mehr beanspruchen könne.

28            Diese Aussage kann nur dahingehend verstanden werden, dass die Erblasserin schon bei Zuwendung der Firma eine Anrechnung der Zuwendung auf den Pflichtteil wünschte, denn nur dadurch konnte dem Wunsch der Erblasserin Rechnung getragen werden, dass der Kläger aus ihrem Nachlass nichts mehr beanspruchen können sollte.

29            Die Aussage des Zeugen B ist glaubhaft. Der Zeuge hat die Erblasserin zwar erst im Jahr 1990 kennengelernt, aber er hat für den Senat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er deshalb so intensive Gespräche mit der Erblasserin über ihre Testamentsgestaltung geführt hat, weil es nach dem Tod seiner Mutter in einer vergleichbaren Familienkonstellation zu heftigen Erbauseinandersetzungen gekommen ist. Die gesamte Situation schilderte er detailliert und in sich stimmig. Er zeigte auch in Randdetails, z.B. bei der Schilderung des Verhaltens der Erblasserin nach einem Oberschenkelhalsbruch, ein gutes Erinnerungsvermögen, gab jedoch auch zu erkennen, wenn er sich nicht mehr erinnern konnte.

30            Der Zeuge B erschien dem Senat auch uneingeschränkt glaubwürdig. Ein besonderes Näheverhältnis des Zeugen zu den Beklagten, das Zweifel an der Glaubwürdigkeit begründen könnte, ist nicht gegeben, nachdem der Zeuge ausgeführt hat, dass er seit seiner Pensionierung im Jahr 2007 den Beklagten nur noch zwei- bis dreimal im Jahr einen Besuch abstattet.

31            Gegen den sich danach ergebenden Willen der Erblasserin ergeben sich nicht mit Rücksicht auf die Aussage des Zeugen C Bedenken.

32            Der Zeuge C hat bekundet, dass seine Tante ihm gegenüber geäußert habe, dass sie zwei Kinder habe und das Erbe aufgeteilt werde. Seine Tante habe eine Gleichbehandlung zwischen den Kindern herstellen wollen auch in Ansehung des Rückganges des Unternehmenswertes.

33            Zunächst fällt auf, dass diese Aussage in einem eklatanten Gegensatz zu dem testamentarisch geäußerten Willen der Erblasserin steht, da die Erblasserin ihre Kinder gerade nicht gleich behandelt hat. Entgegen der Ansicht des Klägers vermag der Senat dieser Aussage des Zeugen C nicht zu entnehmen, dass die Erblasserin im Jahr 1981 noch keine Enterbungsabsicht gegenüber dem Kläger hatte. Der Zeuge C konnte auch auf Nachfrage seine Aussage nicht weiter präzisieren. Die eher ausweichende Antwort der Erblasserin auf die Frage nach der Nachlassregelung, die sich auf Allgemeinheiten beschränkt – ich habe zwei Kinder, das Erbe wird geteilt – lässt den Rückschluss zu, dass die Erblasserin diese Angelegenheit nicht mit ihrem Neffen erörtern wollte. Damit lässt sich auch erklären, warum die Angaben, die sie ihrem Neffen gegenüber gemacht hat, nicht mit dem Testament übereinstimmen.

34            Bedenken gegen eine zuverlässige Kenntnis des Zeugen C von den tatsächlichen Verhältnissen geben auch seine Ausführungen zu dem zugewendeten Betrieb. Der Zeuge C bekundete, dass das Lager des Betriebes ganz klein war, nur aus einem Holzregal und einem Holztisch bestanden habe. Der Eindruck, der durch diese Aussage über den Wert der zugewendeten Firma erweckt wird, ist jedoch nur schwer mit den Bestimmungen in dem Übergabevertrag vom 31.12.1981 in Einklang zu bringen, in dem unter 5.1 (Bd. I, Bl. 187 d.A.) geregelt ist, dass der Übernehmer in alle bestehenden Dauerschuldverhältnisse eintritt und dann erläutert wird, dass dies Mietverträge für Räumlichkeiten, Kraftfahrzeuge, Versicherungsverträge, Dienst- und Leasingverträge etc. seien.

35            Gegen eine Anrechnungsbestimmung sprechen auch nicht der Wert des zugewendeten Betriebes und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit.

36            Dem Übergabevertrag vom 31.12.1981 lag erkennbar die Ansicht der Erblasserin zugrunde, dass der zugewendete Betrieb für den Kläger wirtschaftlich nutzbar ist. Denn wenn die Erblasserin der Ansicht gewesen wäre, dass der zugewendete Betrieb keinerlei wirtschaftlichen Nutzen (mehr) hat, hätte es keiner Übergabe bedurft, sondern der Betrieb hätte liquidiert werden können. Selbst wenn der Betrieb nur deshalb auf den Kläger übertragen wurde, weil bereits der Vater des Klägers dieses wünschte, spricht dies – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht für eine Ausgleichungsbestimmung. Denn wenn der Betrieb keinen Wert mehr gehabt haben sollte, hätte nichts näher gelegen, als den Betrieb – wie erstinstanzlich vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18.07.2006 (Bd. I, Bl. 176 d.A.) auch zunächst behauptet – ohne erbrechtliche Komponente zu übertragen.

37            Zwar könnte es gegen eine Anrechnung der Zuwendung auf den Pflichtteil sprechen, wenn diese keinerlei oder sogar einen negativen Wert besitzen würde.

38            Aber der Kläger hat den von den Beklagten dargelegten Wert der Firma im Jahr 1981, den der Senat hochgerechnet mit mindestens 400.000,-​- EUR annimmt, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht wirksam bestritten.

39            Der Senat hält, bestätigt durch das Urteil des BGH vom 27.01.2010 (IV ZR 91/09, Bd. IV, Bl. 75ff. d.A.), an seiner Auffassung fest, dass die Beklagten einen Firmenwert zum Zeitpunkt der Übergabe im Jahr 1981 hochgerechnet von mindestens 400.000 EUR substantiiert dargelegt haben. Den Kläger trifft deshalb eine sekundäre Darlegungslast für den Wert der Zuwendung. Denn steht eine darlegungspflichtige Partei außerhalb des für ihre Rechtswahrnehmung maßgeblichen Geschehensablaufs und kennt der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen, so ist er nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast im Rahmen des Zumutbaren zu substantiiertem Bestreiten der behaupteten Tatsachen unter der Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen verpflichtet (BGH NJW 2008, 373 Rn. 16 m.w.Nachw.). Diesen Anforderungen wird der Kläger nicht gerecht, denn punktuelle und wenig plausible Angaben wie etwa zu einem Kapitalkonto, Geldzuflüssen aus Spielgewinnen oder sonstige steuerliche Aspekte genügen dafür nicht (BGH, Urt. v. 27.01.2010, IV ZR 91/09, Bd. IV, Bl. 75 ff. d.A.).

40            Zwar hat der Kläger erneut umfangreich zu dem Unternehmenswert vorgetragen, aber im Wesentlichen wurde der bisherige Vortrag wiederholt und wurden wiederum nur Angaben zu einzelnen steuerlichen Aspekten oder zu Kapitalkonten gemacht. Weiterhin hat der Kläger nicht die Jahresabschlüsse mit Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnung von 1975 bis 1981 vorgelegt, sondern einen Bericht über die Außenprüfung des Unternehmens für den Zeitraum 1982 bis 1987 (Bd. VI, Bl. 227ff. d.A., Anlage 4), also für einen Zeitraum der nach der Übertragung liegt und deshalb nicht aussagekräftig ist.

41            Auch aufgrund des vorgelegten Privatgutachtens des Sachverständigen SV2 war weder eine Schätzung des Unternehmenswertes nach § 287 ZPO möglich noch die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten.

42            Denn auch für den Laien erkennbar liegen dem Sachverständigengutachten wiederum nur punktuelle Angaben zu Grunde (S. 1f. d. Gutachtens), die für eine Bestimmung des Unternehmenswertes nicht ausreichend sein können. Wie dem Senat aus vergleichbaren Fällen bekannt ist, kann ein Sachverständigengutachten zum Wert eines Unternehmens nur eingeholt werden, wenn die nach den obigen Ausführungen erforderlichen Unterlagen, also die Jahresabschlüsse mit Bilanzen und die Gewinn- und Verlustrechnungen mehrerer Jahren, als Anknüpfungstatsachen vorgelegt werden können. Dementsprechend führt der Sachverständige SV2 selber aus, dass das Gutachten nicht unter Anwendung des vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen IDW Standards erstellt wurde (Bl. 2 d. Gutachtens).

43            Dass die oben genannten Unterlagen nicht mehr vorgelegt werden können, fällt in den Verantwortungsbereich des Klägers. Den Vortrag des Klägers, er sei niemals im Besitz der Unterlagen gewesen, hält der Senat auch auf der Grundlage des neuen Vortrags des Klägers für unglaubhaft. Denn in Ziff. 8.3 des Übergabevertrages vom 31.12.1981 war vereinbart worden, dass zum Stichtag sämtliche für die Fortführung des Unternehmens notwendigen und zweckmäßigen Unterlagen übergeben wurden (Bd. I, Bl. 188 d.A.). Nach Ziff. 6 des Vertrages hatte der Übernehmer zudem alle Verbindlichkeiten nach den Bilanz vom 31.12.1981 zu übernehmen und alle sich aus einer Steuerprüfung für den Zeitraum bis 1981 ergebenden Steuernachforderungen zu tragen (Bl. 187 d.A.).

44            Der Kläger führt weiterhin nicht aus, wie er diesen Verpflichtungen nachkommen konnte, wenn er nie in Besitz der wesentlichen Firmenpapiere gelangt ist.

45            Selbst wenn dem Kläger weitere Unterlagen heute nicht mehr zur Verfügung stehen und ihm eine weitere Substantiierung seines Sachvortrages zum Wert des Unternehmens nicht möglich ist und damit unzumutbar sein sollte, kann die Klage keinen Erfolg haben. Denn in diesem Fall wäre dem Kläger wegen schuldhafter Beweisvereitelung die Beweislast für einen die Klageforderung zumindest teilweise rechtfertigenden Wert der Zuwendung aufzuerlegen. Eine Beweisvereitelung liegt nämlich immer dann vor, wenn eine Partei dem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung vorwerfbar unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet oder sonst wie deren Benutzung verhindert (BGH NJW 1986, 60). Das Gericht darf dann wegen des stets von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen Treu und Glauben in freier Beweiswürdigung aus solchem Verhalten der Partei beweiserleichternde Schlüsse ziehen (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., Anh. § 286 Rn. 27).

46            Der Kläger wusste aufgrund des Vertrages vom 31.12.1981, dass er das Unternehmen im Wege vorweggenommener Erbfolge erhalten hatte. Deshalb musste er damit rechnen, im Erbfall einer Anrechnungs- bzw. Ausgleichungspflicht zu unterliegen. Wenn er die zur Berechnung des Ausgleichs notwendigen Unterlagen nicht aufbewahrt, muss dies zu seinen Lasten gehen.

47            Mithin ergibt eine Gesamtbewertung aller relevanten Umstände, dass der erkennbare Erblasserwille zum Zeitpunkt des Übergabevertrages am 31.12.1981 auf eine Kürzung der dem Empfänger am Restnachlass zustehenden Pflichtteilsrechte gerichtet war, was für die Annahme einer Anrechnungsbestimmung nach § 2315 Abs. 1 BGB spricht.

48            Selbst wenn man den vom Kläger behaupteten, streitigen Nachlasswert von 762.871,93 EUR zugrunde legt, ergibt sich für den Anrechnungspflichtteil aus Pflichtteil abzüglich Zuwendung ein negativer Wert (762.871,93 EUR + 400.000,-​- EUR = 1.162.871,93 EUR : 4 = 290.717,98 EUR abzüglich 400.000,-​- EUR = – 109.282,02 EUR).

49            Auf die ebenfalls zwischen den Parteien streitige Frage, ob eine Ausgleichung besonderer Leistungen der Beklagten zu 1) nach § 2057a BGB vorzunehmen ist, kommt es deshalb nicht an.

50            Der Kläger hat die Kosten der Berufung und des Revisionsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

51            Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung; auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich.

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