OLG Frankfurt 3 U 142/94

September 16, 2017

OLG Frankfurt 3 U 142/94 – Auslegung eines brieflich geäußerten “Wunsches” des Erblassers als testamentarische Verfügung

  1. Der in einem Brief geäußerte “Wunsch”, dem Empfänger “testamentarisch ein Grundstück zu übereignen”, muß nicht bloße Absichtserklärung, sondern kann letztwillige Verfügung sein.
  2. Der Annahme einer Verfügung von Todes wegen (hier: Aussetzung eines Vermächtnisses) steht weder die gleichzeitige Übersendung der Grundstücksunterlagen noch die erbetene sofortige Übernahme von Kosten und Lasten des Grundstücks entgegen (hier: Erblasser im damaligen Westdeutschland, Grundstück und Vermächtnisnehmer in der damaligen DDR).

Gründe OLG Frankfurt 3 U 142/94 

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Übertragung des Grundstücks in A., denn dieses hat ihm der auf den 15.11.1969 für tot erklärte Erblasser als Vermächtnis ausgesetzt. …

Der gegen die Erben der Tochter des Erblassers gerichtete Vermächtnisanspruch nach §§ 2174, 1939 BGB ergibt sich aus dem an den Kläger gerichteten Brief des Erblassers vom 7.9.1969 in Verbindung mit seinem handschriftlichen Vermerk auf der Kaufvertragsurkunde vom 12.5.1962.

Wenn es in dem eigenhändig unterzeichneten Schreiben heißt, “Ich habe den Wunsch, Dir mit der Übersendung der Grundstücksakte eine Freude zu machen, d.h., Dir testamentarisch mein hier angeführten Gartengrundstück … zu übereignen”, so hat der Erblasser damit ein wirksames Testament errichtet. Der Testamentscharakter dieser Verfügung wird erhärtet durch den ebenfalls eigenhändig unterschriebenen Zusatz auf der Urkunde des Grundstückskaufvertrages zwischen W. als Verkäufer und dem Erblasser als Käufer.

OLG Frankfurt 3 U 142/94

Bedenken an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen nicht, auch wenn er kurze Zeit später unter nicht völlig geklärten Umständen offenbar aus dem Leben schied.

Es gibt keinen vernünftigen Zweifel, daß die beiden Schriftstücke vom Erblasser stammen. Das Schriftbild stimmt in allen dem Gericht vorliegenden Schreiben überein. Aussagekräftiges Indiz für die Urheberschaft des Erblassers ist des weiteren die inhaltliche Übereinstimmung der an den Kläger gerichteten Schriftstücke mit dem Schreiben des Erblassers vom 15.9.1969 an X., den damaligen Verwalter des Grundstücks, in dem es heißt, daß er, der Erblasser, seine “Dinge geordnet und … seinen Garten vermacht und ihm das Dokument geschickt” habe.

Entgegen der Auffassung des LG fehlt es den genannten Schriftstücken auch nicht an dem erforderlichen Testierwillen.

Der Kläger sollte zwar nicht Erbe sein, denn der Erblasser hat im Schreiben vom 7.9.1969 eindeutig seine inzwischen verstorbene Tochter als seine Erbin bezeichnet; dem Kläger ist in dem genannten Schreiben aber ein Vermächtnis ausgesetzt worden.

OLG Frankfurt 3 U 142/94

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich insoweit auch nicht um eine bloße Absichtserklärung, dem Kläger in Zukunft etwas “zu vererben”. Abgesehen davon, daß ein weiteres Testament als der Brief vom 7.9.1969 offenbar nicht existiert, ergibt sich bei vernünftiger Betrachtung der vorliegenden Schriftstücke nicht nur die Kundgabe der bloßen Absicht einer testamentarischen Zuwendung, sondern deren Vollzug.

Daß der Erblasser seinem Willen in der Form eines Wunsches Ausdruck verliehen hat, steht dem nicht entgegen. Wenn der letzte Wille, was nicht unüblich ist, so wie hier als Wunsch formuliert wird, so wird damit die Motivation für die testamentarische Bedenkung mitgeteilt, nicht aber eine solche erst für die Zukunft – mehr oder weniger verbindlich – in Aussicht gestellt. Auch der Umstand, daß der Erblasser das Schreiben vom 7.9.1969 mit den Worten “eigenhändig geschrieben und unterschrieben” beendet, zeigt deutlich, daß er eine rechtlich bindende Erklärung abgeben wollte. Daran ändert auch nichts, daß er einige Tage später an X. schrieb, daß er seine letztwillige Verfügung einem RA mitgeteilt habe.

Diese Formulierung legt in Anbetracht des Gesamtzusammenhangs nicht den Schluß nahe, daß es eine weitere, die eigentliche Testierung darstellende Urkunde gebe. Da der Erblasser in seinem Schreiben vom 7.9.1969 von einer testamentarischen Übereignung spricht und dem Kläger, damit dieser sein Eigentum an dem Grundstück belegen könne, die Kaufvertragsurkunde – “mit Handschreiben als testamentarische Urkunde am 7.9.1969 an Herrn … (den Kläger) geschickt” – zusandte, bestehen an dem Willen des Erblassers, rechtlich bindend ein Vermächtnis auszusetzen, keine Zweifel.

Es ist auch keine – mangels Einhaltung der notariellen Form unwirksame – Schenkung unter Lebenden anzunehmen. Zwar könnte hierfür der Umstand sprechen, daß der Erblasser möglicherweise einen umgehenden Eigentumsübergang auf den Kläger anstrebte, indem er diesem die sofortige Übernahme von Zinsen und Gebühren des Grundstücks ansann und einen Rückfall desselben an den Erblasser bzw. seine Erbin – seine Tochter – vorsah für den Fall, daß der Kläger das Grundstück nicht für sich selbst verwende. Gleichwohl erachtet der Senat diese auf eine Schenkung hindeutenden Anhaltspunkte nicht als die für die Ermittlung des Erblasserwillens letztlich maßgeblichen Kriterien.

OLG Frankfurt 3 U 142/94

Sämtliche schriftlich dokumentierten Äußerungen des Erblassers aus dem Herbst 1969 sind von dem Gedanken getragen, “seine Dinge zu ordnen”, und es deutet viel darauf hin, daß der Erblasser wegen seiner angegriffenen und ihm nicht besserungsfähig erscheinenden gesundheitlichen Verfassung sowie infolge persönlicher familiärer und sonstiger Schwierigkeiten sich möglicherweise schon im September mit dem Gedanken trug, aus dem Leben zu scheiden.

Daß er in einer solchen Situation nicht mehr in einer klaren und für die Nachwelt eindeutigen Form zwischen Eigentumsübergang sogleich oder erst im Falle seines Todes unterschied, erscheint zumindest nicht fernliegend. Hinzu kommt die durch die damalige Teilung Deutschlands jedenfalls für Nichtjuristen schwer durchschaubare Eigentumssituation von im Osten befindlichen Grundstücken eines Westdeutschen. Dies zeigt sich deutlich an den vom Erblasser – ebenfalls im Schreiben vom 7.9.1969 geäußerten – Zweifeln, ob ein Ostdeutscher von einem Westdeutschen etwas erben könne.

Diese rechtliche Unsicherheit bzw. Fehleinschätzung des Erblassers, welche sich auch in dem nachfolgenden Schreiben vom 30.10.1969 an den Kläger widerspiegelt, mag ebenfalls ein Grund gewesen sein, weswegen er den äußeren Vollzug des Grundstücksübergangs schon vor seinem Tod in die Wege leiten wollte.

Im übrigen ist es nicht völlig fernliegend, daß ein von Todes wegen Bedachter schon zu Lebzeiten des Erblassers für Kosten und Lasten des ihm zugedachten Gegenstandes aufzukommen hat. Dies gilt um so mehr, wenn der Erblasser infolge seines Alters und – wie hier – wegen politischer Barrieren zur Nutzung desselben nur schwerlich imstande ist.

OLG Frankfurt 3 U 142/94

Die Annahme eines testamentarischen Vermächtnisses ist auch nach Maßgabe des – über seinen Wortlaut hinaus entsprechend anzuwendenden (Palandt/Edenhofer, 54. Aufl., BGB, § 2084 Rn. 16) – § 2084 BGB geboten. Diese Auslegungsvorschrift hat den Zweck, dem in bestimmten Worten zum Ausdruck gekommenen Willen des Erblassers rechtliche Geltung zu verschaffen; sie beruht auf der Erwägung, daß das rechtliche Gewand, in das sein Wille zu kleiden ist, für einen Erblasser von eher untergeordneter Bedeutung ist (BGH FamRZ 1985, 693 ff, 695).

Aus diesem Grund kann die Auslegungsregel aber nicht nur dann gelten, wenn zwischen mehreren Deutungen einer letztwilligen Verfügung zu wählen ist, sondern sie muß auch dann Platz greifen, wenn eine mit Rechtsbindungswillen abgegebene Erklärung verschiedene Einordnungen zuläßt.

Falls daher Unklarheit darüber besteht, ob die tatsächlich vorliegende Willenserklärung ein Rechtsgeschäft unter Lebenden oder eine Verfügung von Todes wegen darstellt und die Erklärung im erstgenannten Fall aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht zu dem vom Erblasser gewünschten Erfolg führen kann, andererseits aber – wie hier – die zwingenden Formerfordernisse eines Testaments erfüllt sind, ist nach Maßgabe des Auslegungsgedankens des § 2084 BGB eine letztwillige Verfügung anzunehmen.

Nach alledem war das Erbe der Tochter des Klägers mit einem Anspruch des Klägers auf Eigentumsübertragung des streitbefangenen Grundstücks belastet. Diese Belastung ist gem. § 1922 BGB auf die Erben der nachverstorbenen Tochter übergegangen. …

OLG Frankfurt 3 U 142/94

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