OLG Hamm 33 U 12/09

September 10, 2017

OLG Hamm 33 U 12/09 Schadenersatzanspruch eines Erben des Mandanten aufgrund unzureichender Beratung hinsichtlich des Erbausschlusses der Ehefrau des Mandanten im Scheidungsverfahren

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 2. April 2009 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand OLG Hamm 33 U 12/09

Die Klägerin fordert Schadensersatz wegen der Schlechterfüllung eines zwischen der Beklagten und dem am …2005 verstorbenen Vater der Klägerin (im Folgenden: der Erblasser) geschlossenen Anwaltsvertrages. Sie ist eines der zwei Kinder des Erblassers.

Die Eltern der Klägerin trennten sich 1999, 2003 beantragte die Mutter die Scheidung. Im Scheidungsverfahren verzichtete der Erblasser zunächst auf eine anwaltliche Vertretung. Im Termin am 27.5.2003 machte die Mutter der Klägerin dann die Folgesachen Zugewinn und nachehelicher Unterhalt anhängig, woraufhin das Gericht den Erblasser auf die Notwendigkeit einer anwaltlichen Vertretung in diesen Angelegenheiten hinwies.

OLG Hamm 33 U 12/09

Am 14.6.2003 mandatierte der Erblasser die Beklagte, wobei der Umfang des Mandats zwischen den Parteien streitig ist. Mit Schriftsatz vom selben Tag zeigte die Beklagte gegenüber dem Gericht die Vertretung des Erblassers an. Mit weiterem Schriftsatz vom 26.6.2003 zeigte die Beklagte wiederum die Vertretung des Erblassers an in der Angelegenheit “wegen Auskunftserteilung, Zugewinn- und Unterhaltszahlungen”. Mit diesem Schriftsatz übersandte sie eine vom Erblasser unterzeichnete und auf den 16.6.2003 datierte Vollmacht, in der als Gegenstand der Bevollmächtigung “Scheidungsverfahren” handschriftlich eingetragen war.

Das Scheidungsverfahren selbst wurde in der Folgezeit nicht weiter betrieben, der Erblasser und seine Frau verhandelten vorwiegend über den Zugewinnausgleich. Zudem erging eine einstweilige Anordnung zum Trennungsunterhalt. Einen eigenen Scheidungsantrag stellte der Erblasser nicht, auch erklärte er nicht die Zustimmung zum Scheidungsantrag seiner Frau.

Am …2005 verstarb der Erblasser überraschend. Die Beklagte stellte den Erben mit Schriftsatz vom 7.4.2005 die anwaltlichen Gebühren für die Vertretung in der Folgesachen Zugewinn und Unterhalt in Rechnung.

Mit Schriftsatz ihrer erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten vom 13.5.2005 nahm die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte wies diesen Anspruch mit Schriftsatz vom 10.6.2005 zurück.

Die Klägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, die Beklagte habe den Erblasser pflichtwidrig nicht in dem gebotenen Maße über die Möglichkeit informiert, das Erbrecht der Ehefrau durch einen eigenen Scheidungsantrag oder zumindest die Zustimmung zu dem von der Ehefrau gestellten Scheidungsantrag auszuschließen. Sie ist der Auffassung, dass sie als Begünstigte eines solchen Ausschlusses in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen sei, so dass ihr ein eigener Schadensersatz wegen der Pflichtverletzung zustehe. Ihr sei dadurch ein Schaden entstanden, dass sie aufgrund des Erbrechts der Mutter lediglich mit einem Viertel statt mit der Hälfte am Nachlass beteiligt worden sei. Zwischen den Parteien war zudem der Umfang des der Beklagten vom Erblasser erteilten Mandats streitig sowie die Höhe des Schadens.

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Mit dem am 2.4.2009 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Es sei bereits zweifelhaft, ob das familienrechtliche Mandat zwischen dem Erblasser und der Beklagten eine Schutzwirkung zugunsten der Klägerin entfalte. Dies könne aber offenbleiben. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass der Erblasser der Beklagte ein Mandat gerade auch für Scheidungsverfahren erteilt habe. Allein die Formulierung der vom Erblasser unterschriebenen Vollmacht genüge hierfür nicht. Zudem habe die Klägerin auch nicht beweisen können, dass die Beklagte den Erblasser über die Bedeutung des § 1933 BGB nicht hinreichend aufgeklärt habe.

Im Übrigen wird gem. § 540 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung der Klägerin rügt die Klägerin, das Landgericht habe die erteilte Vollmacht unzutreffend gewürdigt; diese umfasse nach ihrem Wortlaut sowohl die Scheidungs- als auch die Scheidungsfolgesachen. Dass die Klägerin in den Schutzbereich des Mandats einbezogen worden sei, ergebe sich schon daraus, dass die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag, den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen mache, auf Nachfrage des Erblassers mit diesem die Regelungen des § 1933 BGB besprochen habe. Die erfolgte Belehrung sei aber unzureichend gewesen. Die  Beklagte habe nicht vorgetragen, worüber sie im Einzelnen mit dem Erblasser im Hinblick auf die Bedeutung des § 1933 BGB gesprochen habe. Zudem sei die Erörterung in einem gänzlich anderen Zusammenhang, nämlich mit dem privilegierten Erwerb zum Anfangsvermögen erfolgt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 102.698,14 EUR und außergerichtliche Kosten in Höhe von 2.440,69 EUR, jeweils nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.6.2005, zu zahlen.

hilfsweise,

die angefochtene Entscheidung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen.

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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt insbesondere vor, dem Erblasser sei die Bedeutung des § 1933 BGB bekannt gewesen aufgrund der umfassenden Beratung seines früheren Bevollmächtigten, des Rechtsanwalts X. Ihm seien insbesondere die Erbansprüche seiner Ehefrau bekannt gewesen. Anlässlich eines Gesprächs über den Zugewinn und die eigene Erbschaft des Erblassers nach seinem Vater habe der Erblasser ihr den Zettel mit der Notiz “Kein Testament: bei Tod Anspruch auf Erbe” vorgelegt. Sie habe ihm auf Nachfrage nochmals die Regelung des § 1933 BGB erläutert.Darüber hinaus bestehe auch keine Schutzwirkung zugunsten der Klägerin. Der Erblasser sei gesund gewesen, nichts habe für einen nahen Tod gesprochen. Es habe daher für die Beklagte kein Anlass bestanden, erbrechtliche Fragen mit dem Mandanten zu besprechen. Auch der Erblasser selber habe die Regelung erbrechtlicher Fragen nicht von sich aus angesprochen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien im Termin am 19.2.2010 persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk Bezug genommen.

Die Akten 5a F 105/03 Amtsgericht Halle (Westf.) – Scheidungsverfahren und Sonderhefte Versorgungsausgleich, Zugewinnausgleich und Ehegattenunterhalt – lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe OLG Hamm 33 U 12/09

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten aus dem Anwaltsvertrag zu.

Eine anwaltliche Pflichtverletzung der Beklagten hat der Senat nicht festzustellen vermocht (I.). Darüber hinaus entfaltet der Anwaltsvertrag zwischen der Beklagten und dem Erblasser keine Schutzwirkung zugunsten der Klägerin (II.).

I.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Beklagte den Erblasser pflichtwidrig beraten hat.

Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Der konkrete Umfang der anwaltlichen Pflichten richtet sich nach dem erteilten Mandat und den Umständen des einzelnen Falles (BGH, WM 1996, 1824/1825).

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Ziel der anwaltlichen Rechtsberatung ist es, dem Mandanten eigenverantwortliche, sachgerechte (Grund) Entscheidungen (“Weichenstellungen”) in seiner Rechtsangelegenheit zu ermöglichen (Zugehör in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rdn. 558; Fahrendorf in: Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rdn. 537 f.). Dazu muss sich der Anwalt über die Sach- und Rechtslage klar werden und diese dem Auftraggeber verständlich darstellen. Der Mandant benötigt, insbesondere wenn er juristischer Laie ist, nicht unbedingt eine vollständige rechtliche Analyse, sondern allein die Hinweise, die ihm im Hinblick auf die aktuelle Situation und sein konkretes Anliegen die notwendige Entscheidungsgrundlage liefern.

Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Erblasser der Beklagten ein umfassendes familienrechtliches Mandat für das Scheidungsverfahren erteilt hat –  so die Klägerin – oder das Mandat vorn vorneherein allein auf die Folgesachen Zugewinn und Ehegattenunterhalt beschränkt war – so die Beklagte, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da auch im ersteren Falle eine Pflichtverletzung der Beklagten nicht feststellbar wäre. Allerdings legen es nach Auffassung des Senats insbesondere die Formulierung der erteilten Vollmacht und der Umstand, dass sich die Beklagte sowohl im Scheidungsverfahren als auch gesondert für die Folgesachen bestellt hat, nahe, dass ein uneingeschränktes Mandat vorgelegen hat.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine Pflichtverletzung durch eine unterbliebene oder unzureichende Beratung trägt der Mandant als Geschädigter (std. Rspr. des BGH, vgl. nur NJW 1999, 2437; Fahrendorf, a.a.O., Rn. 684; Fischer in: Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, a.a.O., Rn. 952). Zum Schutz des beweisbelasteten Mandaten greift allerdings eine gestufte Darlegungs- und Beweislast:

Der Anwalt darf sich nicht damit begnügen, pauschal die Erteilung der Belehrung zu behaupten. Vielmehr muss er die Umstände, Art und Inhalt der behaupteten Belehrung und den Verlauf des Beratungsgesprächs, insbesondere auch die Reaktionen des Mandanten auf die Belehrung in einer Weise konkret darstellen, die erkennen lässt, dass er den ihm obliegenden Aufklärungs- und Hinweispflichten gerecht geworden ist (BGH, NJW 1987, 1322/1323; NJW 1994, 3295/3299; Fahrendorf, a.a.O., Rn. 693; Fischer, a.a.O., Rn. 958). Dabei braucht er jedoch weder das Gespräch nach Ort und Zeit genau einzuordnen (BGH NJW 1991, 2280/2283) noch den Ablauf des Gesprächs in allen Einzelheiten darstellen (BGH, NJW 1996, 2571).

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Erst eine solchermaßen substantiierte Behauptung hat der Mandant auszuräumen (BGH NJW 1996, 2571; NJW 2000, 730/732; Fahrendorf, a.a.O., Fischer, a.a.O.).

Nach diesen Grundsätzen ist die Klägerin für die behauptete Pflichtverletzung der Beklagten beweisfällig geblieben. Die Beklagte hat im Termin vor dem Senat in hinreichender Weise dargelegt, wann und wie sie den Erblasser über die Möglichkeit, durch Stellung eines eigenen Scheidungsantrags oder Zustimmung zum Scheidungsantrag der Ehefrau deren Erb- und Pflichtteilsrecht vollständig auszuschließen, aufgeklärt hat.

Die Beklagte hat in nachvollziehbarer und glaubhafter Weise geschildert, dass im Rahmen einer Besprechung über die Folgesache Zugewinnausgleich Anfang 2004 der Erblasser Parallelen zur Situation nach dem Tod seines eigenen Vaters 1972 gezogen und sich in diesem Zusammenhang nach der Rechtslage erkundigt habe. In diesem Zusammenhang habe er ihr auch seine handschriftlichen Notizen aus einer Besprechung mit dem zuvor mandatierten Kollegen X übergeben.

Der Erblasser habe ihr erklärt, X habe über das Thema ausführlich mit ihm gesprochen, näheres zum Inhalt dieses Gesprächs sei ihr jedoch nicht bekannt. Sie habe dem Erblasser die Erbfolge erläutert und ihn insbesondere darüber aufgeklärt, dass die Ehefrau aus der Erbfolge herausfalle, wenn er selbst die Scheidung beantrage oder dem Scheidungsantrag zustimme, und dann nur die Kinder erben würden.

Sie habe die Hoffnung gehabt, der Erblasser stimme jetzt vielleicht der Scheidung zu, damit die Ehefrau nicht erbe. Der Erblasser habe sich daraufhin erkundigt, ob er denn kein Testament machen müsse. Sie habe ihm die Rechtslage dann noch einmal erklärt und ergänzend darauf hingewiesen, dass ein Testament nur erforderlich sei, wenn er von der gesetzlichen Erbfolge abweichen wolle. Sie habe ihm angeboten, ihm einen erbrechtlich versierten Kollegen zu benennen, falls er ein Testament errichten wolle.

Der Erblasser habe sich dann darüber beklagt, dass seine Frau und seine Kinder so zerstritten seien. Daher habe sie ihn darauf hingewiesen, dass diese ohne Ausschluss der Ehefrau von der Erbfolge eine Erbengemeinschaft bilden würden, ob er das wolle; er habe die Möglichkeit, dies abzuwenden und die Ehefrau aus der Erbengemeinschaft rauszunehmen, indem er der Scheidung zustimme oder diese selbst beantrage, und sie auf den Zugewinn zu beschränken. Darauf sei der Erblasser aber nicht eingegangen, er habe lediglich gesagt, die Ehefrau solle bekommen, was ihr zustehe.

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Mit diesem Vortrag hat die Beklagte ihrer Pflicht zu einem konkreten, substantiierten Vortrag genügt. Dafür, dass dieser Vortrag nicht zutreffend ist, hat die Klägerin keinen hinreichenden Beweis angetreten.

II.

Unabhängig von der Frage einer ausreichenden Belehrung des Erblassers steht der Klägerin ein eigener Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auch deshalb nicht zu, weil – wovon bereits das Landgericht ausgegangen ist – das Mandatsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Erblasser keine Schutzwirkung zu ihren Gunsten entfaltet.

Allerdings kann ein Anwaltsvertrag, aufgrund dessen der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber Rechtsbeistand schuldet, zum Inhalt haben, dass der Anwalt auch die Vermögensinteressen eines Dritten wahrzunehmen hat (zuletzt BGH, DB 2010, 101, zitiert nach juris). Dann kann die – notfalls ergänzende – Auslegung des Vertrages ergeben, dass der Dritte in den Schutzbereich der anwaltlichen Pflichten einbezogen ist. Hieraus kann er zwar keinen primären Anspruch auf die vertragliche Hauptleistung, wohl aber einen eigenen sekundären Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt haben (BGH, a.a.O.).

Von einem solchen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ist, ggfs. im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§ 133, 157 BGB), immer dann auszugehen, wenn dem Vertragsschuldner die Einbeziehung des Dritten in den vertraglichen Schutzbereich bekannt oder zumindest erkennbar ist, die Rechtsgüter des Dritten durch die Vertragsleistung des Schuldners bestimmungsgemäß oder typischerweise beeinträchtigt werden können (“Leistungsnähe”), ein berechtigtes Interesse des Vertragsgläubigers am Schutz des Dritten besteht und der Dritte ein Schutzbedürfnis hat (vgl. BGH, NJW 1985, 489; 1996, 2927; 2004, 3630; Zugehör, NJW 2008, 1105).

Zwar wird ein Anwaltsvertrag durch das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt bestimmt und entfaltet regelmäßig keine Schutzwirkung zugunsten Dritter. Interessen Dritter am Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit können im Allgemeinen nicht zu einer Haftungserweiterung des Rechtsanwalts führen (vgl. BGH NJW 1977, 2074). Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts auch und gerade dem Dritten zu dienen bestimmt war und der Rechtsanwalt von einer solchen Erwartung des Mandanten Kenntnis hatte (vgl. BGH NJW 1965, 1955; NJW 1977, 2074; NJW 1986, 581; OLG Hamm, 28. Senat, MDR 1986, 1026). Anerkannt ist insbesondere, dass Anwaltsverträge Schutzwirkung für Angehörige des Auftraggebers haben können (vgl. Zugehör, NJW 2008, 1105 m.w.N.).

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In den bisher vom BGH entschiedenen Fällen war es allerdings regelmäßig so, dass der Auftrag ganz oder zumindest teilweise gerade darauf gerichtet war, die Interessen der jeweiligen Angehörigen wahrzunehmen (BGH NJW 1965, 1955: Einsetzung der Tochter als Alleinerbin; BGH NJW 1977, 2074: Zuwendung eines gemeinsamen Vermögensgegenstandes der Ehegatten an die gemeinsamen Kinder im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung; BGH NJW 1995, 2551: Sicherung des Vermögensbestandes für den geistig behinderten Sohn durch Testamentsvollstreckung; BGH FamRZ 1994, 1173: Ausschluss des Alleinerbrechts der Ehefrau zugunsten der Kinder; zuletzt BGH DB 2010, 101: Durchsetzung von Forderungen, die der Auftraggeber an seine Ehefrau abgetreten hatte).

Hieran fehlt es im vorliegenden Falle. Auch bei Annahme eines umfassenden Mandats für das Scheidungsverfahren diente die Tätigkeit der Beklagten doch allein dem Interesse des Erblassers. Ein Erbausschluss der Mutter hätte zwar eine Vergrößerung des Erbanteils der Klägerin und ihres Bruders zur Folge gehabt. Es ist jedoch nichts dafür vorgetragen, dass ein für die Beklagte erkennbares Interesse des Erblassers daran bestand, gerade diese Rechtsfolge herbeizuführen, also die Mandatierung auch gerade dem Interesse seiner Kinder dienen sollte.

Die Klägerin behauptet weder, dass der Erblasser gegenüber der Beklagten ausdrücklich die Wahrnehmung der Interessen seiner Kinder zum Gegenstand des Auftrages gemacht hätte, noch trägt sie sonstige konkrete Umstände vor, aus denen sich, auch für die Beklagte erkennbar, ergeben hätte, dass ihre Tätigkeit nach den Erwartungen des Erblassers auch den Interessen seiner Kinder dienen sollte. Solche Umstände ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten.

Die Beklagte hat glaubhaft geschildert, dass über die Kinder des Erblassers nur im Zusammenhang mit Zuwendungen an diese gesprochen worden sei, die die Ehefrau als illoyal beanstandet habe. Sie hat insbesondere dargelegt, dass der Erblasser auch auf den Hinweis, die Ehefrau könne zugunsten der Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen und so Streit in der Erbengemeinschaft vermieden werden, nicht eingegangen sei.

Der Auffassung der Berufung, aus § 1933 BGB ergebe sich stets eine Einbeziehung der durch den Erbausschluss des anderen Ehegatten begünstigten weiteren Erben in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Begünstigung der weiteren Erben ergibt sich zwar als Reflex aus dem Erbausschluss des Ehepartners. Diese Rechtsfolge  muss aber nicht notwendig Ziel des Auftraggebers sein: Dieses kann sich auch darauf beschränken, dass jedenfalls der andere Ehegatte nichts vom Erbe bekommt, gleichgültig, wer sonst erbt.

III.

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Nur ergänzend weist der Senat daraufhin, dass in der vorliegenden Konstellation auch die Frage der Kausalität problematisch erscheint.

Ein pflichtwidriges Verhalten der Beklagten unterstellt, würde eine Haftung der Beklagten weiter voraussetzen, dass der Erblasser im Falle einer ausreichenden Beratung über die Voraussetzungen und Wirkungen des § 1933 BGB sich dazu entschlossen hätte, selbst einen Scheidungsantrag zu stellen oder der Scheidung zuzustimmen.

Für ein beratungsgemäßes Verhalten spricht dann eine tatsächliche Vermutung, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Menschen lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte, also nicht mehrere Handlungsalternativen offen standen, die sämtlich mit Vor- und Nachteilen verbunden und somit zu gewichten und abzuwägen wären (vgl. Fahrendorf, a.a.O., Rn. 757 m.w.N.).

Dem Senat erscheint es jedoch äußerst zweifelhaft, ob in der gegebenen Situation tatsächlich nur die Entscheidung des Erblassers, selbst die Scheidung zu beantragen oder zumindest dem Scheidungsantrag der Ehefrau zuzustimmen, nahegelegen hätte. Denn hierdurch wäre nicht nur lediglich das Erbrecht der Ehefrau beseitigt worden.

Vielmehr hätte der Erblasser damit in erster Linie zum Ausdruck gebracht, dass auch er an der Ehe nicht mehr festhalten wolle. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung höchst persönlicher Natur. Es erscheint fraglich, ob Entscheidungen aus diesem Bereich einer tatsächlichen Vermutung zugänglich sind.

Zwischen den Parteien ist höchst streitig, ob der Erblasser jedenfalls ab 2003 selbst die Scheidung wollte, oder ob er auch noch nach Einleitung des Scheidungsverfahrens bis zu seinem Tode die Hoffnung hatte, seine Frau werde zu ihm zurückkehren.

Da ein Anspruch der Klägerin jedoch bereits aus den unter I. und II. genannten Gründen nicht besteht, bedurfte es zu dieser Frage keiner Sachaufklärung mehr.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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