OLG Karlsruhe 6 U 138/96

September 16, 2017

OLG Karlsruhe 6 U 138/96 Gemeinschaftliches Testament: Wirksamwerden einer späteren den anderen Ehegatten beschränkenden Verfügung von Todes wegen ohne Widerruf nach Ausschlagung des überlebenden Ehegatten

Nach Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments wird eine spätere, den anderen Ehegatten beschränkende Verfügung von Todes wegen, die der Erblasser ohne wirksamen förmlichen Widerruf getroffen hat, durch die Ausschlagung des überlebenden Ehegatten nicht nachträglich wirksam.

Tenor OLG Karlsruhe 6 U 138/96 

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 13. Juni 1996 – 12 O 669/95 – wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsrechtszuges fallen der Klägerin zur Last.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 23.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Sicherheitsleistungen können jeweils durch Bankbürgschaft erbracht werden.

  1. Die Beschwer der Klägerin übersteigt 60.000,00 DM.

Tatbestand OLG Karlsruhe 6 U 138/96 

Die Klägerin nimmt die Beklagten als Miterben wegen Nichterfüllung eines Vermächtnisses in Anspruch.

Der am 10.04.1902 geborene, kinderlose und in zweiter Ehe mit Mathilde St., geborene H., geboren am 09.01.1909, verheiratete und am 11.06.1992 verstorbene Erblasser Alfred St. wurde im Wege der gesetzlichen Erbfolge von seinen Nichten Gertrud S. (Beklagte 1) sowie der nichtverklagten in den USA wohnhaften Elisabeth B. geborene St., und anstelle des vorverstorbenen Neffen Robert St. von dessen Abkömmlingen (Beklagte 2 und 3) beerbt. Zum Nachlaß gehörte unter anderem das hälftige Miteigentum an dem ehegemeinsamen Hausgrundstück W.-Straße in B., eingetragen im Grundbuch von B. Flurstück-Nr. …

Die Eheleute St. errichteten am 23.02.1954 ein gemeinschaftliches Testament vor dem Notar, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten (Nachlaßakte Notariat B. GRN 567/92, AS. 27-29). Im Nachgang hierzu bestimmten die Eheleute in dem privatschriftlichen gemeinschaftlichen Testament vom 21.11.1958, daß nach dem Tode des überlebenden Ehegatten die eine Hälfte des Nachlasses an den Stamm St. und die andere Hälfte an den Stamm H., nämlich an die “in der Firma Gebrüder H., B. als Gesellschafter und Mitinhaber verbliebenen Geschwister” fallen solle (Nachlaßakte AS. 31).

In der Folgezeit traf der Erblasser noch drei weitere Verfügungen, sämtlich privatschriftlicher Natur, ohne die Mitwirkung seiner Ehefrau.

Zunächst ordnete er mit Verfügung vom 18.11.1964 unter Bezugnahme auf die Verfügung der Eheleute vom 21.11.1958 an, daß nach dem Tode des letztlebenden Ehegatten das Anwesen W.-straße … an “Angehörige, möglichst direkte Nachkommen der Familie Franz H. “(Schwiegervater des Erblassers) gehen solle.

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Im Testament vom 19.11.1979 knüpfte der Erblasser zunächst an die gemeinschaftlichen Testamente vom 23.02.1954 und vom 21.11.1958 an und traf dann folgende Verfügung.

“IV. Weiterhin bestimme ich hiermit, daß nach meinem Tod als Vorab mein Anteil mit der Hälfte am Anwesen B.-W.-Straße … Flurstück-Nr. … im Erbgang zu gleichen Teilen übergehen soll an die Enkel des am 05. April 1958 verstorbenen Fabrikanten Franz H.

  1. a) Frau Trude M.
  2. b) Herrn Diplom-Ingenieur Michael H.

Dabei gilt meine Frau Tilly St. als Vorerbe und die beiden oben Genannten als Nacherben mit der Maßgabe, daß der benannte Nachlaß nach dem Tod des Vorerben oder bei vorzeitiger Aufgabe des Objekts dieses an die Nacherben fällt. Bis dahin erhält meine Ehefrau Tilly St. Nießbrauch am Nachlaß.

Damit ist der Forderung meines Schwagers Diplom-Ingenieur Theo H. – Senior der Fam. Franz H. – genüge getan, daß mein Anteil mit der Hälfte am Anwesen B.-W.-Straße nach meinem Ableben an direkte Nachkommen (hier die Enkel) des Franz H. geboren 13. Okt. 1881, fallen muß, wie dies im Nachtrag zum Testament vom 21. Nov. 1958 festgelegt ist.” (vgl. Nachlaßakten AS. 35/37).

In dem Testament vom 19.11.1979 folgen sodann noch Regelungen für die Erbfolge nach dem Tode des Letztlebenden bezüglich Erbauseinandersetzung und Testamentsvollstreckung.

In dem von ihm so bezeichneten Nachtrag zum Testament vom 19.11.1979 vom 08.05.1984 ordnete der Erblasser an, daß der für den am 01.03.1984 verstorbenen Neffen Robert St. vorgesehene Erbteil den Nichten (Beklagte 1 und Elisabeth B. geborene St.) anwachsen solle.

Mit öffentlich beglaubigter Erklärung vom 25.11.1992 schlug die Ehefrau des Erblassers die angefallene Erbschaft aus allen Berufungsgründen aus. Die Klägerin erklärte auf Anschreiben des Nachlaßgerichtes vom 14.12.1992 (Anlagenband Klägerin, AS. 33) ebenfalls die Ausschlagung der “Erbschaft aus jeglichem in Betracht kommenden Berufungsgrund” in notariell beglaubigter Form am 28.12.1992. Am 03.09.1993 erteilte das Nachlaßgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein für die Beklagten 13 und für Elisabeth B. (Nachlaßakten AS. 145/147).

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Die Miterben übertrugen am 21.01.1994 an Michael H. in notarieller Form die Miteigentumshälfte des Erblassers (notarielle Urkunde Anlagenband Klägerin AS. 11-19). Michael H. hatte sich nämlich auf den Standpunkt gestellt, er sei infolge der Ausschlagung der Klägerin alleiniger Vermächtnisnehmer bezüglich der Miteigentumshälfte des Erblassers auf der Grundlage der Verfügung des Erblassers vom 19.11.1979 geworden. Die Ehefrau des Erblassers übertrug am 25.11.1994 ihre Miteigentumshälfte auf Michael H. gegen Gewährung eines lebenslangen Nießbrauchsrechts.

Die mit Anwaltsschreiben vom 20.03.1995 (Anlagenband Klägerin, AS. 27/29) geforderte Erfüllung des Vermächtnisses an die Klägerin lehnten die Miterben mit Rücksicht auf die bereits erfolgte Übertragung des Miteigentums an Michael H. ab. Die Klägerin hat die Beklagten hierwegen auf Schadensersatz wegen zu vertretender Unmöglichkeit auf 1/4 des mit 1,0 Mio. DM angenommenen Verkehrswertes des Grundstückes und hilfsweise auf Übertragung eines Miteigentumsanteils an dem Hausgrundstück von 1/4 bzw. auf Abtretung des Anspruchs auf Rückübertragung eines solchen Miteigentumsanteils gegen den als Grundstückseigentümer eingetragenen Michael H. in Anspruch genommen.

Die Beklagten haben die Klageansprüche zurückgewiesen. Sie haben die Auffassung vertreten, die Klägerin habe durch die Ausschlagung jede Rechtsposition am Nachlaß aufgegeben. Zumindest hätten sie seinerzeit, ohne daß sie einen Vorwurf treffe, hiervon ausgehen dürfen. Im übrigen haben sie den von der Klägerin behaupteten Verkehrswert des Grundstückes bestritten.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 13.06.1996 hat das Landgericht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Zwar sei die Vermächtnisanordnung im Testament des Erblassers vom 19.11.1979 zugunsten der Klägerin und Michael H. wirksam, da diese Verfügung von Todes wegen durch Ausschlagung des bedachten Ehegatten in vollem Umfang gültig geworden sei. Das der Klägerin zugewendete Vermächtnis sei aber noch nicht fällig, weil es sich lediglich um ein Vorvermächtnis handele und der Nachvermächtnisfall bisher noch nicht eingetreten sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese die erstinstanzlichen Klageanträge weiterverfolgt. Sie bekämpft die Auslegung der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom 19.11.1979 durch das Landgericht unter Aufgabe ihrer im ersten Rechtszug noch vertretenen und vom Landgericht geteilten Rechtsauffassung, wonach die Verfügung vom 19.11.1979 lediglich als Anordnung eines Vorvermächtnisses anzusehen sei. Der Erblasserwille sei richtigerweise dahin zu verstehen, daß ihr, der Klägerin, und Michael H. ein mit einem Nießbrauchvermächtnis zugunsten der Ehefrau beschwertes Vermächtnis zugewendet werden sollte.

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Selbst wenn man, wie das Landgericht es getan hat, die Ehefrau des Erblassers als Vorvermächtnisnehmerin ansehen wollte, hätte diese mit ihrer Ausschlagung und der Aufgabe des Hausanwesens durch Umzug ins Altenheim auch diese Zuwendung aufgegeben, so daß der Nachvermächtnisfall eingetreten sei.

Die Klägerin beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen neben der ebenfalls als Gesamtschuldnerin haftenden Frau Elisabeth B. zu verurteilen, an die Klägerin 250.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Zustellung der Klage zu zahlen;

hilfsweise:

die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen neben der ebenfalls gesamtschuldnerisch haftenden Frau Elisabeth B. zu verurteilen, der Klägerin 1/4-Miteigentumsanteil an dem im Grundbuch des Grundbuchamtes von B. Blatt … als Bestandteil eingetragenen Grundstücks, Gemarkung …, Flurstück-Nr. … (Gebäude- und Freifläche W.-straße …), zu Eigentum zu übertragen,

in zweiter Linie hilfsweise:

die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen neben der ebenfalls als Gesamtschuldnerin haftenden Frau Elisabeth B. zu verurteilen, ihren gegen den Architekten, Herrn Diplom-Ingenieur Michael H. gerichteten Anspruch auf Rückübertragung eines 1/4-Miteigentumsanteils an dem im Grundbuch des Grundbuchamtes B. Blatt … als Bestand eingetragenen Grundstücks Gemarkung B. Flurstück-Nr. … (Gebäude und Freifläche W.-straße …) abzutreten.

Die Beklagten treten der Berufung entgegen. Sie verteidigen das angegriffene Urteil, dessen Ergebnis entgegen der Auffassung des Landgerichts schon damit zu begründen sei, daß die Ausschlagung der Klägerin bereits die Zuwendung des Vermächtnisses erfasse. Überhaupt erscheine schon die testamentarische Anordnung des Erblassers vom 19.11.1979 mit Rücksicht auf das gemeinschaftliche Testament vom 23.02.1954 als unwirksam.

Wegen des Vorbringens der Parteien im übrigen wird auf die Schriftsätze vom 15.11.1996 sowie vom 27.05.1998 (Klägerin) und vom 21.02.1997 (Beklagten) verwiesen.

Entscheidungsgründe OLG Karlsruhe 6 U 138/96 

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Auch der erkennende Senat hält das Ergebnis des Landgerichts, wenn auch aus anderen Gründen, für zutreffend. Das auf §§ 2174, 280 Abs. 1 BGB gestützte Klagebegehren scheitert schon daran, daß die Klägerin nicht Vermächtnisnehmerin geworden ist.

Die einseitige letztwillige Verfügung des Erblassers vom 19.11.1979, aus der die Klägerin ihre erbrechtliche Position ableitet, entfaltet keine Wirkung, weil sie der gesetzlichen Form nicht genügt

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(1.). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist diese Verfügung auch nicht nachträglich dadurch wirksam geworden, daß die Ehefrau des Erblassers die Erbschaft schließlich ausgeschlagen hat

(2.).

Der Erblasser konnte seine Verfügung vom 23.02.1954, mit welcher er seine Ehefrau zu seiner Alleinerbin bestimmte, nur durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber seiner Frau widerrufen, §§ 2271 Abs. 1 Satz 1, 2296 Abs. 2 BGB. Ein einseitiger Widerruf durch die neue Verfügung von Todes wegen vom 19.11.1979 ist ausgeschlossen, § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das gilt auch dann, wenn der Ehegatte wechselbezügliche Verfügungen nur teilweise widerruft, indem er den Bedachten durch nachträgliche Anordnung eines Vermächtnisses beschränkt.

So liegt es im Streitfall. Die vom Erblasser unter Ziffer IV. seiner Verfügung vom 19.11.1979 getroffene Vermächtnisanordnung (§ 1939 BGB) beschwert den anderen Ehegatten, gleichgültig ob man darin, wie das Landgericht gemeint hat, ein Vorvermächtnis, oder, was näher liegt, eine unmittelbare durch ein Nießbrauchvermächtnis im Interesse der Ehefrau beschwerte Vermächtniszuwendung zugunsten der Klägerin und ihres Cousins Michael H. erblickt. Mit diesem Inhalt widerspricht das einseitige Testament der wechselbezüglichen Verfügung des Erblassers in den gemeinschaftlichen Testamenten der Eheleute vom 23.02.1954 und vom 22.11.1958.

Hiernach haben die Ehegatten sich gegenseitig bedacht und zu Erben des Letztversterbenden die beiderseitigen Familienstämme zu je 1/2 bestimmt. Der erkennbare Wille der Eheleute war in Übereinstimmung mit der gesetzlichen Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1 BGB darauf gerichtet, daß der überlebende Ehegatte Vollerbe und die beiderseitigen Familienangehörigen erst für den gesamten Nachlaß des Letztversterbenden als Erben eingesetzt sind.

Diese wechselbezüglichen Verfügungen hat der Erblasser im folgenden durch einseitige Verfügungen abgeändert, die offenkundig zum Ziel hatten, daß das Hausgrundstück an die Erben des Familienstammes der Ehefrau fallen solle.

Die erste Verfügung mit dieser Zielrichtung findet sich im Testament des Erblassers vom 18.11.1964, in dem der Erblasser bezüglich der Schlußerbeneinsetzung lediglich eine Teilungsanordnung (mit Wertanrechnungsklausel) bezüglich des Hausanwesens traf. Um diese Erbfolge im weiteren sicherzustellen, ordnete der Erblasser offenbar auf Wunsch seines Schwagers im Testament vom 19.11.1979 an, daß bereits im Falle seines Vorversterbens sein Miteigentumsanteil am ehelichen Wohnhaus vorab unter späterer Anrechnung auf den Empfang des Schlußerben in das Eigentum des Stammes H. in Person der Enkelkinder seines Schwiegervaters gelangen solle.

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Diese Vermächtnisanordnung bedeutet, auch wenn sie eine Begünstigung des Stammes der Ehefrau darstellt, eine nachträgliche Beschränkung der Erbeinsetzung der Ehefrau und damit einen teilweisen Widerruf der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament. Selbst wenn die neue Verfügung von Todes wegen mit Zustimmung der Ehefrau erfolgt sein sollte, greift die Unwirksamkeitsfolge des § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB ein (Palandt/Edenhofer, 57. Aufl., § 2271, Rdnr. 3 m.w.N. auf die Rechtsprechung; vgl. auch MünchKomm/Musielak, BGB, 3. Aufl. § 2271 Rdnr. 5 m.w.N.).

An dieser Rechtsfolge ändert auch die Ausschlagung des überlebenden Ehegatten nichts. Dadurch wird die Verfügung von Todes wegen, die der Erblasser ohne wirksamen förmlichen Widerruf (§ 2296 Abs. 2 BGB) getroffen hat, entgegen der vom Landgericht und von den Parteien im ersten Rechtszug noch übereinstimmend vertretenen Auffassung, nicht nachträglich wirksam.

Mit der Ausschlagung des ihm Zugewendeten kann der überlebende Ehegatte lediglich die mit dem Tode des anderen Ehegatten eingetretene Bindung an seine im gemeinschaftlichen Testament getroffene wechselbezügliche Verfügung zugunsten Dritter (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 1. HS BGB) beseitigen und seine Testierfreiheit wieder herstellen. Eine weitergehende Wirkung etwa dahin, einem formungültig erklärten Willen des Erblassers entgegen § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Erfolg zu verhelfen, kommt der Ausschlagung nicht zu.

Die Bestimmung des §§ 2271 Abs. 2 Satz 1 2. HS. BGB gewährt dem Überlebenden bei Ausschlagung des Zugewendeten nur die Befugnis, seine eigene Verfügung von Todes wegen aufzuheben, gibt ihm jedoch nicht die Möglichkeit, eine unwirksame Verfügung des Vorverstorbenen nachträglich noch wirksam werden zu lassen. Eine ohne wirksamen förmlichen Widerruf getroffene einseitige Verfügung des Erblassers erlangt somit nicht Wirksamkeit dadurch, daß der überlebende Ehegatte das ihm nach dem gemeinschaftlichen Testament Zugewendete ausschlägt.

Die vom Landgericht unter Berufung auf die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG, 22. Band <1922 und 1923>, Seite 120 ff.) vorgenommene teleologische Reduktion der Rechtsfolgenanordnung des § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB überzeugt nicht. Ausgangspunkt hierfür ist die Erwägung des Landgerichts, der § 2271 Abs. 1 BGB schränke die Testierfreiheit des Erblassers nur insoweit ein, als das durch das Interesse des anderen Ehegatten und die wechselbezügliche Verfügung erfordert werde.

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Messe dieser aber durch Ausschlagung des ihm im gemeinschaftlichen Testament Zugewendeten dem gemeinschaftlichen Testament keine Bedeutung bei, so stehe der Wirksamkeit einer widersprechenden einseitigen Verfügung von Todes wegen des vorverstorbenen Erblassers nichts im Wege. Diese Überlegung verkennt, daß das Gesetz die Testierfreiheit zu Lebzeiten des Ehegatten nicht einschränkt, also weder aufhebt noch mindert (vgl. bereits BayObLG, a.a.O., Seite 122), sondern lediglich das freie Widerrufsrecht im Interesse des anderen Ehegatten an dem Zugang einer Erklärung in der Form des § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB knüpft.

Der Schutz des § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB zielt darauf, den einen Ehegatten zuverlässig von dem einseitigen Widerruf von wechselbezüglichen Verfügungen durch den anderen Ehegatten in Kenntnis zu setzen, damit er sich hierauf bezüglich seiner eigenen Verfügungen einrichten und entsprechend der gemäß § 2270 Abs. 1 BGB eintretenden Rechtsfolge ohne weiteres vom gemeinschaftlichen Testament abweichende Verfügungen treffen kann. Dieses Interesse entfällt bereits mit dem Tode des widerrufenden Ehegatten, weil der andere Ehegatte dann seine Testierfreiheit nur um den Preis der Erbschaftsausschlagung gewinnen kann, § 2271 Abs. 2 Satz 1 2. HS BGB.

Zwar wird mit der Ausschlagung die Erbeinsetzung des Überlebenden gegenstandslos. Dies führt aber entgegen der Auffassung des Landgericht nicht zur Wirksamkeit der späteren einseitigen Verfügung des vorversterbenden Erblassers.

Für seine gegenteilige Auffassung stützt sich das Landgericht auf den Rechtssatz, daß neue Verfügungen von Todes wegen, die ein Ehegatte im Widerspruch zu einem gemeinschaftlichen Testament ohne wirksamen förmlichen Widerruf getroffen hat, nicht von vornherein nichtig sind, vielmehr vollwirksam werden, wenn sie den anderen Ehegatten rechtlich besser stellen als bisher (BGHZ 30, 261, 264 ff.), nur die wechselbezügliche Anordnung wiederholen (vgl. OLG Hamm, OLGZ 1967, 77) oder wenn die vorrangige wechselbezügliche Verfügung durch den ersatzlosen Wegfall des Bedachten gegenstandslos werden (vgl. RGZ 149, 200, 201; OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 265, 266 m.w.N.; sowie Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2271, Rdnr. 15).

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Das gilt jedoch nur für solche einseitigen Verfügungen von Todes wegen, die der durch gemeinschaftliches Testament in seiner Testierfreiheit nach § 2271 Abs. 2 BGB beschränkte überlebende Ehegatte ohne wirksamen förmlichen Widerruf (vor dem Tode des anderen Ehegatten) getroffen hatte.

Deren Wirksamkeit hängt davon ab, inwieweit der Überlebende an seine vorrangige wechselbezügliche Zuwendung an den Dritten gebunden ist.

Soweit eine neue einseitige letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten mit dem Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments nicht in Widerspruch steht (etwa weil das gemeinschaftliche Testament nur eine wechselseitige Erbeinsetzung ohne weitere Anordnungen enthält), bestehen keine Wirksamkeitsbedenken (so lag der Fall BayObLG Band 22 Seite 120 ff).

Diese Rechtsfolge kann auf den anders gelagerten Streitfall jedoch nicht übertragen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO zur Grundlage. Die Angabe des Wertes der Beschwer beruht auf § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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