OLG Koblenz 10 U 105/02

September 14, 2017

OLG Koblenz 10 U 105/02 – Pflichtteilsanspruch: Bereinigung des Nachlasses um Grundstückswertermittlungskosten und Auskunftskosten sowie um einen Anspruch aus Zweckverfehlungskondiktion des durch Vorausvermächtnis mit einer Grundstückshälfte bedachten, später erbausschlagenden Erben wegen eines Grundstücksanbaus; Anrechenbarkeit einer Zuwendung des Erblassers auf den Pflichtteil

Wird ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht, sind von dem ermittelten Aktivnachlass neben den Erblasserschulden auch die durch die Beauftragung eines Grundstückssachverständigen entstandenen Wertermittlungskosten für ein Nachlassgrundstück abzusetzen.

Die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Auskunftspflicht der Erben entstehenden Kosten fallen nach § 2314 Abs. 2 BGB dem Nachlass zur Last.

OLG Koblenz 10 U 105/02

Der Nachlasswert ist aber nicht um einen vom Erben in Ansatz gebrachten Aufwendungsersatzanspruch wegen eines vorgenommenen wertsteigernden Anbaus an dem Haus des Erblassers zu bereinigen, wenn eine entsprechende Nachlassverbindlichkeit nicht dargetan ist. Zwar hat vorliegend ein (weiterer) Erbberechtigter noch zu Lebzeiten des Erblassers in der Erwartung, künftig (nach dem Erbfall) das Eigentum an dem Hausgrundstück zu erwerben, auf eigene Kosten den Hausanbau vorgenommen, nach dem Tod des Erblassers jedoch die Erbschaft ausgeschlagen.

Die Voraussetzungen einer Zweckverfehlungskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB liegen hier aber nicht vor, da der von dem Erbberechtigten verfolgte Leistungszweck durch die von ihm erklärte Ausschlagung der Erbschaft nicht endgültig fehlgeschlagen ist, weil ihm aufgrund eines in dem Testament zu seinen Gunsten enthaltenen Vorausvermächtnisses gemäß § 2150 BGB ein Anspruch auf Übereignung des hälftigen Miteigentums an dem Hausanwesen zusteht.

Da das Vorausvermächtnis rechtlich selbständig und von der Erbenstellung unabhängig ist, ist es in seiner Wirkung durch die Erbausschlagung unberührt geblieben. Unabhängig davon wäre ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB aber hier auch nach §§ 815, 242 BGB ausgeschlossen, denn der Erbberechtigte hat den Bedingungseintritt wider Treu und Glauben im Sinne des § 815 BGB verhindert.

Der Pflichtteilsberechtigte hat sich eine Zuwendung des Erblassers nach § 2315 BGB nur dann auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, wenn der Erblasser die Zuwendung mit der Bestimmung gemacht hat, dass das Zugewandte auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Eine einseitige nachträgliche, etwa in einer Verfügung von Todes wegen enthaltene Anrechnungsbestimmung ist nur dann möglich, wenn sich der Erblasser eine solche vorbehalten hat oder sie an die Stelle einer berechtigten Pflichtteilsentziehung getreten ist. Dies ist vorliegend nicht anzunehmen.

Tenor OLG Koblenz 10 U 105/02

Auf die Berufung der Beklagten zu 2. wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18. Dezember 2001 aufgehoben,

soweit die Beklagte zu 2. zur Zahlung von mehr als 10.653,07 DM (5.446,83 EUR) nebst 4 % Zinsen jährlich hieraus für die Zeit ab dem 8. Mai 1999 verurteilt worden ist,

sowie im Kostenpunkt, mit Ausnahme der zugunsten der Beklagten zu 1. ergangenen Kostenentscheidung.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe OLG Koblenz 10 U 105/02

Der Kläger macht gegen die Beklagte zu 2. den Pflichtteilsanspruch nach seiner am 10. Juni 1998 verstorbenen Mutter geltend.

Mit Schlussurteil vom 18. Dezember 2001 hat das Landgericht der Klage bis auf einen Teil der nachgesuchten Zinsen in vollem Umfang stattgegeben. Gegen das ihr am 21. Dezember 2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte zu 2. mit ihrer Berufung, zuletzt im Termin vom 13. Dezember 2002 im Umfang der ihr mit Senatsbeschluss vom 22. November 2002 (Bl. 241 f. d.A.) bewilligten Prozesskostenhilfe.

Die zulässige Berufung erzielt in der Sache selbst den vorläufigen Erfolg, dass im Umfang der Anfechtung die angefochtene Entscheidung aufzuheben und der Rechtsstreit an die Kammer zurückzuverweisen ist.

1.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte zu 2. aus § 2303 Abs. 1 BGB nach seiner am 10. Juni 1998 verstorbenen Mutter ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 10.653,01 DM zu.

Aufgrund des von der Erblasserin am 25. Mai 1994 errichteten notariellen Testaments, durch das diese die Beklagten zu 1. und 2. zu ihren Alleinerbinnen und hinsichtlich ihres Grundbesitzes zu ihren Vermächtnisnehmerinnen eingesetzt hat, wurde der Kläger im Sinne der §§ 1938, 2303 Abs. 1 BGB von der Erbfolge ausgeschlossen.

Der Kläger kann daher, nachdem die Beklagte zu 1. das Erbe mit notarieller Erklärung vom 7. September 1998 ausgeschlagen hat, von der Beklagten zu 2. den Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils beanspruchen (§ 2303 Abs. 1 BGB).

OLG Koblenz 10 U 105/02

Dieser Anspruch beläuft sich der Höhe nach vorläufig auf 10.653,01 DM und errechnet sich wie folgt:

Von dem zwischen den Parteien sich unstreitig auf 312.000 DM belaufenen Aktivnachlass ist an Nachlassverbindlichkeiten ein Gesamtbetrag in Höhe von 189.387,95 DM abzusetzen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den in dem Schriftsatz der Beklagten vom 13. Juli 2001 (Bl. 138 ff. d.A.) im Einzelnen aufgeführten Erblasserschulden in einer Gesamthöhe von 185.412,28 DM sowie den durch die Beauftragung des Sachverständigen B. entstandenen Wertermittlungskosten in Höhe von 3.975,67 DM.

Dabei ist mit der Berufung hinsichtlich der Erblasserschulden davon auszugehen, dass das Landgericht zu Unrecht anstelle eines Betrages von 185.412,28 DM lediglich 182.262 DM berücksichtigt hat. Die Erblasserschulden setzen sich, was die Beklagte zu 2. durch die Vorlage entsprechender Schreiben der Gläubiger der Erblasserin nachgewiesen hat, im Einzelnen wie folgt zusammen:

– Ansprüche der Bausparkasse W.

 Nr.  …..7117 7.000,00 DM
 Nr. …..2978 9.000,00 DM
 Nr.  …..1632 19.400,00 DM
 Nr.   …..3436 5.200,00 DM
 Nr. ……3788 und
 Nr. ……3726 69.600,00 DM
 Nr. ……3726 38.700,00 DM

– Ansprüche der Bausparkasse B..

Nr. ….594 C

 Vertrag-Nr. 01 10.808,59 DM
 Vertrag-Nr. 02 6.683,81 DM

Insoweit ergibt sich aus dem Schreiben der B.. vom 3. August 1998, dass der Vertrag Nr. 02, der ein Guthaben von 3.316,19 DM ausweist, mit 10.000 DM vorfinanziert ist, also ein Negativsaldo in Höhe von 6.683,81 DM besteht.

– Ansprüche der Ortsgemeinde F. und der Verbandsgemeinde H./…, die sich ausweislich des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 18. August 1998 auf insgesamt 15.858,60 DM belaufen, von der Beklagten zu 2. aber lediglich in Höhe von 15.858,38 DM berücksichtigt worden sind. Die Berechtigung der insoweit in Ansatz gebrachten Positionen hat der Kläger nicht in Abrede gestellt.

– Anspruch der ….bank in Höhe von 3.161,28 DM, den der Kläger gleichfalls nicht bestritten hat.

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Von dem sich nach Abzug dieser Erblasserschulden ergebenden Nachlass in Höhe von 126.587,72 DM sind entgegen der von dem Vorderrichter vertretenen Auffassung auch die durch die Ermittlung des Wertes der zum Nachlass gehörenden Grundstücke entstandenen Gutachterkosten in Höhe von 3.975,67 DM abzusetzen (vgl. OLG Karlsruhe NJW-RR 1990, 393). Die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Auskunftspflicht des Erben entstehenden Kosten fallen nach § 2314 Abs. 2 BGB, worauf die Berufung zu Recht hingewiesen hat, dem Nachlass zur Last, so dass sich dieser lediglich auf 122.612,05 DM beläuft.

Entgegen der von der Berufung vertretenen Auffassung hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht davon abgesehen, den Nachlasswert um den von dem Beklagten zu 2. in Ansatz gebrachten Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von 130.000 DM wegen eines von der Beklagten zu 1. vorgenommenen, wertsteigernden Anbaus an dem Haus der Erblasserin zu berücksichtigen.

Die Voraussetzungen einer entsprechenden Nachlassverbindlichkeit im Sinne der §§ 1967 ff BGB hat die Beklagte zu 2. auch in zweiter Instanz nicht schlüssig darzutun vermocht. Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung demjenigen, der in der begründeten Erwartung künftigen Eigentumserwerbs auf einem fremden Grundstück Bauarbeiten vornimmt, ein Bereicherungsanspruch zustehen, wenn diese Erwartung später enttäuscht wird (vgl. BGHZ 108, 256, 261 m.w.N.).

Die Voraussetzungen einer solchen Zweckverfehlungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB liegen aber unter Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens nicht vor. Nach dem Vortrag der Beklagten zu 2. hat die Beklagte zu 1. nach der Errichtung des Testaments vom 24. Mai 1994 an dem Haus der Erblasserin einen Anbau errichtet. Dies geschah, was aus dem von der Beklagten zu 2. betonten zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung folgt, offenbar in der der Erblasserin bekannten und von ihr gebilligten Erwartung der Beklagten zu 1., das Eigentum an dem Anwesen nach Eintritt des Erbfalls zu erwerben.

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Dieser von der Beklagten zu 1. verfolgte Leistungszweck ist allerdings durch die von ihr mit Schreiben vom 7. September 1998 erklärte Ausschlagung der Erbschaft nicht endgültig fehlgeschlagen, so dass ein Bereicherungsanspruch ausscheidet. Der Beklagten zu 1. steht nämlich aufgrund des in dem Testament zu ihren Gunsten enthaltenen Vorausvermächtnisses gemäß § 2150 BGB ein Anspruch auf Übereignung des hälftigen Miteigentums an dem Hausanwesen zu.

Da das Vorausvermächtnis rechtlich selbständig und von der Erbenstellung unabhängig ist, ist es in seiner Wirkung durch die von der Beklagten zu 1. erklärte Erbausschlagung unberührt geblieben (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 60. Aufl., § 2150 Rdnr. 2), so dass die Beklagte zu 1. von der Beklagten zu 2. die Übertragung des Miteigentums an dem Haus verlangen kann. Für eine Ausschlagung auch des Vermächtnisses enthält die notarielle Erklärung vom 7. September 1998 keinen Anhaltspunkt.

Unabhängig davon wäre ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB vorliegend aber auch nach §§ 815, 242 BGB ausgeschlossen. Durch die Erbausschlagung hat die Beklagte zu 1. den Bedingungseintritt wider Treu und Glauben im Sinne des § 815 verhindert. Wie im Fall des § 162 BGB darf auch bei § 815 BGB keine Partei die Erwartung des Erfolgseintritts unredlich zunichte machen.

Dabei genügt es, dass der Leistende ohne zwingenden Grund eine Handlung vornimmt, die bewusstermaßen geeignet ist, den Erfolg zu verhindern. Aufgrund der mit der Beklagten zu 1. getroffenen Zweckabrede durfte die Erblasserin darauf vertrauen, dass sie den von dieser errichteten Anbau im Ergebnis behalten darf, nachdem sie mit deren Erbeinsetzung alles zum Eintritt des Erfolges Mögliche und Erforderliche getan hatte. Ihr gegenüber wäre daher der Anspruch der Beklagten zu  1. aus § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB nach § 815 BGB ausgeschlossen gewesen, wenn diese den Eintritt des Erfolges verhindert hätte.

Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten, wenn die Beklagte zu 1. den Erfolgseintritt verhinderte, indem sie die Erbschaft nach §§ 1943 ff BGB ausschlug, ohne dass hierfür ein zwingender Grund bestand.

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Ein solcher kann nicht in der Überschuldung des Nachlasses gesehen werden, der nur bei Berücksichtigung des von der Beklagten zu 2. in Ansatz gebrachten Aufwendungserstattungsanspruches der Beklagten zu 1. vorlag. Ein bei der Ermittlung des Nachlasswertes zu berücksichtigender Bereicherungsanspruch der Beklagten zu 1. aus § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BGB wegen der im Zusammenhang mit dem Anbau des Hauses erbrachten Leistungen besteht damit nicht.

Da die conditio causa data causa non secuta als Unterfall der Leistungskondiktion die Anwendung der Eingriffskondiktion ausschließt, kommt vorliegend auch kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB in Betracht. Ansprüche aus § 683 BGB scheitern an § 685 BGB. Die Beklagte zu 1. hat die Aufwendungen in Anbetracht der mit der Erblasserin getroffenen Zweckbestimmung nicht in der Absicht gemacht, von dieser Ersatz zu verlangen. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Abgesehen von den vorstehenden Erwägungen scheidet eine Berücksichtigung des von der Beklagten zu 2. eingewandten Aufwendungsersatzanspruches auch deshalb aus, weil dieser der Höhe nach nicht nachvollziehbar vorgetragen ist. Unabhängig von der Frage, ob die bloße Bezugnahme auf die von dem Ehemann der Beklagten zu 1. unter dem 18. August 1999 gefertigte Aufstellung den an einen hinreichend substantiierten Sachvortrag zu stellenden Anforderungen genügt, ist dieser Aufstellung nicht zu entnehmen, dass sich die Aufwendungen für einen nach der Testamentserrichtung im Jahre 1994 vorgenommenen Anbau auf 130.000 DM belaufen haben.

Die Aufstellung, die eine Vielzahl von Umbauarbeiten an dem Hausanwesen betrifft, schließt mit einem Gesamtbetrag von 208.404 DM und enthält keine Angaben, die in Zusammenhang mit einem 1994 oder danach errichteten Anbau zu bringen wären. Soweit in der Aufstellung für die Position “Anbau einer Wohnung mit Flachdach April 1985” lediglich 77.510 DM in Ansatz gebracht worden sind, ist zum einen ein Zusammenhang mit dem nach der Darstellung der Beklagten zu 2. 1994 errichteten Anbau nicht ersichtlich.

Zum anderen ergibt sich aus der Aufstellung, dass die Erblasserin für die Materialkosten selbst aufgekommen ist und die von der Beklagten zu 1. und deren Ehemann erbrachten Arbeitsleistungen im Übrigen mit der von diesen geschuldeten Miete verrechnet worden sind. Die Berücksichtigung der von der Beklagten zu 2. wegen angeblicher Aufwendungsersatzansprüche der Beklagten zu 1. geltend gemachten weiteren Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 130.000 DM scheidet daher auch aus diesem Grund aus.

OLG Koblenz 10 U 105/02

Ob und in welchem Umfang der weitere Einwand der Berufung, der Kläger habe von der Erblasserin zu Lebzeiten Zuwendungen in Höhe von 80.000,00 DM mit der Bestimmung erhalten, diese seien auf sein Erbteil anzurechnen, durchgreift, hängt von dem Ergebnis der insoweit durchzuführenden Beweisaufnahme ab.

Zwar ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass eine Anrechnung der von der Beklagten zu 2. insoweit im Einzelnen hinreichend substantiiert behaupteten und unter Beweis gestellten Beträge auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers nach § 2315 BGB nicht in Betracht kommt. Selbst wenn der Kläger die behaupteten Zuwendungen nämlich unter der Bestimmung, diese seien auf sein Erbteil anzurechnen, erhalten haben sollte, wären diese nicht auf seinen Pflichtteil anzurechnen.

Der Pflichtteilsberechtigte hat sich eine Zuwendung des Erblassers nach § 2315 BGB nur dann auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen, wenn der Erblasser die Zuwendung mit der Bestimmung gemacht hat, dass das Zugewandte auf den Pflichtteil angerechnet werden soll.

Die Anrechnungsbestimmung muss der Erblasser dabei vor oder bei der Zuwendung getroffen haben. Bestimmung im Sinne des § 2315 BGB ist eine gegenüber dem Empfänger der Zuwendung abzugebende Willenserklärung, die diesem nicht bloß zugehen, sondern auch zu Bewusstsein gebracht worden sein muss. Mit dem sich hieraus ergebenden Erfordernis, dass die Umstände das Bewusstsein des Empfängers von der Anrechnungspflicht in ihrer Richtung auf den Pflichtteil außer Zweifel stellen müssen, kann die Bestimmung nach allgemeinen Grundsätzen auch stillschweigend erklärt werden.

Allerdings ist in der Anordnung der Anrechnung auf den Erbteil die Bestimmung der Anrechnung auf den Pflichtteil nicht ohne weiteres enthalten. Eine solche Anordnung hat vielmehr an sich nur den Sinn und die Wirkung, dass der Empfänger die Zuwendung gegenüber den anderen Abkömmlingen des Erblassers gemäß §§ 2050 ff, 2316 Abs. 1 BGB zur Ausgleichung zu bringen hat (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 1491 m.w.N.; OLG Karlsruhe NJW RR 1990, 393).

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Nur besondere Umstände können ausnahmsweise im Einzelfall zu der Annahme führen, dass die Anordnung der Anrechnung auf den Erbteil über ihren nächstliegenden Sinn hinaus unmittelbar auf eine pflichtteilsrechtliche Wirkung abzielt und dass dies dem Empfänger bewusst geworden ist. Denn Voraussetzung für eine Anrechnung nach § 2315 BGB ist insbesondere, dass die pflichtteilskürzende Wirkung der Anrechnung dem Zurechnungsempfänger im Zeitpunkt der Zuwendung erkennbar war (vgl. Staudinger/Haas, BGB, § 2315 Rdnr. 23 m.w.N.).

Derartige Umstände hat die Beklagte zu 2. weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Vielmehr spricht der Umstand, dass die behaupteten Zuwendungen während eines Zeitraums von etwa 20 Jahren vor der Errichtung des Testaments im Jahre 1994 erbracht worden sein sollen, gegen die Annahme, der Wille der Erblasserin habe bereits im Zeitpunkt der Zuwendungen auf eine Anrechnung auf den Pflichtteil des Klägers gezielt, was diesem auch bewusst gewesen sei.

Ob die Erblasserin, nachdem der Kläger, wie die Beklagte zu 2. behauptet, im Laufe der beiden vorangegangenen Jahrzehnte mindestens 80.000 DM von ihr erhalten hatte, in den Jahren nach den behaupteten Zuwendungen bis zu ihrem Tod immer wieder davon gesprochen hat, dass der Kläger nichts mehr erhalte, weil er bereits abgefunden sei, ist dabei ebenso wie die entsprechende Klausel in ihrem Testament vom 24. Mai 1994 unerheblich.

Entscheidend ist nämlich, wie bereits ausgeführt allein, ob die Erblasserin eine Anrechnung der Zuwendung auch auf den Pflichtteil des Klägers gewollt und dies dem Kläger vor oder bei der Zuwendung auch zu Bewusstsein gebracht hat. Dies lässt sich aber dem Vorbringen der Beklagten zu 2. gerade nicht entnehmen.

Eine Anrechnung der von der Beklagten zu 2. behaupteten Zuwendungen kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt der nachträglichen einseitigen Anrechnungsbestimmung in dem Testament vom 24. Mai 1994 erfolgen. Selbst wenn die in dem Testament enthaltene Klausel, wonach der Kläger bereits abgefunden ist, als nachträgliche Anrechnungsbestimmung der Erblasserin anzusehen wäre, wäre sie unwirksam.

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Eine einseitige nachträgliche, etwa in einer Verfügung von Todes wegen enthaltene Anrechnungsbestimmung ist nämlich nur dann möglich, wenn sich der Erblasser sich eine solche vorbehalten hat oder sie an die Stelle einer berechtigten Pflichtteilsentziehung getreten ist. Dies nimmt allerdings auch die Berufung, die dem in Rede stehenden Passus des Testaments zu Recht lediglich klarstellende Wirkung beimisst, nicht an.

Damit ist allerdings, was das Landgericht bei der angefochtenen Entscheidung übersehen hat, eine Ausgleichungspflicht des Klägers nach §§ 2316 Abs. 1, 2050 ff BGB – wie bereits erwähnt – nicht ausgeschlossen. Da sich der Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 Abs. 1 BGB aus dem gesetzlichen Erbteil errechnet, muss der Pflichtteilsberechtigte solche lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers zur Ausgleichung bringen, die von dem gesetzlichen Erben nach §§ 2050 ff BGB auszugleichen wären.

Selbst bei Bestehen sämtlicher seitens der Beklagten zu 2. behaupteter, nach §§ 2316 Abs. 1, 2050 ff BGB ausgleichspflichtiger Zuwendungen der Erblasserin beläuft sich der Pflichtteilsanspruch des Klägers jedenfalls auf einen Mindestbetrag in Höhe von 10.653,01 DM.

Bei Berücksichtigung der nach dem Vortrag der Beklagten zu 2. unter Anrechnungsbestimmung dem Kläger zugewandten Geldbeträge in Höhe von 80.000,00 DM ist deren Wert zunächst dem oben ermittelten Nachlass hinzuzusetzen, so dass sich ein Nachlasswert in Höhe von insgesamt 202.612,05 DM ergibt (§§ 2050 Abs. 1, 2055 Abs.1 S. 2 BGB).

Von diesem Betrag stünde dem Kläger, der seine Mutter im Fall der gesetzlichen Erbfolge zusammen mit seiner Schwester, der Beklagten zu 1., zu je ½ beerbt hätte, die Hälfte als gesetzlicher Erbteil zu.

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Sein rechnerischer Erbteil von 102.306,02 DM ist allerdings wiederum um den Wert des auszugleichenden Vorausempfanges zu reduzieren. Beträgt dieser, wie von der Beklagten zu 2. behauptet, tatsächlich 80.000,00 DM, so errechnet sich ein gesetzlicher Erbteil des Klägers in Höhe von 21.306,02 DM. Da sein Pflichtteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils ausmacht, beträgt dieser selbst bei Ausgleichung sämtlicher von der Beklagten zu 2. behaupteter Zuwendungen, die der Kläger bestritten hat, jedenfalls 10.653,01 DM.

2.

Im Übrigen führt die Berufung der Beklagten zu 2. zur Aufhebung und Zurückverweisung. Das von dem Landgericht eingeschlagene Verfahren leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO a.F..

Das Landgericht hat in seinem Urteil die Behauptungen der Beklagten zu 2., die Erblasserin habe dem Kläger zu Lebzeiten Beträge in Höhe von insgesamt 80.000,00 DM unter der Bestimmung zugewendet, diese seien auf seinen Erbteil anzurechnen, als nicht hinreichend substantiiert angesehen und deshalb bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen.

Dem kann nicht gefolgt werden. Die Beklagte zu 2. hat mit Schriftsatz vom 13. Juli 2001(Bl. 138 ff) zu Anlass, Höhe und zeitlichem Rahmen der von ihr behaupteten Zuwendungen vorgetragen und weiter behauptet, diese seien unter der Bestimmung erfolgt, sie seien auf den Erbteil des Klägers anzurechnen.

Dieser Vortrag, den die Beklagte zu 2. durch Benennung mehrerer aus dem Familien- und Bekanntenkreis stammender Zeugen ordnungsgemäß unter Beweis gestellt hat, genügt insbesondere bei Berücksichtigung des Zeitablaufes und des Umstandes, dass die Beklagte zu 2. bei den behaupteten Zuwendungen nicht selbst zugegen war, den an einen hinreichend substantiierten Sachvortrag zu stellenden Anforderungen.

OLG Koblenz 10 U 105/02

Die von dem Landgericht in der angefochtenen Entscheidung vertretene strengere Auffassung führt demgegenüber zu einer Überspannung der Anforderungen an die den Parteien obliegende Darlegungslast und damit letztlich zu einer Verletzung ihres Anspruches auf rechtliches Gehör. Infolge dieses im Sinne des § 539 ZPO a.F. wesentlichen Verfahrensmangels fehlt es dem angefochtenen Urteil an einer ordnungsgemäßen Entscheidungsgrundlage.

Da der Vortrag der Beklagten zu 2. im Rahmen der den Kläger als Pflichtteilsberechtigten treffenden Ausgleichungspflicht nach §§ 2316 Abs. 1, 2050 ff BGB erheblich ist, ist bei der angefochtenen Entscheidung ein wesentlicher Teil des Verteidigungsvorbringens der Beklagten zu 2. unberücksichtigt geblieben.

Unter diesen Umständen ist eine eigene Sachentscheidung des Senats, die den Verlust einer Instanz zur Folge hätte und zudem die Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme erfordern würde, nicht sachdienlich. Der Rechtsstreit war daher insoweit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur weiteren Sachaufklärung an die Kammer zurückzuverweisen.

Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Sache wird das Landgericht zunächst aufzuklären haben, ob der Kläger die von der Beklagten zu 2. im Einzelnen behaupteten Zuwendungen tatsächlich erhalten hat und ob die Erblasserin insoweit jeweils entsprechend dem Vortrag der Beklagten zu 2. die Bestimmung getroffen hat, dass diese auf den Erbteil des Klägers anzurechnen sind.

Sofern die insoweit durchzuführende Beweisaufnahme die Richtigkeit der Darstellung der Beklagten zu 2. in vollem Umfang bestätigt, steht dem Kläger wegen der dann greifenden Ausgleichungspflicht des § 2316 BGB über den bereits rechtskräftig zuerkannten Betrag hinaus kein weiterer Pflichtteilsanspruch zu. Sollte die Beweisaufnahme das Vorbringen der Beklagten zu 2. nicht oder nur teilweise bestätigen, wird dies dagegen eine Erhöhung des Pflichtteilsanspruchs des Klägers entsprechend den dargestellten Grundsätzen nach sich ziehen.

OLG Koblenz 10 U 105/02

Demgegenüber ist der Vortrag des Klägers, der neuerdings behauptet, auch die Beklagte zu 2. habe von der Erblasserin verschiedene Zuwendungen in erheblicher Höhe erhalten, unerheblich.

Eine Anrechnungs- oder Ausgleichungspflicht sieht das Gesetz nur unter Abkömmlingen vor. Um einen solchen handelt es sich bei der Beklagten zu 2.  aber nicht. Die Voraussetzungen eines Pflichtteilsergänzungsanspruches lassen sich dem Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.

Das Landgericht wird über die Berufungskosten mitzubefinden haben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert der Berufung wird auf zunächst 32.434,50 DM (16.583,50 EUR), für die Zeit ab dem 13. Dezember 2002 auf 21.781,43 DM (11.136,67 EUR) festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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