OLG Koblenz 5 U 451/05

September 16, 2017

OLG Koblenz 5 U 451/05 Testamentsauslegung – Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung gewollt vom Erblasser?

 

  1. Zur Frage, ob in der Formulierung “wenn nicht alles klar ist vor meinem Tode” gleichwohl eine testamentarische Anordnung zu sehen ist.
  2. Ein Vorausvermächtnis kann bei testamentarischer Zuweisung eines Hausgrundstücks nur angenommen werden, wenn der Bedachte wertmäßig begünstigt werden sollte. Lässt sich das nicht feststellen, handelt es sich um eine bloße Teilungsanordnung, die unter den Voraussetzungen des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB unbeachtlich ist.

Tenor OLG Koblenz 5 U 451/05

  1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichtsbad Kreuznach vom 25. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn der Beklagte leistet eine entsprechende Sicherheit.

  1. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe OLG Koblenz 5 U 451/05

I.

Die Parteien sind Geschwister und alleinige Erben ihrer im September 2000 verstorbenen Mutter. Sie streiten, ob ein Testament der Erblasserin vom 17. Januar 1984 ein Vermächtnis zu Gunsten der Klägerin oder eine bloße Teilungsanordnung enthält.

Die Mutter hatte mit dem Vater der Parteien 1955 einen Ehevertrag geschlossen. Darin ist Gütergemeinschaft vereinbart worden. Zum gemeinsamen Vermögen der Eheleute gehörte unter anderem ein Hausgrundstück in E., das zuvor Alleineigentum der Mutter war. Der Vater der Parteien starb 1968. Er wurde von seiner Ehefrau zu 1/4 und von den Parteien des Rechtsstreits zu je 3/8 beerbt. Die drei Erben sind als Miteigentümer des Hausgrundstücks in E. im Grundbuch eingetragen. Die Erbengemeinschaft am Nachlass des Vaters bestand fort, als die Mutter in ihrem Testament unter anderem erklärte, es sei ihr Wunsch, dass man der Klägerin das Haus in E. gebe. Am 28. September 2000 starb die Mutter.

Die Klägerin meint, im Testament der Mutter vom 17. Januar 1984 sei ihr das Haus in E. vermacht worden. Dementsprechend sei der Beklagte verpflichtet, ihr den Grundbesitz zu Alleineigentum zu übertragen.

Der Beklagte hat erwidert, es handele sich um eine Teilungsanordnung, die nahezu den gesamten Nachlass erschöpfe und daher nach § 2306 BGB unbeachtlich sei.

OLG Koblenz 5 U 451/05

Das Landgericht hat Zeugenbeweis erhoben und hiernach die Klage mit der Begründung abgewiesen, es bestehe kein Anhalt, dass die Erblasserin eines ihrer beiden Kinder bevorzugen wollte. Der im Testament geäußerte Wunsch könne daher nicht als Vermächtnis angesehen werden.

Mit der Berufung wiederholt die Klägerin ihren Antrag auf Übertragung des Grundstücks zu Alleineigentum. Allerdings will sie eine Ausgleichszahlung leisten im Hinblick auf die eigene dingliche Berechtigung des Beklagten. Die Auslegung des Testaments und die Aussage der Zeugin St. ergebe, dass die Erblasserin die Klägerin bevorzugen wollte. Daher handele es sich um ein Vermächtnis.

Der Beklagte hält die Entscheidung des Landgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen und dabei die testamentarische Anordnung der Mutter als bloße Teilungsanordnung angesehen. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Das zweiseitige, von der Erblasserin eigenhändig geschriebene und unterschriebene Schriftstück ist in zwei Abschnitte gegliedert. Bei den im ersten Abschnitt getroffenen Anordnungen handelt es sich zweifelsfrei um eine Verfügung von Todes wegen. Die Erblasserin hat Bestimmungen über die Gestaltung ihrer Todesanzeige, der Beisetzung und der Trauerfeier getroffen.

OLG Koblenz 5 U 451/05

Diese Anordnungen sind von der Erblasserin unterschrieben worden; sodann hat sie in einem neuen Absatz weitere Anordnungen getroffen. Da diese Anordnungen mit dem Satz beginnen

„Wenn nicht alles klar ist vor meinem Tode macht wie Geschwister es unter sich machen in Ehre …“

kann bezweifelt werden, ob es sich bei den Bestimmungen im zweiten Absatz überhaupt um eine Verfügung von Todes wegen handelt. Was die Erblasserin hier regeln wollte, ist durch Auslegung zu ermitteln. Diese Auslegung ergibt, dass das Landgericht – ebenso wie die Parteien – auch den zweiten Absatz zu Recht als Verfügung von Todes wegen angesehen hat. Der Formulierung

„Wenn nicht alles klar ist vor meinem Tode…“

lag offenbar die Vorstellung der Erblasserin zugrunde, dass eine lebzeitige Verfügung über ihr Vermögen jedwede Anordnung von Todes wegen überflüssig mache. Daher verbietet sich die Annahme, die Erblasserin habe im zweiten Absatz wegen des missverständlichen Einleitungssatzes eine Bestimmung getroffen, die nur zu ihren Lebzeiten gelten sollte. Auch insoweit liegt eine Verfügung von Todes wegen vor.

Der Wunsch der Erblasserin

„ …macht wie Geschwister es unter sich machen in Ehre …“

ist für die Frage, ob ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung vorliegt ebenso unergiebig wie der letzte Halbsatz des Einleitungssatzes

„ich habe bis Heute eines gehalten wie das andere“.

OLG Koblenz 5 U 451/05

Dem Appell an die Ehre ihrer Kinder kann nur der ganz selbstverständliche Wunsch der Erblasserin entnommen werden, dass die Parteien den letzten Willen der Mutter respektieren und sich darüber nicht zerstreiten. Auch die Erklärung, beide Kinder „bis heute“ gleich gehalten zu haben, ist mehrdeutig.

Die Interpretation der Klägerin, dass es nach dem Tode der Mutter anders sein sollte, ist möglich und auch deshalb nicht völlig fern liegend, weil die Erblasserin im nachfolgenden Satz bestimmt hat, dass die Klägerin die Gräber der Eltern und Großeltern pflegen müsse. Wurde der Klägerin demnach mit der Grabpflege eine besondere Leistung abverlangt, ist es denkbar, dass die Erblasserin ihre Tochter bevorzugen wollte.

nach dem Tod gleich behandeln wollte. Insoweit mögliche Zweifel werden durch den Schlusssatz des Testamentes ausgeräumt, der wie folgt lautet:

„Ich habe Euerm Vater den Ehevertrag erlaubt, damit er zufrieden war, ich konnte somit nichts alleine verkaufen in der Hoffnung das Ihr auch so seid“.

Damit hat die Erblasserin ohne Wenn und Aber zum Ausdruck gebracht, dass ihre Kinder nur gemeinsam befugt sein sollen, über den (gesamten) Nachlass zu verfügen. Damit ist jedoch das von der Klägerin behauptete Vorausvermächtnis nicht zu vereinbaren.

Richtig ist zwar, dass die Erblasserin ihrer Tochter das Hausgrundstück in E. zugewiesen hat. Das Landgericht hat darin jedoch zu Recht eine bloße Teilungsanordnung gesehen.

OLG Koblenz 5 U 451/05

Für die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis ist darauf abzustellen, ob die Erblasserin die Klägerin mit der Zuweisung des Hausgrundstücks “wertmäßig begünstigen”, ihr nämlich das Grundstück zusätzlich zu ihrem Erbteil zukommen lassen wollten. Der Erblasser kann einem (oder einzelnen) seiner Miterben Gegenstände zuweisen, deren Wert höher ist, als diesem seiner Quote nach bei der Auseinandersetzung zukäme.

In einer solchen Lage stellt sich die Frage, ob der Mehrbetrag (Mehrwert) zusätzlich zu dem Erbteil zugewendet sein soll (vgl. BGH in WM 1984, 1006 = FamRZ 1985, 62). Ist dies der Fall, dann handelt es sich (jedenfalls wegen des Mehrwerts) nicht (nur) um eine Teilungsanordnung, sondern (auch) um ein Vorausvermächtnis. Ist der Verfügung von Todes wegen eine entsprechende (zusätzliche) Zuwendung aber nicht zu entnehmen, oder ist dem Erblasser eine solche im Hinblick auf die von ihm eingegangenen erbrechtlichen Bindungen sogar verwehrt, dann kann es sich nur um eine Teilungsanordnung handeln.

Zwar lässt sich bei feststehenden Erbquoten eine “überquotale” Teilungsanordnung nur dann durchführen, wenn der dadurch (zunächst) begünstigte Miterbe den Mehrwert durch Zahlung aus seinem eigenen Vermögen ausgleicht. Dazu wird er aber in vielen Fällen von vornherein bereit und im Allgemeinen auch verpflichtet sein, zumal Teilungsanordnungen gemäß § 2048 Satz 1 BGB für alle Miterben verbindlich zu sein pflegen.

Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat das Landgericht richtig gesehen und die demnach entscheidungserhebliche Frage, ob die Erblasserin ihre Tochter einseitig wertmäßig begünstigen wollte, in einer eingehenden Beweisaufnahme geklärt. Das

Beweisergebnis ist eindeutig. Auch nach Auffassung des Senats spricht nichts dafür, dass die Erblasserin die Klägerin bevorzugen und zugleich ihrem Sohn einen Erbteil hinterlassen wollte, der wertmäßig sogar hinter dem gesetzlichen Pflichtteil zurückbleibt.

OLG Koblenz 5 U 451/05

Die Berufung will das nicht gelten lassen und hebt auf die Aussage der Zeugin St. ab, wonach die Erblasserin Mitte der 80 – er Jahre erklärte, sie habe etwas geschrieben, „da werde noch mancher drüber staunen“.

Das ist indes nicht tragfähig. Auch die getroffene Teilungsanordnung kann nach den Vorstellungen der Erblasserin für den Sohn „erstaunlich“ sein, indem sie ihm abverlangt, seinen durch den Tod des Vaters begründeten Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück in E. auf die Klägerin zu übertragen. Zu Recht hat das Landgericht daher die Aussage der Zeugin St. als unergiebig angesehen.

Soweit die Berufung einwendet, die Erblasserin habe sich für allein verfügungsbefugt gehalten, weil das Hausgrundstück vor dem Ehevertrag in ihrem Alleineigentum stand, steht dem wiederum der Schlusssatz des Testamentes entgegen, wonach keines der Kinder befugt sein soll, etwas alleine zu verkaufen. Ein Vorausvermächtnis zu Gunsten der Klägerin wäre nicht mit dieser Anordnung zu vereinbaren.

Dass die Teilungsanordnung nach § 2306 BGB unwirksam ist, hat das Landgericht richtig gesehen. Dagegen wird von der Berufung auch nichts vorgebracht.

Nach alledem musste das Rechtsmittel mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO zurückgewiesen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 47.507,28 €.

OLG Koblenz 5 U 451/05

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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