OLG München 21 U 1843/10

Juni 12, 2016

OLG München 21 U 1843/10 Auskunftsanpruch über Erbschaftskaufverträge, Vorkaufsrecht gemäß § 2034 Abs. 1 BGB

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16.12.2009 aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über den vollständigen Inhalt des zwischen dem Beklagten und Herrn Johann Z. vor dem Notar Martin S. am 25.03.2009 geschlossenen Erbschaftskaufvertrages, Urk.-Nr. …18/2009 zu erteilen.

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über den vollständigen Inhalt des zwischen dem Beklagten und Frau Katharina P. sowie Frau Elisabeth K. vor dem Notar Martin S. am 24.03.2009 geschlossenen Erbschaftskaufvertrags, Urk.-Nr. …11/2009 zu erteilen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000,– € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

OLG München 21 U 1843/10
I.

Die Parteien streiten, ob dem Kläger gegen den Beklagten Auskunftsansprüche über notarielle Erbschaftskaufverträge zustehen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Ersturteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

OLG München 21 U 1843/10

Ergänzend ist Folgendes festzustellen:

Am 23.10.2009 ist Frau Katharina R., die Mutter von Herrn Peter R., die ihren Erbanteil nach dem verstorbenen Herrn Peter R. auf den Kläger übertragen hatte, nachverstorben.

Sie wurde aufgrund Erbvertrags vom 06.07.2004 vom Kläger allein beerbt.

Der Kläger hat in der Berufungsinstanz zuletzt beantragt,

das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16.12.2009 aufzuheben,

den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über den vollständigen Inhalt des zwischen den Beklagten und Herrn Johann Z. vor dem Notar Martin S. am 25.03.2009 geschlossenen Erbschaftskaufvertrag, Urk.-Nr. …18/2009 zu erteilen,

den Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Auskunft über den vollständigen Inhalt des zwischen dem Beklagten und Frau Katharina P. sowie Frau Elisabeth K. vor dem Notar Martin S. am 24.03.2009 geschlossenen Erbschaftskaufvertrags, Urk.-Nr. …11/2009 zu erteilen.

Der Beklagte hat zuletzt beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Vorkaufsrecht gemäß § 2035 BGB zu und somit auch ein Auskunftsanspruch gemäß § 469 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Der Kläger ist mit dem Erwerb der Erbanteile gemäß § 2033 Abs. 1 BGB durch die rechtsgeschäftlichen Übertragungen der Erbanteile von Katharina R. und Maria Sch. formell kein Miterbe im Sinne von § 2034 BGB geworden.

Insofern nimmt der Senat auf das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 16.12.2009 Bezug und macht sich dessen Ziffern I. 1 und 2 zu Eigen.

Nach Auffassung des Senats hat sich die Beurteilung des Sachverhalts jedoch durch den Tod von Frau Katharina R. am 23.10.2009, also noch während des Laufs der Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts, entscheidend verändert.

OLG München 21 U 1843/10

Grundsätzlich bleibt der seinen Erbteil veräußernde Miterbe trotz der Verfügung über seinen Anteil gemäß § 2033 Abs. 1 Satz 1 BGB “formell” Miterbe.

Diese Position als Miterbe ist und bleibt untrennbar mit seiner Person verknüpft.

Der Anteilserwerber tritt danach zwar anstelle des Veräußerers in die Gesamterbengemeinschaft ein, er erlangt jedoch nicht völlig dessen Rechtsstellung als Miterbe.

Erbe kann nämlich nur werden, wer kraft Todesfall aufgrund eines vom Gesetz anerkannten familienrechtlichen Verhältnisses oder durch letztwillige Verfügung als Rechtsnachfolger des Erblassers berufen ist

(BGH NJW 1971, 1264, 1265 m.w.N.)

Mit der wirksamen Übertragung der Miterbenanteile von Frau Katharina R. hat der Kläger von dieser auch nicht das Vorkaufsrecht gemäß § 2034 Abs. 1 BGB erworben.

Andererseits kann die ihren Erbanteil übertragende Miterbin ihr Vorkaufsrecht entsprechend dem Sinn und Zweck des Vorkaufsrechts, das Eindringen Dritter in die Gesamthandsgemeinschaft zu verhindern (BGH NJW 1983, 1556), nicht mehr ausüben.

Das Vorkaufsrecht soll nämlich den Miterben die Möglichkeit geben, das Eindringen unerwünschter Dritter und eine Überfremdung der Erbengemeinschaft sowie eine Veränderung der quotenmäßigen Beteiligung zu verhindern, um insbesondere auch den Fortbestand oder Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht vom Willen eines Nichterben abhängig zu machen

(BGH, Urteil vom 09.02.1983, NJW 1983, 1556).

OLG München 21 U 1843/10

Hierauf beruht letztlich die von der Rechtsprechung und dem Schrifttum fast einhellig vertretene Auffassung, dass das nur den Miterben gegebene Vorkaufsrecht mit der Veräußerung eines Erbteils nicht auf den Erwerber übergeht

(Kipp-Coing, Erbrecht, 14. Aufl., § 115 Abs. 1;

Lange, Erbrecht, § 44 III 2 b).

Mit dem Tod von Frau Katharina R. am 23.10.2009 hat sich die von Katharina R. noch inne gehabte formelle Miterbenstellung mit dem Erbanteil nach Peter R. wieder in einer Person, nämlich der des Klägers, vereinigt, so dass das durch die vorherige Übertragung des Erbanteils auf den Kläger „entkleidete“ Miterbenrecht wieder zum Vollrecht erstarkt ist.

Der Kläger ist Erbeserbe nach Peter R. geworden.

Da zu diesem Zeitpunkt die zweimonatige Vorkaufsfrist des § 2034 Abs. 2 Satz 1 BGB noch nicht in Lauf gesetzt und damit – mangels Auskunft – bis heute noch nicht abgelaufen ist, kann der Kläger, da er nun anstatt Katharina R. Mitglied der Erbengemeinschaft nach Peter R.geworden ist, diese Auskunft verlangen.

Die andere mögliche formale Betrachtungsweise, dass ein Miterbe, der schon vorher seinen Erbanteil auf einen anderen übertragen hat, und dem deshalb kein Vorkaufsrecht mehr zusteht, dieses – grundsätzlich vererbliche – Recht nicht mehr vererben kann, wird nach Überzeugung des Senats dem Sinn und Zweck des Vorkaufsrechts nicht gerecht.

OLG München 21 U 1843/10

Wenn der Gesetzgeber die Vererblichkeit des Vorkaufsrechts statuiert, lässt er damit eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtübertragbarkeit des Vorkaufsrechts zu.

Zwar ist bereits entschieden, dass beim rechtsgeschäftlichen Erwerb des Erbanteils durch den präsumtiven Erben das Vorkaufsrecht nicht mit übergeht

(BGH NJW 1983, 1555).

Im konkreten Fall ist jedoch der Kläger nicht nur präsumtiver Erbe der Miterbin Katharina R., sondern aufgrund ihres Versterbens am 23.10.2009 unbestritten deren tatsächlicher Erbe.

Dabei kann es keine Rolle spielen, ob der Kläger aufgrund Gesetzes oder aufgrund Verfügung von Todes wegen zum Erben berufen ist.

Durch die Vereinigung in der Person des Erbeserben ist die gleiche Folge eingetreten wie bei der Vererblichkeit des Vorkaufsrechts.

Da dem Kläger seit dem 23.10.2009 damit ein Vorkaufsrecht zusteht, kann er auch gegenüber dem Beklagten einen entsprechenden Auskunftsanspruch geltend machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war zuzulassen, da die Frage bisher noch nicht höchstrichterlich entschieden ist und eine Klärung zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

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