Bundesarbeitsgericht 1 ABR 46/01

Mai 4, 2019

Bundesarbeitsgericht 1 ABR 46/01

1. Ob eine Anordnung das nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten oder das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betrifft, beurteilt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die den Arbeitgeber zu der Maßnahme bewogen haben. Entscheidend ist der objektive Regelungszweck, der sich nach dem Inhalt der Maßnahme und der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens bestimmt.

2. Eine das Ordnungsverhalten betreffende Maßnahme wird nicht dadurch mitbestimmungsfrei, daß sie einen Randbereich des Arbeitsverhaltens berührt.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

1 ABR 46/01

Verkündet am 11. Juni 2002

In dem Beschlußverfahren

hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Anhörung vom 11. Juni 2002 durch den Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Prof. Dr. Wißmann, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt, den Richter am Bundesarbeitsgericht Kreft, die ehrenamtlichen Richter Dr. Klebe und Frischholz beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 21. August 2001 – 6 TaBV 8/01 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat bei der Anordnung, auf der Dienstkleidung ein Namensschild zu tragen, mitzubestimmen hat.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs. Für ihr Fahrpersonal regelt eine Betriebsvereinbarung das Tragen von Dienstkleidung. Darüber hinaus beabsichtigt die Arbeitgeberin, auch Namensschilder einzuführen. Diese sollen von den Fahrern auf der Dienstkleidung getragen werden.

Das hat der Betriebsrat für eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Maßnahme gehalten. Sie betreffe das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Bei den Namensschildern gehe es wie bei der Dienstkleidung ausschließlich darum, nach außen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen zu deutlich zu machen.

Der Betriebsrat hat beantragt

festzustellen, daß die Einführung von Namensschildern für das Fahrpersonal im Betrieb der Arbeitgeberin der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs.1 Nr. 1 BetrVG unterliegt.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das Tragen von Namensschildern auf der Dienstkleidung solle den Fahrgästen das Ansprechen der Fahrer erleichtern, um von ihnen bestimmte Dienstleistungen zu erhalten. Dazu gehöre etwa die Erteilung von Auskünften oder die Hilfe beim Ein- oder Aussteigen. Dabei seien die Fahrer zu freundlichem Auftreten angehalten. Mit dem Tragen der Namensschilder auf der Dienstkleidung werde das Arbeitsprodukt selbst vorgegeben und damit die Arbeitspflicht der Fahrer konkretisiert.

Die Vorinstanzen haben dem Antrag stattgegeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Arbeitgeberin die Abweisung des Antrags. Der Betriebsrat beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei der Anordnung, Namensschilder auf der Dienstkleidung zu tragen, mitzubestimmen hat.

I. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch das Aufstellen von Verhaltensregeln oder durch sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren (BAG 28. Mai 2002 – 1 ABR 32/01 – zVv.). Zweck des Mitbestimmungsrechts ist demzufolge, die Arbeitnehmer gleichberechtigt an der Gestaltung der betrieblichen Ordnung teilhaben zu lassen (BAG 18. April 2000 – 1 ABR 22/99 – AP BetrVG 1972 § 87 Überwachung Nr. 33 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 27, zu B II 1 a der Gründe).

Zur Gestaltung der Ordnung des Betriebes zählen sowohl verbindliche Verhaltensregeln als auch Maßnahmen, die das Verhalten der Arbeitnehmer in Bezug auf die betriebliche Ordnung betreffen und berühren, ohne Normen für das Verhalten zum Inhalt zu haben. Ausreichend ist es, wenn eine solche Maßnahme darauf gerichtet ist, die vorgegebene Ordnung des Betriebes zu gewährleisten und aufrechtzuerhalten. Davon betroffen ist etwa die Anordnung des Tragens einer einheitlichen Arbeitskleidung, die lediglich dazu dient, das äußere Erscheinungsbild des Unternehmens zu fördern (BAG 1. Dezember 1992 – 1 AZR 260/92 – BAGE 72, 40; 8. August 1989 – 1 ABR 65/88 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 15 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 13).

Seinem Wortlaut nach unterwirft § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG jedes Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb der Mitbestimmung. Das würde auch die Art und Weise der Erbringung der Arbeitsleistung selbst erfassen. Das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer soll jedoch nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts von einer Beteiligung des Betriebsrats frei sein. Das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betreffen danach alle Regeln und Weisungen, die bei der Erbringung der Arbeitsleistung selbst zu beachten sind. Es ist berührt, wenn der Arbeitgeber kraft seiner Organisations- und Leistungsmacht näher bestimmt, welche Arbeiten auszuführen sind und in welcher Weise das geschehen soll. Mitbestimmungsfrei sind deshalb solche Anordnungen, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und damit abgefordert wird (BAG 8. Juni 1999 – 1 ABR 67/98 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 31 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Ordnung Nr. 25, zu B I 1 der Gründe).

Ob das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen ist, beurteilt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen, die den Arbeitgeber zu einer Maßnahme bewogen haben (BAG 8. November 1994 – 1 ABR 22/94 – BAGE 78, 224, 228 f.). Entscheidend ist der jeweilige objektive Regelungszweck. Dieser bestimmt sich nach dem Inhalt der Maßnahme sowie nach der Art des zu beeinflussenden betrieblichen Geschehens. Wirkt sich eine Maßnahme zugleich auf das Ordnungs- und das Arbeitsverhalten aus, so kommt es darauf an, welcher Regelungszweck überwiegt.

II. Danach betrifft die hier streitige Anordnung nicht das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten. Nach ihrem objektiven Regelungsgehalt ist die Maßnahme nicht darauf gerichtet, das Arbeitsverhalten der Fahrer zu konkretisieren. Sie dient vielmehr dazu, daß die Kunden auch aus dem durch das Namensschild geprägten äußeren Erscheinungsbild der Fahrer positive Rückschlüsse auf die Dienstleistungsbereitschaft des Unternehmens ziehen. Für den Fahrgast stellt sich das Namensschild als Teil der einheitlichen Dienstkleidung der Fahrer dar. Damit bringt es wie diese eine bestimmte Unternehmenskultur zum Ausdruck, deren Repräsentant das Fahrpersonal sein soll.

Das Namensschild und die damit bezweckte Aufhebung der Anonymität der Fahrer Dritten gegenüber ist für die Erbringung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung nahezu ohne jede Bedeutung. Diese Aufgabe wird ohne die nach außen getragene Darstellung der Identität des einzelnen Fahrers verrichtet. Die Kunden können die kommunikative Funktion des Namensschilds während der Erbringung der Beförderungsleistung nicht wahrnehmen. Von der Arbeitgeberin wird aus Gründen der Verkehrssicherheit gerade nicht gewünscht, daß die Fahrgäste während der Fahrt mit den Fahrern Gespräche führen. Das Ansprechen der Fahrer ist regelmäßig nur während der sehr kurzen Fahrtunterbrechung an den Haltestellen möglich. Erst dabei können die Fahrer um Auskünfte gebeten werden oder darum, Hilfestellung beim Ein- oder Aussteigen zu leisten. Infolge der begrenzten Dauer des Gesprächskontakts wird der Kunde den Namen jedoch kaum wahrnehmen und daher im Kommunikationsprozeß auch selten verwenden. Zwar sind die Fahrer zur Erbringung dieser Serviceleistungen arbeitsvertraglich verpflichtet. Im Gegensatz zu der schriftlichen Kommunikation zwischen Kunden und Sachbearbeitern in Geschäftsbriefen (BAG 8. Juni 1999 – 1 ABR 67/98 – aaO) oder der Kundenberatung durch die Mitarbeiter eines Geldinstituts (BAG 18. April 2000 – 1 ABR 22/99 – aaO, zu B II 1 b der Gründe) betrifft die Kommunikation mit den Fahrgästen aber nur einen Randbereich der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung der Fahrer und nicht das eigentliche Arbeitsprodukt.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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