LAG Hamm, Beschluss vom 02.10.2009 – 10 TaBV 27/09

Oktober 14, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 02.10.2009 – 10 TaBV 27/09

Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 03.02.2009 – 2 BV 1/09 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Betrieb der Arbeitgeberin ein Wahlvorstand bestellt wird, der aus folgenden fünf Arbeitnehmern besteht:
– Herr M1 B1, L1 2, 12345 R1,
– Herr F1 R2, P1 S6 2, 23456 E1,
– Herr U1 B2, S2 12, 34567 S3,
– Herr L3 M3, S6 d1 B7 45, 78901 K2 und
– Herr L3 W2, B8 B9 6, 10123 B5 C1.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Bestellung eines Wahlvorstandes.
Die Arbeitgeberin ist ein Luftfrachttransporteur mit derzeit 297 Arbeitnehmern. In ihrem Betrieb besteht kein Betriebsrat.
In einer Benachrichtigung vom 19.11.2008 riefen drei im Betrieb der Arbeitgeberin beschäftigte Arbeitnehmer, die Mitarbeiter B1, R2 und W5, zu einer Betriebsversammlung am 14.12.2008 auf, in der ein Wahlvorstand zur Wahl eines Betriebsrates gebildet werden sollte. Auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 erschienen ca. 90 Mitarbeiter. Fünf Mitarbeiter, unter ihnen die Arbeitnehmer B1, R2 und W5, erklärten sich bereit, als Wahlvorstand zu fungieren, wobei darüber diskutiert wurde, ob ein fünfköpfiger oder ein dreiköpfiger Wahlvorstand gebildet werden sollte. 21 Anwesende stimmten daraufhin mit Handzeichen für die Bildung eines fünfköpfigen Wahlvorstandes mit den fünf vorgeschlagenen Kandidaten. Aufgrund sich daraufhin ergebender Unruhen wurde entschieden, dass diejenigen Mitarbeiter, die einen Wahlvorstand wählen wollten, im Versammlungsraum verblieben, die übrigen Mitarbeiter sollten sich draußen versammeln. 71 Mitarbeiter verließen daraufhin den Versammlungsraum. Die Betriebsversammlung wurde daraufhin für beendet erklärt.
In einem anschließend eingeleiteten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung machte die Arbeitgeberin daraufhin geltend, dass der angeblich gewählte Wahlvorstand keine Tätigkeiten entfalten dürfe – 2 BVGa 8/08 Arbeitsgericht Siegen. In dem anberaumten Anhörungstermin vor dem Arbeitsgericht vom 06.01.2009 erklärten die angeblich gewählten fünf Mitarbeiter, sie fühlten sich nicht gewählt und würden auch keine Aktivitäten als Wahlvorstand entfalten. Daraufhin nahm die Arbeitgeberin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.
Anschließend leiteten die Mitarbeiter B1, R2 und W5 beim Arbeitsgericht das vorliegende Beschlussverfahren auf Bestellung eines Wahlvorstandes ein mit der Begründung, ein Wahlvorstand sei auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 nicht gewählt worden, deshalb sei der Wahlvorstand von der Arbeitgeberin zu bestellen.
Die Antragsteller haben beantragt,
bei der beteiligten Arbeitgeberin einen Wahlvorstand zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Unternehmen der Arbeitgeberin zu bestellen, der aus fünf Arbeitnehmer/innen, hilfsweise drei Arbeitnehmer/innen besteht, und zwar wie folgt:
a) M1 B1, L1 2, 12345 R1,
b) F1 R2, P1 S6 2, 23456 E1,
c) W3 W4, M5 H3. 34, 89012 T2,
d) S7 J2, B6 71, 90123 P2,
e) W6 J2, B6 71, 90123 P2.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 sei sehr wohl ein Wahlvorstand gewählt worden. Insoweit hat sie behauptet, die die Versammlung leitende Gewerkschaftsvertreterin habe am Ende der Versammlung die fünf Kandidaten als Wahlvorstand präsentiert und auch noch nach Protesten eines Großteils der Versammlungsteilnehmer kundgetan, dass der Wahlvorstand gewählt sei. Diese Wahl sei zwar offensichtlich nichtig, gleichwohl stehe die durchgeführte Wahl einer gerichtlichen Bestellung des Wahlvorstandes entgegen. Solange die Nichtigkeit des gewählten Wahlvorstandes nicht feststehe, könne kein neuer Wahlvorstand bestellt werden.
Durch Beschluss vom 03.02.2009 hat das Arbeitsgericht dem Antrag auf Bestellung des Wahlvorstandes stattgegeben, weil eine wirksame Wahl eines Wahlvorstandes nach übereinstimmender Auffassung aller Beteiligten nicht vorliege und die Wahl eines Wahlvorstandes auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 gescheitert sei.
Gegen den der Arbeitgeberin am 11.03.2009 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat die Arbeitgeberin am 07.04.2009 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 12.06.2009 mit dem am 10.06.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
Die Arbeitgeberin ist nach wie vor der Auffassung, das Arbeitsgericht hätte keinen Wahlvorstand bestellen dürfen. Am 14.12.2008 sei ein Wahlvorstand gewählt worden, wenn auch fehlerhaft. Die Bestellung durch das Arbeitsgericht könne nur dann erfolgen, wenn eine Wahlversammlung nicht stattgefunden habe oder kein Wahlvorstand gewählt worden sei. Den Beschäftigten solle in erster Linie selbst die Möglichkeit gegeben werden, einen Wahlvorstand selbst zu konstituieren.
Der gesamte Ablauf der Wahlversammlung vom 14.12.2008 könne lediglich als “Farce” bezeichnet werden und entbehre jeder demokratischen Legitimation. Die Teilnehmer der Versammlung hätten wegen der eingeschränkten Platzverhältnisse teilweise gar nicht im eigentlichen Versammlungszimmer anwesend sein können, sondern hätten im Gang bzw. vor der Tür stehen müssen. Damit sei nicht gewährleistet gewesen, dass alle Teilnehmer den Inhalt der Versammlung vollständig mitbekommen hätten. Die Versammlungsleiterin der Gewerkschaft ver.di sei darüber hinaus nicht in der Lage gewesen, Fragen der Teilnehmer zur Wahl des Wahlvorstandes zu beantworten. Es habe auch keine einzelne Wahl der jeweiligen Mitglieder des Wahlvorstandes stattgefunden, stattdessen seien diese nur zusammen als “Der Wahlvorstand” zur Wahl gestellt worden. Nachdem die Wahl eigentlich mit 71 Nein-Stimmen und 21 Ja-Stimmen gescheitert gewesen sei, habe die Gewerkschaftsvertreterin das Wahlergebnis ausgerufen und verkündet, dass der Wahlvorstand nun gewählt worden sei.
Wegen des fehlenden vorherigen demokratischen Prozesses könne eine Bestellung des Wahlvorstandes durch das Arbeitsgericht nicht durchgeführt werden. Die Arbeitnehmer des Betriebes hätten keine Chance gehabt, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen. Das sei aber Voraussetzung für das Bestellungsverfahren.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens schieden die vom Arbeitsgericht bestellten Wahlvorstandsmitglieder S7 J2 und W6 J2 mit Wirkung zum 12.08.2009 sowie der Mitarbeiter W3 W4 mit Wirkung zum 21.09.2009 aus dem Betrieb der Arbeitgeberin aus. Daraufhin trat Herr U1 B2 mit Schriftsatz vom 25.09.2009, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 28.09.2009, als dritter Antragsteller in das Verfahren ein.
Die Arbeitgeberin vertritt insoweit die Auffassung, die beiden verbliebenen Mitglieder des Wahlvorstands B1 und R2 könnten keinen Wahlvorstand bilden, da dieser in jedem Falle aus drei wahlberechtigten Arbeitnehmern bestehen müsse. Da keine Ersatzmitglieder bestellt worden seien, könnten die verbliebenen Mitglieder des Wahlvorstandes ihr Amt nicht ausüben. Die streitgegenständliche Entscheidung sei danach ohnehin aus rein tatsächlichen Gründen nicht mehr durchführbar.
Dem Eintritt des Herrn U1 B2 in das vorliegende Verfahren werde widersprochen; die Arbeitgeberin willige in die damit verbundene Klageänderung nicht ein. Die Beteiligten verfolgten nunmehr ein anderes Rechtsschutzziel, nämlich die Bestellung eines neuen Wahlvorstandes. Dies sei unzulässig und könne in keinem Fall in der Beschwerdeinstanz erfolgen. Ein Parteiwechsel sei wegen § 533 Nr. 2 ZPO unzulässig.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 03.02.2009 – 2 BV 1/09 – abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückzuweisen, mit der Maßgabe, dass im Unternehmen der Arbeitgeberin ein fünfköpfiger Wahlvorstand bestellt wird, der aus nachstehenden Arbeitnehmern besteht:
a) Herr M1 B1, L1 2, 12345 R1,
b) Herr F1 R2, P1 S6 2, 23456 E1,
c) Herr U1 B2, S2 12, 34567 S3,
d) Herr L3 M3, S6 d1 B7 45, 78901 K2 und
e) Herr L3 W2, B8 B9 6, 10123 B5 C1.
Die Antragsteller sind der Auffassung, das Arbeitsgericht habe zu Recht einen Wahlvorstand bestellt, nachdem der Versuch, einen Wahlvorstand auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 zu wählen, gescheitert sei. Deshalb sei die Bestellung nach § 17 Abs. 4 BetrVG erforderlich. Auch die Arbeitgeberin könne nicht ernsthaft in Frage stellen, dass ein Versuch durchgeführt worden sei, auf einer Betriebsversammlung einen Wahlvorstand zu wählen. Dieser Versuch sei jedoch gescheitert. Dass Arbeitnehmer auf einer Betriebsversammlung stehen müssten, sei nichts Ungewöhnliches. Die räumliche Enge hätte nicht dazu geführt, dass die anwesenden Arbeitnehmer von einem demokratischen Prozess ausgesperrt gewesen seien. Alle anwesenden Belegschaftsmitglieder hätten dem Verlauf der Betriebsversammlung folgen können. Unter Vorlage eines von der am 14.12.2008 anwesenden Gewerkschaftssekretärin M4 gefertigten Protokolls der Wahlversammlung vom 14.12.2008 (Bl. 105 d.A.) behaupten die Antragsteller, auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 sei über die fünf Mitarbeiter, die sich bereit gefunden hätten, als Wahlvorstand zu kandidieren, im Block abgestimmt worden. Auch dies sei nicht unzulässig. Die fünf Kandidaten hätten jedoch keine Mehrheit gefunden. Die Gewerkschaftssekretärin M4 hätte auch nicht verkündet, dass nunmehr ein Wahlvorstand gewählt sei. Sie habe vielmehr ausgeführt, der Wahlvorstand sei nicht gewählt worden, es müsse jetzt eine gerichtliche Bestellung des Wahlvorstandes beantragt werden.
Die fünf vom Arbeitsgericht bestellten Wahlvorstandsmitglieder hätten sich auch nicht als Wahlvorstand geriert, sie seien bislang auch nicht als Wahlvorstand tätig geworden.
Bei dem Eintritt des Herrn B2 in das vorliegende Verfahren handele es sich auch nicht um eine unzulässige Antragsänderung.
Die Beschwerdekammer hat die Akten 2 BVGa 8/08 Arbeitsgericht Siegen sowie 2 BVGa 2 /09 Arbeitsgericht Siegen = 10 TaBVGa 3/09 informationshalber beigezogen. Auf den Inhalt dieser Akten wird ebenso Bezug genommen wie auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze.
Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist mit der von der Beschwerdekammer im Tenor geänderten Maßgabe unbegründet.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist an sich statthaft und form- und fristgerecht beim Landesarbeitsgericht eingelegt und begründet worden, §§ 87 Abs. 1 und 2, 89 Abs. 2, 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass aufgrund des Eintritts des Herrn B2 als Antragsteller zu 3. und aufgrund des Ausscheidens der vom Arbeitsgericht bestellten Wahlvorstandsmitglieder S7 J2 und W6 J2 andere Anträge zur Entscheidung gestellt worden sind, als sie in erster Instanz zur Entscheidung angestanden haben.
Die von den Antragstellern vorgenommene Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz, die beschwerderechtlich als zulässige Anschlussbeschwerde nach den §§ 87 Abs. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 524 ZPO zu werten ist, die wegen einer im Beschlussverfahren fehlenden gesetzlichen Beschwerdeerwiderungsfrist zeitlich unbefristet bis zum Anhörungstermin vor der Beschwerdekammer eingelegt werden kann (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 7. Aufl., § 89 Rn. 34, 37), ist nach § 87 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 81 Abs. 3 ArbGG zulässig. Hiernach ist auch im Beschwerdeverfahren nach den §§ 87 ff. ArbGG eine Antragsänderung zulässig, wenn die übrigen Beteiligten zustimmen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
Eine Antragsänderung liegt auch vor bei einem Wechsel in der Person des Antragstellers (GMPM-G/Matthes, a.a.O., § 81 Rn. 85). Zwar hat die Arbeitgeberin der Antragsänderung nicht zugestimmt. Die Beschwerdekammer hat jedoch die Antragsänderung für sachdienlich gehalten. Dem in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag liegt der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde, auf den die Antragsteller ihren Antrag auch schon in erster Instanz gestützt haben (BAG, 05.11.1985 – 1 ABR 49/83 – AP BetrVG 1972 § 98 Nr. 2; BAG, 21.01.2003 – 1 ABR 9/02 – AP BetrVG 1972 § 21 a Nr. 1; BAG, 26.10.2004 – 1 ABR 37/03 – AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 29). Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren im Wesentlichen um die Frage, ob die Bestellung eines Wahlvorstandes nach § 17 Abs. 4 BetrVG durch das Arbeitsgericht erfolgen durfte. Welche Person zum Wahlvorstandsmitglied bestellt werden sollte, hatte ersichtlich keine oder nur untergeordnete Bedeutung. Die Antragsänderung wird nicht auf Tatsachen gestützt, die nicht bereits dem Arbeitsgericht zur Verhandlung und Entscheidung zugrunde gelegen haben, § 533 Nr. 2 ZPO.
I.
Der Antrag der Antragsteller ist zulässig.
1. Zutreffend verfolgen die Antragsteller ihr Begehren im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach den §§ 2 a, 80 ArbGG. Es handelt sich um eine zwischen den Beteiligten streitige Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Beteiligten streiten nämlich darum, ob das Arbeitsgericht zur Bestellung eines Wahlvorstandes befugt gewesen ist, § 17 Abs. 4 BetrVG.
2. Die Antragsbefugnis der Antragsteller folgt aus § 81 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG.
Hiernach bedarf es für die Bestellung eines Wahlvorstandes durch das Arbeitsgericht eines Antrages von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft. Dass die Antragsberechtigung von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern bei Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens am 05.01.2009 beim Arbeitsgericht vorgelegen hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Antragsteller B1, R2 und W4 sind ebenso wie der im Beschwerdeverfahren als Antragsteller zu 3. auftretende Mitarbeiter B2 wahlberechtigte Arbeitnehmer der Arbeitgeberin.
Dass der ursprüngliche Antragsteller zu 3., Herr W3 W4, im Laufe des Beschwerdeverfahrens aus dem Kreis der antragsberechtigten Arbeitnehmer ausgeschieden ist, ist unerheblich. Für das Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG ist entschieden, dass der während eines Wahlanfechtungsverfahrens eintretende Verlust der Wahlberechtigung eines Antragstellers nicht die Unzulässigkeit der Wahlanfechtung zur Folge hat. Die Wahlberechtigung des eine Betriebsratswahl anfechtenden Arbeitnehmers muss nur zum Zeitpunkt der Wahl gegeben sein. Ein späterer Wegfall der Wahlberechtigung durch Ausscheiden aus dem Betrieb nimmt dem Arbeitnehmer die Anfechtungsbefugnis nicht. Nur wenn sämtliche die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer aus dem Betrieb ausscheiden, führt dies zur Unzulässigkeit eines Wahlanfechtungsantrags, da für die Fortführung des Wahlanfechtungsverfahrens in diesem Fall kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht (BAG, 14.12.1986 – 6 ABR 48/85 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 13; BAG, 15.02.1989 – 7 ABR 9/88 – AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 17; BAG, 16.11.2005 – 7 ABR 9/05 – AP SGB IX § 94 Nr. 4 m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten nach Auffassung der Beschwerdekammer auch im gerichtlichen Bestellverfahren nach § 17 Abs. 4 BetrVG. In beiden Verfahren, sowohl im Anfechtungsverfahren wie auch im Bestellverfahren, verlangt der Gesetzgeber für die Antragsberechtigung ein bestimmtes Quorum an wahlberechtigten Arbeitnehmern. Auch im vorliegenden Verfahren waren trotz Ausscheidens des ursprünglichen Antragstellers zu 3. aus dem Betrieb der Arbeitgeberin sowohl zum Zeitpunkt der Einleitung des Beschlussverfahrens wie auch zum Zeitpunkt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und der Entscheidung der Beschwerdekammer drei wahlberechtigte Antragsteller vorhanden.
Der Auffassung der Arbeitgeberin, durch das Ausscheiden von drei vom Arbeitsgericht bestellten Wahlvorstandsmitgliedern habe der Wahlvorstand aufgehört zu existieren, kann nicht beigetreten werden. Der Wahlvorstand wurde hierdurch lediglich zeitweise funktionsunfähig, da die nach § 16 Abs. 1 BetrVG erforderliche Mindestzahl von drei Wahlvorstandsmitgliedern zeitweise nicht mehr vorhanden war. Für den Fall, dass ein Betriebsrat den Wahlvorstand bestellt hat und dieser durch Ausscheiden eines Mitglieds nicht mehr handlungsfähig ist, ist die nachträgliche Ergänzung des Wahlvorstandes für zulässig erachtet worden (BAG, 14.12.1965 – 1 ABR 6/65 – AP BetrVG § 16 Nr. 5). Dies gilt auch dann, wenn der Wahlvorstand durch das Arbeitsgericht bestellt worden ist (LAG Düsseldorf, 07.11.1974 – 7 TaBV 87/74 – DB 1975, 260; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 24. Aufl., § 16 Rn. 64; Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 11. Aufl., § 17 Nr. 70). Hieraus ergibt sich, dass die Antragsbefugnis der Antragsteller nicht in Frage gestellt werden kann und der vom Arbeitsgericht bestellte Wahlvorstand aufgrund des Ausscheidens der Wahlvorstandsmitglieder W3, S7 und W6 J2 ergänzt werden kann.
3. Die Beteiligung der Antragsteller und der Arbeitgeberin am vorliegenden Verfahren ergibt sich aus den §§ 10, 83 Abs. 3 ArbGG. Beteiligte des vorliegenden Verfahrens sind die jeweiligen Antragsteller und die Arbeitgeberin. Die von den Antragstellern vorgeschlagenen weiteren Wahlvorstandsmitglieder sind am vorliegenden nicht zu beteiligen, da sie keine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition inne haben, die durch die zu erwartende Entscheidung betroffen sein könnte (BAG, 10.11.2004 – 7 ABR 19/04 – AP BetrVG 1972 § 17 Nr. 7). Auch die Antragsteller eines Bestellverfahrens nach § 17 Abs. 4 BetrVG können Mitglieder im vom Arbeitsgericht zu bestellenden Wahlvorstand sein. Im Übrigen brauchen sie nicht mit denjenigen identisch zu sein, die zur Betriebsversammlung eingeladen haben (GK/Kreutz, BetrVG, 8. Aufl., § 17 Rn. 43; DKK/Schneider, a.a.O., § 17 Rn. 16; Richardi/Thüsing, BetrVG, 11. Aufl., § 17 Rn. 29).
II.
Der Antrag der Antragsteller ist auch in der Beschwerdeinstanz gestellten Form begründet.
Im Betrieb der Arbeitgeberin ist zur Durchführung einer Betriebsratswahl ein fünfköpfiger Wahlvorstand zu bestellen, der aus den Arbeitnehmern M1 B1, F1 R2, U1 B2, L3 M3 und L3 W2 besteht.
Nach § 17 Abs. 4 BetrVG bestellt das Arbeitsgericht auf Antrag von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft einen Wahlvorstand für die Wahl eines Betriebsrats, wenn trotz Einladung keine Betriebsversammlung stattfindet oder wenn die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand wählt.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Dies hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend erkannt.
1. Dass die drei Antragsteller des vorliegenden Verfahrens zu den wahlberechtigten Arbeitnehmern der Arbeitgeberin gehören, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Antragsteller, die das vorliegende Verfahren eingeleitet haben und noch weiter betreiben, sind damit aktiv legitimiert.
2. Zu Recht ist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss auch davon ausgegangen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG vorliegen.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass im Betrieb der Arbeitgeberin aufgrund einer ordnungsgemäßen Einladung am 14.12.2008 eine Betriebsversammlung stattgefunden hat, die zum Zwecke der Wahl eines Wahlvorstandes einberufen worden ist. Die Betriebsversammlung vom 14.12.2008 hat aber keinen Wahlvorstand gewählt. Damit liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstandes vor.
Die gerichtliche Bestellung des Wahlvorstands nach § 17 Abs. 4 BetrVG ist, wie das Arbeitsgericht richtig ausgeführt hat, ein Notbehelf, auf den nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn die Initiatoren einer Betriebsratswahl allen Arbeitnehmern wenigstens die Chance eingeräumt haben, einen demokratisch legitimierten Wahlvorstand zu wählen, und wenn dies gleichwohl nicht erfolgt ist (BAG, 19.93.1974 – 1 ABR 87/73 – AP BetrVG 1972 § 17 Nr. 1; BAG, 26.02.1992 – 7 ABR 37/91 – AP BetrVG 1972 § 17 Nr. 6). Aus welchen Gründen die Betriebsversammlung keinen Wahlvorstand gewählt hat, ist dabei nicht entscheidend (so schon: ArbG Hamm, 09.10.1959 – BV 3/59 – BB 1960, 288; vgl. auch: BAG, 26.02.1992 – 7 ABR 37/91 – a.a.O., unter II. 2. a) der Gründe; Fitting, a.a.O., § 17 Rn. 32; GK/Kreutz, a.a.O., § 17 Rn. 46; DKK/Schneider, a.a.O., § 17 Rn. 15; ErfK/Eisemann, a.a.O., § 17 BetrVG Rn. 9).
Auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 ist kein Wahlvorstand gewählt worden. Insoweit hat es lediglich einen Versuch gegeben, einen Wahlvorstand zu wählen. Dieser Versuch ist aber gescheitert. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird ein Wahlvorstand in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt. Die Mehrheit der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 hat aber gerade keinen Wahlvorstand gewählt. Unstreitig haben sich lediglich 21 von ca. 90 Anwesenden mit Handzeichen für die Bildung eines fünfköpfigen Wahlvorstandes mit den fünf vorgeschlagenen Kandidaten erklärt, die weitaus überwiegende Mehrheit hat ablehnend abgestimmt. Damit hat die Betriebsversammlung vom 14.12.2008 keinen Wahlvorstand gewählt.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch ausgeführt, es komme insoweit nicht entscheidend darauf an, ob das Wahlergebnis etwa von der die Versammlung leitenden Gewerkschaftsvertreterin anders gesehen oder geäußert worden ist. Eine Beweisaufnahme zu den streitigen Behauptungen der Beteiligten war entbehrlich, weil unstreitig zwischen den Beteiligten auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 kein Wahlvorstand gewählt worden ist. Unstreitig ist darüber hinaus, dass die Wahlvorstandskandidaten jedenfalls am 06.01.2009 zu Protokoll des Arbeitsgerichts erklärt haben, dass sie sich nicht gewählt fühlten und dementsprechend auch keine Aktivitäten als Wahlvorstand entfalten würden. Damit ist den Voraussetzungen des § 17 Abs. 4 BetrVG Genüge getan.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Beschluss auch darauf hingewiesen, dass aufgrund des gesetzgeberischen Ziels, in Betrieben ohne Betriebsrat eine Betriebsratswahl schnell und einfach durchführen zu können, nach der gescheiterten Wahl eines Wahlvorstandes auf der Betriebsversammlung vom 14.12.2008 nunmehr das Bestellverfahren durchzuführen ist. Dies widerspricht auch nicht den auch das Betriebsverfassungsgesetz beherrschenden Grundprinzipien einer demokratischen Wahl. Durch die Anrufung des Arbeitsgerichts und die Einleitung des vorliegenden Bestellverfahrens geht der Betriebsversammlung das ihr nach § 17 BetrVG zustehende Recht, einen Wahlvorstand zu wählen, jedenfalls solange nicht verlustig, als eine rechtskräftige Entscheidung noch nicht vorliegt (BAG, 19.03.1974 – 1 ABR 87/73 – AP BetrVG 1972 § 17 Nr. 1). Einer Betriebsversammlung im Betrieb der Arbeitgeberin bleibt es danach vorbehalten, mindestens bis zur Rechtskraft des vorliegenden Beschlusses einen anderen Wahlvorstand zu wählen.
Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht die Größe des Wahlvorstandes auf fünf Mitglieder festgelegt. Hiervon abzuweichen, bestand keine Veranlassung. Mit der Beschwerde sind insoweit von der Arbeitgeberin auch keine durchgreifenden Einwendungen erhoben worden.
III.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht bestand keine Veranlassung, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.

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