LAG Hamm, Beschluss vom 04.10.2010 – 10 TaBV 75/10

September 29, 2020

LAG Hamm, Beschluss vom 04.10.2010 – 10 TaBV 75/10

Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan kann ein Betriebsrat nicht mehr verlangen, wenn er erst nach Abschluss der Planungen des Arbeitgebers und nach Beginn der Durchführung einer Betriebsstilllegung errichtet worden ist, auch wenn die Kündigungen der Belegschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen werden.
Tenor
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.08.2010 – 5 BV 124/10 – wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.
Die Arbeitgeberin, die in D1 einen Betrieb zur Kranauslegerfertigung mit zuletzt 26 Arbeitnehmern führte, fasste am 29.06.2010 den Beschluss, den Betrieb der Kranauslegerfertigung in D1 zu schließen (Bl. 23 d.A.).
Am gleichen Tag leitete sie beim zuständigen Integrationsamt das Verfahren wegen der Kündigung der schwerbehinderten Arbeitnehmer ein.
Am 30.06.2010 fand eine Mitarbeiterversammlung statt, in der die Arbeitgeberin erklärte, dass der Betrieb in D1 zum 31.10.2010 geschlossen werde, da die Arbeiten auf Werke in Polen und Ungarn verlagert würden, weil dort eine kostengünstigere Produktion möglich sei. Ob den Mitarbeitern auf der Betriebsversammlung lediglich ein voraussichtlicher Schließungstermin mitgeteilt wurde oder ob in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen wurde, dass der Schließungstermin 31.10.2010 endgültig feststehe, ist zwischen den Beteiligten streitig. Jedenfalls wurde den Mitarbeitern noch auf der Betriebsversammlung vom 30.06.2010 der Ausspruch der Kündigung aller Arbeitnehmer angekündigt.
Noch am 30.06.2010 gab die Arbeitgeberin eine Pressemitteilung des Inhalts ab, dass das Werk in D1 geschlossen und sämtlichen Arbeitnehmern gekündigt werde, da die Auslegerfertigung zu anderen Produktionsstandorten verlagert werde (Bl. 25 d.A.). Ebenfalls noch am 30.06.2010 informierte die Arbeitgeberin ihre sämtlichen Kunden, dass der Betrieb in D1 vor der Schließung stehe.
Mit Schreiben vom 30.06.2010 zeigte die Arbeitgeberin ferner bei der Bundesagentur für Arbeit die geplante Massenentlassung an.
Am 14.07.2010 sprach die Arbeitgeberin sodann die Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse zum 31.08.2010, 30.09.2010 und zum 31.10.2010 aus.
Zusätzliche Aufträge für die Kranauslegerfertigung nahm sie seit Ende Juni 2010 nicht mehr an.
Bereits mit Wahlanschreiben vom 07.07.2010 hatte der inzwischen gebildete Wahlvorstand Betriebsratswahlen eingeleitet. Die erste Wahlversammlung fand am 15.07.2010, die Betriebsratswahl am 23.07.2010 statt.
Mit Schreiben vom 27.07.2010 (Bl. 8 d.A.) verlangte der antragstellende Betriebsrat die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes und wies darauf hin, dass gegebenenfalls die Einigungsstelle angerufen werde.
Die Arbeitgeberin lehnte Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan ab.
Daraufhin leitete der Betriebsrat am 11.08.2010 beim Arbeitsgericht das vorliegende Beschlussverfahren ein, mit dem er die Einrichtung einer Einigungsstelle zur Verhandlung über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geltend macht.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, dass es sich bei der beabsichtigten Betriebsschließung zum 31.10.2010 um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG handele. Die Arbeitgeberin könne sich nicht darauf berufen, dass der Betriebsrat nicht rechtzeitig aktiv geworden sei. Die Arbeitgeberin habe nämlich noch in der Betriebsversammlung die Kündigungen erst für Ende Juli angekündigt, diese dann aber schon am 14.07.2010 ausgesprochen, offensichtlich, um dem Betriebsrat zuvor zu kommen. Von einer vorzeitigen Wahl des Betriebsrates habe die Belegschaft abgesehen, weil die Arbeitgeberin noch im Frühjahr 2010 erklärt habe, dass sich die Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze keine Sorgen machen müssten. Vor diesem Hintergrund verdiene die Arbeitgeberin keinen Vertrauensschutz. Zudem sei das Wahlanschreiben bereits zu einem Zeitpunkt bekannt gemacht worden, bevor die Arbeitgeberin die Kündigungen ausgesprochen habe.
Die Betriebsschließung sei ferner nicht durchdacht und abgeschlossen gewesen, sodass der Betriebsrat durchaus noch Einfluss auf die Planungen der Arbeitgeberin habe nehmen können. Insbesondere sei absehbar, dass es bei der Arbeitgeberin durch den übereilten Ausspruch der Kündigungen zu Produktionsengpässen kommen werde. Es gebe noch ausreichend Entscheidungsspielraum, um die Interessen der Beschäftigten, die bei voller Auslastung des Betriebes ihre Arbeitsplätze verlören, angemessen zu berücksichtigen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht i.R. K4-W2 S4 zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand “Interessenausgleich und Sozialplan” bei der Antragsgegnerin zu bestellen und
2. die Zahl der zu benennenden Beisitzer für jede Seite auf drei festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Die Entscheidung, den Betrieb zu schließen, habe sie schon lange vor der Einleitung der Betriebsratswahl getroffen. Der Gesellschafterbeschluss zur Betriebsschließung datiere vom 29.06.2010. Mit der Umsetzung dieses Beschlusses sei bereits am 30.06.2010 durch Information der Belegschaft, durch die Massenentlassungsanzeige gem. § 17 KSchG bei der Bundesagentur für Arbeit und durch die Einleitung der Zustimmungsverfahren vor dem Integrationsamt begonnen worden.
Ein treuwidriges Verhalten der Arbeitgeberin sei nicht ersichtlich. Sie habe zu keinem Zeitpunkt die rechtzeitige Initiative der Belegschaft behindert.
Durch Beschluss vom 24.08.2010 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrates zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Einigungsstelle sei für einen abzuschließenden Interessenausgleich und Sozialplan offensichtlich unzuständig, weil der Betriebsrat bei Abschluss der Planung der beabsichtigten Betriebsschließung durch die Arbeitgeberin noch nicht existiert habe. Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach § 111 BetrVG seien nur gegeben, wenn ein Betriebsrat bereits in dem Zeitpunkt bestehe, in dem der Arbeitgeber sich entschließe, eine Betriebsänderung durchzuführen. Werde ein Betriebsrat erst zu einem Zeitpunkt gewählt, zu dem die Planung über die Betriebsänderung bereits abgeschlossen und mit der Durchführung des Planes begonnen worden sei, komme ein Interessenausgleich und ein Sozialplan nicht mehr in Betracht. So liege der vorliegende Fall. Die Planung der Arbeitgeberin, den Betrieb in D1 zum 31.10.2010 zu schließen, sei vor der Wahl des Betriebsrates abgeschlossen gewesen und zum Teil bereits umgesetzt worden. Das Wahlanschreiben sei lediglich die Folge der Bekanntmachung der Betriebsschließung gewesen.
Gegen den dem Betriebsrat am 27.08.2010 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 31.08.2010 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.
Unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vortrages ist der Betriebsrat weiter der Auffassung, die begehrte Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Der Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 enthalte schon keinen genauen Zeitpunkt für die beabsichtigte Betriebsschließung. Auf der Mitarbeiterversammlung vom 30.06.2010 sei lediglich eine voraussichtliche Schließung angekündigt worden. Im Übrigen habe das Arbeitsgericht verkannt, dass es zum Zeitpunkt der Betriebsratswahl noch genügend Beratungs- und Verhandlungsbedarf gegeben habe, nämlich darüber, wann und wie die geplante Betriebsänderung durchgeführt werde.
Schließlich sei der Zeitpunkt der Bekanntmachung des Wahlausschreibens dafür maßgebend, ob mit der Umsetzung der unternehmerischen Planung bereits begonnen worden sei. Die Massenentlassungsanzeige vom 30.06.2010 und die von der Arbeitgeberin am 30.06.2010 herausgegebene Pressemitteilung allein seien keine ausreichenden Maßnahmen, um eine beabsichtigte Betriebsänderung durchzuführen.
Der Betriebsrat beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 24.08.2010 – 5 BV 124/10 – abzuändern und
1. den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht i.R. K4-W2 S4 zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand “Interessenausgleich und Sozialplan” bei der Arbeitgeberin zu bestellen und
2. die Zahl der zu benennenden Beisitzer für jede Seite auf 3 festzusetzen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
hilfsweise die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils 2 festzusetzen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist nach wie vor der Auffassung, das Arbeitsgericht habe zu Recht die Einrichtung einer Einigungsstelle abgelehnt. Die Planung der Arbeitgeberin, den Betrieb in D1 zum 31.10.2010 zu schließen, sei durch Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 abgeschlossen gewesen. Hintergrund der beabsichtigten Schließung sei gewesen, dass der Betrieb in D1 durchgängig negative Monatsergebnisse erzielt habe. Die Arbeitgeberin habe auch begonnen, den Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 umgehend umzusetzen. In ihre Überlegungen zur zeitnahen Schließung des Betriebes zum 31.10.2010 sei auch die Anzahl der verbliebenden Aufträge sowie deren Umfang einbezogen worden. Neue Aufträge habe die Arbeitgeberin nicht mehr angenommen. Unter Berücksichtigung der Auftragslage und der vorhandenen Arbeitskräfte habe es bereits ab August 2010 keinen Beschäftigungsbedarf mehr für die Arbeitnehmer in der Produktion gegeben.
Dass der Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 kein genaues Schließungsdatum enthalte, sei unerheblich. Gegenüber den Mitarbeitern habe der Geschäftsführer der Arbeitgeberin auf der Mitarbeiterversammlung vom 30.06.2010 den 31.10.2010 auch nicht als voraussichtlichen Schließungstermin genannt, sondern in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass mit dem 31.10.2010 der Betrieb endgültig geschlossen werde. Darauf sei auch in der Pressemitteilung vom 30.06.2010 hingewiesen worden.
Der Betriebsrat könne der Arbeitgeberin auch keine treuwidrige Vorgehensweise vorwerfen. Die Arbeitgeberin sei nicht verpflichtet gewesen, mit der geplanten Betriebsschließung so lange zu warten, bis im Betrieb ein funktionsfähiger Betriebsrat vorhanden gewesen sei.
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
Die nach § 98 Abs. 2 ArbGG statthafte, in gehöriger Form und Frist eingelegte und begründete Beschwerde des Betriebsrates ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die zulässigen Anträge des Betriebsrates als unbegründet abgewiesen.
I.
Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lässt (vgl. statt aller: LAG Hamm 07.07.2003 – 10 TaBV 92/03 – NZA-RR 2003, 637; LAG Köln 14.01.2004 – 8 TaBV 72/03 – AP BetrVG 1972 § 106 Nr. 18; LAG Hamm 09.08.2004 – 10 TaBV 81/04 – AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 = LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 43 m.w.N.).
II.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht zu Recht die Anträge des Betriebsrates abgewiesen. Die begehrte Einigungsstelle ist für den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes im Betrieb der Arbeitgeberin offensichtlich unzuständig.
1. Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 111 BetrVG ist sowohl hinsichtlich eines Interessenausgleichs als auch eines Sozialplanes eine vom Arbeitgeber beabsichtigte, noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Dementsprechend ist in § 111 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 und Satz 1, § 112 a Abs. 1 Satz 1 BetrVG stets von der “geplanten” Betriebsänderung die Rede. Anknüpfungspunkt für etwaige Beteiligungsrechte des Betriebsrates ist die Planung des Arbeitgebers. Die Mitbestimmung soll grundsätzlich stattfinden, bevor die Betriebsänderung durchgeführt ist. Ein Interessenausgleich kann zeitlich nur vor der Durchführung der Maßnahme verhandelt werden. Das Recht des Betriebsrates auf Unterrichtung sowie auf Verhandlungen über das Ob, Wann und Wie der Maßnahme kann nicht erst nach deren teilweisen Durchführung begründet werden. Maßgeblich für das Entstehen der Mitbestimmungsrechte nach § 111 BetrVG wie auch für dessen Zeitpunkt ist damit die unternehmerische Konzeption. Nach Durchführung einer Betriebsänderung kann der Betriebsrat seinen Verhandlungsanspruch insbesondere im Hinblick auf einen Interessenausgleich nicht mehr durchsetzen. Interessenausgleichsverhandlungen können auch in einer Einigungsstelle nicht mehr nachgeholt werden, wenn der Arbeitgeber die Betriebsänderung bereits endgültig beschlossen und mit der Durchführung begonnen hat (BAG 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – AP BetrVG 1972 § 112 a Nr. 12; LAG Nürnberg, 21.08.2001 – 6 TaBV 24/01 – NZA RR 2002, 138; LAG Berlin, 23.01.2003 – 18 TaBV 2141/02 – NZA-RR 2003, 477).
Hieraus folgt, dass Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach den §§ 111 ff. BetrVG nur gegeben sind, wenn im Betrieb ein Betriebsrat schon in dem Zeitpunkt besteht, in dem der Arbeitgeber sich entschließt, eine Betriebsänderung durchzuführen. Wird ein bisher betriebsratsloser Betrieb stillgelegt, so kann ein erst während der Durchführung der Betriebsstilllegung gewählter Betriebsrat die Aufstellung eines Interessenausgleichs und eines Sozialplanes nicht mehr verlangen. Das gilt auch dann, wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt seines Stilllegungsentschlusses bereits bekannt war, dass im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll. Wird ein Betriebsrat erst zu einem Zeitpunkt gewählt, zu dem die Planung über die Betriebsänderung bereits abgeschlossen und mit der Durchführung der Betriebsstilllegung begonnen worden ist, bleibt für den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat kein Raum mehr.
Das gilt aber auch für den Anspruch des Betriebsrates auf Abschluss eines Sozialplanes, obwohl ein Sozialplan grundsätzlich auch noch nach Durchführung und Abschluss einer Betriebsänderung vereinbart werden kann. Zweck des erzwingbaren Sozialplanes ist es, die unternehmerische Willensbildung über die Betriebsänderung so zu steuern, dass diese freie unternehmerische Entscheidung die sozialen Belange der Belegschaft angemessen berücksichtigt, weil andernfalls mit entsprechenden finanziellen Belastungen für das Unternehmen infolge des erzwingbaren Sozialplanes zu rechnen ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist auch ein Sozialplan grundsätzlich vor der Durchführung der Betriebsänderung mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren. Auch hat der Unternehmer ein berechtigtes und schützenwertes Interesse daran zu wissen, welche finanziellen Auswirkungen ein Sozialplan mit sich bringt, bevor er sich endgültig für eine Betriebsänderung entscheidet und Maßnahmen zu ihrer Durchführung ergreift. Besteht bis zum Abschluss dieses Planungsstadiums und noch bei Beginn der Durchführung der Betriebsänderung kein Betriebsrat, kann der Unternehmer etwaige finanzielle Belastungen durch einen Sozialplan nicht einkalkulieren. Die Kalkulationsgrundlagen seiner Entscheidungen würden wesentlich verändert, wenn ein erst während der Durchführung der Betriebsänderung errichteter Betriebsrat noch die Aufstellung eines Sozialplanes verlangen kann (BAG 20.04.1982 – 1 ABR 3/80 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 15; BAG 28.10.1992 – 10 ABR 75/91 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 63; BAG 18.11.2003 – 1 AZR 30/03 – AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 162; GK/Oetker, BetrVG, 9. Aufl., § 111 Rn. 34 f.; Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 25. Aufl., § 111 Rn. 34; Richardi/Annu, BetrVG, 11. Aufl., § 111 Rn. 27; ErK/Kania, 10. Aufl., § 111 BetrVG Rn. 6; Wlotzke/Preis/Kreft/Bender, BetrVG, 4. Aufl., § 111 Rn. 5; weitergehend: Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 11. Aufl., § 111 Rn. 125; Kraushaar, AuR 2000, 245, 247 m.w.N.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der erst am 23.07.2010 gewählte Betriebsrat Verhandlungen mit der Arbeitgeberin über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan nicht mehr verlangen. Selbst wenn zugunsten des Betriebsrates nicht der Zeitpunkt seiner Wahl am 23.07.2010, sondern die Bekanntmachung vom 07.07.2010 als entscheidender Zeitpunkt zugrunde gelegt wird, waren zu diesem Zeitpunkt die Planungen der Arbeitgeberin über die beabsichtigte Betriebsschließung zum 31.10.2010 bereits abgeschlossen. Darüber hinaus hatte die Arbeitgeberin zu diesem Zeitpunkt – 07.07.2010 – bereits mit der Durchführung der geplanten Betriebsschließung begonnen.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der abschließende Gesellschafterbeschluss über die Betriebsschließung zum 31.10.2010 am 29.06.2010 getroffen worden ist. Dass im Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 der endgültige Zeitpunkt der Betriebsschließung – 31.10.2010 – datumsmäßig nicht festgehalten ist, ist unerheblich. Bei dem Gesellschafterbeschluss vom 29.06.2010 handelt es sich nämlich um einen gesellschaftsrechtlichen Vorgang, der das genaue Datum der Betriebsschließung nicht festzuhalten braucht. Demgegenüber ist der Belegschaft auf der Mitarbeiterversammlung vom 30.06.2010 das Datum der beabsichtigten Betriebsschließung am 31.10.2010 genannt worden. Die Arbeitgeberin hat ferner am 30.06.2010 auch in einer Pressemitteilung ausdrücklich bekannt gegeben, dass die Produktionsstätte in D1 zu Ende Oktober 2010 geschlossen werde.
Darüber hinaus hat die Arbeitgeberin bereits am 29.06.2010 beim zuständigen Integrationsamt das Verfahren wegen der Kündigungen der schwerbehinderten Arbeitnehmer eingeleitet und am 30.06.2010 bei der Bundesagentur für Arbeit die geplante Massenentlassung angezeigt. Unstreitig sind darüber hinaus bereits am 30.06.2010 die Kunden der Arbeitgeberin von der endgültigen Betriebsschließung zum 31.10.2010 informiert worden.
Hiernach konnte auch die Beschwerdekammer nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Planung der Arbeitgeberin hinsichtlich der zum 31.10.2010 beabsichtigten Schließung abgeschlossen gewesen ist und sie mit der Umsetzung und Durchführung der beabsichtigten Betriebsschließung vor dem 07.07.2010 begonnen hat. Dass die Kündigungen der Arbeitnehmer erst am 14.07.2010 ausgesprochen worden sind, ist insoweit unerheblich, weil die Arbeitgeberin mit der Durchführung der geplanten Betriebsänderung bereits vor dem 07.07.2010 begonnen hat.
3. Die offensichtliche Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle kann auch nicht deshalb angezweifelt werden, weil es zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt es bei der Wahl eines Betriebsrates während der Planungs- und/oder Durchführung einer Betriebsänderung ankommt, unterschiedliche Rechtsauffassungen bestehen (vgl.: LAG Saarland 14.05.2003 – 2 TaBV 7/03 – NZA-RR 2003, 639; s. auch die obigen Nachweise unter II.1.). Zu der im vorliegenden Fall streitigen Rechtsfrage liegt nämlich eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, auf die bereits verwiesen worden ist. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsauffassung auch noch nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Saarland vom 14.05.2003 durch Urteil vom 18.11.2003 (aaO.) bestätigt. Von einer ungeklärten Rechtsfrage kann danach nicht mehr ausgegangen werden.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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