LAG Hamm, Urteil vom 05.10.2010 – 19 Sa 803/10

September 29, 2020

LAG Hamm, Urteil vom 05.10.2010 – 19 Sa 803/10

Erlässt das Arbeitsgericht anstelle eines 1. Versäumnisurteils ein 2. Versäumnisurteil, so liegt ein in der 2. Instanz nicht korrigierbarer Verfahrensmangel vor, der eine Zurückverweisung der Sache an das Arbeitsgericht rechtfertigt.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.05.2010 – 8 Ca 4898/09 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung – auch über die Kosten der Berufung – an das Arbeitsgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche aus einem beendeten Rechtsverhältnis, aufgrund dessen die Beklagte für die Klägerin Versicherungen vermittelt hat.
Nachdem die Klägerin unter dem 16.01.2008 den Erlass eines Mahnbescheides beantragt und das Verfahren nach Einlegung eines Widerspruchs durch die Beklagte an das Landgericht Dortmund abgegeben worden war, erließ das Landgericht Dortmund gegen die im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17.03.2009 säumige Beklagte ein klagestattgebendes Versäumnisurteil über 9.133,80 Euro; nebst Zinsen. Auf den fristgerecht eingegangen Einspruch der Beklagten vom 08.05.2009 erklärte sich das Landgericht Dortmund mit Beschluss vom 10.09.2009 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Dortmund. Daraufhin führte das Arbeitsgericht Dortmund am 01.02.2010 einen Termin zur mündlichen Verhandlung durch, an dem beide Parteien teilnahmen. Ausweislich des Protokolls fand eine Güteverhandlung statt, bei der nach Unterbrechung und anschließender Wiederaufnahme der Verhandlung festgestellt wurde, dass eine gütliche Einigung nicht möglich sei. Sodann beraumte das Arbeitsgericht Dortmund durch Beschluss vom 01.02.2010 Kammertermin auf den 05.05.2010 an. Mit Fax vom 04.05.2010, das am 04.05.2010 beim Arbeitsgericht Dortmund einging, übersandte die Beklagte eine als Folgebescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, nach der sie seit dem 04.05.2010 bis voraussichtlich zum 10.05.2010 arbeitsunfähig erkrankt sein werde. Des Weiteren fand sich auf dem Fax folgender handschriftlicher Zusatz:
“Für Rückfragen steht in o.a. in puncto Verhandlungsfähigkeit zur Verfügung.”
Im Termin vom 05.05.2010 erschien für die anwaltlich vertretene Beklagte niemand. Auf Antrag der Klägerin verkündete das Arbeitsgericht sodann ein zweites Versäumnisurteil, wonach der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 17.03.2009 verworfen wurde.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 21.05.2010 zugestellte zweite Versäumnisurteil am 04.06.2010 Berufung eingelegt und diese begründet.
Die Beklagte macht geltend, am 05.05.2010 hätte kein zweites Versäumnisurteil verkündet werden dürfen, weil das Landgericht Dortmund als unzuständiges Gericht kein Versäumnisurteil hätte erlassen dürfen. Das Arbeitsgericht Dortmund hätte allenfalls ein erstes Versäumnisurteil verkünden dürfen. Im Übrigen habe keine schuldhafte Säumnis vorgelegen, weil die Beklagte dem Gericht eine akute Erkrankung mitgeteilt habe, weswegen das Arbeitsgericht den Termin hätte verlegen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.05.2010 – 8 Ca 4898/09 – aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Dortmund zurückzuverweisen,
hilfsweise das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 05.05.2010 – 8 Ca 4898/09 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Übrigen wird ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft und insgesamt form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 64 Abs. 2 b), 66 Abs. 1, 64 Abs. 4 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
I.
1. Die Berufung ist insbesondere statthaft.
a) Dies folgt aus dem sog. Meistbegünstigungsgrundsatz. Nach diesem Grundsatz kann der Betroffene dann, wenn statt eines weiteren ersten Versäumnisurteils ein zweites Versäumnisurteil verkündet worden ist, das Versäumnisurteil mit dem Einspruch und/oder der Berufung angreifen (BGH, 19.12.1996 – IX ZB 108/96 , NJW 1997, 1448 m. w. N.; Ball in Musielak, Kommentar zur ZPO, 7. Aufl. 2009, Vorbemerkung, Rn. 32).
Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil das Arbeitsgericht kein zweites Versäumnisurteil, sondern nur ein das vorhergegangene Versäumnisurteil aufrechterhaltendes weiteres (eben wieder erstes) Versäumnisurteil hätte erlassen dürfen. Denn nach dem ersten Versäumnisurteil vom 17.03.2009 haben die Parteien im Gütetermin vom 01.02.2010 mündlich verhandelt. Somit ist die Beklagte nämlich nicht, wie es § 345 ZPO voraussetzt, im Einspruchstermin oder in dem Termin, auf den dieser ohne Verhandlung zur Hauptsache nach §§ 227, 335, 337 ZPO verlegt wurde, nicht erschienen, sondern in einem späteren, zur Fortsetzung der Verhandlung bestimmten Termin, nachdem nach Erlass des ersten Versäumnisurteils verhandelt worden war. Eine mündliche Verhandlung im Gütetermin liegt nämlich vor, wenn die Parteien Erklärungen zur Sache abgeben (§ 54 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; vgl. BAG, 26.06.2008 – 6 AZR 478/07, NZA 2008, 1204; Germelmann in Germelmann/Matthes/Müller-Glöge/Prütting/Schlewing, Kommentar zum ArbGG, 7. Aufl. 2009, § 54 ArbGG Rn. 50; Zöller/Herget, Kommentar zur ZPO, 28. Aufl. 2010, § 345 ZPO Rn. 2). Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil nach dem Protokoll des Termins vom 01.02.2010 eine Güteverhandlung statt fand, bei der festgestellt wurde, dass eine gütliche Einigung nicht möglich ist. Der Umstand, dass die Beklagte in der Sitzung vom 01.02.2010 nicht erschienen ist, macht ihr Verhandeln in der vorangegangenen Sitzung nicht gegenstandslos.
Gegen die korrekte Entscheidung hätte für die Beklagte wieder der Einspruch stattgefunden, gegen die tatsächlich erlassene Entscheidung nach § 345 ZPO hingegen nicht. Vielmehr unterliegt ein Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, der Berufung (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Beklagte hat mit ihrer Berufung mithin das an sich statthafte Rechtsmittel gewählt.
b) Ihre Berufung ist auch nicht deshalb unstatthaft, weil sie nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur darauf gestützt werden könnte, dass im Termin vom 05.05.2010 ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Auf das Vorbringen der Beklagten hierzu kommt es nicht an. Denn der – ebenfalls statthafte – Einspruch hätte der Beschränkung des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht unterlegen. Zwar entbindet auch der Meistbegünstigungsgrundsatz nicht von der Einhaltung der für ein Rechtsmittel vorgesehen Formen und Fristen. Geht es hingegen – wie hier – um eine Voraussetzung der Statthaftigkeit des Rechtsmittels überhaupt, würde es keine “Meist”-Begünstigung mehr darstellen, wenn bereits der Zugang zu einer gerichtlichen Kontrollinstanz durch Voraussetzungen behindert würde, mit denen bei Ergreifen des wahlweise statthaften Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs nicht zu rechnen wäre (LAG Sachsen, 24.11.2004 – 2 Sa 263/04, LAGE § 68 ArbGG 1979 Nr. 8; für den umgekehrten Fall – Erlass eines irrig als weiteres erstes Versäumnisurteil bezeichneten zweiten Versäumnisurteils – BGH, 19.12.1996, a.a.O.). Hinzu kommt, dass das Berufungsgericht nach § 522 ZPO von Amts wegen die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu überprüfen hat. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die angefochtene Entscheidung tatsächlich ein zweites Versäumnisurteil ist, gegen das die Berufung nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO zulässig ist. Genau dies ist hier jedoch nicht der Fall.
2. Die Berufung der Beklagten ist mit dem Hauptantrag begründet.
Der Rechtsstreit war gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.
Zwar ist im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach § 68 ArbGG eine Zurückverweisung wegen eines Mangels im Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Verfahren unter einem Mangel leidet, der in der Berufungsinstanz nicht korrigiert werden kann (BAG, 26.06.2008, a.a.O.; LAG Sachsen, 24.11.2004, a.a.O.; LAG Berlin, 15.08.2003 – 2 Sa 917/03, MDR 2003, 1437; Gemeinschaftskommentar zum ArbGG/Vossen, 68 April 2010, § 68 ArbGG Rn. 12; Germelmann, a.a.O., § 68 ArbGG Rn. 4).
Ein solcher Verfahrensfehler liegt hier vor. Das angefochtene Urteil stellt ein Versäumnisurteil dar und die Beklagte hat die Zurückverweisung beantragt. Außerdem ist eine weitere Verhandlung der Sache vor dem Arbeitsgericht erforderlich, weil das Arbeitsgericht bislang nicht selbst in der Sache entschieden hat. Wäre zu Recht ein zweites Versäumnisurteil erlassen worden, hätte das Landesarbeitsgericht aufgrund des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs nach § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO keine Sachprüfung vornehmen dürfen. Es kann demgemäß auch jetzt nicht die Verhandlung der Sache an sich ziehen. Des Weiteren kann das Landesarbeitsgericht nicht anstelle des Arbeitsgerichts ein erstes Versäumnisurteil verkünden.
Für das weitere Verfahren bietet es sich an, entsprechend § 336 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verfahren, d. h. Termin zu bestimmen und die nicht erschienene Partei zu dem neuen Termin nicht zu laden (LAG Sachsen, a.a.O.). Dann kann erneut Versäumnisurteil beantragt und die nunmehr korrekte Entscheidung erlassen werden (vgl. aber auch Zöller/Herget, § 336 ZPO Rn. 3). Danach mag die Beklagte darüber befinden, ob sie dagegen den Einspruch einlegt.
II.
Eine Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens kann derzeit nicht erfolgen, weil der Umfang des beiderseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens der Parteien noch nicht abgesehen werden kann. Sie war daher dem Arbeitsgericht im Rahmen seiner neuerlichen Entscheidung vorzubehalten.
Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht erhoben. Nach dieser Regelung dürfen Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache durch das Arbeitsgericht nicht entstanden wären, nicht in Ansatz gebracht werden. Richtig behandelt worden wäre die Sache durch das Unterlassen der Verkündung eines als zweitem Versäumnisurteil bezeichneten Urteils.
III.
Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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