LAG Hessen, 02.10.2015 – 14 Sa 1538/14 Einzelfall einer in beiden Instanzen erfolgreichen Klage auf die Zahlung einer Abfindung nach § 1 a KSchG

April 21, 2019

LAG Hessen, 02.10.2015 – 14 Sa 1538/14
Einzelfall einer in beiden Instanzen erfolgreichen Klage auf die Zahlung einer Abfindung nach § 1 a KSchG.

Der Arbeitgeber, eine evangelische Kirchengemeinde, hatte sich darauf berufen, die Forderung der Abfindung sei treuwidrig, weil die Klägerin eine Anschlussbeschäftigung im Bereich der EKHN gefunden hatte.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 2. Oktober 2014 – 7 Ca 66/14 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich noch um die Zahlung einer Abfindung.

Die Klägerin war bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bereich der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (künftig: EKHN), aufgrund schriftlichen Dienstvertrags vom 30. Juni 1997 ab dem 1. Juli 1997 bis zum 31. Januar 2014 als Leiterin einer Kindertagesstätte beschäftigt.

Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat der Klage stattgegeben. Es hat einen Anspruch der Klägerin nach § 1a KSchG als gegeben angesehen und angenommen, die Voraussetzungen des § 1a KSchG lägen vor. Die Beklagte sei, da die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die A gGmbH nach § 613a BGB widersprochen habe, passiv legitimiert. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Abfindungsverlangen der Klägerin auch nicht treuwidrig. Es liege kein widersprüchliches Verhalten der Klägerin vor. Diese habe weder gegen die Beklagte noch gegen deren Rechtsnachfolger einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht oder sich auf die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung berufen und insofern auch kein begründetes Vertrauen der Beklagten enttäuscht. Treuwidriges Verhalten folge auch nicht daraus, dass die Klägerin die Abfindung fordere, obgleich sie übergangslos ein neues Arbeitsverhältnis mit der Evangelischen Kirchengemeinde B eingegangen sei, die ebenfalls zur EKHN gehört. Arbeitgeber der Klägerin sei gerade nicht die EKHN, sondern die Beklagte, die ebenso wie die neue Arbeitgeberin der Klägerin, die Evangelische Kirchengemeinde B, als Körperschaft des öffentlichen Rechts ein eigenständiger Rechtsträger sei. Wenn die Beklagte die Vorteile der rechtlichen Selbstständigkeit in Anspruch nehme, könne sie nicht deren Nachteile als treuwidrig ansehen.

Auch aus der SichO.EKHN. ergebe sich nicht, dass das Abfindungsverlangen der Klägerin treuwidrig sei. Die Beklagte habe sich entgegen ihrer Behauptung nämlich gerade nicht an die dort niedergelegten Regeln gehalten, sondern der Klägerin gekündigt, ohne zuerst eine Beschäftigungsmöglichkeit bei einem anderen kirchlichen Rechtsträger zu prüfen. Im Übrigen habe die Klägerin auch insofern einen Verlust erlitten, als sie bei der Kirchengemeinde B zunächst nur einen befristeten Vertrag erhalten habe und ihr daher die Vorbeschäftigungszeiten bei der Beklagten entgegen § 6 SichO.EKHN gerade nicht angerechnet worden seien.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. November 2014 zugestellte Urteil am 14. November 2014 Berufung eingelegt und diese mit am 11. Dezember 2014 bei Gericht eingegangener Berufungsbegründungsschrift begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die Zahlung einer Abfindung nach § 8 Abs. 3 SichO.EKHN ausgeschlossen sei, weil die Klägerin unstreitig bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten bei einem anderen Anstellungsträger der EKHN beschäftigt gewesen sei. Durch § 8 SichO.EKHN solle gerade verhindert werden, dass ein Arbeitnehmer doppelt profitiere; zum einen durch die Zahlung einer Abfindung und zum andern durch einen neuen Arbeitsplatz bei der EKHN. Sie selbst habe auch ihrer Pflicht nach der SichO.EKHN genügt und der Klägerin mehrere Arbeitsplätze im Bereich der EKHN angeboten. Die Klägerin habe davon profitiert, dass sie sie über offene Stellen im Bereich der EKHN informiert habe. Insoweit stellte die Beklagte im Berufungstermin klar, dass die Bewerbung der Klägerin auf die Stelle als Leiterin der Kindertagesstätte bei der Evangelische Kirchengemeinde B nicht darauf beruhte, dass ihr diese Stelle durch die Beklagte nachgewiesen wurde. Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass der erste von der Klägerin mit der Evangelischen Kirchengemeinde B abgeschlossene Arbeitsvertrag auf ein Jahr befristet gewesen sei, stehe dem Entfallen der Abfindung nicht entgegen. Dies folge aus § 8 Abs. 4 SichO.EKHN wonach § 8 Abs. 3 SichO.EKHN nur dann nicht eingreife, wenn das Arbeitsverhältnis mit dem anderen kirchlichen Rechtsträger innerhalb der ersten 12 Monate gekündigt worden sei, was hier gerade nicht zutreffe. Entgegen den Ausführungen des Urteils sei der Klägerin die Vorbeschäftigungszeit bei ihr auch im Rahmen ihres neuen Arbeitsverhältnisses angerechnet worden. Dass die Klägerin die Klagefrist des § 4 KSchG verstreichen ließ, hält die Beklagte für unerheblich.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 2. Oktober 2014 – 7 Ca 66/14 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Klägerin verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung. Sie ist der Ansicht, § 8 Abs. 3 SichO.EKHN sei auf ihren Abfindungsanspruch nicht anwendbar, weil es sich nicht um einen Anspruch handele, der auf der SichO.EKHN beruhe, sondern um einen Anspruch nach § 1a KSchG. Es liege auch keine Treuwidrigkeit vor, zumal die von ihr neu angetretene Stelle bei der Evangelischen Kirchengemeinde B gerade nicht – zuletzt unstreitig – unmittelbar auf der Vermittlung durch die Beklagte beruht habe.

Wegen des weiteren beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2015 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, §§ 8 Abs. 2 ArbGG, 511 Abs. 1 ZPO, 64 Abs. 2b) ArbGG, und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 ZPO, und damit insgesamt zulässig.

II.

Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage mit zutreffender Begründung, der die Kammer gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich vollumfänglich folgt, stattgegeben. Die Angriffe der Beklagten führen zu keiner abweichenden Beurteilung und geben lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:

1.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht § 8 Abs. 3 SichO.EKHN dem Klageanspruch nicht entgegen. Zwar findet die SichO.EKHN auf das Arbeitsverhältnis der Parteien und auf dessen Beendigung kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Gegenstand des § 8 Abs. 3 SichO.EKHN ist jedoch die in § 8 Abs. 1, 2 SichO.EKHN angesprochene Abfindung. Insofern kann offenbleiben, ob § 8 Abs. 1, 2 SichO.EKHN als Sollvorschrift überhaupt eine Anspruchsgrundlage auf Abfindungszahlung für gekündigte Arbeitnehmer regelt oder sich lediglich als Empfehlung an die kirchlichen Anstellungsträger richtet und ob § 8 Abs. 3 SichO.EKHN das Entfallen einer bereits vereinbarten Abfindung oder nur die Frage regelt, ob eine solche rechtsgeschäftlich anzubieten ist, wofür viel spricht. Die Klägerin beansprucht jedenfalls keine Abfindung nach § 8 Abs. 1, 2 SichO.EKHN, die sich im Übrigen nicht auf 8,5 Bruttomonatsgehälter, sondern bei Alter und Beschäftigungsdauer der Klägerin auf 13 Bruttomonatsgehälter belaufen hätte, sondern eine Abfindung nach § 1a KSchG. Auf diese ist § 8 Abs. 3 SichO.EKHN nicht anwendbar.

2.

Die Voraussetzungen des § 1a KSchG liegen vor. Gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts wendet sich die Berufung nicht. Soweit die Beklagte argumentiert, mit der Kirchengemeinde B habe bereits ein Arbeitsverhältnis bestanden, bevor die Kündigungsfrist betreffend das Arbeitsverhältnis der Parteien abgelaufen war, steht dies der Entstehung des Abfindungsanspruchs der Klägerin nach § 1a KSchG nicht entgegen. Insoweit ist zwar erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund derjenigen Kündigung endet, die der Arbeitgeber mit dem Hinweis nach § 1a KSchG verbunden hat. Dies ist hier jedoch der Fall; der Abschluss des Arbeitsvertrags zwischen der Klägerin und der Kirchengemeinde B ließ den Bestand des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses unberührt und auch der Betriebsübergang auf die A gGmbH führte nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Dass dem Vertragsschluss zwischen der Klägerin und der Kirchengemeinde B kein Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien vorausging, sondern die Klägerin sich schlicht entsprechend ihrer Schadensminderungspflicht nach § 615 Satz 2 BGB um einen anderweitigen Erwerb bemühte, ist zwischen den Parteien im Berufungstermin auch ausdrücklich klargestellt worden.

3.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Anspruch auch nicht § 242 BGB entgegen. Insbesondere profitiert die Klägerin nicht “doppelt” weil sie sowohl die Abfindung als auch übergangslos einen Arbeitsplatz bei einem Rechtsträger der EKHN erhielt. Abgesehen davon, dass die Klägerin wie zuletzt unstreitig, das Arbeitsverhältnis mit der Kirchengemeinde B ohne jedes Zutun der Beklagten einging, hat die Beklagte sich entschlossen, der Klägerin zu kündigen und diese Kündigung mit einem Hinweis nach § 1a KSchG zu verbinden, anstatt sich im Vorfeld der Kündigung nach den Regelungen der SichO.EKHN um deren Vermeidung zu bemühen. Sie hat insoweit das Risiko eines Kündigungsschutzprozesses vermieden, nachdem die Klägerin auf die Klageerhebung verzichtet hat und damit ihr mit dem Hinweis auf § 1a KSchG verfolgtes Ziel erreicht. Es stellt keinen Verstoß gegen § 242 BGB dar, wenn es bei den finanziellen Aufwendungen verbleibt, zu denen die Beklagte bereit war, um ihre Kündigung keiner gerichtlichen Prüfung unterziehen lassen zu müssen, nur weil sich das Risiko einer Arbeitslosigkeit, dass die Klägerin durch den Klageverzicht eingegangen ist, aufgrund von deren eigenem Bemühen um ein Anschlussarbeitsverhältnis nicht verwirklich hat.

III.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

IV.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision für eine der Parteien rechtfertigen könnte, besteht nicht.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

a very tall building with a moon in the sky

Ist Mobbing strafbar?

März 13, 2024
Von RA und Notar Krau:Mobbing kann je nach den Umständen strafbar sein, aber nicht immer.Es gibt kein spezifisches Gesetz, das Mobbing al…
filling cans with freshly brewed beers

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21

Februar 4, 2024
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21 – Urteil vom 15.11.2023 – Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit…
man holding orange electric grass cutter on lawn

Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22

Februar 4, 2024
Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22 – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes …