LAG Hessen, 04.09.2014 – 11 Sa 859/13 Streit über Wirksamkeit einer Versetzung und unmittelbarer betriebsbedingten Kündigung, Weiterbeschäftigungsanspruch und Streit über Gewährung von Resturlaub

April 30, 2019

LAG Hessen, 04.09.2014 – 11 Sa 859/13
Streit über Wirksamkeit einer Versetzung und unmittelbarer betriebsbedingten Kündigung, Weiterbeschäftigungsanspruch und Streit über Gewährung von Resturlaub
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24.04.2013, 7 Ca 6045/12, abgeändert wie folgt:

Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 23.08.2012 ausgesprochene Versetzung des Klägers als „Securities Processing Analyst 2“ in dem Bereich „SFS Wertpapierabwicklung rechtsunwirksam ist.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.08.2012 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen gemäß den arbeitsvertraglichen Bedingungen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 38 %, die Beklagte 62 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
1

Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich über die Wirksamkeit einer Versetzung und ordentlichen Kündigung jeweils vom 23.08.2012, die Weiterbeschäftigung des Klägers sowie dessen Urlaubsansprüche für die Kalenderjahre 2012 und 2013.
2

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bank- und Finanzwirtschaft.
3

Der am 04.09.19xx geborene Kläger ist Volljurist und seit August 2000 aufgrund Arbeitsvertrags vom 29.06.2000 (als Fotokopie zur Akte gereicht am 12.10.2012, Blatt 37 ff), zuletzt mit einer Grundvergütung von 4.923.50 € brutto und einem durchschnittlichen Gesamtbruttomonatsgehalt von 5.155,07 € bei der Beklagten in verschiedenen Bereichen tätig.
4

Seit einer auf Fehlverhalten des Klägers gestützten Kündigung der Beklagten im November 2006 haben die Parteien bereits mehrere Rechtsstreite (Kündigungsschutzverfahren, Prozesse wegen Entfernung verschiedener Abmahnungen, Klagen auf Gewährung von Vergütung und Resturlaubstagen , Eilverfahren wegen einstweiliger Weiterbeschäftigung) geführt. Seit Juli 2007 wurde der Kläger – nach zwischenzeitlicher Freistellung – wieder bei der Beklagten beschäftigt.
5

Seit dem Frühjahr 2009 erhielt der Kläger drei Abmahnungen wegen Fehlverhaltens gegenüber Vorgesetzten; mit Schreiben vom 08.02.2010 erklärte die Beklagte dem Kläger die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30.06.2010. Durch Teilvergleich regelten die Parteien, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung beendet sei. Mit Schlussurteil vom 13.10.2011 hat das Hessische Landesarbeitsgericht (11 Sa 1755/10) – rechtskräftig seit Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 19.07.2012, 2 AZN 802/12, der Beklagten zugestellt am 06.08.2012 – entschieden, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung nicht beendet worden ist.
6

Nicht obsiegt hat der Kläger hingegen mit seiner Klage gegen eine der drei Abmahnungen sowie im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Weiterbeschäftigung. Arbeitsgericht und Hessisches Landesarbeitsgericht (Urteil vom 27.05.2010, 11 SaGa 321/10) haben die (fristlose) Kündigung nicht für offensichtlich unwirksam erachtet. Weiterhin war der Kläger mit Zahlungsanträgen, unter anderem auf Gewährung von Urlaubs- und Freizeitansprüchen aus den Jahren 2010 und 2011 erfolglos (Urteil der Kammer vom 11.07.2013, 11 Sa 507/12, rechtskräftig seit Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde 8 AZN 1024/13 als unzulässig).
7

Mit e-mail vom 08.08.2012 forderte der Klägervertreter die Beklagte auf, den Kläger „nunmehr zu beschäftigen“.
8

Mit Schreiben vom 10.08.2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigen, sofortigen Versetzung des Klägers als „Securities Processing Analyst 2“ an (Anlage B 7, Blatt 107 der Akte), sowie mit Schreiben vom 14.08.2012 zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Klägers und einer Vielzahl weiterer Mitarbeiter im Rahmen einer Restrukturierung unter Sozialplan und Interessenausgleich vom 04.07.2012 an (Anlage B 3, Blatt 27 ff der Akte).
9

Mit zwei Schreiben vom 23.08.2012 hat die Beklagte dem Kläger die „Versetzung gem. § 99 BetrVG“ mitgeteilt und die betriebsbedingte Kündigung zum 31.1.2013 sowie die gleichzeitige unwiderrufliche Freistellung erklärt; wegen der Formulierungen im einzelnen wird auf die Anlagen zur Klageschrift Bezug genommen, Blatt 8 f der Akte).
10

Mit Schreiben vom 24.01.2013 gewährte die Beklagte dem Kläger vorsorglich erneut Urlaub für 2013 und für Resturlaub aus den Vorjahren.
11

Am 03.09.2012 hat der Kläger per EGVP Klage gegen diese Kündigung sowie die Versetzung in den Bereich SFS Wertpapierentwicklung erhoben und zudem Weiterbeschäftigung begehrt sowie beantragt festzustellen, dass die einseitige Urlaubsgewährung für das Kalenderjahr 2012 ab 23.08.2012 und für das Kalenderjahr 2013 ab 01.01.2013 unwirksam sei.
12

Mit Urteil vom 24.04.2013 hat das Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die Versetzung sowie die betriebsbedingte Kündigung rechtswirksam seien, ein allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch daher nicht bestehe, und die Urlaubsansprüche des Klägers durch die Schreiben der Beklagten vom 23.08.2012 und 24.01.2013 erfüllt seien.
13

Von einer wiederholenden Darstellung weiterer Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der Antragsformulierung wird gemäß § 69 II ArbGG abgesehen und auf den ausführlichen Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Blatt 279 ff der Akte) verwiesen; wegen der Begründung der Klageabweisung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
14

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung vom 18.07.2013.
15

Hinsichtlich der für die Zulässigkeit der Rechtsmittel erheblichen Daten sowie die sonstigen wesentlichen Vorgänge der Verhandlung vor der erkennenden Kammer wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24.07.2014 (Blatt 488 der Akte) verwiesen.
16

Der Kläger hält das arbeitsgerichtliche Urteil für fehlerhaft.
17

So ist er unter Aufrechterhaltung seines erstinstanzliches Vorbringens der Auffassung, dass seine Versetzung in die vom Personalabbau betroffene Abteilung SFS Wertpapierabwicklung, dort in den Bereich Securities Processing, der unstreitig gemäß Interessenausgleich und Sozialplan zum 31.12.2012 geschlossen werden sollte, unter Verletzung der arbeitsvertraglichen und gesetzlichen Regelungen erfolgt sei. Der Kläger bestreite, dass dort überhaupt eine Stelle frei gewesen wäre, zumal sie unbestritten nicht entsprechend den betrieblichen Gepflogenheiten ausgeschrieben worden sei. Er meint, dass infolge unwirksamer Versetzung die sich hierauf stützende betriebsbedingte Kündigung vom 23.08.2012 ebenfalls rechtsunwirksam sei, er noch immer in der Abteilung ICU beschäftigt wäre. Insbesondere ist der Kläger weiterhin der Auffassung, die Kündigung scheitere zudem daran, dass er im Rahmen der Sozialauswahl schutzwürdiger als andere Mitarbeiter gewesen sei und angesichts seiner Ausbildung und Fähigkeiten vielfältige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bestanden hätten, zumal es unstreitig im Zeitpunkt der Kündigung mehrere Stellenausschreibungen gegeben habe.
18

Demzufolge bestehe auch der Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozess.
19

Schließlich vertritt der Kläger weiter die Rechtsansicht, weder die im Zusammenhang mit der Kündigung vom 08.02.2010 erklärte Freistellung, noch die Freistellungs- und Anrechnungserklärung mit Schreiben der Beklagten vom 23.08.2012 oder 24.01.2013 hätten seine Urlaubs- und Freistellungsansprüche für die Jahre 2012 und 2013 erfüllen können.
20

Wegen der Einzelheiten seiner Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 30.09.2013 (Blatt 343 ff der Akte) sowie den ergänzenden Schriftsatz vom 18.07.2014 Bezug genommen.
21

Der Berufungskläger und Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main – 7 Ca 6045/12 – vom 24.04.2013 abzuändern, und

1. festzustellen, dass die von der Beklagten mit Schreiben vom 23.08.2012 ausgesprochene Versetzung des Klägers als „Securities Processing Analyst 2“ in dem Bereich „SFS Wertpapierabwicklung“ rechtsunwirksam ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.08.2012 aufgelöst wurde;

3.a. die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag

zu Ziffer 2 zu verurteilen, den Kläger als Reconciliation Analyst 2 / Spezialist in der Abteilung IS / ICU zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss in der Hauptsache gemäß den arbeitsvertraglichen Bedingungen vorläufig weiter zu beschäftigen;

3.b. hilfsweise, falls dem Antrag zu 3.a. nicht gefolgt werden kann, die Beklagte für den Fall des Obliegens mit dem Antrag zu Ziffer 2 zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss in der Hauptsache gemäß den arbeitsvertraglichen Bedingungen vorläufig weiter zu beschäftigen;

4.a. festzustellen, dass die einseitige Urlaubsgewährung ab 23. August 2012 und ab 01. Januar 2013 durch die Beklagte rechtsunwirksam ist und, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Kalenderjahre 2012 und 2013 jeweils dreißig Erholungsurlaub zu gewähren;

4.b. hilfsweise, falls dem Antrag zu 4.a. nicht gefolgt werden kann, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 33 Tage Erholungsurlaub für die Kalenderjahre 2012 und 2013 durch Zahlung von 7.998,21 € brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzugelten.

22

Die Berufungsbeklagte und Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

23

Sie hält die Entscheidungsgründe für zutreffend und verteidigt das angefochtene Urteil. Insbesondere behauptet die Beklagte weiterhin, die Position eines Securities Processing Analyst 2 sei die einzige Stelle gewesen, auf der sie den Kläger habe beschäftigen können; hierfür habe es einen Headcount gegeben, das heißt das Budget für einen personellen Mehrbedarf; andererseits habe im Bereich ICU, in dem der Kläger zuletzt eingesetzt gewesen sei, für diesen keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestanden, weil sich das Anforderungsprofil an die dort ausgeübten Tätigkeiten in den Jahren seit 2010 wesentlich verändert habe, der Kläger die erforderten speziellen Kenntnisse nicht besitze und mit den Mitarbeitern dieser Abteilung nicht vergleichbar sei.
24

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Versetzung in den Bereich Securities Processing von ihrem Direktionsrecht gedeckt gewesen sei, sie nicht verpflichtet gewesen wäre, den Kläger in eine Abteilung zu versetzen, die nicht von der Restrukturierungsmaßnahme betroffen war, die Sozialauswahl insgesamt fehlerfrei durchgeführt worden sei und der Kläger für die zur Zeit der Kündigung ausgeschriebenen Stellen die erforderlichen Voraussetzungen und Anforderungsprofile nicht erfüllt habe; ferner seien Betriebsratsanhörung und Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erfolgt.
25

Schließlich meint die Beklagte, die (Ersatz-)Urlaubsansprüche des Klägers bereits durch die Freistellungserklärung vom 08.02.2010, jedenfalls aber durch die vom 23.08.2012, spätestens die vom 24.01.2013 erfüllt zu haben.
26

Wegen der Einzelheiten ihrer Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 20.12.2013 Bezug genommen (Blatt 420 ff der Akte).
27

Die nachfolgenden Entscheidungsgründe werden, soweit es geboten ist, auf das Berufungsvorbringen der Parteien im Einzelnen eingehen.
Entscheidungsgründe
28

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft (§§ 64 I, II, 8 II ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 I, 64 VI ArbGG, 519, 520 ZPO).
29

Auch in der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
30

Zu diesem Ergebnis gelangt das Berufungsgericht auf der Grundlage folgender, gemäß § 313 III ZPO zusammengefasster Erwägungen:
31

Die Berufung des Klägers ist hinsichtlich seiner Anträge zu 1., 2. und 3.b. begründet.
32

Sowohl die Versetzung vom 23.08.2012 als auch die ordentliche Kündigung vom selben Tag ist rechtsunwirksam, und der Kläger hat den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
33

Anders als das Arbeitsgericht ist die Berufungskammer der Auffassung, dass die mit Schreiben vom 23.08.2012 ausgesprochene Versetzung des Klägers unter Verletzung des gesetzlichen und arbeitsvertraglichen Weisungsrechts (§§ 106 Satz 1 GewO, 315 Absatz 3 BGB, 2 Arbeitsvertrag) erfolgt ist.
34

Zwar räumt die gesetzliche Grundlage dem Arbeitgeber ein sehr weitgehendes Bestimmungsrecht ein. So kann er gemäß § 106 Satz 1 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind; dies schließt richtigerweise auch einen Wechsel in der Art der Tätigkeit ein (ErfK / Preis, 8. A. 2008, § 106 GewO, RN 2). Da Arbeitsverträge nur eine rahmenmäßig umschriebene Leistungspflicht festlegen können, unterliegt die Zulässigkeit einer konkreten Maßnahme dann der Ausübungskontrolle (Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 11.04.2006 und 13.03.2007, 9 AZR 557/05 und 433/06, beide dokumentiert in juris). Die Unwirksamkeit einer Weisung kann hierbei im Wege der allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 ZPO), wie hier, geltend gemacht werden. Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit der Versetzung beruft, trägt im Prozess die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 106 GewO (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.03.2007, wie zuvor).
35

Vorliegend haben die Parteien in § 2 des Anstellungsvertrags der Beklagten allgemein vorbehalten, einen anderen den Fähigkeiten des Klägers entsprechenden Einsatz anzuordnen, als den zu Vertragsbeginn vorgesehenen. Jedoch muss nach § 106 Satz 1 GewO (früher § 315 BGB) das einseitige Leistungsbestimmungsrecht „nach billigem Ermessen“ ausgeübt werden, was dann der Fall ist, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind (Bundesarbeitsgericht, 11.4.2006, aa0), der Arbeitgeber nicht allein seine Interessen durchzusetzen versucht (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.1992, 1 AZR 418/91, dokumentiert in juris).
36

Diesen Anforderungen des „billigen Ermessens“ wird die Versetzung vom 23.08.2012 nicht gerecht; die Beklagte hat versucht, einseitig ihr Interesse durchzusetzen, ohne ausreichend auf das des Klägers Rücksicht zu nehmen.
37

Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass sich die in der Abteilung ICU zuletzt vom Kläger Anfang 2010 ausgeübte Tätigkeit weiterentwickelt, gar wesentlich geändert hat, auch wenn – vom Kläger unwidersprochen behauptet – die damalige Stellenausschreibung des Klägers im Vergleich mit der des statt seiner dort seit Juni 2010 tätigen Herrn A zeige, dass die seinerzeitige Arbeit (jedenfalls auch) weiterhin anfiel. Gerade wenn aber, wie die Beklagte behauptet, Herr A außerdem für mehrere „besondere Projekte“ zuständig sei, hätte es den beiderseitigen Interessen der Parteien besser entsprochen, den (inzwischen wiederholt) zu Unrecht gekündigten Kläger zunächst – zusätzlich – in seinem letzten Tätigkeitsfeld einzusetzen, ihm dort die Wiedereinarbeitung zu ermöglichen. Jedenfalls aber ist das Interesse des Klägers, nach Jahren der Freistellung nach unwirksamer Entlassung und Unterliegen der Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren 11 Sa 1755/10 (2 AZN 802/12) nunmehr in Erfüllung ihrer Fürsorge- und Beschäftigungspflicht endlich tatsächlich beschäftigt zu werden, außer Acht gelassen worden. Stattdessen hat die Beklagte den Kläger auf eine allenfalls auf dem Papier – als Headcount – bestehende Stelle versetzt, die im Zeitpunkt der Versetzung bereits als im Rahmen der Restrukturierungsmaßnahme wegfallend geplant war; der „personelle Mehrbedarf“, für den ein Headcount zur Verfügung steht, bestand also gerade nicht mehr, was sich nicht zuletzt in der sofortigen Freistellung des Klägers von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung zeigt.
38

Anders als das Arbeitsgericht und die Beklagte hält es die Berufungskammer für unbillig im oben dargestellten Sinn (Willkür ist nicht der Maßstab für die Prüfung), das grundsätzlich bestehende Weisungsrecht hinsichtlich des konkreten Arbeitseinsatzes derart auszuüben, dass der Kläger in einen nicht nur kündigungsgefährdeten Bereich, sondern gemäß Interessenausgleich und Sozialplan bereits wenige Monate später zur endgültigen Auslagerung vorgesehenen Bereich versetzt wurde, obwohl dort offensichtlich kein zusätzlicher Beschäftigungsbedarf bis zum Jahresende 2012 (mehr) bestand, vielmehr nach dem eigenen Sachvortrag in der Klageerwiderung vom 21.12.2012 der Prozess bereits damals weitgehend abgeschlossen sei; allein der für den Fall des personellen Mehrbedarfs theoretisch bestehende Headcount für diese Stelle, die bei wirtschaftlicher Handhabe gerade nicht (mehr) besetzt worden wäre, ändert bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen nichts zugunsten der Beklagten. Nicht zuletzt durch die sofortige Freistellung des Klägers trotz Umsetzung auf die behauptet einzig freie Stelle hat die Beklagte selbst verdeutlicht, dass sie versucht hat, einseitig ihre eigenen Interessen zu verfolgen, nämlich den (bei seinen früheren Vorgesetzten) unliebsamen Kläger nicht tatsächlich beschäftigen zu müssen und ihn zudem sogleich im Rahmen der Restrukturierungsmaßnahme in der Abteilung SFS Wertpapierabwicklung betriebsbedingt kündigen zu können. Die Unredlichkeit dieses Vorgehens wird noch deutlicher, wenn man den unstreitigen Vortrag des Klägers berücksichtigt, wonach er der einzige Mitarbeiter war, der trotz laufender Umstrukturierung unter bestehendem Interessenausgleich und Sozialplan in eine zur kompletten Schließung vorgesehene Abteilung versetzt worden und sodann zeitgleich wegen dieser unternehmerischen Entscheidung gekündigt ist.
39

Nachdem die Versetzung vom 23.08.2012 nicht billigem Ermessen entspricht, ist auch die ebenfalls unter dem 23.08.2012 erklärte ordentliche Kündigung nicht gemäß § 1 Absatz 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der von der Beklagten angeführte Kündigungsgrund, die Stelle des Klägers als Securities Processing Analyst 2 sei infolge Auslagerung der dort ausgeführten Aufgaben vor dem Hintergrund einer Restrukturierungsmaßnahme weggefallen, kann die Kündigung daher nicht begründen. Nur insoweit aber hat die Beklagte im Prozess die Kündigung vom 23.08.2012 versucht zu rechtfertigen.
40

Dasselbe gilt für die Betriebsratsanhörung vom 14.08.2012, die lediglich wegen der bevorstehenden Restrukturierung in den von der Auslagerung betroffenen Bereichen und des insoweit erforderlichen Personalabbaus durchgeführt worden ist.
41

Zu einem anderen Kündigungsgrund würde es daher auch an der gemäß § 102 BetrVG erforderlichen Betriebsratsanhörung fehlen, deren Ordnungsgemäßheit der Kläger bereits mit der Klageschrift vom 03.09.2012 bestritten hat.
42

Der Kläger hat nach den vom Großen Senat aufgestellten Grundsätzen (BAG, Urteil vom 27.02.1985, NJW 1985, 2968 [BAG 27.02.1985 – GS 1/84]) Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung gemäß den arbeitsvertraglichen Bedingungen. Nachdem er auf seine Kündigungsschutzklage vom 03.09.2012 ein obsiegendes (Berufungs-)Urteil erlangt hat, überwiegt nun bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sein Interesse an tatsächlicher Beschäftigung das der Beklagten am Nichteinsatz des Klägers. Für ein ausnahmsweise überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichtbeschäftigung hat die Beklagte keine Umstände vorgetragen. Der Hinweis der Beklagten in der Berufungserwiderung, der Antrag richte sich auf eine unmögliche Leistung, da keine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger existiere, ist unerheblich. Die Beklagte hat nicht dargelegt, warum es ihr als Arbeitgeberin nicht möglich und zumutbar sein sollte, dem zu Unrecht gekündigten Kläger in Erfüllung ihrer Beschäftigungspflicht einen vertragsgemäßen, funktionsfähigen Arbeitsplatz, wenn auch möglicherweise nur in vorübergehender, anderen Mitarbeitern entlastend zur Seite gestellter Position, zu übertragen.
43

Im übrigen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
44

Die Berufungskammer folgt hinsichtlich des Streitpunktes Urlaubsgewährung für die Kalenderjahre 2012 und 2013 den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts gemäß § 69 II ArbGG, stimmt ihnen zu und nimmt vorab auf diese und die Erörterung im Termin vom 24.07.2014 zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen Bezug. Ferner verweist sie auf die Entscheidungsgründe der erkennenden Kammer im rechtskräftigen Urteil vom 11.07.2013 im Rechtsstreit der Parteien 11 Sa 507/12 (dort Seite 13 ff betreffend die Urlaubsjahre 2010 und 2011).
45

Die diesbezügliche Berufungsbegründung gibt keine Veranlassung, das erstinstanzliche Urteil abzuändern, das nachvollziehbar und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts begründet ist und richtiger Weise weitere Ansprüche des Klägers verneint hat, sondern lediglich zu den folgenden ergänzenden Hinweisen. Das gefundene Auslegungsergebnis, dass eventuell noch offene Ansprüche des Klägers auf Gewährung, hilfsweise Abgeltung von restlichem Erholungs- / Ersatzurlaub für die Kalenderjahre 2012 und 2013 jedenfalls durch die Schreiben der Beklagten vom 23.08.2012 und 24.01.2013 erfüllt wären, ist zutreffend und bedarf wegen der ausführlichen Erwägungen des Hessischen Landesarbeitsgerichts im Urteil 11 Sa 507/12 (dort betreffend die Kalenderjahre 2010 und 2011) keiner langen Ausführungen mehr.
46

Klarzustellen ist nur, dass der Urlaubsanspruch des Klägers wegen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses auch im Jahr 2013 voll entstanden war. Jedoch ist bereits durch Schreiben vom 23.08.2012 nicht nur anteiliger Urlaub gewährt worden, sondern sämtlicher „zukünftig entstehende Urlaubsansprüche zusammenhängend jeweils ab Beginn eines Kalenderjahres“. Und spätestens mit ihrem Schreiben vom 24.01.2013 hat die Beklagte erneut vorsorglich und eindeutig sämtliche noch offenen Urlaubsansprüche gewährt, diesmal sogar unter Beachtung der vom Kläger gestellten Anträge. Wieso der Kläger dennoch und trotz rechtskräftigen Urteils der erkennenden Kammer und Verwerfung seiner Nichtzulassungsbeschwerde (8 AZN 1024/13) als unzulässig mangels ausreichender Begründung gemäß § 72 a ArbGG an seiner widersprechenden Rechtsansicht festhält, ist nicht nachvollziehbar.
47

Unbegründet ist die Berufung des Klägers auch, soweit er – erneut – mit seinem Antrag zu 3.a. Weiterbeschäftigung in einer konkret bezeichneten Position in der Abteilung IS/ICU begehrt. Bereits im Berufungsverfahren der Parteien 11 Sa 1755/10 hat die erkennende Kammer in den Entscheidungsgründen dargelegt (dort Seite 22), dass der Kläger keinen Anspruch auf seinen Einsatz auf einer bestimmten Position hat, weil der Arbeitsvertrag vom 29.06./04.07.2000 (dort § 2) umfassende Einsatzmöglichkeiten im Rahmen des Direktionsrechts ermöglicht.
48

Der Beklagten bleibt trotz Unwirksamkeit der Versetzung vom 23.08.2012 unbenommen, dem Kläger – unter ordnungsgemäßer Ausübung ihres Direktionsrechts – eine andere als die zuletzt im Jahr 2009 von ihm ausgeübte Tätigkeit zuzuweisen.
49

Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Der von der Beklagten nachgereichte, aber nicht nachgelassene Schriftsatz vom 12.08.2014 befasst sich im Nachgang zum Termin am 24.07.2014 mit den dort, aber auch bereits in den Schriftsätzen der Parteien erörterten Rechtsfragen. Es besteht keine Veranlassung, die Wiedereröffnung der Verhandlung anzuordnen (§§ 156, 296 a ZPO).
50

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 ZPO. Der Kläger obsiegt gemessen am (Rechtsmittel-) Streitwert von insgesamt 39.388,- € (zusammengesetzt aus acht Gehältern à 4.923,50 €) mit seinen Feststellungsanträgen zu 1. und 2. sowie dem Weiterbeschäftigungsantrag 3.b. (mithin einem Wert von fünf Gehältern), also mit 62,5 %; die Kosten sind entsprechen unter den Parteien zu quoteln.
51

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 II ArbGG liegen nicht vor.

Schlagworte

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