LAG Hessen, 07.05.2015 – 5 TaBV 181/14 Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit bzw. die Verwirkung des Mitbestimmungsrechts.

April 28, 2019

LAG Hessen, 07.05.2015 – 5 TaBV 181/14
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit bzw. die Verwirkung des Mitbestimmungsrechts.
Tenor:

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 2014 – 12 BV 118/14 – wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

A.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie über die zukünftige Unterlassung einer derartigen Maßnahme ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats.

Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Luftfrachtunternehmen mit Sitz in B. Der Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Betriebsrat) repräsentiert die an diesem Standort tätigen Arbeitnehmer.

Der Arbeitnehmer A wurde von der Arbeitgeberin ohne Beteiligung des Betriebsrats zur Fachkraft für Arbeitssicherheit bestellt. Zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Da in der Folgezeit keine Einigung erzielt werden konnte, wie in der Angelegenheit zu verfahren ist, leitete der Betriebsrat das vorliegende Beschlussverfahren ein. Zum einen begehrt er die Feststellung, dass die Bestellung des Arbeitnehmers zur Fachkraft für Arbeitssicherheit unwirksam ist. Zum anderen soll der Arbeitgeberin aufgegeben werden, es zukünftig zu unterlassen, einen Arbeitnehmer als Fachkraft für Arbeitssicherheit zu bestellen, solange die Zustimmung des Betriebsrats hierzu nicht vorliegt oder durch eine Einigungsstelle ersetzt wurde. Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Beteiligten im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird ergänzend auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses – Blatt 58, 59 der Akten – Bezug genommen.

Mit dem am 24. Juli 2014 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht dem Feststellungs- sowie dem Unterlassungsbegehren des Betriebsrats stattgegeben und der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 Euro angedroht. Zur Begründung hat es – kurz zusammengefasst – Folgendes ausgeführt: Die Bestellung des Arbeitnehmers A zur Fachkraft für Arbeitssicherheit ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats sei unwirksam. Insbesondere habe der Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht trotz des Zeitablaufs seit der Bestellung im März 2004 nicht verwirkt. Materiell-rechtlich sei die Verwirkung von Mitbestimmungsrechten ausgeschlossen. Selbst wenn dennoch eine prozessrechtliche Verwirkung von Mitbestimmungsrechten in besonderen Ausnahmefällen in Frage kommen sollte, fehle es im Streitfall an einer treuwidrigen verspäteten Rechtsausübung. Dies gelte insbesondere für das sogenannte Umstandsmoment, da nicht zu erkennen sei, aus welchen Gründen es der Arbeitgeberin nicht mehr zumutbar sein solle, sich auf die Klärung einzulassen, ob die Bestellung des Arbeitnehmers A zur Fachkraft für Arbeitssicherheit unwirksam sei oder nicht. Der Unterlassungsanspruch folge aus § 9 Abs. 3 S. 2 ASiG i.V.m. § 87 BetrVG. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss – Blatt 60 bis 62 der Akten – ergänzend Bezug genommen. Gegen den am 29. August 2014 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 29. September 2014 Beschwerde eingelegt und nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 01. Dezember 2014 auf rechtzeitigen Antrag hin mit dem am 01. Dezember 2014 beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Arbeitgeberin vertritt unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens nach wie vor die Rechtsansicht, dass die Rechte des Betriebsrats verwirkt seien. Der Arbeitnehmer A nehme seit 10 Jahren die Position der Fachkraft für Arbeitssicherheit wahr und habe mit dem Betriebsrat in dieser Funktion schriftlich und mündlich kommuniziert. Aufgrund der zahlreichen Treffen und der geschlossenen Vereinbarungen habe der Betriebsrat den Arbeitnehmer A als Fachkraft für Arbeitssicherheit akzeptiert.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 2014 – 12 BV 118/14 – abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vorbringens den Beschluss des Arbeitsgerichts.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschrift über die Anhörung am 02. April 2015 Bezug genommen.

B.

I.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist gem. § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und gem. §§ 87 Abs. 2 S. 1, 89 Abs. 2, 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat das Rechtsmittel allerdings keinen Erfolg. Der Beschluss des Arbeitsgerichts ist nicht abzuändern, da der Betriebsrat die begehrte Feststellung verlangen kann und ihm der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zusteht.

1.

Die Anträge sind zulässig, insbesondere erfüllt der Feststellungsantrag die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO und der Gesichtspunkt der prozessrechtlichen Verwirkung greift nicht durch.

a) Der Antrag ist in der Sache auf die Feststellung des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts, also eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses gerichtet. Der Betriebsrat hat auch ein berechtigtes Interesse daran, dass das Bestehen des Mitbestimmungsrechts im konkreten Einzelfall und die damit einhergehende Wirksamkeit der Besetzung der Position der Fachkraft für Arbeitssicherheit gerichtlich festgestellt werden. Die Arbeitgeberin beabsichtigt nämlich weiterhin den Arbeitnehmer A in dieser Funktion zu beschäftigen. Der Unterlassungsantrag bedarf als negativer Leistungsantrag keines besonderen Rechtsschutzbedürfnisses.

b) Die Arbeitgeberin musste im Streitfall auch damit rechnen, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht gerichtlich durchzusetzen versucht und seine Beteiligung in der mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit verlangt.

aa) Zwar ist die Verwirkung von Mitbestimmungsrechten materiell-rechtlich ausgeschlossen. Über die Ausübung eines Mitbestimmungsrechts entscheidet der Betriebsrat in eigener Verantwortung und nach pflichtgemäßem Ermessen. Er kann auf dieses weder verzichten, noch darf er einen seiner Mitwirkung unterfallenden Regelungsgegenstand der einseitigen Festlegung durch den Arbeitgeber überlassen (vgl. BAG 28. August 2007 – 1 ABR 70/06 – Rn. 14, zitiert nach juris). In besonderen Ausnahmefällen kann aber eine prozessrechtliche Verwirkung von Mitbestimmungsrechten in Frage kommen. Der Ausnahmecharakter der Verwirkung ist bei den Anforderungen an das Zeit- und Umstandsmoment zu berücksichtigen (vgl. BAG 25. November 2010 – 2 AZR 323/09 – Rn. 22, zitiert nach juris). Das Mitbestimmungsrecht darf erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums geltend gemacht worden sein und es müssen Umstände vorgelegen haben, nach denen der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sich nicht mehr auf sein Recht berufen werde; der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BAG 25. November 2010 – 2 AZR 323/09 – Rn. 20, zitiert nach juris).

bb) Im Entscheidungsfall fehlt es einer treuwidrig verspäteten Rechtsausübung. Das Zeitmoment mag erfüllt sein. Es ist aber nicht erkennbar, aufgrund welcher Umstände es der Arbeitgeberin unzumutbar sein sollte, sich nunmehr mit der Klärung des Bestehens eines Mitbestimmungsrechtes zu befassen. Der Hinweis auf die vermeintliche Zustimmung des Betriebsrats zur Bestellung des Arbeitnehmers A zur Fachkraft für Arbeitssicherheit genügt nicht. Die Arbeitgeberin hat trotz der Hinweise des Arbeitsgerichts nicht dargetan, dass sie im Hinblick auf die Untätigkeit des Betriebsrats Dispositionen getroffen hat, aufgrund derer es ihr nunmehr unzumutbar wäre, sich auf den Feststellungsantrag des Betriebsrats einzulassen. Dies gilt umso mehr für den Unterlassungsanspruch, als er in die Zukunft gerichtet ist und sich gegen eine mitbestimmungswidrige Neubesetzung der Position wendet.

2.

In der Sache sind die Anträge begründet. Der Betriebsrat kann die begehrte Feststellung verlangen und der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht ihm ebenfalls zu.

a) Die Regelungen des ASiG verleihen dem Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht. Gem. § 5 Abs. 1 ASiG hat der Arbeitgeber die von ihm einzusetzende Fachkraft für Arbeitssicherheit schriftlich zu bestellen und ihr die in § 6 S. 2 ASiG genannten Aufgaben zu übertragen. Nach § 9 Abs. 3 S. 1 und 2 ASiG bedarf er dazu der Zustimmung des Betriebsrats. Die Mitbestimmung ist notwendig und zwingend. Ohne Zustimmung des Betriebsrats sind die in § 9 Abs. 3 S. 1 und 2 ASiG genannten Maßnahmen rechtswidrig und unwirksam (vgl. BAG 24. März 1988 – 2 AZR 369/87 – Rn. 49 m.w.N., zitiert nach juris).

b) Dem Betriebsrat steht auch der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.

aa) Der allgemeine Unterlassungsanspruch ergibt sich als Nebenleistungspflicht des Arbeitgebers aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Verbindung mit § 2 BetrVG. Durch die Ausformung des Mitbestimmungsrechts als Zustimmungsrecht und die Rechtsfolgenverweisung in § 9 Abs. 3 S. 2 AFiG, wonach im Übrigen § 87 i.V.m. § 76 BetrVG gilt, ergibt sich, dass der Arbeitgeber die Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrats oder deren Ersetzung durch die Einigungsstelle nicht durchführen darf (vgl. BAG 24. März 1988 – 2 AZR 369/87 – Rn. 49, zitiert nach juris).

bb) Auch die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Für die Wiederholungsgefahr besteht bereits eine tatsächliche Vermutung, wenn in der Vergangenheit Mitbestimmungsrechte – wie im Streitfall – verletzt worden sind (vgl. z.B. BAG 15.10.2013 – 1 ABR 31/12 – Rn 32 m.w.N., zit. nach juris). Die Arbeitgeberin hat auch keine besonderen Umstände hervorgetragen, aus den denen sich ergeben könnte, dass eine zukünftige Verletzung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht mehr in Betracht kommt.

3.

Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht dem Antrag des Betriebsrats, der Arbeitgeberin für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld anzudrohen, stattgegeben. Die Rechtsgrundlage dafür ergibt sich aus §§ 87 Abs. 2, 85 Abs. 1 S. 3, 890 ZPO. Die Androhung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO ist auch bereits im Erkenntnisverfahren möglich und zulässig (vgl. BAG 26. Oktober 2004 in: AP Nr. 113 zu § 87 BetrVG 1072 Arbeitszeit).

C.

Ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 S. 2 ArbGG liegt nicht vor.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

a very tall building with a moon in the sky

Ist Mobbing strafbar?

März 13, 2024
Von RA und Notar Krau:Mobbing kann je nach den Umständen strafbar sein, aber nicht immer.Es gibt kein spezifisches Gesetz, das Mobbing al…
filling cans with freshly brewed beers

Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21

Februar 4, 2024
Tarifliche Nachtarbeitszuschläge – Gleichheitssatz – BAG 10 AZR 473/21 – Urteil vom 15.11.2023 – Nachtarbeit im Rahmen von Wechselschichtarbeit…
man holding orange electric grass cutter on lawn

Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22

Februar 4, 2024
Annahmeverzug – Anderweitiger Verdienst aus einer Geschäftsführertätigkeit – BAG 5 AZR 331/22 – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes …