LAG Hessen, 12.11.2014 – 12 Sa 1267/13 unwirksame außerordentliche, aber wirksame ordentliche Kündigung wegen der Androhung körperlicher Gewalt und einer (leichteren) Tätlichkeit.

April 30, 2019

LAG Hessen, 12.11.2014 – 12 Sa 1267/13
unwirksame außerordentliche, aber wirksame ordentliche Kündigung wegen der Androhung körperlicher Gewalt und einer (leichteren) Tätlichkeit.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 08. Oktober 2013 – 7 Ca 96/13 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Pharmaindustrie mit Sitz in Marburg. Sie beschäftigt etwa 2.200 Mitarbeiter. Der am 20.06.1968 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin zunächst vom 26.07.1994 bis zum 31.12.1995 und dann wieder ab dem 18.03.1996 beschäftigt. Als Laborwerker verdiente er zuletzt 3.368,26 € brutto monatlich. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.

Am 23.01.2013 händigten die Betriebsleiterin PTM, Frau A, und die zuständige Personalreferentin Frau B dem Kläger im Rahmen eines Personalgesprächs drei Abmahnungen, datiert auf den 14., bzw. zweimal den 15.01.2013, aus. Die Abmahnungen hatten die Androhung körperlicher Gewalt gegenüber Kollegen sowie eine Tätlichkeit des Klägers gegenüber dem Arbeitnehmer C zum Gegenstand. Die Vertreterinnen der Beklagten machten dem Kläger gegenüber auch mündlich deutlich, dass beim nächsten ähnlichen oder gleichgelagerten Fehlverhalten nicht mehr abgemahnt, sondern gekündigt werde. Auf den Inhalt der drei Abmahnungen, insbesondere die dort beschriebenen Vorfälle von Mitte November 2012, aus der Nacht vom 5./6.12.2012 und vom 21.12.2012 wird Bezug genommen (Bl. 46 – 51 d.A.).

Nachdem der Mitarbeiter C sich am 22.02.2013 bei der Beklagten darüber beschwerte, dass der Kläger ihm gegenüber in drohender Absicht geäußert habe, “Wir sehen uns morgen” und der Teamleiter D mitgeteilt hatte, dass der Kläger zu ihm gesagt habe; “Wenn das mit dem C nicht aufhört, schneide ich ihm den Hals ab”, hörte die Beklagte mit Schreiben vom 27.02.2013 (Bl. 52 – 57 d.A.) den Betriebsrat zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Mit Schreiben vom 07.03.2013, zugegangen am selben Tag, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2013. Der Kläger hat gegen die Kündigungen am 18.03.2013 beim Arbeitsgericht Gießen Kündigungsschutzklage eingereicht und seine Weiterbeschäftigung als Laborwerker bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens eingeklagt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass weder ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben noch die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei. Zu den einzelnen abgemahnten Vorfällen hat er behauptet: Bei dem Gespräch im Aufenthaltsraum Mitte November 2012 habe der Teamleiter D den in einer anderen Abteilung tätigen Kollegen E zu der geplanten privaten Weihnachtsfeier eingeladen. Dieser habe Bedenken geäußert, dass dazu auch der Kläger kommen werde. Als er diesen Satz hörte, habe er zum Kollegen E gesagt, du kannst ruhig kommen, dann trinken wir einen. Anschließend tauschten sich der Kollege E und Herr D noch über Befürchtungen des Herrn E aus, der Kläger könne ihn bei der Weihnachtsfeier wegen eines früheren Konflikts angehen. Der Kollege E äußerte dabei, dass das aber schon länger zurückliege. Als er, der Kläger das hörte, habe er zu dem Kollegen E gesagt: “Das kannst Du vergessen; wenn ich Dich privat erwische, schlitze ich Dich auf”.

In der Nachtschicht vom 5./6.12.2012 sei er aufgrund zahlreicher Provokationen des Kollegen C ihm gegenüber zum Teamleiter D gegangen und habe sich darüber beschwert. Er habe nicht ständig das Licht ausgemacht. Der Kollege C habe sich beim Teamleiter über das gelöschte Licht beschwert. Darauf habe er es wieder angemacht und so sei es – ohne eine Anweisung des Teamleiters – geblieben.

Am 21.12.2012 sei er zur privaten Weihnachtsfeier seiner Arbeitsgruppe an die Elisabethenkirche gekommen und auf eine Gruppe Kollegen zugegangen, bei der auch der Kollege C stand. Als er die anderen Kollegen mit Handschlag begrüßte, habe der Kollege C schon abfällige Handbewegungen gemacht und ihm die Begrüßung per Handschlag verweigert. Auf seine Frage, warum er das mache, sei der Kollege ausfällig geworden und habe in provozierenden Worten sinngemäß gemeint: “Was willst Du denn überhaupt?” Darauf sei ihm die Hand ausgerutscht und er habe aufgrund dieser Provokation dem Kollegen C eine leichte Ohrfeige gegeben.

Zu dem die Kündigung auslösenden Vorfall im Aufenthaltsraum am 22.02.2013 hat er behauptet, dass er sich an diesem Tage vorher über die ständigen Provokationen des Kollegen C beim Teamleiter und der Betriebsleiterin PTM beschwert habe. Als Herr C den Aufenthaltsraum betrat, sei er gerade im Gespräch mit dem Kollegen F über Motorräder gewesen. Er habe den Kollegen C überhaupt nicht beachtet. Dieser habe ihn dann provoziert. Darauf habe er nur allgemein – in Form einer Verabschiedung – auf Türkisch gesagt: “Wir sehen uns morgen”; denn es sei das Ende der Schicht gewesen und man habe sich auf dem Nachhausewege befunden. Er habe außerdem allenfalls noch bemerkt, dass “die Spielchen ein Ende haben werden” und dabei auf den Erfolg seiner Beschwerde über den Kollegen C vom gleichen Tag gehofft.

Schließlich hat er auch die Anhörung des Betriebsrats nicht für ordnungsgemäß gehalten; denn eine Abwägung der einzelnen Kündigungsgründe sei nicht erfolgt und ihm seien die zum Anhörungsschreiben gehörenden Anlagen 1 – 13 nicht vorgelegt worden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.03.2013 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden ist;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Laborwerker zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, schon in den Jahren 1998 bis 2008 sei es wiederholt zu Vorfällen gekommen, bei denen der Kläger andere Arbeitskollegen/innen bedrohte oder nach einem Streit eigene Fehler nicht eingestehen konnte, die zu Ermahnungen und Abmahnungen führten. Für die näheren Einzelheiten dazu wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 01.07.2013, Seiten 2-3 (Bl. 38-39 d.A.) Bezug genommen.

Bei dem Gespräch über die Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe Mitte November 2012 im Aufenthaltsraum habe der Kläger zum Kollegen E gesagt, er sei herzlich zu der Feier eingeladen. Auf die Antwort des Kollegen, das sei aber nett, sei der Kläger fortgefahren: “Du weißt aber schon, wir haben eine alte Rechnung aus der Vergangenheit.” Auf die Erwiderung des Kollegen, dass liege doch schon länger zurück, habe er geantwortet: “Das kannst Du vergessen, wenn ich Dich privat erwische, schlitze ich Dich auf.”

In der Nachtschicht 5./6.12.2012 habe sich der Kollege C beim Teamleiter D darüber beschwert, dass der Kläger mehrmals das Licht im Flur gelöscht habe, obwohl er den Flur im Rahmen seiner Tätigkeit immer wieder passieren müsse. Der Teamleiter D habe ihn schließlich aufgefordert, das Licht im Flur anzulassen. Der Kläger habe dies befolgt, sei danach jedoch zum Kollegen C gegangen und habe in etwa gesagt: “Ich bring dich da draußen um” und “Ich schlage dir die Zähne kaputt”.

Am 21.12.2012 sei der Kläger zum Treffpunkt zur Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe an der Elisabethenkirche gekommen und habe sich dem schon anwesenden Kollegen C von hinten genähert. Er habe dann gesagt: “Was macht der denn hier?” und den Kollegen auf den Hinterkopf geschlagen. Der habe sich darauf zum Kläger gedreht und sei von diesem noch zwei- bis dreimal geohrfeigt worden. Gegenüber dem herbeigerufenen Teamleiter, der den Kläger zur Rede stellte, habe dieser geäußert: “Er (Herr C) weiß schon, warum.”

Am 22.02.2013 habe der Kläger gegen Ende der Frühschicht mit drohender Absicht im Aufenthaltsraum zum Kollegen C gesagt: ” Wir sehen uns morgen.” Gegenüber dem Teamleiter habe am selben Tag an der Personalschleuse gesagt: “Wenn das mit dem C nicht aufhört, schneide ich ihm den Hals ab.”

Das Arbeitsgericht Gießen hat mit Urteil vom 27.11.2013 (7 Ca 96/13) die Klage abgewiesen. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen (Bl. 120 – 128 d.A.).

Der Kläger hat gegen das Urteil des Arbeitsgerichts, das ihm am 21.10.2013 zugestellt worden ist, am 31.10.2013 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.02.2014 – am 13.02.2014 begründet.

Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht sei vorschnell von einem weitgehend unstreitigen Sachverhalt ausgegangen, hätte zur Sachverhaltsklärung eine Beweisaufnahme durchführen müssen und habe die Grundsätze des § 102 BetrVG bei der Anhörung des Betriebsrats verletzt. Sie habe den Betriebsrat mit einem Konglomerat an Ermittlungsergebnissen konfrontiert, ohne dass es klare Feststellungen zur Notwendigkeit der fristlosen Kündigung gegeben habe. Auch fehle es, obwohl durch den Sachverhalt veranlasst, an Überlegungen zu einer Versetzung des Kollegen C sowie an hinreichenden Überlegungen zur Interessenabwägung.

Zudem ist er der Ansicht, dass von den abgemahnten Vorgängen nur der vom 5./06.12.2012 in einem betrieblichen Zusammenhang stehe, während die anderen beiden der Privatsphäre zuzuordnen seien. Zu den einzelnen Vorfällen präsentiert der Kläger nunmehr zu jedem Punkt folgenden neuen Vortrag:

Zu dem Gespräch über die Weihnachtsfeier im Aufenthaltsraum Mitte November 2012 behauptet er, bei dem Gespräch über die Weihnachtsfeier habe der Kollege E nach Eintreffen des Klägers gesagt, er komme auch zur Weihnachtsfeier. Dabei habe er sich eines süffisanten Tones bedient und eine gewisse Häme und Herablassung gezeigt, die aus einem früheren Anlass – der einige Monate oder Jahre zurücklag – rührte. Er habe darauf bewusst gelassen geantwortet, dann könne man ja miteinander einen trinken. Darauf habe der Kollege E in Anspielung auf den früheren, Jahre zurückliegenden Streit gemeint, es sei ihm nicht ganz geheuer, dass der Kläger zu dieser Weihnachtsfeier hinzukomme. Er habe darauf nur – sinngemäß – bemerkt, ihm sei es gleichwohl recht. Man werde schon sehen. Die anderslautende, dramatisierende Aufbereitung des Gesprächsverlaufs durch die Beklagte gehe auf die intrigante Anregung des Kollegen C zurück, der den Kollegen E angesprochen und versucht habe, diesen zu veranlassen, den Kläger gegenüber der Beklagten als gewalttätig und unberechenbar darzustellen. Der Vorfall sei auf Betreiben des Kollegen C hochgespielt und zu seinen Lasten aufbereitet worden, ohne dass er den Kollegen E tatsächlich aggressiv bedroht habe.

Der Vorfall in der Nachtschicht am 5./6.12.2012 habe sich so ereignet, dass er das Flurlicht ausgeschaltet habe, weil es ihn blendete. Er habe es, weil es auch objektiv nicht benötigt wurde, ausgeschaltet. Kurz danach sei der Kollege C erschienen und habe in seine Richtung gebrüllt, welches “Arschloch” denn das Licht ausgeschaltet habe. Er habe sich dazu bekannt und den Grund angegeben. Der Kollege C habe herrisch geäußert, das Licht bleibe an, weil er hier im Flur arbeiten wolle, was objektiv nicht stimmte; denn der von ihm zu bedienende Computer sei gar nicht eingeschaltet gewesen. Daher habe er das Licht wieder ausgemacht. So sei es mehrmals hin und her gegangen. Schließlich sei der Kollege C zum Teamleiter D gegangen. Dieser entschied, das Licht bleibe an, ohne jemals zu prüfen, warum er das Licht aus haben wollte. Irgendeine Gewaltdrohung, die ernst genommen hätte werden müssen, habe er nicht geäußert. Die Drohung, den Kollegen C draußen umzubringen oder ihm die Zähne auszuschlagen, habe er nicht geäußert.

Bei dem Treffen auf dem Weihnachtsmarkt am 21.12.2012 sei er etwas später gekommen. Er habe allen Kollegen die Hand zur Begrüßung gedrückt. Nur der Kollege C habe ihm den Händedruck verweigert, dazu eine beleidigende, wegwerfende Handbewegung gemacht und sich weggedreht. Darauf habe er dem Kollegen die Hand auf die Schulter gelegt, worauf dieser in gespielter Betroffenheit und provozierend ausrief: “Hau mich nicht.” Darauf habe er mit einem leichten Klaps den Hinterkopf des Kollegen C berührt, womit er ihm zeigen wollte, dass er sein Verhalten für kindisch und lächerlich halte. Ob er bei seiner “Klappsgeste” in den Gesichtsrand des Kollegen vorgedrungen sei, vermag er nicht mehr zu sagen. Der später noch erschienene Teamleiter habe ihn nicht auf den Vorfall angesprochen oder gar gerügt.

Bei dem Vorfall am 22.02.2013 sei der Kollege C im Aufenthaltsraum erschienen, als er sich gerade im Gespräch mit dem Kollegen F befand. Herr C habe ihn von hinten auf Türkisch beleidigend mit den Worten “Du wirst schon sehen” angesprochen. Er habe dies ebenfalls in Türkisch zurückgewiesen. Darauf sei die Äußerung des Kollegen C in deutscher Sprache gefallen: “Wenn du Eier in der Hose hast, dann sag das noch einmal auf Deutsch”. Diesem Geschehen sei vorausgegangen, dass der Kollege C über Monate am Arbeitsplatz des Klägers erschienen sei und ihm von der anderen Seite einer durchsichtigen Trennscheibe Grimassen geschnitten, den Stinkefinger gezeigt und sich an den Kopf gefasst habe, um auf diese Weise zu zeigen, dass er den Kläger für blöd halte. Er habe darauf mit elektronischer Post vom 22.01.2013 die Beklagte darum gebeten, Abhilfe zu schaffen. Gleichzeitig habe er sich an seinen Teamleiter D gewandt und gebeten, die ständigen Provokationen des Kollegen C zu unterbinden. Er könne – weil er aufgebracht gewesen sei – nicht ausschließen, gegenüber Herrn D geäußert zu haben, dass, wenn das mit C nicht aufhöre, etwas passiere. Er habe jedoch nicht ernsthaft damit gedroht, er werde dem Kollegen den Hals abschneiden. Von dem Personalgespräch am 23.01.2013 habe er sich erhofft, dass die Beklagte seine Beschwerde gegen den provozierenden Arbeitskollegen ernstnehmen und nach ihren umfangreichen Ermittlungen und Befragungen von Kollegen nicht ihn einseitig als das “schwarze Schaf ansehen werde. Allerdings seien die umfangreichen Feststellungen tendenziös festgehalten worden. Nach Ansicht des Klägers liegt hier die mangelnde Ernsthaftigkeit der beiderseitigen Bedrohungen offensichtlich zutage. Das Festhalten an ihrem reinen Wortlaut werde dem wirklichen Geschehen nicht gerecht. Daher sei ein Grund weder für eine fristlose noch für eine ordentliche Kündigung gegeben. Auf keinen Fall sei hier eine zutreffende Interessenabwägung vorgenommen worden. Zugunsten des Klägers hätten die fehlende Ernsthaftigkeit und Gegenseitigkeit der Bedrohungen sowie seine fast zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis führen müssen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 08.10.2013, Az. 7 Ca 96/13, abzuändern und

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 07.03.2013 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden ist;

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht;

für den Fall des Obsiegens mit der Kündigungsschutzklage die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Laborwerker zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie meint, das Gericht habe seiner Entscheidung allein unstreitigen Sachverhalt zugrunde gelegt und daraus die zutreffende Subsumtion abgeleitet. Der neue Vortrag des Klägers zu den einzelnen Geschehnissen sei verspätet und stehe im Widerspruch zu seinen Schilderungen in erster Instanz. Das mache seinen Vortrag unschlüssig.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstands statthaft und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung ist in der Sache nur zum Teil begründet. Sie ist insoweit begründet, als festzustellen war, dass die Kündigung der Beklagten vom 07.03.2013 mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs.1 BGB das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit sofortiger Wirkung beendet hat. Sie war insoweit unbegründet, als das Arbeitsverhältnis aufgrund der wirksamen hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom selben Tage das Arbeitsverhältnis gemäß § 1 Abs. 2 KSchG mit Ablauf des 30.09.2013 geendet hat, der Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung wegen der eingetretenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht und weil es dem allgemeinen Feststellungsantrag mangels weiterer von der Beklagten ausgesprochener Kündigungen schon am Feststellungsinteresse fehlt.

1. Die außerordentliche Kündigung vom 07.03.2013 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Es fehlt ihr nach Abwägung der beiderseitigen Interessen an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Prüfung des wichtigen Grundes vollzieht sich in zwei voneinander zu trennenden Schritten. Zunächst muss ein bestimmter Sachverhalt festgestellt werden, der an sich, d.h. ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände, geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Dann ist wertend zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, weil dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 17.5. 1984 EzA zu § 626 BGB Nr.90; 28.08.2008 – 2 AZR 15/07, ; 7.07.2011 – 2 AZR 355/11). Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt zudem, dass bei jeder Kündigung, die auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers gestützt wird, das Abmahnungserfordernis zu prüfen ist, solange eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG 4.6.1997 EzA zu § 626 BGB Nr. 168; 10.2.1999 EzA zu § 15 KSchG n.F. Nr. 47; BAG 23.6.2009 – 2 AZR 103/08, ; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, ). Ausgehend von diesen Grundsätzen scheitert die außerordentliche Kündigung auf der zweiten Stufe daran, dass nach den besonderen Umständen ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben, sondern ihr ein Abwarten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten ist.

Tätlichkeiten gegenüber oder massive Bedrohungen von Arbeitskollegen sind grundsätzlich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (KR/Fischermeier § 626 BGB Rz. 449; Bader/Bram-Bram § 1 KSchG Rz. 240/241; BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06 – DB 2009, 964; BAG 12.01.1995 – 2 AZR 456/94 – )

Die Beklagte beruft sich zur Begründung der Kündigung darauf, der Kläger habe in drei Fällen Arbeitskollegen mit körperlicher Gewalt bedroht und gegenüber einem Arbeitskollegen eine Tätlichkeit begangen. Vor dem letzten Vorfall am 22.02.2013 habe sie den Kläger dreimal wegen einschlägiger Verhaltensweisen abgemahnt.

Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung – ohne die Durchführung einer Beweisaufnahme – denselben Sachverhalt zugrunde gelegt wie auch bereits das Arbeitsgericht und hat den gänzlich anderen Vortrag des Klägers in zweiter Instanz bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt. Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass der Kläger die seiner völlig neuen Darstellung aller vier Vorfälle zugrundeliegenden Behauptungen in der Berufung aufs Geratewohl, gleichsam “ins Blaue” hinein und damit rechtsmissbräuchlich aufgestellt hat (BGH Urteil v. 01.07.1999 – VII ZR 202/98 – NJW-RR 2000, 208). Das wird allein aus seiner in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll genommenen Erklärung auf die Frage des Vorsitzenden nach dem Grund der Abweichungen gegenüber seinem erstinstanzlichen Vortrag deutlich. Der Kläger hat den neuen Tatsachenvortrag damit erklärt, dass er dem Anwalt erster Instanz alles auch schon genau so geschildert, dieser es aber nicht für nötig befunden habe, davon etwas dem Gericht zu schreiben. Der Kläger erklärt den ganz anders lautenden Vortrag in erster Instanz mit anderen Worten damit, sein früherer Prozessbevollmächtigter habe nicht nur seine Schilderungen zu den einzelnen Vorgängen nicht in seine Schriftsätze an das Gericht aufgenommen, sondern sich einen eigenen, für den Mandanten weitaus negativeren Verlauf der Geschehnisse ausgedacht und diesen dem Arbeitsgericht unterbreitet. Das hält die Kammer für ausgeschlossen. Auf die weitere Frage des Vorsitzenden, warum er die dann völlig falschen Ausführungen seines früheren Bevollmächtigten zu keiner Zeit beanstandet habe, vermochte er keine Antwort zu geben. Dazu wäre mehrfach Veranlassung und Möglichkeit gewesen, z.B., als die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.09. 2013 hat ausführen lassen, dass der Kläger die Vorwürfe unstreitig gestellt habe, oder spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht. Das macht deutlich, dass es dem neuen Vortrag an jeglicher tatsächlichen Grundlage fehlt und er nur davon geleitet ist, den Kläger entgegen dem tatsächlichen Geschehen in ein besseres Licht zu rücken.

Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass der dem Kläger vorgeworfene Sachverhalt, soweit er von ihm mit seinem in erster Instanz gehaltenen Vortrag eingeräumt worden ist – als wichtiger Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist.

Danach ist unstreitig, dass der Kläger zunächst Mitte November 2012 gegenüber dem zur Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe eingeladenen Kollegen E gesagt hat:

“Das kannst du vergessen. Wenn ich dich privat erwische, schlitze ich dich auf”. Dieser Satz war eine Antwort auf eine Äußerung des Kollegen E im Zusammenhang mit einer erhaltenen Einladung zu einer Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe des Klägers. Der Kollege hatte Bedenken geäußert, ob er wegen eines früheren Konflikts mit dem Kläger am Arbeitsplatz zur Weihnachtsfeier kommen könne, diese aber selbst durch den Zusatz entschärft, das sei ja schon so lange her. Hierin ist eine massive Bedrohung des Kollegen durch den Kläger zu sehen, die für die Zukunft durchaus ernst zu nehmen und geeignet war, den Betriebsfrieden zu stören.

Ebenfalls unstreitig ist, dass der Kläger während der Nachtschicht vom 5./6.12 2012 im Zusammenhang mit einem Streit über das Löschen des Lichts im Flur den Kollegen C mit erhobener Faust bedroht und dabei gesagt hat: “Ich bringe dich da draußen um” und weiter “ich schlage dir die Zähne kaputt”. Dies kann nicht mehr als adäquate Reaktion auf die Beschwerde des Kollegen beim Teamleiter darüber, dass der Kläger das Licht ausgemacht habe, angesehen werden, sondern nur als ernsthafte Drohung mit körperlicher Gewalt.

Unstreitig ist weiter, dass der Kläger den Kollegen C bei der Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe auf dem Weihnachtsmarkt zumindest geohrfeigt hat. Diese Tätlichkeit verletzt die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zu einem friedlichen Nebeneinander im Betrieb und ist selbst dann nicht gerechtfertigt, wenn als wahr unterstellt wird, dass der Kollege C dem Kläger vorher die Begrüßung per Handschlag verweigert hat. Da es sich um eine Weihnachtsfeier der Arbeitsgruppe handelte, hat, auch wenn sie nicht im Betrieb stattfand, der Vorfall einen betrieblichen Bezug.

Nach diesen drei Vorfällen hat die Beklagte mit dem Kläger am 23.01.2013 ein Personalgespräch geführt, bei dem sie ihm insgesamt drei Abmahnungen, betreffend die bis hierher geschilderten Vorfälle, ausgehändigt und ihn auch im Gespräch ausdrücklich drauf hingewiesen hat, dass beim nächsten Fehlverhalten keine Abmahnung mehr ausgesprochen, sondern gekündigt werde. Bereits am 22.02.2013 wieder hat der Kläger jedoch unstreitig beim Verlassen des Betriebs gegenüber dem Teamleiter D erneut eine massive Drohung in Richtung des Kollegen C ausgesprochen, indem er gesagt hat: “Wenn das mit dem C nicht aufhört, schneide ich ihm den Hals ab”. Dem war wieder ein Streit zwischen dem Kläger und dem Kollegen C im Aufenthaltsraum vorausgegangen, bei dem der Kläger schon drohend gegenüber dem Kollegen C gesagt hat: “Wir sehen uns morgen”. Da diesem Satz ein Streit zwischen beiden vorausgegangen ist, dessen sonstiger Verlauf streitig ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Äußerung, wie von der Beklagten behauptet, als Drohung und nicht als reine Verabschiedung gemeint war; denn es ist schwerlich vorstellbar, dass der Streit mit einer belanglosen Verabschiedung endete. Der Kläger beruft sich zur Rechtfertigung seines Verhaltens immer wieder darauf, der Kollege C provoziere ihn. Diese Rechtfertigung bleibt jedoch – bis auf einen Fall, wo der Kläger das Zeigen des “Stinkefingers” behauptet – pauschal. So ist sie weder einer Einlassung der Beklagten noch einer Überprüfung und Bewertung durch das Gericht fähig. In ihrer Pauschalität kann nicht davon ausgegangen werden, dass die massiven Drohungen des Klägers und die verübte Tätlichkeit durch ebenfalls massive und unmittelbare Provokationen auf Seiten der Kollegen, insbesondere des Kollegen C mitveranlasst waren und geeignet wären, das Verhalten des Klägers zu entschuldigen.

Diese insgesamt vier Vorfälle von Bedrohung und einer Tätlichkeit sind in der Summe nach vorheriger wirksamer Abmahnung als wichtiger Grund an sich geeignet.

b) Die abschließende Abwägung der beiderseitigen Interessen führt unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles dennoch zu dem Ergebnis, dass hier das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber dem der Beklagten an seiner sofortigen Beendigung überwiegt. Zugunsten des Klägers gaben hier seine lange Betriebszugehörigkeit von mindestens 17 Jahren und der Umstand, dass die Beklagte die Tätlichkeit des Klägers am 21.12.2012 lediglich mit einer Abmahnung geahndet hat, den Ausschlag. Wenn die Beklagte zeigt, dass eine tatsächlich verübte Tätlichkeit nicht zur sofortigen Trennung führen muss, dann kann sie der nachfolgenden, die Kündigung auslösenden verbalen Drohung nicht mehr Gewicht beimessen. Hierin ist ein Wertungswiderspruch zu sehen. Die Beklagte zeigt mit ihrer Reaktion auf die Tätlichkeit vom 21.12.2012, dass die Pflichtverletzungen des Klägers letztlich nicht das Gewicht haben, dass eine sofortige Trennung von dem Kläger als einzig zumutbare Reaktionsmöglichkeit für die Beklagte verblieben war. 2. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 07.03.2013 ist hingegen wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB zum 30.09.2013 beendet; denn sie ist durch Gründe im Verhalten des Klägers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Betriebsrat ist vor Ausspruch der Kündigung gem. 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört worden.

a)Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG vom 11.12.2003 EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62) genügen für eine verhaltensbedingte Kündigung solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechts- oder vertragswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist. Bei jeder Kündigung sind zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot zu berücksichtigen. Daraus folgt u. a., dass eine wegen vertragswidrigen Verhaltens ausgesprochene Kündigung nur sozial gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer vorher vergeblich abgemahnt worden ist (BAG AP Nr. 137 zu § 626 BGB; AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969; KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rz. 214; 404 – 409).

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die ordentliche Kündigung vom 07.03.2013 als wirksam. Der Kläger hat durch die mehrfachen Bedrohung von und eine Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen nach vorherigen Abmahnungen seine arbeitsvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt. Zur näheren Begründung wird auf die Ausführungen zum Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich unter Ziff. 1 der Entscheidungsgründe verwiesen.

Aufgrund der Verpflichtung gegenüber allen Arbeitnehmern des Betriebs, sie vor Bedrohungen oder gar Tätlichkeiten zu schützen, sowie des eigenen Interesses, die betriebliche Zusammenarbeit nicht durch ein durch ein durch Spannungen und Furcht gestörtes Arbeitsklima und tätliche Auseinandersetzungen mit möglichen Verletzungsfolgen stören zu lassen, überwiegt hier das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem des Klägers an seiner dauerhaften Fortsetzung. So wie der Kläger innerhalb kurzer Zeit mehrfach Kollegen massiv mit körperlicher Gewalt bedroht und in einem Fall auch zugeschlagen hat, muss die Beklagte auch in Zukunft damit rechnen, dass ähnliche Konflikte wieder auftreten und das Arbeitsverhältnis weiter belasten könnten. Der Kläger scheint -das wurde auch aus seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung deutlich -nicht in der Lage und/oder bereit zu sein, seine Aggressionen zu kontrollieren und überhaupt Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Er sieht die Verantwortung für alles, was geschieht, fast reflexartig immer bei den anderen. Das gilt in der gleichen Weise für seine Erklärung zum gänzlich neuen prozessualen Vorbringen in der Berufung wie auch schon für seine – unstreitige – Reaktion bei dem Vorfall vom 28.05.1998 gegenüber der Kollegin G, wo der Kläger der zu Recht sehr aufgebrachten Kollegin – statt sich, wie von dieser erwartet, für sein aggressives Verhalten zu entschuldigen – erklärte, er müsse sich für nichts entschuldigen. Das immer wieder auftretende Verhalten des Klägers mit massiver Bedrohung der Kollegen mit körperlicher Gewalt erscheint auf längere Sicht nicht mehr zumutbar. Der Vorfall vom 21.12.2102, wo er den Kollegen C zumindest einmal geohrfeigt hat, hat zudem gezeigt, dass die Bedrohungen durchaus ernst zu nehmen sind. Demgegenüber schafft die zugunsten des Klägers zu berücksichtigende langjährige Betriebszugehörigkeit von über 17 Jahren bei Ausspruch der Kündigung kein ausreichendes Gegengewicht, um seinem Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus noch den Vorrang einzuräumen.

b) Die Beklagte hat den Kläger vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung gemäß § 102 Abs.1 BetrVG ordnungsgemäß angehört.

Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat bei der Anhörung nicht nur die wesentlichen Kündigungsgründe mitzuteilen, sondern ihn über alle Gesichtspunkte (Tatsachen und subjektive Vorstellungen) zu unterrichten, die ihn zu der Kündigung veranlassen. Hierbei ist allein auf die Umstände abzustellen, die ihn aus seiner subjektiven Sicht zur Kündigung bewogen haben. Dazu gehören auch dem Arbeitgeber bekannte, seinen Kündigungsgründen widerstreitende Umstände. Eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung stellt keine ordnungsgemäße Anhörung dar (KR-Etzel § 102 BetrVG Rz. 62 mit Nachw. aus der Rechtsprechung des BAG).

Die schriftliche Anhörung des Betriebsrats vom 27.02.2013 (Bl. 52 – 57 d.A.) entspricht diesen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung. Sie enthält mehr als nur ein “Konglomerat an Ermittlungsergebnissen”. Die auf den ersten vier Seiten im Detail geschilderten Vorwürfe und Ermittlungsergebnisse werden auf Seite 5 zusammengefasst und als schwerwiegender Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten bewertet. Dass die Beklagte nach ihren Ermittlungen und Bewertungen den Kläger und nicht seine Kollegen, insbesondere Herrn C, als den Hauptverantwortlichen für die Konflikte im Betrieb ausmacht, ist so lange nicht zu beanstanden, wie nicht zu erkennen ist, dass sie dabei bewusst falsch und irreführend informiert. Bei der Menge der mitgeteilten Fakten kann sich der Betriebsrat durchaus ein eigenes Bild von der Lage machen und die Vorwürfe selbst beurteilen.

3. Die Beklagte ist mangels eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses nicht zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.

4. Der allgemeine Feststellungsantrag war als unzulässig abzuweisen, weil es ihm mangels weiterer, nicht mit dem Feststellungsantrag nach § 4 KSchG angegriffener Kündigungen an dem für den Antrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt (Bader/Bram-Kriebel § 4 Rn. 66 mit Nachw. aus der Rechtsprechung).

Die Parteien haben die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 92 ZPO anteilig zu tragen, weil sie jeweils teils obsiegt haben und teils unterlegen sind.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

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