LAG Hessen, 13.03.2015 – 10 Sa 575/14 Arbeitnehmer kann auch sein, wer in einem Home-Office EDV-Programme entwickelt, wenn er dabei auf das Bereitstellen der Programmierumgebung durch den Betriebsinhaber angewiesen ist, ein nicht abgrenzbares Werk im Rahmen eines EDV-Programms in Abstimmung mit weiteren Programmierern im Betrieb zu erstellen hat und daneben für vielfältige Nebenarbeiten, insbesondere zur Beantwortung vielfältiger Fachfragen auf dem Gebiet der IT herangezogen, worden ist.

April 28, 2019

LAG Hessen, 13.03.2015 – 10 Sa 575/14
Arbeitnehmer kann auch sein, wer in einem Home-Office EDV-Programme entwickelt, wenn er dabei auf das Bereitstellen der Programmierumgebung durch den Betriebsinhaber angewiesen ist, ein nicht abgrenzbares Werk im Rahmen eines EDV-Programms in Abstimmung mit weiteren Programmierern im Betrieb zu erstellen hat und daneben für vielfältige Nebenarbeiten, insbesondere zur Beantwortung vielfältiger Fachfragen auf dem Gebiet der IT herangezogen, worden ist.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 27. Februar 2014 – 3 Ca 357/13 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 12. August 2013 aufgelöst worden ist.

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis anzusehen ist und dieses ggf. durch Kündigung der Beklagten beendet worden ist.

Zwischen den Parteien bestand zunächst seit dem 1. Mai 1989 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger, der ein Studium des Bauingenieurwesens an der Fachhochschule absolviert hatte, arbeitete auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 9 – 11 der Akte) als Bauingenieur/Programmierer für die Beklagte. Von Beginn des Arbeitsverhältnisses an war er mit der Pflege und Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Statiksoftware beschäftigt. Mit Schreiben vom 4. Mai 1992 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

“…als ich am 1. Mai 1989 bei ihnen das Beschäftigungsverhältnis begann, setzte ich mir als Ziel, spätestens am 1. Mai 1992 zu entscheiden, ob ich bei der X bleibe oder wieder nach Hannover ziehe. Ich entschloss mich vor allem aus persönlichen Gründen, das bisherige Arbeitsverhältnis bei der X aufzugeben. Ich kündige deshalb zum 1. Juli 1992 meinen Arbeitsvertrag. Dieser Entschluss ist mir nicht leicht gefallen. Weil ich in den vergangenen drei Jahren gerne bei der X gearbeitet habe, wäre ich an einer weiteren Beschäftigung als freier Mitarbeiter interessiert…”

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird verwiesen auf Bl. 212 der Akte.

Die Parteien setzten ihre Zusammenarbeit fort, wobei dieses formal als freies Mitarbeiterverhältnis ausgestaltet war. Ein schriftlicher Vertrag wurde zwischen den Parteien nicht geschlossen. Unter dem 19. Juni 1992 machte der Kläger in einem Fragebogen der Techniker Krankenkasse Angaben zu seinem Beschäftigungsverhältnis. Wegen der Einzelheiten dieses Fragebogens wird verwiesen auf Bl. 210 bis 211 der Akte.

Der Kläger arbeitete von zuhause in Langenhagen aus, das ca. 180 km vom Betrieb der Beklagten entfernt liegt.

Der Kläger war – wie seit 1989 – für die Pflege und Weiterentwicklung des Programms Statik der Beklagten zuständig. Seine Aufgabe bestand in den letzten Jahren darin, mathematische Kerne für baustatische Problemstellungen, sog. Berechnungskerne, zu programmieren. Er hatte sich jahrelang mit den speziellen Berechnungskernen in den Programmen der Beklagten beschäftigt und hatte hier ein Fachwissen aufgebaut.

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass es dem Kläger grundsätzlich frei stand, seine Arbeitszeit frei einzuteilen. Während er zum Beispiel im Jahr 2001 nur 874,83 Stunden arbeitete, waren dies im Jahre 2007 1.621,19. Wegen eines Hausbaus arbeitete er z.B. in den Monaten Juli, September und Dezember 2011 jeweils weniger als 100 Stunden im Monat. Eine diesbezügliche Mitteilung machte er mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 und 17. Dezember 2011, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage B 9 und 10, Bl. 223 und 224, der Akte verwiesen wird. Er absolvierte – neben der Tätigkeit für die Beklagte – in dem Zeitraum von 1995 bis 2001 ein Studium der Bauinformatik an der Universität Hannover. Der Kläger hat eine Aufstellung über die Arbeitsstunden vorgelegt, bezüglich deren Einzelheiten auf Bl. 176 -186 der Akte verwiesen wird.

Es war Praxis zwischen den Parteien, dass der Kläger mitteilte, wann er in Urlaub ging. Ein Genehmigungsverfahren war in dieser Hinsicht nicht vorgesehen. Bezüglich der beispielhaft zu Akte gereichten Urlaubsmitteilungen wird verwiesen auf Bl. 220 bis 222. Akte. Unstreitig ist zwischen den Parteien ferner, dass der Kläger nur sehr selten im Betrieb der Beklagten vor Ort war. Auch nach Vortrag des Klägers war er allenfalls ein oder zwei Male im Jahr vor Ort. Bei der Beklagten fanden regelmäßig Meetings statt, an denen der Kläger nicht teilnahm. Er sollte allerdings im Vorfeld der Meetings einen kurzen Bericht über seine aktuellen Tätigkeiten verfassen (vgl. Bl. 665 ff. der Akte), der ggf. zum Gegenstand in den Meeting-Runden, so etwa in dem Protokoll vom 9. Juli 2008, gemacht wurde (vgl. Bl. 49 ff. der Akte).

Die Beklagte stellte dem Kläger ihr Betriebssystem (Betriebssystem Statik) als Programmierumgebung zur Verfügung. Grundlage der Überlassung des Betriebssystems war ein Nutzungsvertrag, mit dem der Kläger der Beklagten das Nutzungs- und Vertriebsrecht einräumte (Bl. 381 der Akte). Ferner erhielt der Kläger im Jahre 1994 zumindest vorübergehend einen Leihrechner (Bl. 396 der Akte). Ansonsten arbeitete er mit eigener Hardware. Er besaß einen eigenen Userzugang und ein Passwort.

Der Kläger hat seit 1998 ein Programm benutzt, dass auch die Arbeitszeit aufzeichnet. Darin war automatisch ein bestimmter Abzug für Pausen vorgegeben. Auf den Inhalt des hierzu ergangenen Begleitschreibens des Zeugen A (vgl. Anl. K. 18, Bl. 378 der Akte) wird verwiesen.

Zwischen den Parteien war eine Stundenvergütung vereinbart, was der Geschäftsführer der Beklagten in der Strafanzeige vom 26. Februar 2014 selbst einräumte (Bl. 942 der Akte). Der Kläger stellte zunächst 45 DM zzgl. Umsatzsteuer und später 37,50 € zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung. In den vom Kläger gestellten Rechnungen war bis Mitte 2008 grundsätzlich immer allgemein die “Programmierung an dem Betriebssystem STATIK der X” ausgewiesen. Ferner ist unstreitig, dass der Kläger jedenfalls ab Sommer 2008 in seinen Rechnungen gegenüber der Beklagten die zu verrichteten Tätigkeiten näher aufführte (z.B. Korrektur von Modul ‘xPSG’; Update für Programm ’07Z’ etc.).

Der Kläger hielt mit dem Betrieb engen Kontakt via E-Mail. Eine Vielzahl der EMails enthielt einen Prüfauftrag mit der Bitte bzw. Aufforderung, dass der Kläger zu einem bestimmten Problem Stellung nehmen sollte. Dabei traten verschiedene Mitarbeiter der Beklagten an den Kläger heran. Zum Teil wurden an den Kläger von Mitarbeitern der Beklagten auch konkrete Arbeitsaufträge herangetragen, z.B. mit dem Inhalt “…bitte bearbeite den Artikel Nr. … aus der Knowledgebase…” (vgl. Anlage K 33, Bl. 634 – 647 der Akte) oder “… bitte baue in deine Entwicklungsversion vom 32F folgende Schutzabfrage…” (Bl. 615 der Akte). Der Kläger hat insbesondere mit den Schriftsätzen vom 28. November 2014, 5. Dezember 2014 sowie vom 3. Februar 2015 eine Vielzahl von E-Mails vorgelegt, wegen deren näheren Einzelheiten Bezug genommen wird auf Bl. 478 bis 224 der Akte, 615 bis 629 der Akte sowie Bl. 753 bis 910 der Akte.

Mit Schreiben vom 12. August 2013 teilte die Beklagte mit, die Gesellschafterversammlung der Beklagten habe beschlossen, das Unternehmen mit Ablauf des 31. Dezember 2013 aufzulösen und zu liquidieren. Der Betrieb solle zu diesem Zeitpunkt stillgelegt werden. Ferner heißt es in dem Schreiben, dass dies für den Kläger als langjährigen Subunternehmer bedeute, dass er zukünftig keine neuen Aufträge mehr erhalten werde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird verwiesen auf Bl. 12 und 13 der Akte.

Der Kläger hat am 2. September 2013 Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, dass zwischen der Beklagten und ihm ein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass zwischen den Parteien in Wirklichkeit kein freies Mitarbeiterverhältnis, sondern ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Seine Tätigkeit für die Beklagte habe seit dem Jahre 1989 wie folgt ausgesehen:

– Erstellung von Software

– Programmpflege und Programmwartung

– Betreuung von Kunden bei Sachfragen

– Installation und Tests der Software auf verschiedenen Hartwarekonfigurationen

– Einweisung und Schulung von Kunden in die Softwareanwendung

Er hat behauptet, dass es ihn im Jahre 1992 wieder in seine Heimat nach Langenhagen gezogen habe. Nach Erhalt der Kündigung habe der ehemalige Geschäftsführer der Beklagten Herr B gefragt, ob er sich nicht vorstellen könne, einfach von zuhause aus weiter für die Beklagte zu arbeiten. Die Art und Weise der Erbringung seiner Arbeitsleistung sei bis auf den Ort der Arbeit unverändert geblieben. Er sei ausschließlich für die Beklagte tätig geworden und sei zeitlich voll ausgelastet gewesen. Er sei auch in die Arbeitsorganisation bei der Beklagten eingegliedert gewesen. Er sei gehalten gewesen, Arbeiten bei der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Software arbeitsteilig und in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit anderen Beschäftigten der Beklagten als Mitglied eines Teams zu verrichteten. Die von ihm zu programmierenden Programmteile seien eigenständig nicht lauffähig, es seien daher die Programmmodule anderer Beschäftigter erforderlich, um eine lauffähige Version eines Programms zu erstellen. Er sei auf die Nutzung des Programms Betriebssystem Statik angewiesen gewesen. Seine Eingliederung zeige sich auch daran, dass er über ein eigenes Userverzeichnis und über ein eigenes Benutzerpasswort verfügte. Er habe teilweise auch persönlich an den Meetings teilnehmen müssen, zumindest habe er vor jedem Meeting einen Bericht zum aktuellen Stand seiner Tätigkeit abgeben müssen. Er hat ferner behauptet, dass er seine Tätigkeit mehrmals pro Woche, häufig auch täglich, mit den anderen Mitarbeitern habe abstimmen müssen.

Ihm seien regelmäßig Arbeitsaufträge zugewiesen worden, es sei undenkbar gewesen, dass diese von ihm abgelehnt wurden. Die Übertragung von Aufgaben sei entweder direkt durch die Geschäftsleitung der Beklagten oder durch Arbeitskollegen erfolgt. Zur Veranschaulichung hat er eine schriftliche Arbeitsanweisung von dem Geschäftsführer C vorgelegt, wonach er ein System mit dem Stabwerk Programm 28 V berechnen sollte (Bl. 166 der Akte). Später seien ihm die zu erledigenden Aufgaben vornehmlich durch den Mitarbeiter D zugeteilt worden. Die Beklagte habe die Mängelbeseitigung ohne Vergütung verlangt, ein Werk sei nie im Sinne des Werkvertragsrechts abgenommen worden. Darüber hinaus habe er ständig, in der Regel täglich, mit den anderen Mitarbeitern der Beklagten per Telefon, E-Mail, Fax, Webcam oder per PC über die Software Teamviewer in Kontakt gestanden. Die Zusammenarbeit sei bis in das kleinste Detail gegangen. In den letzten 10 Jahren seiner Arbeit habe er insgesamt 2.929 E-Mails mit den Mitarbeitern der Beklagten ausgetauscht. In den E-Mails sei häufig ein Prüfauftrag an ihn herangetragen worden. Zum Beispiel heiße es in der E-Mail des Mitarbeiters D vom 30. Dezember 2010 “…bitte mal prüfen…”. In der E-Mail des Mitarbeiters E vom 6. Januar 2011 heiße es: “…Das Projekt ist in der Anlage, bitte prüfen…”. Mit all diesen E-Mails seien Arbeitsanweisungen an ihn herangetragen worden in der selbstverständlichen Erwartung, dass er diese erledige.

Auf den Fragebogen der Krankenkasse könne sich die Beklagte nicht stützen, weil dieser nach Ansicht des Klägers manipuliert worden sei. Er hat ferner darauf hingewiesen, dass von September 1992 bis Juni 2008 sämtliche Rechnungen pauschal ohne eine Aufschlüsselung der geleisteten Tätigkeiten erstellt worden seien. Den Rechnungen habe er die mit dem Zeiterfassungsprogramm erfasste Arbeitszeit zu Grunde gelegt.

Neben den Programmierleistungen habe ein wesentlicher Teil der von ihm zu erbringenden Arbeitsleistung darin bestanden, Kundenanfragen zu bearbeiten. Teilweise sei an die Kunden auch direkt seine Telefonnummer übermittelt worden. Beispielhaft hat der Kläger ein Schreiben des Diplomingenieurs F vom 25. Juni 1998 vorgelegt, in dem es heißt: “…Herr G bat mich direkt mit Ihnen mein kleines Problem zu besprechen…”. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Schreibens wird auf die Anl. K 24, Bl. 387, der Akte verwiesen. Er sei auch angewiesen worden, an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Hierzu hat er auf eine E-Mail vom 11. September 2000 bezüglich einer Fortbildung der Firma H verwiesen (Bl. 168 der Akte). Er sei auch in zeitlicher Hinsicht weisungsgebunden gewesen. Man habe ständige Dienstbereitschaft von ihm erwartet. Er habe auch bei der Beklagten “Urlaub ” anmelden müssen, so sei zum Beispiel im Meeting-Protokoll vom 7. Juni 2010 vermerkt, dass er sich vom 7. Juni bis 11. Juni 2010 im Urlaub befinde.

Er habe auf Anweisung der Beklagten das Arbeitszeiterfassungsprogramm 25 X zu nutzen gehabt. Seit dem 7. April 1998 habe er eine aktualisierte Version des Programms mit der Bezeichnung 29 X zu verwenden gehabt. In diesem Zusammenhang sei ihm sogar vorgeschrieben worden, Pausen einzulegen. Bei zu wenig eingelegten Pausen sei ein Pausenabzug von 4 min/h ab 4,5 h der Gesamtzeit vorgenommen worden. Er habe außer der Beklagten keine weiteren “Auftraggeber” gehabt.

Selbst wenn er nicht als Arbeitnehmer anzusehen sein sollte, wäre er jedenfalls als Heimarbeiter im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG anzusehen. Er habe im Auftrag der Beklagten von zuhause aus und damit in selbstgewählter Arbeitsstätte gearbeitet und habe die Verwertung seiner Arbeitsergebnisse der Beklagten überlassen.

Der Kläger hat beantragt,

1.

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht;
2.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 12. August 2013 nicht aufgelöst worden ist;
3.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31. Dezember 2013 hinaus fortbesteht;

hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. unbegründet sein sollte,
4.

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Heimarbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG besteht;
5.

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis nicht zum 31. Dezember 2013 endet, sondern zumindest bis zum 31. März 2014 fortbestand.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass mit dem Kläger kein Arbeitsverhältnis, sondern ein freies Mitarbeiterverhältnis bestanden habe. Sie bestreitet, dass der damalige Geschäftsführer der Beklagten angeregt habe, der Kläger solle weiter von zuhause aus für die Beklagte arbeiten. Der Kläger habe vielmehr bereits im Kündigungsschreiben angegeben, er wolle in freier Mitarbeit weiter mit der Beklagten zusammenarbeiten. In einem Fragebogen der Techniker Krankenkasse habe sich der Kläger selbst als weisungsunabhängig und selbstständig charakterisiert. Dieses Dokument sei von beiden Seiten unterzeichnet worden. Er habe auch Aufträge ablehnen können. Beide Parteien seien seit über 21 Jahren von einer freien Mitarbeit ausgegangen und dies sei auch so gelebt worden. Der Kläger habe der Beklagten regelmäßig Rechnungen auf Honorarbasis erstellt und darin auch die einzelnen Werkleistungen bezeichnet. Von der Beklagten seien Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub nie gezahlt worden. Der Kläger sei praktisch nie im Hause der Beklagten vor Ort gewesen. Wenn er mal bei einem Meeting dabei war, so sei er hierzu höflich gefragt worden. Die Beklagte hat beispielhaft eine Mitteilung vom 27. August 2012 vorgelegt, in der der Kläger gefragt wurde, ob er am 3. September 2012 Zeit hätte, nach Y zukommen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Schreibens wird verwiesen auf Bl. 216 der Akte.

Der Kläger sei auch in zeitlicher Hinsicht nicht weisungsgebunden gewesen. Er habe die Beklagte über seinen Urlaub lediglich in Kenntnis gesetzt; diesbezüglich wird verwiesen auf die Anlage in B6 bis B8 der Akte, Bl. 220 bis 222 der Akte. Auch der Umstand, dass der Kläger wegen des Hausbaus teilweise weniger arbeitete, zeige, dass er über seine Arbeitszeit frei bestimmte. Ihm seien auch keine konkreten Fertigstellungstermine bezüglich seiner Arbeiten gemacht worden. Dass es fachliche Zielvorgaben für die einzelnen Aufträge gegeben habe, liege in der Natur der Sache. Auch der Werkunternehmer sei Anweisungen des Bestellers ausgesetzt. Eine fachliche Abstimmung sei besonders wichtig gewesen, da der Kläger häufig den mathematischen Kern eines Programmes programmiert habe und dieser mit den von anderen Mitarbeitern programmierten Modulen kompatibel sein musste. Unrichtig sei, dass der Kläger ab Juni 1992 die Betreuung, Einweisung und Schulung von Kunden oder die Installation und Tests der Software durchgeführt habe. Es habe auch seitens des Klägers die Möglichkeit bestanden, Mitarbeiter einzustellen. Der Kläger habe seit 2008 lediglich an drei von 92 Meetings teilgenommen habe, eine Pflicht der freien Mitarbeiter, an den Meetings teilzunehmen, habe nicht bestanden. Richtig sei, dass der Kläger Zugang zum FTP-Server sowie ein eigenes Userverzeichnis gehabt habe. Der Zugang habe den Sinn gehabt, dem Kläger einen Speicherort bei der Beklagten für die entwickelten Module zu verschaffen. Die vom Kläger dargestellten Leistungen der Kundenbetreuung würden bestritten. Etwaige vereinzelte Beratungsleistungen des Klägers gehörten jedenfalls nicht zu seinem Aufgabengebiet, seien ohne Abstimmung der Beklagten gewesen und seien vom Kläger auch nicht in Rechnung gestellt worden. Die Beklagte habe den Kläger auch nicht angewiesen, an Fortbildungen oder Workshops teilzunehmen. Die E-Mail vom 11. September 2000 sei in “cc” an die freien Mitarbeiter zur Information weitergeleitet worden. Das vom Kläger verwendete Zeiterfassungssystem habe er benutzt, um die benötigten Stunden zur ordnungsgemäßen Abrechnung zu erfassen, ihm seien auch keine Vorgaben hinsichtlich der Pausen gemacht worden.

Der Kläger sei auch kein Heimarbeiter im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG gewesen. Eine Verkehrsanschauung für die Qualifikation als Heimarbeiter habe sich bislang nur für einfache Angestelltentätigkeiten herausgebildet, so z.B. für Maschinenschreibarbeiten etc. Bei der hoch qualifizierten Tätigkeit eines Programmentwicklers sei dies nicht der Fall. Jedenfalls sei eine für die Annahme von Heimarbeit erforderliche Schutzbedürftigkeit im Falle des Klägers zu verneinen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27. Februar 2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Kläger in einem Arbeitsverhältnis tätig gewesen sei. Er habe Rechnungen mit Mehrwertsteuer gestellt. Er habe Ort, Zeit und Dauer seiner Tätigkeit frei bestimmen können. Er sei auch nicht zu Nebenarbeiten herangezogen worden. Schließlich könne nicht angenommen werden, dass er Heimarbeiter i.S.d. § 2 Abs. 1 HAG gewesen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils erster Instanz wird verwiesen auf Bl. 400 bis 407 der Akte.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 28. März 2014 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist am 28. April 2014 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Juni 2014 ist die Berufungsbegründung am 26. Juni 2014 eingegangen.

Der Kläger vertritt in seiner Berufungsbegründung die Auffassung, dass das Arbeitsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen habe. Er wiederholt und vertieft seinen Vortrag erster Instanz und meint, dass es zwar richtig sei, dass die Tätigkeit eines Programmierers sowohl als Arbeitnehmer als auch als Selbstständiger erbracht werden könne. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht den formalen Aspekten, dass der Kläger gegenüber dem Finanzamt Steuererklärungen auf Grundlage einer selbständigen Tätigkeit abgab und dass er monatlich Rechnungen unter Ausweis der gesetzlichen Mehrwertsteuer stellte, größere Beachtung geschenkt. Er meint ferner, dass dem Umstand, dass er die Tätigkeit als Programmierer von zuhause aus erbrachte, keine größere Bedeutung zukommen könne. Denn aufgrund der Tätigkeit als Programmierer sei es gleichgültig, an welchem Ort diese ausgeübt werde. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass ihm bezüglich der Dauer seiner Tätigkeit ein Selbstbestimmungsrecht verblieben sei. Ihm seien von der Beklagten Arbeitsaufgaben in einem Umfang übertragen worden, die ihn zeitlich praktisch völlig ausgelastet hätten. Er habe für Kollegen und Kunden telefonisch erreichbar sein müssen. Er meint, dass gewisse Freiheiten bei der Einteilung der Arbeitszeit auch im Arbeitsverhältnis, zum Beispiel bei der so genannten Vertrauensarbeitszeit, üblich seien.

Demgegenüber würde eine Vielzahl von Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sprechen. Die Art der Aufgabenverteilung spreche für ein Arbeitsverhältnis. Es sei undenkbar gewesen, dass der Kläger die Erledigung einer ihm übertragenen Aufgabe ablehnte. Auch die Vielzahl der Einzelweisungen würde für ein Arbeitsverhältnis sprechen. Die Beklagte habe ihm Vorgaben gemacht, bis zu welchem Zeitpunkt die Arbeiten zu erledigen sein. Er sei durch seine Tätigkeit für die Beklagte zeitlich voll ausgelastet gewesen. Er habe pro Monat regelmäßig 140 bis 160 Stunden, teilweise sogar mehr, gearbeitet. Er sei auch Teil eines Programmierteams gewesen. Er sei gehalten gewesen, Teilarbeiten bei der Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der von der Beklagten vertriebenen Software arbeitsteilig und in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit anderen Beschäftigten der Beklagten zu verrichten. Er sei auch zu erheblichen Nebenarbeiten, insbesondere der Beantwortung von Kundenanfragen, herangezogen worden. Die Beklagte habe auch eine ständige Dienstbereitschaft des Klägers erwartet. Er habe bei der Beklagten “Urlaub” anmelden müssen. Ihm sei auch im Zusammenhang mit der vorgegebenen Nutzung des Arbeitszeiterfassungsprogramms vorgegeben worden, Pausen einzulegen. Er sei auch in den Herstellungsprozess des Programms eingegliedert gewesen, die von ihm zu programmierenden Programmteile seien nicht eigenständig lauffähig. Er habe nach dem Willen der Beklagten an einer Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen gehabt. Ihm sei die Zeit dieser Veranstaltungen als Arbeitszeit vergütet und die entstandenen Reisekosten erstattet worden. Beispielhaft hat er auf eine E-Mail vom 11. September 2000 bezüglich einer Schulung der Firma H verwiesen (Anlage K 34, Bl. 648 der Akte). Er sei auch angewiesen worden, Kundenanfragen direkt zu beantworten und Kundenhilfestellungen bei Problemen zu geben. Zu diesem Zwecke habe die Beklagte dem Kläger Kundenverzeichnisse und Telefonverzeichnisse der Kunden übersandt (Anl. K37, Bl. 651 ff.). Er sei auch zur Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben zwingend auf die Nutzung der von der Beklagten zur Verfügung gestellten Software angewiesen.

Für den Umstand, dass er Arbeitnehmer gewesen sei, spreche auch eine Vielzahl von E-Mails von Mitarbeitern der Beklagten und des Geschäftsführers. Diese E-Mails verdeutlichten, dass der Kläger intensiv mit Mitarbeitern der Beklagten zusammenarbeitete, Fachliteratur zu berücksichtigen habe, Änderungswünsche zu berücksichtigen habe, dass von Mitarbeitern der Beklagten Anweisungen an ihn herangetragen worden seien und dass er zur Teilnahme an Meetings verpflichtet gewesen sei. Wegen des näheren Inhalts der E-Mails wird verwiesen auf den Inhalt des Schriftsatzes am 28. November 2014 und die als Anlage überreichten CD, Bl. 477 bis 588 der Akte.

Mittlerweile habe auch die Deutsche Rentenversicherung mit Bescheid vom 8. April 2014 festgestellt, dass der Kläger als abhängig Beschäftigter tätig gewesen sei. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Bescheides wird verwiesen auf Bl. 450 bis 446 der Akte. Der hiergegen gerichtete Widerspruch sei mit Bescheid vom 9. Dezember 2014 (vgl. Bl. 742 der Akte) zurückgewiesen worden.

Jedenfalls sei das Vertragsverhältnis aber als Arbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG anzusehen. Nach der Änderung des HAG komme es für die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt, auf eine wie auch immer geartete “Verkehrsauffassung” nicht mehr an.

Der Kläger stellt die Anträge, das Urteil des Arbeitsgerichts Kassel vom 27. Februar 2014 – 3 Ca 357/13 – abzuändern und wie folgt zu erkennen:

1.

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht;
2.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 12. August 2013 nicht aufgelöst worden ist;
3.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31. Dezember 2013 hinaus fortbesteht;

hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. unbegründet sein sollte,
4.

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Heimarbeitsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 HAG besteht;
5.

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Heimarbeitsverhältnis nicht zum 31. Dezember 2013 endete;
6.

die Beklagte zu verurteilen, ein Zeugnis über das Dienstverhältnis und dessen Dauer zu erteilen, das sich auf Leistungen und Führung im Dienst erstreckt;

hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. begründet sein sollte,
7.

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und meint, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden, dass der Kläger kein Arbeitnehmer gewesen sei. Er habe über den Ort der Leistung bestimmt. Er habe an einem von ihm selbst eingerichteten und ausgestatteten Arbeitsplatz gearbeitet. Er habe der Beklagten monatlich Rechnungen unter Ausweis der gesetzlichen Mehrwertsteuer gestellt und auch gegenüber dem Finanzamt Steuererklärungen auf Grundlage einer selbstständigen Tätigkeit abgegeben. Er habe 1992 sein ursprüngliches Arbeitsverhältnis zur Beklagten gekündigt und zugleich Interesse an einer freien Mitarbeit bekundet. Er habe auch Zeit und Dauer seiner Tätigkeit frei bestimmen können. Ihm seien keine detaillierten Vorgaben gemacht worden, mit welchen Arbeitskräften er die übernommenen Aufgaben zu erledigen habe. Die Tätigkeit des Klägers habe allerdings nicht losgelöst von betrieblichen Erfordernissen und fachlichen Vorgaben erfolgen können. In diesem Zusammenhang habe die Zwecksetzung der Tätigkeit des Klägers ein gewisses, möglicherweise auch höheres Maß an Kommunikation mit Arbeitnehmern der Beklagten erfordert. Er sei zur Teilnahme an Meetings nicht verpflichtet gewesen und habe auch keine Kunden vor Ort aufsuchen müssen. Er habe keine Urlaubsanträge einzureichen gehabt und habe auch sehr kurzfristig in Urlaub gehen können. Unzutreffend sei, dass die Beklagte Pausen vorgeschrieben habe und dass der Kläger für Mitarbeiter der Beklagten und Kunden telefonisch erreichbar sein musste. Der Kläger habe auch jederzeit Aufträge ablehnen können, diese hätten gegebenenfalls von anderen freien Mitarbeitern abgearbeitet werden können. Ihm habe es freigestanden, den Zeitrahmen seiner Tätigkeit zu bestimmen oder auch eigene Mitarbeiter einzustellen. In einzelnen Monaten sei er weit unter 100 Stunden für die Beklagte tätig gewesen, so dass er ausreichend Zeit gehabt habe, für andere Auftraggeber tätig zu werden. Er sei nie Mitarbeiter eines Programmierteams der Beklagten gewesen. Es habe zwar einen intensiven fachlichen Austausch des Klägers mit Mitarbeitern der Beklagten gegeben, dies sei allerdings lediglich der fachlichen Abstimmung bezüglich der Softwareentwicklung geschuldet gewesen. Sie behauptet, der Kläger habe auf eigene Anfrage das Zeiterfassungsprogramm der Beklagte nutzen wollen, damit er die Werkleistung besser abrechnen könne. Der Kläger habe während der 21jährigen Zusammenarbeit den Betrieb der Beklagten so gut wie gar nicht besucht.

Ferner vertritt sie die Auffassung, dass der Kläger treuwidrig handle, wenn er sich nach 21 Jahren eines klaren Einvernehmen mit der Beklagten auf Werkvertragsbasis nunmehr auf ein Arbeitsverhältnis berufe.

Schließlich sei der Kläger auch kein Heimarbeiter im Sinne von § 2 HAG. Bei dem Nettoeinkommen, welches der Kläger erzielte, sei die Schutzrichtung des HAG nicht tangiert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften.
Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.

A. Die Berufung ist zunächst zulässig.

Als Bestandsstreitigkeit ist sie unproblematisch statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 c) ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 519 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ArbGG) sowie innerhalb der bis zum 28. Juni 2014 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG, 520 ZPO).

B. Die Berufung ist begründet. Zwischen den Parteien bestand ein Arbeitsverhältnis. Dieses Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung vom 12. August 2013 nicht aufgelöst worden. Schließlich steht dem Kläger ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis zu. Auf die Hilfsanträge, die sich auf ein Heimarbeitsverhältnis beziehen, kommt es nicht an.

I. Die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 12. August 2013 hat Erfolg.

1. Der Erfolg einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG setzt den Bestand eines Arbeitsverhältnisses voraus. Ein solches lag zwischen den Parteien vor, der Kläger hatte den Status eines Arbeitnehmers.

a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG 29. August 2012 – 10 AZR 499/11 – Rn. 14, NZA 2012, 1433 [BAG 29.08.2012 – 10 AZR 499/11]). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 16, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]). § 84 Abs. 1 und Abs. 2 HGB enthält insoweit einen allgemeinen Gedanken. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt.

Welches Rechtsverhältnis vorliegt, ob also ein Werkvertrag, ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis besteht, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend (vgl. BAG 29. August 2012 – 10 AZR 499/11 – Rn. 14, NZA 2012, 1433 [BAG 29.08.2012 – 10 AZR 499/11]; BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 17, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]).

Legen die Parteien die zu erledigende Aufgabe und den Umfang der Arbeiten konkret fest, kann das für das Vorliegen eines Werkvertrags sprechen. Fehlt es an einem abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werk, kommt ein Werkvertrag kaum in Betracht, weil der “Auftraggeber” durch weitere Weisungen den Gegenstand der vom “Auftragnehmer” zu erbringenden Leistung erst bestimmen und damit Arbeit und Einsatz erst bindend organisieren muss (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 17, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]). Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem jeweiligen Bedarf des Auftraggebers, so kann auch darin ein Indiz gegen eine werk- und für eine arbeitsvertragliche Beziehung liegen, etwa wenn mit der Bestimmung von Leistungen auch über Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit entschieden wird. Wesentlich ist, inwiefern Weisungsrechte ausgeübt werden und in welchem Maß der Auftragnehmer in einen bestellerseitig organisierten Produktionsprozess eingegliedert ist (BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 17, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]). Zwar steht auch einem Werkbesteller gegenüber dem Werkunternehmer das Recht zu, Anweisungen für die Ausführung des Werks zu erteilen (vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zu den Auswirkungen auf die Vergütungsgefahr). Davon abzugrenzen ist aber die Ausübung von Weisungsrechten bezüglich des Arbeitsvorgangs und der Zeiteinteilung. Weisungen, die sich ausschließlich auf das vereinbarte Werk beziehen, können im Rahmen eines Werkvertrags erteilt werden; wird die Tätigkeit aber durch den “Besteller” geplant und organisiert und wird der “Werkunternehmer” in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten “Werks” faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe (BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 17, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]).

b) Nach diesen Grundsätzen ist hier von einem Arbeitsverhältnis auszugehen.

Es fehlt hier zwar an einer Weisungsabhängigkeit in zeitlicher und örtlicher Hinsicht. Dieser kommt bei der Art der Tätigkeit (Programmierer im Home? Office) aber auch keine entscheidende Bedeutung zu. Wesentlich ist, dass eine Eingliederung in den Betrieb der Beklagten dadurch stattgefunden hat, dass der Kläger unter einer engen Abstimmung mit den Mitarbeitern der Beklagten ein Teil eines Gesamtprojekts zu bearbeiten hatte. Er wurde ständig auch zu Nebenarbeiten, nämlich der Problemlösung zu sich stellenden Programmierfragen, herangezogen. Die Beklagte hat auf den Kläger dauerhaft wie auf einen Arbeitnehmer zurückgegriffen.

aa) Die Parteien haben eine ausdrückliche Vereinbarung nicht geschlossen. Eine solche ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht in dem von beiden Seiten unterschriebenen Fragebogen zum Versicherungsverhältnis gegenüber der Krankenkasse vom 19. Juni 1992 zu sehen. Hierin kann nur die Abgabe von bloßen Wissenserklärungen gesehen werden. Es fehlt erkennbar an einem entsprechenden Rechtsbindungswillen, einen Vertrag zu begründen.

bb) Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Tätigkeit eines Programmierers könne sowohl als Werkvertrag oder als Arbeitsvertrag zu qualifizieren sein. Eine eindeutige Typik hat sich insoweit nicht ausgebildet. Weit überwiegend dürfte einer Programmiertätigkeit allerdings ein Arbeitsverhältnis zugrunde liegen.

Bei dem Kläger handelt sich um einen Mitarbeiter, der ausschließlich extern Telearbeit verrichtet. Für diese Personengruppe wird vielfach vertreten, es handle sich trotz weitgehender Weisungsfreiheit in örtlicher und zeitlicher Hinsicht um ein Arbeitsverhältnis, wenn der Mitarbeiter auf die Arbeitsmittel des Unternehmens, insbesondere Hard- und Software bzw. auf die enge Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeiterin im Betrieb angewiesen ist (vgl. LAG Schleswig?Holstein 8. April 2005 – 2 Ta 56/05 – NZA?RR 2005, 656; ErfK/Preis 15. Aufl. § 611 BGB Rn. 81; Wank RdA 1999, 225, 232). Für eine Arbeitnehmereigenschaft soll etwa eine Onlineverbindung zum Betrieb sprechen (vgl. KR/Rost 10. Aufl. ArbNähnl. Pers. Rn. 4a; kritisch MünchArbR/Heenen 3. Aufl. § 316 Rn. 7). Ein Status als Selbständiger wird teilweise bejaht, wenn einem hochqualifizierten Programmentwickler in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht keine Vorgaben gemacht werden und lediglich erwartet wird, dass ein bestimmtes Produkt zu einem bestimmten Termin fertig gestellt ist (vgl. Wedde Telearbeit 2002 S. 41; a.A. aber im Einzelfall LSG Nordrhein?Westfalen 16. Januar 2007 – L 11 (16) KR 16/04 – Juris). Letztlich sind aber auch hier die allgemeinen Abgrenzungskriterien heranzuziehen.

(1) Der Kläger hat kein fest abgrenzbares Werk erstellt. Dies spricht gegen die Annahme eines Werkvertrags (BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 20, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]).

Er hatte zur Aufgabe, “Programmiertätigkeiten” zu erbringen. Diese bezogen sich auf das Betriebssystem Statik der Beklagten. Nach seinen Bekundungen war er mit der Pflege und Weiterentwicklung dieses Systems befasst. Auch nach dem Vortrag der Beklagten bestand seine Tätigkeit nicht nur in der Erstellung von einer bestimmten Software, sondern auch in der Programmpflege und Wartung (vgl. Bl. 195 der Akte). Die Pflege eines Programms ist eine Dienstleistung, nicht das Erstellen eines bestimmten Werks. Ab 2005 kam hinzu, dass er Berechnungskerne berechnete. Worin hier jeweils ein einzelnes Werk zu sehen sein soll, erschließt sich nicht. In den vom Kläger erstellten Rechnungen war jedenfalls bis zum Sommer 2008 nur pauschal die Tätigkeit “Programmierung am Betriebssystem Statik der X” in Rechnung gestellt worden. Der Kläger war mit sehr vielfältigen Programmieraufgaben befasst. Soweit in späteren Rechnungen von einzelnen Tests oder Updates die Rede ist, ist auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass es sich jeweils um getrennt zu behandelnde Werkverträge handeln soll. Die Beklagte hat hier über Jahre dauerhaft auf die Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers zurückgegriffen; deshalb liegt die Annahme eines Dienstvertrags in der Form eines Arbeitsvertrags näher als die Annahme einer Vielzahl (konkludent geschlossener) Werkverträge. Dafür spricht auch, dass eine offizielle “Werkabnahme” nicht stattfand. Der Kläger hatte keine (nicht vergütete) Mängelbeseitigung zu leisten. Wenn noch Nachbesserungen erforderlich waren, hat er diese Stunden in Rechnung gestellt.

(2) Der Kläger war für seine Tätigkeit auf den Zugang zu dem Betriebssystem der Beklagten angewiesen. Er hat, ohne dass dies substantiiert bestritten worden ist, behauptet, dass ihm die “Programmierumgebung” zur Verfügung gestellt worden sei. Dies ist nachvollziehbar und glaubhaft gemacht worden durch den vorgelegten Nutzungsvertrag vom 17. Juni 1992, wonach dem Kläger das Recht eingeräumt wurde, das Betriebssystem Statik Version 2.9 zum Zwecke der Programmentwicklung im Auftrag der Beklagten zu nutzen. Ohne diese Software hätte er die Entwicklungs- und Pflegearbeiten nicht durchführen können.

Ferner besaß der Kläger ein Login-Passwort und konnte von zuhause aus auf das Betriebssystem bei der Beklagten zugreifen.

(3) Der Kläger konnte nicht ohne Mithilfe der anderen im Betrieb tätigen Arbeitnehmer arbeiten, sondern er war in einen arbeitsteiligen Prozess eingebunden, der eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten “Werkes” faktisch ausschloss. Auch dies sprich für ein Arbeitsverhältnis (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 17, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]). Der Kläger hat eine Vielzahl von E-Mails vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass er ständig, z.T. sogar mehrmals am Tag, jedenfalls aber häufig mehrmals in der Woche, mit den Arbeitnehmern der Beklagten in Kontakt stand. Dabei ging es um das Abklären fachlicher Fragen. Es ist ohne weiteres einleuchtend, wenn der Kläger behauptet, dass eine enge Abstimmung von Nöten war, wenn er Berechnungskerne programmierte, die mit anderen Modulen, die von anderen Arbeitnehmern programmiert wurden, später zusammengeführt werden mussten. Zwar kann auch im Werkvertragsrecht der Besteller nach § 645 BGB fachliche Vorgaben bei der Erstellung des Werks machen. Diese beschränken sich aber in der Regel auf bestimmte Grundparameter; hier war es hingegen so, dass eine permanente fachliche Abstimmung und ein Austausch stattfanden.

Dieser ging offenbar auch über die konkrete Arbeit, mit der der Kläger gerade beschäftigt war, hinaus. Denn in den E-Mails hieß es häufig: “…Schau dir das bitte einmal an…”, “….bitte prüfen….” etc.

(4) Der Kläger hat zwar bis auf wenige Ausnahmen nicht an den Meetings im Betrieb teilgenommen. Dennoch war er in die Abstimmung der betrieblichen Abläufe umfangreich mit eingebunden. Er hatte regelmäßig Berichte vor den Meetings zu fertigen. In den Meetings wurde dann u.a. erörtert, mit was der Kläger aktuell beschäftigt war. Das Erstellen regelmäßiger Berichte spricht indiziell für eine Überwachung der Tätigkeit des Klägers und damit für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses.

(5) Der Kläger konnte das von ihm erstellte “Werk” nicht am freien Markt veräußern. Auch dies spricht gegen ein Arbeitsverhältnis (vgl. Wedde Telearbeit 2002 S. 40). Es handelte sich um eine sehr spezialisierte Weiterentwicklung des Betriebssystems Statik der Beklagten. Nach der Nutzungsvereinbarung stand ausschließlich der Beklagten das Nutzungsrecht an den Weiterentwicklungen des Klägers zu.

(6) Der Kläger wurde umfangreich zu Nebenarbeiten herangezogen, was ebenfalls für ein Arbeitsverhältnis typisch ist (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 24, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]; BAG 15. Februar 2012 – 10 AZR 301/10 – Rn. 21, NZA 2012, 731 [BAG 15.02.2012 – 10 AZR 301/10]). Durch den vom Kläger vorgelegten E-MailVerkehr steht fest, dass der Rat des Klägers häufig zu fachlichen Themen eingeholt worden ist. Wollte man dies jeweils als einen separaten Vertrag einstufen, könnte man hier nicht an einen Werkvertrag, sondern allenfalls an einen Beratervertrag i.S.e. Geschäftsbesorgungs- oder Dienstvertrags denken. Die Annahme einer Vielzahl von Werkverträgen neben einer Vielzahl von freien Beraterverträgen erscheint aber fernliegend und konstruiert. Die Beklagte hat sich der Fachkenntnisse des Klägers dauerhaft wie bei einem Festangestellten bedient, so dass die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nahe liegt.

Der Kläger stand hierbei zumindest teilweise, wenn auch in seltenen Fällen, auch in einem unmittelbaren Kundenkontakt. Der Kläger hat z.B. ein Schreiben von ihm an einen Kunden Prof. I vom 3. Januar 2005 vorgelegt sowie einen E-Mai-Verkehr, der ausweist, dass erwartet wurde, dass ein Kunde J unmittelbar bei dem Kläger anruft (Bl. 391 und 392 der Akte). Indem der Kläger nach außen für die Beklagte auftrat, musste er nach außen wie ein Arbeitnehmer erscheinen. Für einen selbständigen Unternehmer ist es völlig untypisch, wenn dieser direkt mit den Endkunden und nicht nur mit seinem Auftraggeber in Kontakt tritt.

(7) Der Kläger hatte die geschuldete Tätigkeit – zumindest faktisch – persönlich zu erbringen. Die Anstellung von Mitarbeitern war ihm zwar nicht verboten. Allerdings handelte es sich – was zwischen den Parteien unstreitig ist – um eine sehr spezialisierte Tätigkeit. Der Kläger verfügte einerseits über eine lange Erfahrung mit dem Betriebssystem der Beklagten, andererseits hatte er ein Studium des Bauingenieurswesens und später der Bauinformatik aufzuweisen. Er konnte daher nicht beliebig ersetzt werden. Letztlich waren für die Beklagte die persönliche Qualifikation und die Fachkenntnisse ausschlaggebend (vgl. BAG 25. September 2013 – 10 AZR 282/12 – Rn. 25, NJW 2013, 3672 [BAG 25.09.2013 – 10 AZR 282/12]).

(8) Gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht im vorliegenden Fall, dass der Kläger in Bezug auf den Ort der Arbeitsleistung keine Vorgaben der Beklagten zu beachten hatte. Er durfte – nach eigenem Willen – von Anfang an von zuhause aus arbeiten. Die fehlende Weisungsunterworfenheit bzgl. des Orts der Arbeitsleistung kann hier indes nicht den Ausschlag geben. Die Tätigkeit eines Programmierers ist an sich nicht an einen Betrieb gebunden. Auch im Arbeitsverhältnis kommen “Home Office”-Arbeitsplätze vor.

(9) Ferner hatte er eine weitgehende Zeitsouveränität. Er konnte entscheiden, an welchen Tagen er in der Woche zu welcher Uhrzeit arbeiten wollte. Andererseits hat er nach eigenem, nicht bestrittenem Vortrag nicht einmal in den 20 Jahren einen Arbeitsauftrag abgelehnt. Er war daher “stets ansprechbar”, ähnlich wie das bei einer ständigen Dienstbereitschaft der Fall ist.

Bzgl. des Urlaubs war es üblich, dass dieser zwar nicht genehmigt werden musste, der Kläger diesen aber im Vorfeld anzeigte. Damit war auf Seiten der Beklagten eine Planbarkeit gegeben, denn sie wusste, dass der Kläger in den Zeiten des angegebenen Urlaubs nicht zur Verfügung stehen werde. Dies zeigt zumindest, dass die Beklagte permanent damit rechnete, auf die Arbeitsleistung des Klägers zugreifen zu können.

Schließlich spricht für ein Arbeitsverhältnis, dass der Kläger ein von der Beklagten überlassenes Programm verwendete, das die Arbeitszeit aufzeichnete. Ob dieses auch bei den Festangestellten zum Einsatz kam, wurde in dem Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Geschäftsführer der Beklagten bestritten. Auch wenn das Programm im Falle des Klägers nicht primär den Zweck hatte, seine Arbeit zu kontrollieren, bestand damit dennoch – zumindest potentiell – eine Überwachungsmöglichkeit.

Dass der Kläger in seiner Programmiertätigkeit weitgehend frei von inhaltlichen Weisungen arbeiten konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass es sich um eine qualifizierte, höherwertige Tätigkeit handelt (vgl. auch LSG Nordrhein?Westfalen 16. Januar 2007 – L 11 (16) KR 16/04 – Juris). Bei einer solchen Tätigkeit sind konkrete Weisungen den Inhalt der Tätigkeit betreffend allgemein eher selten.

Bei Abwägung aller Umstände überwiegen die Gesichtspunkte, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen.

c) Es ist nicht rechtsmissbräuchlich nach § 242 BGB, wenn sich der Kläger – auch nach einer langen Zeit – darauf beruft, dass in Wahrheit ein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Die Parteien sind hier anfangs von der Begründung eines freien Mitarbeiterverhältnisses ausgegangen. Dieses wurde auch jahrelang formal wie ein freies Mitarbeiterverhältnis abgewickelt. Dennoch folgt hieraus keine rechtsmissbräuchliche Haltung des Klägers.

In der Vergangenheit hat das Bundesarbeitsgericht z.B. angenommen, der Arbeitnehmer verhalte sich treuwidrig, wenn er zuvor bereits in einem Statusprozess ein Urteil erstritten hat, nach dem er als Arbeitnehmer anzusehen sei, sich hieran aber später nicht mehr festhalten lassen will (vgl. zusammenfassend Reinecke RdA 2001, 357, 367 m.w.N.). Die Beklagte hat auch nicht behauptet, dem Kläger den Abschluss eines Arbeitsvertrags angeboten zu haben, den dieser aber abgelehnt hat (vgl. BAG 11. Dezember 1996 ? 5 AZR 708/95 ? AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung? Verwirkung Nr. 36, zu I 2 b der Gründe). Es schadet auch nicht, dass die Tätigkeit das Ergebnis von Besprechungen oder einer Übereinkunft im Jahre 1992 war (vgl. BAG 8. November 2006 – 5 AZR 706/05 – Rn. 22, NZA 2007, 321 [BAG 08.11.2006 – 5 AZR 706/05]), die Parteien zunächst also bewusst davon ausgegangen sind, kein Arbeitsverhältnis zu begründen und der Arbeitnehmer die Vorteile aus einem freien Mitarbeiterverhältnis entgegen genommen hat (vgl. BAG 4. Dezember 2002 – 5 AZR 556/01 – zu II 4 der Gründe, NZA 2003, 341 [BAG 04.12.2002 – 5 AZR 556/01]; KR/Rost 10. Aufl. ArNähnl. Pers. Rn. 19). Auch der von beiden Seiten unterschriebene Fragebogen zum Versicherungsverhältnis gegenüber der Krankenkasse vom 19. Juni 1992 vermag das Verhalten des Klägers nicht als treuwidrig einzustufen. Der Kläger hat – nach damaligem Stand zutreffend – angegeben, dass er von einem freien Mitarbeiterverhältnis ausging.

Es schadet auch nicht, dass der Kläger das ursprünglich zu der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis von sich aus kündigte und in dem Schreiben vom 4. Mai 1992 von sich aus die Begründung eines freien Mitarbeiterverhältnisses anregte. Hintergrund war insbesondere, dass der Kläger wieder aus persönlichen Gründen nach Hannover zurück wollte. Dies wäre, hätten die Parteien das alte Arbeitsverhältnis schlicht fortgesetzt, u.U. nicht möglich gewesen. Die Beklagte hätte sich zu einer “Home Office-Lösung” entschließen müssen, was in Arbeitsverhältnissen allenfalls die Ausnahme darstellt. Damit kann hier unterstellt werden, dass die Begründung eines freien Mitarbeiterverhältnisses durchaus im Interesse des Klägers lag und die Initiative hierzu von ihm ausging. Dies vermag indes noch keinen Vertrauenstatbestand auf Seiten des Arbeitgebers zu begründen, der Kläger könne sich nicht zu einem späteren Zeitpunkt darauf berufen, es handle sich um ein Arbeitsverhältnis. Denn auch die tatsächliche Handhabung zu einem späteren Zeitpunkt kann es rechtfertigen, dass ein Arbeitsverhältnis anzunehmen ist. Der Arbeitnehmer muss dann nicht etwa einen “Widerspruch” gegenüber dem Arbeitgeber erklären (vgl. BAG 4. Dezember 2002 – 5 AZR 556/01 – zu II 4 der Gründe, NZA 2003, 341 [BAG 04.12.2002 – 5 AZR 556/01]). Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung vom 11. Dezember 1996 zugrunde lag, hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit keine statusbezogenen Erklärungen abgegeben, z.B. den Abschluss eines “formellen” Arbeitsverhältnisses explizit abgelehnt (vgl. BAG 11. Dezember 1996 ? 5 AZR 708/95 ? AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung?Verwirkung Nr. 36, zu I 2 b der Gründe, NZA 1997, 818 [BAG 11.12.1996 – 5 AZR 708/95]).

2. Es liegt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Diese ist in dem Schreiben vom 12. August 2013 zu sehen. Auch wenn das Wort “Kündigung” nicht ausdrücklich genannt wird, ergibt die Auslegung, dass das mit dem Kläger bestehende Vertragsverhältnis beendet werden sollte.

3. Die Beklagte hat keine Gründe vorgetragen, die die Kündigung vom 12. August 2013 rechtfertigen i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG. Auf das Arbeitsverhältnis findet das KSchG Anwendung. Der Kläger hat unwidersprochen die Behauptung aufgestellt, dass die Beklagte regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigte. Es wäre daher Sache der Beklagten gewesen, die Kündigung zu begründen. Dies ist unterblieben.

Als möglicher Kündigungsgrund stand offenbar eine Betriebsstillegung zur Debatte. Wie eine Rückfrage in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, wurde der Betrieb jedoch offensichtlich – wenn auch eingeschränkt – fortgeführt.

II. Die Statusfeststellungsklage (Klageantrag zu 2.) ist zulässig und begründet.

1. Der Antrag ist zulässig. Das Feststellungsinteresse ist gegeben. Es handelt sich nicht um eine vergangenheitsbezogene Feststellungsklage. Gegenstand des Antrags zu 2. ist vielmehr die Frage, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor den Tatsachengerichten ein Arbeitsverhältnis bestand. Diese Konstellation ist nicht mit denjenigen Fällen zu vergleichen, in denen die Beendigung des Vertragsverhältnis zwischen den Parteien unstreitig ist und die Feststellung, dass in der Vergangenheit ein Arbeitsverhältnis bestanden habe, auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinauslaufen würde (vgl. BAG 6. November 2002 – 5 AZR 364/01 – zu 1 b der Gründe, AP Nr. 78 zu § 256 ZPO 1977).

Es ist auch unschädlich, dass nicht jede Einzelheit des Inhalts des Arbeitsverhältnisses in den Antrag aufgenommen wurde (vgl. BAG 20. Juli 1994 – 5 AZR 169/93 – zu III 2 der Gründe, NZA 1995, 190 [BAG 20.07.1994 – 5 AZR 169/93]). Für die Vergütung gilt notfalls § 612 BGB.

2. Der Antrag ist auch begründet. Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis. Dies wurde bereits oben zu dem Antrag zu 1. näher ausgeführt.

III. Dem Kläger steht ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis zu. Ein solcher Anspruch ist dem Arbeitnehmer zuzubilligen, wenn dafür ein sachlicher Grund besteht. Ein solcher sachlicher Grund kann insbesondere bejaht werden, falls das Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist. So liegt der Fall auch hier.

IV. Hingegen ist die allgemeine Feststellungsklage unzulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt, weil keine weiteren Beendigungstatbestände im Raum stehen.

V. Die Hilfsanträge, die ein Heimarbeitsverhältnis voraussetzen, fallen nicht zur Entscheidung an.

C. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Revision ist für die Beklagte nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.

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Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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