LAG Hessen, 18.11.2015 – 12 Sa 1786/14

April 14, 2019

LAG Hessen, 18.11.2015 – 12 Sa 1786/14
Orientierungssatz:

Einzelfall
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 29.04.2010 – 3 Ca 525/09 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte (spätere Schuldnerin) übergegangen ist und die Klägerin ihr gegenüber Vergütungsansprüche geltend machen konnte.

Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. A in B (zunächst Beklagte und spätere Schuldnerin). Das Insolvenzverfahren ist eröffnet worden, nachdem die Schuldnerin Berufung eingelegt hatte. Die Klägerin war auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 26.03.2008 (Bl. 4 – 9 d.A.) seit dem 01.04.1989 bei der Fa. C in D bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der Fa. Büro E in D, zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt € 1.841– brutto als Angestellte für den Verkaufsinnendienst (Auftragsannahme) beschäftigt. Sie betreute dort mit zwei weiteren Mitarbeiterinnen das sog. Streckengeschäft (Annahme von Telefon/Fax- und online-Bestellungen sowie deren Bearbeitung durch Bestellen beim Lieferanten). Die Waren wurden teils mit einem eigenen Fahrzeug, meist aber durch den Lieferanten selbst oder durch Dritte ausgeliefert. Daneben bestanden noch ein Ladengeschäft und die Maschinenabteilung. Alle Bereiche standen unter der Leitung des Geschäftsführers Barthel. Abteilungsleiter gab es nicht.

Sowohl die Fa. C als auch die Schuldnerin gingen zum 01.04.2008 aus den insolventen Schwesterunternehmen Büro E in D und B hervor, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer Herr F war. Die C D geriet im Verlauf des Jahres 2008 immer mehr unter finanziellen Druck. Die Schuldnerin übernahm im Oktober 2008 gegen Sicherungsübereignung die Bezahlung der von ihr beim Zentralregulierer I bestellten Waren. Die C bestellte dort etwa 70 % ihrer Ware. Die Verbindlichkeiten der C gegenüber der Schuldnerin beliefen sich schließlich auf EUR 105.000,–. Am 09.03.2009 schlossen beide Gesellschaften eine Vereinbarung (Bl. 10-12 d.A.), die die sofortige “Übertragung des Streckengeschäftes” von der Fa. C auf die Schuldnerin zum Gegenstand hatte. Für die im Einzelnen dort getroffenen Absprachen wird auf den Vereinbarungstext Bezug genommen (Bl. 10-12 d.A.). Schon vorher, am 16.02.2009, versandten die Gesellschaften ein gemeinsames Rundschreiben an ihre Kunden (Bl. 47 d.A.), in dem sie mitteilten, dass zukünftig das Streckengeschäft neu organisiert werde. Die Veränderungen geschähen im Hintergrund, für die Kunden fielen nur wenige Umstellungen bei den Kontaktdaten an. Ansonsten bleibe alles unverändert, das gelte insbesondere für die Ansprechpartner, darunter die Klägerin. Die wesentliche Änderung für die Kunden bestand darin, dass die Rechnungen künftig auf ein Konto der Schuldnerin zu begleichen waren. Am 18.02.2009 leitete der Geschäftsführer G der C E-Mails des Geschäftsführers der Schuldnerin vom 16.02.2009 und vom 20.02.209 (Bl. 48 – 50 d.A.) über die künftige Verfahrensweise im Streckengeschäft an die drei dort tätigen Mitarbeiterinnen weiter.

Die Fa. C sprach am 30.03.2009 gegenüber der Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung zum 31.07.2009 aus. Sie stützte sie darauf, dass der Arbeitsplatz wegen der Ausgliederung des Streckengeschäfts weggefallen sei. Dagegen hat die Klägerin Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht in Offenbach (Az.: 1 Ca 137/09) erhoben. Das Verfahren endete durch einen Vergleich, der jedoch Regelungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den dortigen Parteien nur für den Fall enthielt, dass als Ergebnis des vorliegenden Verfahrens kein Betriebsübergang festgestellt würde. Die Klägerin erhielt für den Monat Mai 2009 keine Vergütung. Die Vergütung für die Monate Juni und Juli 2009 zahlte, veranlasst durch die vorläufige Insolvenzverwalterin, die C.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht erhobenen Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt, dass zwischen ihr und der Schuldnerin (frühere Beklagte) ein Arbeitsverhältnis begründet wurde sowie die Vergütung für den Monat Mai 2009 in Höhe von € 1.841,–verlangt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr Arbeitsverhältnis sei spätestens zum 09.03.2009 auf die Schuldnerin (frühere Beklagte) übergegangen. Der Bereich Streckengeschäft sei durch die Vereinbarung vom 09.03.2009 zwischen den beiden Gesellschaften ausgliedert und übertragen worden und so im Wege eines Betriebsübergangs auf die Schuldnerin (frühere Beklagte) übergegangen. Ab diesem Zeitpunkt hätten sie und ihre beiden Kolleginnen nur noch für die Schuldnerin gearbeitet. Alle für die C eingehenden Aufträge seien an die Schuldnerin (frühere Beklagte) weitergeleitet und dort bearbeitet und ausgeführt worden. Auch der Kundenstamm sei komplett übertragen und die Mitarbeiter seien aufgefordert worden, die Kundenordner zu übergeben. Die Schuldnerin (frühere Beklagte) habe ihr, wie den beiden anderen Mitarbeiterinnen auch, ein Stellenangebot zur Weiterarbeit in B gemacht, allerdings ohne Anrechnung ihrer bisherigen Betriebszugehörigkeitszeiten.

Nach ihrer gemeinsamen Ablehnung seien in B drei neue Mitarbeiter eingestellt worden. Bis dahin sei dort lediglich eine Teilzeitkraft beschäftigt gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen besteht;

die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 1.841,– brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils € 3.925,– brutto seit dem 1. Juni 2009 zu zahlen.

Die Schuldnerin (frühere Beklagte) hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Schuldnerin (frühere Beklagte) hat die Ansicht vertreten, die Vereinbarung vom 09.03.2009 enthalte lediglich eine rechtliche Abrede. Tatsächlich habe jedoch ein Betriebsübergang nie stattgefunden. Sie hat behauptet, es sei so gewesen, dass beide Unternehmen in D und B schon immer denselben Kundenstamm gehabt hätten. Das sei auch bei den beiden insolventen Vorgängerunternehmen schon so gewesen. Sie habe auch schon immer D mit entsprechenden Materialien beliefert und gegenüber D abgerechnet. Die Vereinbarung vom 09.03.2009 zwischen beiden Unternehmen sei durch den hohen Schuldenstand D gegenüber B aus Warenlieferungen u.a. für das Streckengeschäft veranlasst. Sie sei zu dem Zweck geschlossen worden, dass sie, die Beklagte, auf diesem Wege das Streckengeschäft in Eigenregie durchführen und daraus ohne D als Zwischenstation Umsätze schreiben, während gleichzeitig D die aus Warenlieferungen an sie angehäuften Schulden abtragen konnte.

Das Arbeitsgericht Offenbach hat mit Urteil vom 29.04.2010 (3 Ca 525/09) einen Betriebsübergang bejaht und die Schuldnerin (frühere Beklagte) zur Zahlung der Vergütung für den Monat Mai 2009 in Höhe von € 1.841,– brutto verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Teilbetrieb Streckengeschäft, der einen abgeschlossenen Zweck verfolgte und in dem die Klägerin tätig war, auf die Schuldnerin (frühere Beklagte) durch Rechtsgeschäft übergegangen sei. Die Vereinbarung vom 09.03.2009 stelle ein solches ausreichendes Geschäft dar. Die Beklagte sei dem Vortrag der Klägerin, es sei auch entsprechend der Vereinbarung gehandelt worden, nicht ausreichend entgegengetreten. Neben der Vereinbarung selbst sprächen auch die konkreten Arbeitsanweisungen der Beklagten, dass das Auftragsund Bestellungsgeschäft künftig nur noch für die Beklagte zu bearbeiten sei, dafür, dass die Vereinbarung auch tatsächlich umgesetzt wurde. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 74R – 76 d. A.).

Gegen das ihr am 07.06.2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Schuldnerin (frühere Beklagte) am 31.05.2010 Berufung eingelegt und diese am 06.08.2010 begründet. Den vom Arbeitsgericht titulierten Betrag in Höhe von € 1.841,– hat die Schuldnerin zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung an die Klägerin gezahlt. Mit Beschluss des Amtsgericht Mainz vom 01.11.2011 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter eingesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 06.02.2013 (12 Sa 801/10) die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.08.2014 (Az.: 8 AZR 648/13) das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur neuen Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Beklagte wiederholt und vertieft das erstinstanzliche Vorbringen der Schuldnerin. Der Beklagte ist der Ansicht, beim Streckengeschäft habe es sich nicht um eine selbständige, abtrennbare organisatorische Einheit gehandelt. Er behauptet, alle Mitarbeiter/innen des Verkaufsinnendienstes hätten gemeinsam im Tätigkeitsfeld der C, nämlich dem Verkauf von Büroartikeln, Büromaschinen und -möbeln sowie deren Wartung und Reparatur gearbeitet. Das “Streckengeschäft” sei dabei lediglich eine von mehreren Verkaufsarten gewesen. Der Verkaufsinnendienst habe nur eine Telefon- und Faxnummer gehabt, bei der sämtliche Anrufe zur gesamten Angebotspalette und zu sämtlichen Verkaufsarten einliefen. So hätten auch weitere Mitarbeiter gelegentlich Bestellungen für das Streckengeschäft bearbeitet und Kunden beraten. Umgekehrt habe die Klägerin auch beim Verkauf im Laden sowie im Lager gearbeitet. Die Mitarbeiter/innen seien nicht in Abteilungen unterteilt gewesen. Beide Unternehmen hätten den gleichen, noch auf das Vorgängerunternehmen zurückgehenden Kundenstamm gehabt.

In der Vereinbarung vom 09.03.2009 sieht er keinen Nachweis für einen Betriebsübergang; denn nach den tatsächlichen Verhältnissen sei keine der einen Betriebsübergang kennzeichnenden Voraussetzungen erfüllt. Er behauptet, es habe keine Übertragung des Kundenstamms gegeben; denn beide Unternehmen hätten einen gemeinsamen Kundenstamm schon aus der Zeit der Schwestergesellschaften Büro E gehabt. Auch nach der Trennung auf zwei Server sei auf beide Server der gleiche Datensatz mit dem gesamten Kundenstamm aufgespielt worden. Weiter habe sich die Organisation des Streckengeschäfts ab März 2009 verändert, wie die von der Klägerin vorgelegten Anlagen A 1 u. A 2 zeigten (2 E-Mails des Geschäftsführers der Schuldnerin vom 20.02.009 “Verlagerung Streckengeschäft” an den Geschäftsführer der C D ) Bl. 48-50 d.A.). Die Vereinbarung vom 09.03.2009 sehe auch keine Übertragung der Kunden vor. Sie schließe nur – mit dem Ziel des Abbaus der bestehenden Verbindlichkeiten im Verhältnis zur Schuldnerin – den Zugriff der C auf die gemeinsamen Kunden partiell aus. Die Vereinbarung sei geschlossen worden, um der Schuldnerin die Möglichkeit zu eröffnen, die Verbindlichkeiten der C zurückzuführen. In dieser Konstruktion liege eine Abtretung mit Einzugsermächtigung, aber kein Betriebsübergang. Im Übrigen sei zwischen den beiden Gesellschaften weder ein Kaufpreis vereinbart worden noch Stammpersonal oder Anlagevermögen (Kfz, Computer, Büroeinrichtung) auf die Schuldnerin übergegangen. Die Schuldnerin habe vielmehr die C in einem Auftragsverhältnis gegen Entgelt beauftragt, die Einzelgeschäfte im Rahmen der o.g. Abtretungsvereinbarung mit Einzugsermächtigung durchzuführen. Im Übrigen sei schon nach dem Wortlaut der Vereinbarung vom 09.03.2009 kein Betriebsübergang anzunehmen. Die Vereinbarung räume der Schuldnerin lediglich ein, das Streckengeschäft zu erledigen, ohne es dauerhaft auf sie übertragen zu wollen. Es habe sich nur um eine vorübergehende Absprache mit dem Ziel der Rückführung der Verbindlichkeiten der C an die Schuldnerin gehandelt.

Der Beklagte behauptet weiter, das Warensortiment der Schuldnerin sei wesentlich größer als das der C gewesen, andererseits habe sie alles geführt, was die C auch im Sortiment hatte. Das Warensortiment beider Gesellschaften sei im Umfang von 15.000 Warengruppen immer identisch gewesen. Die Schuldnerin habe zusätzlich dazu noch das Warensortiment der in ihr aufgegangenen Fa. H geführt. Die Schuldnerin habe mit der Übernahme des Streckengeschäfts keine Lieferverträge oder Einkaufskonditionen der C übernommen, sondern mit ihren eigenen Verträgen weiter gearbeitet. Es sei umgekehrt vielmehr so gewesen, dass erst die Schuldnerin der C die Möglichkeit des Einkaufs bei I eröffnet habe, indem sie ihr ein eigenes exklusives Unterkonto einrichtete. Von den übrigen Lieferanten, von denen etwa 30 % der Ware bestellt wurde, habe sie ebenfalls nichts übernommen, sondern dort zu ihren alten Konditionen weiter gekauft. Die Übernahme von Lieferungsbedingungen sei lediglich bei der Artikelgruppe “Toner und Tinte” erörtert worden, die besseren Konditionen stellten sich jedoch als Fehlinformation heraus. Zu den langfristigen Kundenbeziehungen weist der Beklagte zunächst darauf hin, dass diesen in der Branche – mit Ausnahme der Exklusiverträge – wegen der allgemein hohen Fluktuation kein Wert mehr beigemessen werde. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die erst seit April 2008 existierende Bürosysteme E noch keine langfristigen Kundenbeziehungen habe aufbauen können. Technische Kommunikationsmittel seien nicht übertragen worden. Die Schuldnerin habe lediglich den Anschluss der C E bezahlt, nachdem diese in Schwierigkeiten geriet, ohne ihn jedoch zu übernehmen. Das gehe darauf zurück, dass die Verträge beider Gesellschaften bei Vodafone auf einen gleichen Stamm zurückzuführen sind. Alle Bestellungen bei Lieferanten seit Anfang 2009 seien durch die Schuldnerin und ihre Mitarbeiter erfolgt. Ebenso seien alle Lieferungen an die Kundschaft ab diesem Zeitpunkt von der Schuldnerin fakturiert worden.

Die Klägerin und die Mitarbeiterin J seien von ihr bis Mitte Mai 2009 mit der Auftragsannahme und der Bestellung bei Lieferanten beauftragt worden. Eine Abrechnung für die Dienstleistung der Klägerin oder der Frau J habe die C nicht erteilt. Es seien nur die Erträge mit den Verbindlichkeiten verrechnet worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens des Beklagten wird auf die Berufungsbegründung vom 06.08.2010 und die weiteren Schriftsätze vom 31.01.2011, 05.07.2011, 31.07.2011, 05.10.2011 und vom 12.11.2012 (Bl. 110-115, 144-147, 197-204, 247-251, 278 – 294 und 311 – 318 d.A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 29.04.2010 – 3 Ca 525/09 -aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen;

im Falle einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie ist weiter der Ansicht, dass die Vereinbarung vom 09.03.2009 einen Betriebsübergang des Streckengeschäfts der C auf die Schuldnerin zum Inhalt habe. Dort sei ausdrücklich vereinbart worden, dass die C den Geschäftsbereich des Streckengeschäfts ausgliedere und auf die Schuldnerin übertrage. Die Umsetzung dieser Absprache einschließlich der Überführung der bisherigen Kunden der Fa. C sei bereits vor dem 09.03.2009 eingeleitet worden, u. a. durch das Anschreiben beider Unternehmen an die Kunden der C vom 16.02.2009, auf das die Schuldnerin im späteren Anschreiben vom 24.06.2009 nochmals verwiesen habe. Weiter sprächen die wiederholten Anweisungen des Geschäftsführers K der Schuldnerin an den Geschäftsführer G der C vom 18.02.209 und 20.02.2009, die letzterer kommentarlos an die drei im Streckengeschäft tätigen Mitarbeiterinnen weiterleitete für einen Betriebsübergang. Die Klägerin und ihre beiden Kolleginnen seien nach dem 09.03.2009 ausschließlich für die Schuldnerin tätig gewesen. In dieser Zeit habe kein Mitarbeiter der Schuldnerin das Streckengeschäft betreut. Die im Mai 2009 von der Schuldnerin neu für das Streckengeschäft eingestellte Mitarbeiterin Frau Z sei von ihr und ihren Kolleginnen in D eingearbeitet worden. Die Schuldnerin habe sich im Ergebnis die Vorteile des Streckengeschäfts der C einschließlich der Übernahme ihrer bisherigen Kundschaft zu Eigen gemacht und genutzt. Daran ändere auch die vielleicht teilweise Überschneidung der Kundenbeziehungen nichts. Erledigt wurde das Geschäft weiter von denselben Mitarbeiterinnen unter Verwendung des bisherigen Namens und der unveränderten Kontaktdaten. Kern der erfolgten Übertragung sind nach ihrer Ansicht der besondere Bestellvorgang und seine Abwicklung. Essentiell für den Betriebsübergang seien hier die von der Schuldnerin genutzten Personalressourcen, das Know-how der drei Mitarbeiterinnen und die örtliche Anbindung. Nicht von großem Gewicht sei der Transport der Ware zu den Kunden, weil er kaum mit Fahrzeugen des Unternehmens, sondern mit Fahrzeugen der Lieferanten oder Dritten erfolgt sei.

Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf die Berufungserwiderung vom 25.01.2012 und die weiteren Schriftsätze vom 06.04.2011, 15.09.2011, 25.10.2011, 07.07.2015 und vom 10.11.2015 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 132-136, 164-166, 207-209, 297-302, 373 – 376 u. 418-421 d.A.).
Entscheidungsgründe

Die Berufung ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 516, 519, 520 ZPO).

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg, weil sie begründet ist. Die Fortführung des sog. Streckengeschäfts der C durch die Schuldnerin (frühere Beklagte) zum 09.03.2009 stellt keinen Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 1 BGB dar. Ohne Übergang des Arbeitsverhältnisses der Klägerin auf die Schuldnerin ist der Beklagte nicht zur Zahlung der Vergütung der Klägerin für den Monat Mai 2009 in Höhe von € 1.841,– brutto verpflichtet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 21.08.2014 – 8 AZR 648/13; 18.08. 2011 – 8 AZR 230/10 – juris; 25.06.2009 – 8 AZR 2589/08 – NZA 2009, 1412 [BAG 25.06.2009 – 8 AZR 258/08]; 22.01.2009 – 8 AZR 158/07- NZA 2009,905; 4.5.2006 – 8 AZR 299/05; 22.7. 2004 – 8 AZR 350/03 AP 274 zu § 613 a BGB, jeweils mit weiteren Nachweisen) liegt ein Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs. 1 BGB vor, wenn ein neuer Rechtsträger die betriebliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt. Ob ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit Betrieb bei dem neuen Inhaber anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falles. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören die Art des Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und den gegebenenfalls ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben. Den für das Vorliegen eines Betriebsübergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu. In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Die Wahrung ihrer Identität ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit fortführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hat. Die bloße Fortführung der Tätigkeit (Funktionsnachfolge) stellt hingegen keinen Betriebsübergang dar (BAG 22.07.2004 8 AZR 350/03).

Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer einem Betriebsübergang gleich. Auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Betriebsteile sind Teileinheiten (Teilorganisationen) des Betriebs. Es muss sich um eine selbständige, abtrennbare organisatorische Einheit handeln, die innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks einen Teilzweck erfüllt, auch wenn es sich dabei nur um eine untergeordnete Hilfsfunktion handelt. Im Teilbetrieb müssen nicht andersartige Zwecke als im übrigen Betrieb verfolgt werden. § 613 a BGG setzt für den Teilbetriebsübergang voraus, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils hatten (BAG 26.08.1999 – 8 AZR 718/98 AP 196 zu § 613 a BGB; 16.05.2002 – 8 AZR 320/01 DB 2002, 2601). Es reicht nicht aus, wenn der Erwerber mit einzelnen bislang nicht teilbetrieblich organisierten Betriebsmitteln einen Betrieb oder Betriebsteil gründet (BAG 26.07.2007 – 8 AZR 769/06 – NZA 2008, 112).

Dafür, dass die bis hierher beschriebenen Voraussetzungen für einen Betriebsübergang oder einen Teilbetriebsübergang vorliegen, ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig (BAG 16.05.2002 – 8 AZR 320/01 AP Nr. 9 zu § 113 InsO).

Die Annahme eines Teilbetriebsübergangs ist nach diesen Grundsätzen schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich beim “Streckengeschäft” nicht um eine selbständige, abtrennbare organisatorische Einheit handelt. Die Klägerin beruft sich im Wesentlichen auf die Absprachen in der Vereinbarung vom 09.03.2009. Daneben ist in der letzten mündlichen Verhandlung unstreitig geworden, dass das Streckengeschäft, in dem drei Mitarbeiterinnen einschließlich der Klägerin tätig waren, die Annahme und Bearbeitung von Aufträgen, die per Telefon, Fax oder E-Mail eingingen, die Bestellung der Ware beim Vorlieferanten sowie die Auslieferung an die Kunden umfasste. Wesentliche Betriebsmittel waren die dafür erforderlichen technischen Kommunikationseinrichtungen und ein Fahrzeug, mit dem die Auslieferungen zum Teil erfolgten. Der Bereich war Teil des Verkaufsinnendienstes und, wie der gesamte Betrieb, direkt dem Geschäftsführer unterstellt. Eine Zwischenleitungsebene gab es nicht.

Damit fehlt es – mangels einer Zwischenleitungsebene – bereits an der für die Annahme eines Betriebsteils erforderlichen “Autonomie” des Bereichs. Es handelt sich beim Streckengeschäft lediglich um einen Aufgabenbereich, nämlich die Bearbeitung von über technische Kommunikationsmittel eingehenden Bestellungen, nicht jedoch um eine abtrennbare organisatorische Einheit. Es war organisatorisch Teil des Verkaufsinnendienstes, der insgesamt vom Geschäftsführer G geleitet wurde. Dieser Mangel an Selbständigkeit allein steht der Annahme eines Betriebsübergangs entgegen.

Zusätzlich spricht dagegen, dass die Schuldnerin weder die wesentlichen Betriebsmittel (Kommunikationseinrichtungen und Fahrzeug) noch die in dem Bereich tätigen Mitarbeiterinnen übernommen hat. Die Mitarbeiterinnen sind in den Räumen der C in D verblieben und haben nach der Vereinbarung vom 09.03.2009, auf die sich die Klägerin beruft, lediglich im Wege eines entgeltlichen Auftragsverhältnisses zwischen der C und der Schuldnerin weiter das Streckengeschäft bearbeitet.

Die Klägerin hat gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten für die Revision zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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