LAG Hessen, 19.02.2018 – 16 Ta 493/17

März 23, 2019

LAG Hessen, 19.02.2018 – 16 Ta 493/17
Leitsatz:

Eine Entgeltklage eines Betriebsratsmitglieds für Zeiten, in denen Betriebsratsaufgaben nach § 37 Absatz 2 BetrVG wahrgenommen wurden, ist im Urteilsverfahren zu verfolgen (entgegen Kappelhoff/Kühnel ArbRB 2015, 151).
Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. September 2017 – 3 BV 274/17 – in der Fassung des (teilweisen) Abhilfebeschlusses vom 19. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die statthafte Verfahrensart.

Der Arbeitgeber (Beteiligter zu 2) betreibt ein Telekommunikationsunternehmen. Die Antragstellerin ist die Vorsitzende des dort gebildeten Betriebsrats. Zwischen den Beteiligten besteht Streit über den Umfang der von der Antragstellerin für Betriebsratstätigkeit aufgewendeten Arbeitszeit. Infolgedessen erteilte der Arbeitgeber der Betriebsratsvorsitzenden verschiedene Abmahnungen und behielt einen Teil ihres Gehalts (50 %) ein.

In dem Beschlussverfahren hat die Antragstellerin folgende Anträge angekündigt:

1.

die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin am 20. Dezember 2016, am 12. Januar 2017, am 16. Januar 2017 und am 27. Februar 2017 erteilten Abmahnungen aus deren Personalakte zu entfernen,
2.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Mai 2017 ein weiteres Gehalt in Höhe von netto Euro 2148,56 zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 29. Mai 2017 zu zahlen,
3.

die Beklagte zu verurteilen, aus dem so genannten IPM-Form 2016 für die Klägerin den Vermerk “aufgrund beharrlicher Arbeitsverweigerung ist eine Bewertung der Leistung nicht möglich” herauszunehmen,
4.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für den Monat Juni 2017 ein weiteres Gehalt in Höhe von netto Euro 2148,56 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 26. Juni 2017 zu zahlen,
5.

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 80 € zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Arbeitgeber hat den Antrag angekündigt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, sämtliche Anträge seien im Beschlussverfahren nicht statthaft; die richtige Verfahrensart sei das Urteilsverfahren.

Mit Beschluss vom 28. September 2017 (Bl. 190 ff der Akten) hat das Arbeitsgericht entschieden: Es wird festgestellt, dass für die Klageerweiterungen vom 21.6.2017, in der Fassung der Korrektur vom 11.9.2017 sowie vom 21.7.2017 das vorliegende Beschlussverfahren nicht die richtige Verfahrensart ist. Die vorliegenden Anträge werden vom Beschlussverfahren abgetrennt und in ein Ca-Urteilsverfahren übergeleitet. Hinsichtlich der Abmahnungsanträge wird festgestellt, dass das vorliegende Beschlussverfahren die richtige Verfahrensart ist.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 10. November 2017 zugestellt. Er hat dagegen am 24. November 2017 sofortige Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die geltend gemachten Zahlungsansprüche beruhten zwar auf einer anderen Anspruchsgrundlage als die Anträge auf Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte. Allerdings liege jeweils derselbe Lebenssachverhalt zugrunde. Im Übrigen setze sich der Beschluss überhaupt nicht mit dem schriftsätzlichen Vorbringen der Antragstellerin vom 7.9.2017 (Bl. 166ff der Akte) auseinander. Gleiches gelte für den Anspruch auf Korrektur des so genannten IPM-Forms.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2017 (Bl. 222 der Akten) hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde teilweise abgeholfen und festgestellt, dass auch in Bezug auf den Antrag zu 3. das Beschlussverfahren die richtige Verfahrensart ist. Im Übrigen hat es der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei eine von einem Betriebsratsmitglied erhobene Leistungsklage auf Arbeitslohn im Urteilsverfahren zu verfolgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, § 17a Abs. 4 S. 3 GVG, § 48 Abs. 1, § 78 ArbGG, § 567 Abs. 1 ZPO. Die 2-wöchige Beschwerdefrist ist eingehalten.

2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Nach der teilweisen Abhilfe durch das Arbeitsgericht ist nur noch über die Verfahrensart in Bezug auf die Anträge zu 2, 4 und 5 zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um die Rest-Vergütungsansprüche der Antragstellerin für die Monate Mai und Juni 2017 nebst Zinsen sowie die Zahlung der Pauschale nach § 288 Abs. 5 S. 1 BGB.

Nach § 2a Nr. 1 Arbeitsgerichtsgesetz sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Beschlussverfahren ist die richtige Verfahrensart, wenn es um die Feststellung der Rechtsbeziehungen zwischen den Betriebsparteien bzw. um solche Streitigkeiten geht, die ihren Rechtsgrund in der Betriebsverfassung haben. Der erforderliche Bezug zur betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung eines Betriebsratsmitglieds kann auch dann gegeben sein, wenn dieses sich gegen eine Abmahnung zur Wehr setzt, sofern es nach den Gesamtumständen nicht fernliegt, dass der Sachverhalt, der mit der Abmahnung sanktioniert werden soll, einen Bezug zu der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des Betriebsratsmitglieds aufweist (Bundesarbeitsgericht 9. September 2015 -7 ABR 69/13- Rn. 13; 4. Dezember 2013 -7 ABR 7/12- Rn. 12).

Diese Rechtsprechung wollen Kappelhoff/Kühnel (ArbRB 2015, 151) auf § 37 Absatz 2 BetrVG übertragen. In derartigen Fallgestaltungen stünden die individualrechtlichen Grundlagen des Entgeltanspruchs in der Regel überhaupt nicht in Streit. Maßgeblich sei allein, ob das Betriebsratsmitglied nach § 37 Absatz 2 BetrVG berechtigt war, Betriebsratstätigkeit zu verrichten.

Dem ist nicht zu folgen. Der Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG steht dem Betriebsratsmitglied in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer zu. Er betrifft ausschließlich die individualrechtliche Rechtsbeziehung zwischen den Arbeitsvertragsparteien (Bundesarbeitsgericht 21. März 2017 -7 ABR 17/15- Rn. 22). Dementsprechend ist das Bundesarbeitsgericht seit jeher der Auffassung, eine Lohnzahlungsklage eines Betriebsratsmitglieds sei nicht im Beschlussverfahren, sondern im Urteilsverfahren zu verfolgen (Bundesarbeitsgericht 30. Juni 1993 -7 ABR 45/92- Rn. 17), wobei über die betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen als Vorfrage zu entscheiden ist. Hat dagegen der Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied allein die betriebsverfassungsrechtliche Frage zum Inhalt, ob eine entsprechende Arbeitsbefreiung zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratsaufgaben erforderlich ist (§ 37 Absatz 2 BetrVG), ohne daraus vergütungsmäßige Folgerungen zu ziehen, ist dieser Streit im Beschlussverfahren zu entscheiden (Fitting, BetrVG, 28. Auflage, § 37 Rn. 257; Erfurter Kommentar-Koch, 18. Auflage, § 37 BetrVG Rn. 25).

Danach ist über die Anträge zu 2., 4. und 5. im Urteilsverfahren zu entscheiden. Mit den Anträgen zu 2. und 4. macht die Betriebsratsvorsitzende Restvergütungsansprüche für die Monate Mai und Juni 2017 geltend. Insoweit handelt es sich um einen Anspruch aus § 611 Abs. 1 BGB. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Ursache des Einbehalts in dem Streit der Beteiligten über den Umfang der Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG liegt und die Betriebsratsvorsitzende in der Vorgehensweise des Arbeitgebers einen Verstoß gegen § 78 Satz 1 BetrVG sieht. Selbst wenn insoweit ein Bezug zur betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung der Antragstellerin hier zu bejahen ist, ändert dies nichts daran, dass lediglich der Umfang der Freistellung als Vorfrage des Vergütungsanspruchs kollektivrechtlicher Natur ist, nicht jedoch der hieraus folgende (streitgegenständliche) Zahlungsanspruch des Betriebsratsmitglieds. Dieser hat seine Grundlage ausschließlich in der individualrechtlichen Rechtsbeziehung der Arbeitsvertragsparteien, sodass über ihn im Urteilsverfahren zu entscheiden ist.

Entsprechendes gilt für die geltend gemachten Verzugszinsen sowie den Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB.

III.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 78 Satz 2, 72 Absatz 2 Nr. 1, ArbGG, 17a Abs. 4 S. 5 GVG.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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