LAG Hessen, 20.09.2017 – 2 Sa 370/17

März 24, 2019

LAG Hessen, 20.09.2017 – 2 Sa 370/17

Orientierungssatz:

Wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG unzulässige Staffelung des Urlaubsanspruchs nach dem Lebensalter, nach der Arbeitnehmer vor Vollendung des 50. Lebensjahrs ein um drei Tage kürzeren Urlaub erhielten als Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten (BAG, Urteil vom 12. April 2016 – 9 AZR 659/14).

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 8. Februar 2017 – Aktenzeichen 7 Ca 294/16 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug weiter darum, ob die Beklagte dem Kläger für einzelne Urlaubsjahre jeweils drei Tage Ersatzurlaub für in diesem Umfang verfallenen Urlaub gewähren muss.

Der 58-jährige Kläger (geboren am xx. xx. 1959), der Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) war und ist, wurde ab dem 1. Oktober 1991 zunächst bei der Rechtsvorgängerin, dem Land Hessen, und anschließend bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 1. Oktober 1991 (Bl. 58 und 59 d. A.) beschäftigt. Nach dessen § 2 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der sich für den Arbeitgeber geltenden Fassung. Weiter heißt es, dass außerdem die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung finden.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand kraft beiderseitiger Tarifbindung ursprünglich Art. III § 1 des “Tarifvertrags zu § 71 BAT betreffend Besitzstandswahrung” vom 23. Februar 1961 (im Folgenden TV zu § 71 BAT) Anwendung. Dieser verwies hinsichtlich der Urlaubsansprüche auf die Urlaubsverordnung für die Beamtinnen und Beamten im Lande Hessen (HUrlVO). § 4 HUrlVO (Urlaubsdauer) enthielt in der Fassung vom 16. November 1982 folgende Regelung:

“(1) Der Urlaubsanspruch richtet sich nach dem Lebensalter, das der Beamte im Laufe des Kalenderjahres vollendet. Er beträgt bei einem Lebensalter von

bis zu 30 Jahren 25 Arbeitstage,

über 30 bis 40 Jahren 27 Arbeitstage,

über 40 bis 50 Jahren 30 Arbeitstage,

über 50 Jahren 33 Arbeitstage.”.

Unter dem 5. Dezember 2007 schloss die Beklagte mit ver.di den “Manteltarifvertrag Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH” (im Folgenden MTV UKGM), der am 1. Januar 2008 in Kraft trat. Dieser Tarifvertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

Ҥ 29

Erholungsurlaub

1. Der Arbeitnehmer erhält in jedem Kalenderjahr Erholungsurlaub unter Fortzahlung der Urlaubsvergütung.

3. Die Dauer des Urlaubs richtet sich nach der Urlaubstabelle (Anlage 1a und b), die Bestandteil dieses Tarifvertrages ist.

10. Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubes auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. …

§ 34

Ausschlussfristen

1. Die Ansprüche aus den zwischen den Tarifvertragsparteien abgeschlossenen Tarifverträgen müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. …

2. Für den gleichen Tatbestand reicht die einmalige Geltendmachung fällig gewordener Ansprüche aus, um die Ausschlussfrist auch für später aus dem gleichen Rechtsgrund fällig werdende Ansprüche unwirksam zu machen.”.

Die Anlage 1b zum MTV UKGM sieht u. a. Folgendes vor:

Beschäftigungsjahr 1. – 3. 4. – 7. ab 8.

Urlaubstage 26 28 30″.

Weiter heißt es dort auszugsweise (im Folgenden Besitzstandsklausel):

“Arbeitnehmer[n], die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages am 01.01.2008 einen höheren Urlaubsanspruch als nach obiger Tabelle haben, wird dieser Urlaubsanspruch weitergewährt. Gleiches gilt für diejenigen Arbeitnehmer, die zum obigen Zeitpunkt nach der Hessischen Urlaubsverordnung (HUrlVO) vom 12. Dezember 2006 (GVBl. I S. 671) einen höheren Urlaubsanspruch gem. § 5 HUrlVO … hatten.”

Nachdem die Beklagte dem Kläger in den Jahren 2009 bis einschließlich 2012 jeweils an 30 Arbeitstagen Erholungsurlaub gewährt hatte, begehrte der Kläger mit einer bereits am 24. August 2012 beim Arbeitsgericht Gießen eingegangenen Klage die Nachgewährung von jeweils drei Tagen Erholungsurlaub für die Jahre 2009 bis 2012. Die Klage wurde mit am 22. März 2013 verkündeten Urteil des Arbeitsgerichts Gießen – Aktenzeichen 10 Ca 359/ 12 – abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung wies das Hessische Landesarbeitsgericht unter Zulassung der Revision mit am 9. Mai 2014 verkündeten Urteil – Aktenzeichen 3 Sa 686/13 – zurück. Auf die Revision des Klägers wurde mit Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12. April 2016 – Aktenzeichen 9 AZR 659/14 – das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Mai 2014 – Aktenzeichen 3 Sa 686/13 – teilweise aufgehoben und die Beklagte auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung der Berufung des Klägers im Übrigen unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 22. März 2013 – Aktenzeichen 10 Ca 359/12- verurteilt, dem Kläger für Urlaub aus dem Jahr 2012 drei Tage Ersatzurlaub zu gewähren. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten und insbesondere der Begründung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 12. April 2016 – Aktenzeichen 9 AZR 659/14 – wird auf Bl. 50 bis 57 d. A. d. A. Bezug genommen.

Mit seiner am 23. September 2016 beim Arbeitsgericht Gießen eingegangenen und der Beklagten am 27. September 2016 (Bl. 7 d. A.) zugestellten Klage hat der Kläger von der Beklagten zuletzt für die Jahre 2013 bis einschließlich 2016 für verfallenen Urlaub jeweils drei Tage Ersatzurlaub verlangt.

Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Gießen vom 8. Februar 2017 – Aktenzeichen 7 Ca 294/16 (Bl. 150 bis 158 d. A.) – Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht Gießen hat durch vorgenanntes Urteil (Bl. 149 bis 168 d. A.) der Klage vollständig entsprochen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte für die Jahre 2013 bis 2016 gemäß §§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, 280 Abs. 1 und Abs. 3, 283 Satz 1, 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, 287 Satz 2, 249 Abs. 1 BGB als Schadensersatzanspruch jeweils ein Anspruch auf Gewährung von drei Tagen Ersatzurlaub zu, da die Beklagte sich im Zeitpunkt des Verfalls dieser Urlaubsansprüche wegen Zeitablaufs mit der Urlaubsgewährung im Hinblick auf ihre ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung im Vorverfahren der Parteien in Verzug befunden habe. Daher sei eine Mahnung des Klägers entbehrlich gewesen. Dem Kläger stehe der zusätzliche Ersatzurlaubsanspruch von jeweils drei Tagen für die betreffenden Jahre wiederum im Hinblick auf § 29 Nr. 3 Abs. 1 MTV UKGM und dessen Anlage 1 b) iVm. Art. III § 1 TV zu § 71 BAT iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 1982 zu, da die altersabhängige Urlaubsstaffelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 1982 gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG verstoße und deshalb unwirksam sei. Die Beklagte habe bereits substantiiert keine Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung wegen des Alters vorgetragen. Vielmehr fehle substantiierter Vortrag dazu, dass die Tarifvertragsparteien bei Einführung der Urlaubsstaffelung einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis hätten Rechnung tragen wollen. Jedenfalls fehle ausreichend konkreter Sachvortrag dazu, was genau sich die Tarifvertragsparteien bei der Regelung gedacht haben und insbesondere, ob überhaupt, wann und mit welchem konkreten Inhalt die Thematik des erhöhten Erholungsbedürfnisses älterer Arbeitnehmer Gegenstand der Erörterungen der Tarifvertragsparteien gewesen seien. Schließlich habe der Kläger die Ausschlussfrist des § 34 Abs. 1 MTV UKGM durch seine 2012 erhobene Klage gewahrt, da es sich vorliegend ebenfalls um Ansprüche auf zusätzlichen Urlaub aus der Besitzstandsklausel in der Anlage 1b zum MTV UKGM handele.

Gegen das ihr am 20. Februar 2017 (Bl. 170 d. A.) zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. März 2017 (Bl. 171 d. A.) Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungfrist auf rechtzeitigen Antrag hin bis zum 18. Mai 2017 (Bl. 182 d. A.) am 18. Mai 2017 (Bl. 185 ff. d. A.) begründet.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Voraussetzungen für einen Ersatzurlaubsanspruch seien nicht gegeben, da sich die Beklagte mit der Gewährung des Urlaubs nicht in Verzug befunden habe. Weder habe sie die Erfüllung endgültig verweigert noch sei der Anspruch durch den Kläger ordnungsgemäß geltend gemacht worden. Auch habe das Arbeitsgericht die Anforderungen an die Substantiierung überspannt, soweit es die altersabhängige Urlaubsstaffelung in der HUrlVO 1982 und die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wegen des Alters betreffe. Tatsächlich sei die altersabhängige Staffelung aufgrund des höheren Erholungsbedürfnisses älterer Arbeitnehmer sachlich gerechtfertigt, wozu die Beklagte, jedenfalls für über 50-jährige Arbeitnehmer, auch ausreichend vorgetragen habe. Schließlich seien die geltend gemachten Ansprüche des Klägers, soweit es die Urlaubsjahre 2013 und 2014 betreffe, gemäß der tarifvertraglichen Ausschlussfrist des § 34 Ziff. 1 MTV UKGM verfallen, für die Jahre 2015 und 2016 fehle ohnehin jeglicher Vortrag des Klägers zur Wahrung der Ausschlussfristen.

Die Beklagte beantragt,

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt im Wesentlichen die erstinstanzliche Entscheidung.

Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen vom 18. Mai 2017 (Bl. 213 bis 240 d. A.), 7. August 2017 (Bl. 275 bis 292 d. A.) und 15. September 2017 (Bl. 302 bis 310 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2017 (Bl. 311 d. A.) Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 8. Februar 2017 – Aktenzeichen 6 Ca 294/16 – ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600 übersteigt, und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG; 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts Gießen ist nicht abzuändern. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht dem Kläger gegen die Beklagte für die Jahre 2013 bis 2016 jeweils einen Anspruch auf drei (Ersatz-)Urlaubstage unter dem Aspekt des Schadensersatzes zuerkannt. Die Beklagte befand sich zu dem Zeitpunkt, in dem der Urlaubsanspruch des Klägers auf jeweils restliche drei Urlaubstage in den betreffenden Jahren aufgrund seiner Befristung verfiel, mit der Urlaubsgewährung in Verzug. Weiter hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass diese jeweils restlichen drei Urlaubstage für die Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016 dem Kläger deshalb zustanden, weil die Urlaubsstaffelung nach dem Lebensalter in § 4 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 1982 wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG gemäß § 7 Abs. 2 AGG mit der Folge unwirksam war, dass diese auf den Kläger so anzuwenden ist, als wenn er bei Inkrafttreten des MTV UKGM bereits das 50. Lebensjahr vollendet gehabt hätte. Schließlich weist das Arbeitsgericht zu Recht auf die Wahrung der tariflichen Ausschlussfrist unter Berücksichtigung von § 34 Abs. 2 MTV UKGM hin, wonach aufgrund des vorangegangenen Klageverfahrens des Klägers gegen die Beklagte auf Ersatzurlaubsansprüche für das Jahr 2012 hier die einmalige Geltendmachung auch für die späteren Ansprüche ausreichend war. Das Berufungsgericht folgt insoweit dem angefochtenen Urteil uneingeschränkt, macht sich dessen Gründe zu Eigen und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf diese (Seite 11 bis 19 des angefochtenen Urteils, Bl. 159 bis 167 d. A.). Auf das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz, das kein anderes Ergebnis rechtfertigt, ist ergänzend wie folgt einzugehen:

Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch für die Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016 jeweils ein Anspruch auf drei Tage Ersatzurlaub gemäß §§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 Satz 1, 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 3, 287 Satz 2, 249 Abs. 1 BGB zu. Dabei durfte das Arbeitsgericht zu Recht wegen einer aus objektiver Sicht anzunehmenden ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung der Beklagten als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs auf die Entbehrlichkeit einer Mahnung abstellen, § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Zwar müssen an die Annahme, der Schuldner verweigere ernsthaft und endgültig die Erfüllung einer ihm obliegenden Leistung, in der Regel strenge Anforderungen gestellt werden. Eine Erfüllungsverweigerung liegt vor, wenn der Schuldner unmissverständlich und eindeutig zum Ausdruck bringt, er werde seinen Vertragspflichten unter keinen Umständen nachkommen. Das ist regelmäßig nur anzunehmen, wenn dieser sich beharrlich weigert, die Leistung zu erbringen. In diesem Fall entbehrt eine Mahnung ihres Sinnes, den Schuldner zu vertragsgerechtem Verhalten anzuhalten (vgl. BAG, Urteil vom 14. Mai 2013 – 9 AZR 760/11 – Rn. 12, juris). Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass diese strengen Anforderungen im Hinblick auf das gesamte Verhalten der Beklagten bezüglich der vom Kläger zunächst für die Jahre 2009 bis 2012 außergerichtlich und gerichtlich geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung von jeweils drei Tagen (Ersatz-)Urlaub unter dem Aspekt der Altersdiskriminierung erfüllt sind. Die Beklagte hat mit ihrem gesamten vorprozessualen und prozessualen Verhalten betreffend die Jahre 2009 bis 2012 unmissverständlich und endgültig zum Ausdruck gebracht, dass sie gegenüber dem Kläger nicht bereit ist, einen über 30 Tage im Jahr hinausgehenden Anspruch auf Gewährung von weiteren drei Tagen (Ersatz-)Urlaub zu erfüllen. Insoweit kann es dahinstehen, ob nicht ohnehin das Unionsrecht (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C-118/13 – Bollacke, juris) gebietet, § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG so auszulegen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Urlaubsanspruch von sich aus auch ohne ein entsprechendes Urlaubsverlangen des Arbeitnehmers zu erfüllen (LAG Köln, Urteil vom 22. April 2016 – 4 Sa 1095/15 – Rn. 26, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2014 – 21 Sa 221/14 – Rn.26, juris). Käme es nämlich gar nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer den Urlaub zuvor verlangt hat, sondern der Arbeitgeber wäre vielmehr verpflichtet, den Urlaubsanspruch nach dem BUrlG von sich aus zu erfüllen, dann müsste der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach Ende des Kalenderjahres bzw. gegebenenfalls des Übertragungszeitraums statt auf Verzug des Arbeitgebers auf Unmöglichkeit, mithin auf §§ 275 Abs. 1, 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB, gestützt werden. In diesem Fall würde sich hier die Frage, ob sich die Beklagte in Annahmeverzug befand, nicht stellen.

Weiter hat der Kläger am 1. Januar 2013, 1. Januar 2014, 1. Januar 2015 und 1. Januar 2016 einen Anspruch auf 33 Arbeitstage Urlaub erworben. Der Urlaubsanspruch folgte, wie das Bundesarbeitsgericht im Vorprozess der Parteien (BAG, Urteil vom 12. April 2016 – 9 AZR 659/14 – Rn. 16 ff., juris) bereits entschieden hat, aus der tariflichen Regelung des § 29 Nr. 3 Abs. 1 MTV UKGM iVm. der Besitzstandsklausel in der Anlage 1b zu diesem Tarifvertrag sowie Art. III § 1 TV zu § 71 BAT iVm. § 4 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 1982, der auch aus Sicht des Berufungsgerichts nach Art. III § 1 TV zu § 71 BAT für die Bestimmung des jährlichen Urlaubsumfangs maßgeblich war, wonach Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet hatten, Anspruch auf 33 Tage Urlaub zustanden. Dass das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung stattdessen abgestellt hat auf § 5 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO in der Fassung vom 12. Dezember 2006, ist für die Heranziehung dieser Entscheidung für die Berufungskammer nicht von Belang. Die HUrlVO 1982 und die HUrlVO 2006 sehen beide altersabhängige Urlaubsstaffeln und dabei für Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet hatten, jeweils einen Anspruch auf 33 Tage Urlaub vor. Prüfungsgegenstand am Maßstab des AGG ist Art. III § 1 TV zu § 71 BAT, der den Regelungsgehalt des § 4 HUrlVO 1982 zum Inhalt der Tarifregelung macht (BAG, Urteil vom 12. April 2016 – 9 AZR 659/14 – Rn. 19, juris). Hiervon abzuweichen besteht aufgrund des nunmehrigen Vortrags der Beklagten kein Anlass. Gleiches gilt für die Feststellung des Bundesarbeitsgerichts im Vorprozess der Parteien, die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, aufgrund welcher Umstände die in Art. III § 1 TV zu § 71 BAT iVm. § 5 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 2006 – hier jetzt § 4 Abs. 1 Satz 2 HUrlVO 1982 – bestimmte Ungleichbehandlung wegen des Alters sachlich gerechtfertigt sei (BAG, Urteil vom 12. April 2016 – 9 AZR 659/14 – Rn. 24 ff., juris</ Die Beklagte hat auch jetzt nicht substantiiert dargelegt, aufgrund welcher konkreten Umstände unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Ermessensspielraums und ihrer grundsätzlichen Befugnis zur Generalisierung und Typisierung bei der Gruppenbildung davon auszugehen ist, dass bei sämtlichen Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr vollendet hatten, ein gegenüber jüngeren Arbeitnehmern erhöhtes Erholungsbedürfnis vorlag. Darüber hinaus hat sie nicht vorgetragen, dass die Tarifvertragsparteien diesem Bedürfnis durch die Gewährung eines erhöhten Urlaubsanspruchs Rechnung tragen wollten. Ferner fehlt es weiterhin an Vortrag zu der Frage, ob die von den Tarifvertragsparteien gewählte Lösung ihrem Wesen nach geeignet war, den mit der Urlaubsgewährung verfolgten Zweck merklich zu fördern, und ob die von den Tarifvertragsparteien gefundene Lösung sich auf ein Maß beschränkte, das nicht über das Erforderliche hinausging. Schließlich oblag es der Beklagten ebenfalls darzulegen, dass die vorstehenden Kriterien für sämtliche Tarifunterworfenen ohne Rücksicht auf die Umstände erfüllt waren, unter denen die einzelnen Beschäftigtengruppen ihre Arbeitsleistung erbrachten. Von diesen, in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Vorprozess dezidiert benannten Anforderungen an den Sachvortrag der Beklagten besteht für das Berufungsgericht kein Anlass abzuweichen. Auch ist nicht zu erkennen, dass die Beklagte in dieser Hinsicht in unzulässiger Weise erhöhten Substantiierungspflichten ausgesetzt wird. Dass hingegen der Sachvortrag der Beklagten diesen – aus ihrer Sicht überspannten – Substantiierungspflichten nicht genügt, hat die Beklagte selbst nicht Abrede gestellt.

Der Kläger hat für seinen Klageanspruch auf Gewährung von drei Ersatzurlaubstagen für die Jahre 2013, 2014, 2015 und 2016 schließlich die Ausschlussfrist des § 34 MTV UKGM gewahrt. Für den gleichen Tatbestand reicht nach § 34 Ziff. 2 MTV UKGM die einmalige Geltendmachung fällig gewordener Ansprüche aus, um die Ausschlussfrist auch für später aus dem gleichen Rechtsgrund fällig werdende Ansprüche unwirksam zu machen. So liegt der Fall hier. Der Kläger hat jedenfalls mit seiner Klage im Vorverfahren der Parteien vor dem Arbeitsgericht Gießen – Aktenzeichen 10 Ca 359/12, nachfolgend vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht – Aktenzeichen 3 Sa 686/13 und dem Bundesarbeitsgericht – Aktenzeichen 9 AZR 659/14 Ansprüche auf drei Tage Ersatzurlaub für die Jahre 2009 bis 2012 geltend gemacht. Es ging dort wie hier um den gleichen Rechtsgrund, nämlich um Ansprüche auf zusätzlichen (Ersatz-)Urlaub aus der Besitzstandsklausel in der Anlage 1b zum MTV UKGM iVm. dem Tarifvertrag zu § 71 BAT und der darin enthaltenen Verweisung auf die HUrlVO. Dem Streit der Parteien liegt ein “ständig gleicher Grundtatbestand” zugrunde. Durch § 34 Ziff. 2 MTV UKGM soll gerade die Notwendigkeit einer wiederkehrenden Geltendmachung von Einzelforderungen ausgeschlossen werden, wenn der Arbeitnehmer den zugrundeliegenden Anspruch, wie hier geschehen, schon geltend gemacht und der Sachverhalt sich nicht geändert hat.

III.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos bleibt.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Zwar wurden für die Kammer die wesentlichen Fragen bereits im Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Vorverfahren der Parteien (BAG, Urteil vom 12. April 2016 – Az. 9 AZR 659/14, juris) über Ersatzurlaubsansprüche für die Jahre 2009 bis einschließlich 2012 geklärt, allerdings auch nach Ansicht des Berufungsgerichts unter Zugrundelegung der HUrlVO in der nicht einschlägigen Fassung vom 12. Dezember 2006.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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