LAG Hessen, 26.01.2015 – 16 Sa 1104/14

April 28, 2019

LAG Hessen, 26.01.2015 – 16 Sa 1104/14

Nach dem Grundsatz der subjektiven Determination hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitzuteilen, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2014 – 11 Ca 9036/13 2 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen und beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Der am xxxxxxxx geborene, ledige Kläger ist seit 1. April 2001 als Leiter Field Account zu einer Bruttomonatsvergütung von 5045 € bei der Beklagten beschäftigt.

Der Kläger befand sich seit 29. April 2011 in Untersuchungshaft. Im September 2012 verurteilte ihn das Landgericht Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von 10,5 Jahren wegen Totschlags. Im November 2013 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück (Bl. 127-130 d.A.). Mit Schreiben vom 27. November 2013 (Bl. 71 der Akten) hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zu einer ordentlichen Kündigung des Klägers zum 31. April 2014 an. Der Betriebsrat stimmte dieser Maßnahme am 3. Dezember 2013 zu (Bl. 72 d.A.). Daraufhin kündigte die Beklagte am 5. Dezember 2013 dem Kläger ordentlich zum 31. Mai 2014 (Bl. 3 d.A.). Im Juli 2014 wurde der Kläger vom Landgericht Frankfurt am Main zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Am 10. November 2014 wurde der Kläger aus der Untersuchungshaft entlassen. Seit 16. Januar 2015 befindet sich der Kläger in Haft in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt.

Mit seiner am 12. Dezember 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger sich gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts, des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der Entscheidung des Arbeitsgerichts (Bl. 137-138R der Akten) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt, weil zum Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt gewesen sei, dass der Kläger für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Kündigung sei auch nicht nach § 102 BetrVG unwirksam. Das pauschale Bestreiten der vom Arbeitgeber vorgelegten schriftlichen Betriebsratsanhörung mit Nichtwissen sei unbeachtlich.

Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20. Juli 2014 zugestellt. Er hat dagegen am 21. August 2014 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 25. Oktober 2014 am 15. Oktober 2014 begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Tatsachen, die das Arbeitsgericht zur Begründung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung des Klägers verwertet habe, seien nicht Gegenstand der Information des Betriebsrats gewesen. Im Prozess habe die Beklagte nicht dargelegt, welche Kündigungstatsachen sie dem Betriebsrat geschildert habe. Es fehle jeder Bezug auf eingetretene betriebliche Störungen. Das zunächst erfolgte Bestreiten der Übergabe des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 26. Januar 2015 nicht aufrechterhalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2014 -11 Ca 9036/13- abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 5. Dezember 2013 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die schriftliche Betriebsratsanhörung (Bl. 71 der Akten) sei ausreichend. Aus subjektiver Sicht der Beklagten sei Grund für die Kündigung die haftbedingte Abwesenheit des Klägers. Dies sei dem Betriebsrat im Anhörungsschreiben mitgeteilt worden. Die Beklagte habe die zu erwartende Fortdauer der Situation geschildert und dargelegt, dass sie deshalb das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten könne. Mündlich habe die Mitarbeiterin der Personalabteilung, Frau T, dem Betriebsratsvorsitzenden mitgeteilt, dass nach der Presseberichterstattung ein Freispruch des Klägers nicht zu erwarten sei, sondern mit einer erneuten Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe gerechnet werden müsse. Das Anhörungsschreibens sei dem Betriebsratsvorsitzenden von Frau T persönlich am 27. November 2013 übergeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist statthaft, § 8 Abs. 2 ArbGG, § 511 Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2b ArbGG. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 66 Abs. 1 ArbGG, § 519, § 520 ZPO und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 5. Dezember 2013 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Mai 2014 aufgelöst.

Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt. Dies hat das Arbeitsgericht in Ergebnis und Begründung zutreffend erkannt. Die Berufungskammer schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an und nimmt hierauf Bezug.

Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.

Die Beklagte hat dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitgeteilt, die aus ihrer subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigten und für ihren Kündigungsentschluss maßgebend waren. Diese ergeben sich aus dem Anhörungsschreiben vom 27. November 2013 (Bl. 71 der Akten). Der Zugang dieses Schreibens beim Betriebsrat ist unstreitig erfolgt. Dort wird dem Betriebsrat mitgeteilt, dass und zu welchem Termin dem Kläger ordentlich gekündigt werden soll. Mitgeteilt werden die Sozialdaten (Eintrittsdatum, Vergütung, Lebensalter und Familienstand) sowie die vom Kläger innegehaltene Position. Als Kündigungsgrund wird folgendes mitgeteilt: “Herr G. ist seit mehr als 2 Jahren in Haft und wurde durch das Landgericht auf 10,5 Jahre festgelegt. Die durch Revision erfolgte Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof erfordert nunmehr eine Neuaufnahme des Falls. Ein Freispruch durch die 3. gerichtliche Instanz ist jedoch aufgrund der Schwere der Tat nicht zu erwarten, da hier lediglich die Beweislage für den Tötungsvorsatz zur Urteilsaufhebung geführt hat. Wir sehen uns nicht in der Lage, Herrn G weiter bei uns zu beschäftigen und bitten Sie deshalb, der geplanten Kündigung zuzustimmen.”

Unter Zugrundelegung des Grundsatzes der subjektiven Determination reicht diese Information aus. Die Beklagte teilte dem Betriebsrat mit, dass der Kläger wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Zum einen wird dem Betriebsrat mitgeteilt, dass dieser Zustand bereits seit mehr als 2 Jahren andauert, weil sich der Kläger seit dieser Zeit in Haft befindet, und zum anderen trotz der Aufhebung des Urteils des Landgerichts seitens des Bundesgerichtshofs nach Einschätzung der Beklagten gleichwohl nicht mit einem Freispruch zu rechnen ist. Dies wird näher damit begründet, dass lediglich die Beweislage für den Tötungsvorsatz zur Urteilsaufhebung geführt hat. Damit werden dem Betriebsrat die zur Beurteilung der Kündigung maßgeblichen Fakten mitgeteilt. Die Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen war nicht erforderlich, zumal dies auch für die soziale Rechtfertigung der Kündigung angesichts der vom Kläger noch zu verbüßenden, 24 Monate übersteigenden Freiheitsstrafe nicht notwendig war (vgl. dazu: Bundesarbeitsgericht vom 25. November 2010 -2 AZR 984/08- BAGE 136,213, Rn. 21; 23. Mai 2013 -2 AZR 120/12- NZA 2013, 1211, Rn. 35).

III.

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.

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