LAG Hessen, 27.02.2015 – 14 Sa 504/14 Einzelfall einer erfolglosen Berufung gegen ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes erstinstanzliches Urteil. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung erwies sich im Rahmen der Interessenabwägung als unwirksam, so dass das Arbeitsverhältnis durch die nicht angegriffene hilfsweise ordentliche Kündigung aufgelöst wurde.

April 28, 2019

LAG Hessen, 27.02.2015 – 14 Sa 504/14
Einzelfall einer erfolglosen Berufung gegen ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes erstinstanzliches Urteil. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung erwies sich im Rahmen der Interessenabwägung als unwirksam, so dass das Arbeitsverhältnis durch die nicht angegriffene hilfsweise ordentliche Kündigung aufgelöst wurde.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 1. April 2014 – 4 Ca 6/14 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten auch in der zweiten Instanz noch über die Frage, ob ihr Arbeitsverhältnis auf Grund einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung bereits vor dem 15. Februar 2014 geendet hat sowie um Urlaubsabgeltungsansprüche für das Jahr 2014.

Die 1988 geborene ledige Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 01. September 2012 als Fleischereifachverkäuferin in dessen Metzgerei vollzeitig mit einem Bruttomonatsgehalt von 1.800,00 Euro beschäftigt.

Der Beklagte betreibt eine Metzgerei mit weniger als zehn regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmern ausschließlich Auszubildenden. Zwischen den Parteien war vereinbart, dass die Klägerin jährlich 27 Arbeitstage Urlaub zu beanspruchen hat.

Am 05. Dezember 2013 nahm die Klägerin mehrere Bestellungen für den 06. Dezember 2013, den Nikolaustag auf. Insoweit war bei der Beklagten üblich, dass die Bestellungen nicht nur in das Auftragsbuch für den nächsten Tag eingetragen werden, sondern auch mündlich an den Beklagten weitergegeben werden, sodass die erforderlichen Mengen rechtzeitig produziert werden können. Dies verabsäumte die Klägerin betreffend eine Bestellung, mit der Folge, dass der Beklagte der Kundin gegenüber in Not kam und sich ihr gegenüber rechtfertigen musste. Der Beklagte und seine Ehefrau konfrontierten die Klägerin am Folgetag mit ihrem Fehlverhalten. Die diesbezügliche Reaktion der Klägerin ist zwischen den Parteien streitig.

Kurze Zeit später unterlief der Klägerin ein weiterer Fehler bei der Annahme einer Partyservicebestellung. Die Klägerin verstand, dass sich die Bestellung auf 70 Personen beziehe, in Wirklichkeit wollte der Kunde für 17 Personen Essen bestellen.

Am 24. Dezember 2013 herrschte in der Metzgerei des Beklagten sehr viel Betrieb und es gab viele Bestellungen. Die Klägerin stand wegen verschiedener Schwierigkeiten bei der Auslieferung der Bestellungen – insoweit wird auf ihren Vortrag Bl. 59, 60 d.A. Bezug genommen – subjektiv erheblich unter Druck. Es gab bei dem Beklagten die Anweisung, am 24. Dezember 2013 den an diesem Tag einkaufenden Stammkunden ein Weihnachtspräsent zu überreichen. Dies vergaß die Klägerin mehrfach. Nachdem die Ehefrau des Beklagten die Klägerin deswegen rügte, verließ diese den Arbeitsplatz. Ihre Reaktion im Einzelnen ist insoweit streitig.

Am 27. Dezember 2013 erschien die Klägerin um 5:55 Uhr in der Metzgerei des Beklagten und wollte dort arbeiten. Der Beklagte lehnte dies ab. Auch am Montag, dem 30. Dezember 2013 erschien die Klägerin in der Metzgerei des Beklagten um zu arbeiten. Auch hier lehnte der Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin ab. Die Klägerin begab sich, nachdem sie wieder weggeschickt worden war, in ärztliche Behandlung, wo ihr ihre Arbeitsunfähigkeit bestätigt wurde. Noch am gleichen Tag überließ die Klägerin dem Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 30. Dezember 2013.

Der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgten weitere ärztliche Untersuchungen.

Mit Schreiben vom 04. Januar 2014 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich hilfsweise ordentlich zum 15. Februar 2014, wegen des näheren Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 2 d.A. Bezug genommen. Er warf das Kündigungsschreiben am Wohnhaus der Klägerin ein. Die Klägerin verfügt nicht über einen eigenen Briefkasten, sondern nutzt den Briefkasten ihres Vermieter mit.

Die Klägerin hatte im Jahr 2014 noch keinen Urlaub gewährt erhalten.

Am 09. Januar 2014 erhob die Klägerin zu Protokoll der Geschäftsstelle Kündigungsschutzklage und Zahlungsklage, die dem Beklagten am 16. Januar 2014 zugestellt wurde.

Die Klägerin hat die ihr gegenüber ausgesprochene außerordentliche Kündigung für unwirksam gehalten und ist der Auffassung gewesen, ihr Arbeitsverhältnis habe erst durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 15. Februar 2014 geendet. Sie hat behauptet, der Beklagte habe ihr den ihr am 05. Dezember 2013 unterlaufenen Fehler den ganzen Tag vorgehalten. Am 24. Dezember 2013 habe die Ehefrau des Beklagten sie wegen der vergessenen Weihnachtspräsente vor der Kundschaft im Verkaufsraum scharf und laut kritisiert. Sie sei nach den Streitpunkten und Unstimmigkeiten stark angeschlagen gewesen, zumal ja Heiligabend war und den ganzen Tag bereits ein hoher Arbeitsdruck bestand. Sie sei den Tränen nahe gewesen und habe deswegen ihren Kittel ausgezogen und das Geschäft verlassen, weil sie keinen Nervenzusammenbruch vor den Kunden habe riskieren wollen. Sie sei auch zunächst hinten zu ihrem Chef in die Metzgereiküche gegangen und habe diesem gesagt, dass sie sich nervlich nicht mehr arbeitsfähig fühle und dass sie gehe, da alle nur auf ihr herumhacken würden und sie sich schon gemobbt fühlen würde. Dieser sei in dem Moment eher sprachlos gewesen, weil er in der Metzgerküche von dem Vorfall gar nichts mitbekommen habe.

Die Klägerin hat weiter behauptet, als sie am 27. Dezember 2013 zur Arbeit erschienen sei, habe der Beklagte sie gefragt, was sie hier noch wolle, das Arbeitsverhältnis sei seit dem 24. Dezember 2013 beendet. Sie habe sich daraufhin bei ihrem Chef für ihr Verhalten entschuldigt und dafür, dass sie das Geschäft so im Stich gelassen habe. Sie habe weiter erklärt, sie sei an diesem Tag wirklich arbeitsunfähig gewesen, da sie sich so missverstanden gefühlt habe. Laut oder aufbrausend sei sie nicht geworden.

Schließlich hat die Klägerin gemeint, die Kündigung sei ihr erst am 06. Januar 2014 zugegangen, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem ihr Vermieter ihr das Kündigungsschreiben übergeben habe.

Die Klägerin hat weiterhin die Ansicht vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 2,25 Urlaubstage zu.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

festzustellen, dass das zwischen ihr und dem Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 03. Januar 2014 nicht vor dem 15. Februar 2014 aufgelöst worden ist,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 186,92 Euro brutto zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung gewesen, die Kündigung vom 03. Januar 2014 sei der Klägerin bereits am 04. Januar 2014 zugegangen. Die Kündigung vom 03. Januar 2014 sei auch als fristlose Kündigung wirksam, und habe das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet. Insofern hat der Beklagte behauptet, dass Arbeitsverhältnis sei von Anfang an belastet gewesen, da die Klägerin ein aufbrausendes Wesen habe und sich kaum etwas sagen lasse, ohne dies persönlich zu nehmen und dementsprechend unsachlich zu reagieren. Es sei für sie selbstverständlich, zu spät zum Dienst zu erscheinen, Arbeitsunfähigkeit verspätet anzuzeigen und sich gegenüber dem Beklagten selbst und dessen Ehefrau unfreundlich zu verhalten. Am 06. Dezember 2013 habe die Klägerin, als sie mit ihrem Versäumnis vom Vortag konfrontiert worden sei, den Beklagten und dessen Ehefrau angeschrien, dass sie sich so etwas nicht anhören müsse, habe ihren Kittel auf die Erde geworfen und einfach den Arbeitsplatz verlassen. Als sie das nächste Mal wieder erschienen sei, hätten er und seine Ehefrau der Klägerin mitgeteilt, dass sie derartiges Verhalten nicht hinnähmen und es als Arbeitsverweigerung ansähen und damit als schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten der Klägerin werteten. Die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass sie, sollte sich Derartiges wiederholen, mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen/ordentlichen Kündigung rechnen müsse. Der Beklagte hat behauptet, am 24. Dezember 2013 habe seine Ehefrau der Klägerin in sehr leisem und ruhigem Ton mitgeteilt, dass sie beobachtet habe, dass die Klägerin mehrfach Stammkunden kein Weihnachtspräsent überreicht habe. Das Gespräch habe schon deswegen in ruhigem Ton stattgefunden, weil die Kundschaft davon zum einen nichts habe mitbekommen sollen und zum anderen auch rasch wieder habe weiter bedient werden sollen und müssen. Die Klägerin habe daraufhin vor den Kunden seine Ehefrau angeschrien “macht euren Scheiß doch alleine” und ihren Kittel auf den Boden geworfen. Seine Ehefrau habe danach an diesem sehr umsatzstarken und alleine nicht zu bewältigenden Tag das restliche Tagesgeschäft alleine verrichten müssen. Abgesehen von dem rufschädigenden Aspekt des Verhaltens der Klägerin habe dieses in der Hauptarbeitszeit an einem der umsatzstärksten Tage selbstverständlich auch zu Umsatzeinbußen bei ihm geführt. Der Beklagte hat weiterhin behauptet, die Klägerin habe sowohl am 27. Dezember 2013 als auch am 30. Dezember 2013, nachdem er ihre Arbeitsleistung nicht angenommen und sie weggeschickt habe, das Geschäft schimpfend verlassen. Er hat die Ansicht vertreten, schon dieses Verhalten der Klägerin rechtfertige eine außerordentliche Kündigung. Darüber hinaus ist der Beklagte der Auffassung gewesen, hinsichtlich des 30. Dezember 2013 sei vom Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Es sei lebensfremd, anzunehmen, dass die Klägerin, die kurz vorher noch ihre Arbeitskraft angeboten habe, nach Verweigerung durch ihn schlagartig eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit erlitten habe. Auch dies stelle eine Pflichtverletzung von erheblicher Schwere und Inhalt dar, welche an sich geeignet sei, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung zu ergeben.

Der Beklagte hat weiterhin die Ansicht vertreten, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zu. Insoweit hat er auf § 11 Ziffer 14 des Manteltarifvertrags für die Betriebe des Fleischerverbands A vom 18. Juni 2007 (künftig MTV) verwiesen, wonach bei fristloser Entlassung der Anspruch auf Urlaub bei unberechtigtem Verlassen des Arbeitsplatzes entfällt.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 01. April 2014 – 4 Ca 6/14 – der Klage vollumfänglich stattgegeben. Es hat insoweit angenommen, die Kündigung vom 03. Januar 2014 habe das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 15. Februar 2014 beendet, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vorgelegen habe. Unterstelle man, dass die Klägerin nicht nur unerlaubt den Arbeitsplatz verlassen habe, sondern auch die von der Beklagten behaupteten Äußerungen getätigt habe, sei zwar ein Kündigungsgrund gegeben, der eine außerordentliche Kündigung “an sich” rechtfertigen könne. Es sei insoweit auch Wiederholungsgefahr gegeben, nachdem die Klägerin ein ähnliches Verhalten bereits am 06. Dezember 2013 gezeigt habe und hierfür abgemahnt worden sei. Dem Beklagten sei jedoch im Rahmen der Interessenabwägung zuzumuten, dass Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Insoweit sei zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie am 24. Dezember 2014 massiv unter Druck gestanden habe und mehrfach kurzfristige Entscheidungen habe treffen müssen. Sie sei daher subjektiv nicht in der Lage gewesen, mit der von der Ehefrau des Beklagten geübten Kritik anders umzugehen, als die für sie unangenehme Situation zu verlassen. Insoweit sei angesichts der unstreitigen örtlichen Umstände auch nicht davon auszugehen, dass die Ehefrau des Beklagten ihre Kritik leise und ruhig geäußert habe. Es könne auch nicht angenommen werden, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht habe. Insbesondere seien keine Umstände ersichtlich, die den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschütterten. Das Arbeitsgericht ist schließlich davon ausgegangen, dass der Klägerin auch ein Anspruch auf die Abgeltung von 2,25 Urlaubstagen zustehe, zumal der Beklagte bereits nicht dargelegt habe, warum der MTV überhaupt auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde.

Wegen der arbeitsgerichtlichen Begründung und des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die angegriffene Entscheidung und die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 17. April 2014 zugestellte Urteil am 10. April 2014 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17. Juli 2014 mit an diesem Tag bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangener Berufungsbegründung begründet.

Mit der Berufung wiederholt und ergänzt der Beklagte seinen Vortrag. Er rügt, das Arbeitsgericht habe nicht ausreichend gewürdigt, dass die Klägerin innerhalb weniger Wochen zweimal in gleicher Art gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe und zwar trotz erfolgter Abmahnung. Es sei außerdem zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beweis der von der Klägerin am 30. Dezember 2013 vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht durch die Begleitumstände erschüttert worden sei. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass hier eindeutig ein Krankfeiern vorliege. Die vorgenommene Interessenabwägung sei fehlerhaft. Betrieblichen Störungen und Schäden durch das Verhalten der Klägerin wögen schwer, ihr Verschulden sei erheblich und es sei auch von Wiederholungsgefahr auszugehen. Außerdem sei die Klägerin jung und die Arbeitsmarktsituation bei vergleichbaren Beschäftigungsmöglichkeiten sei gut. Schließlich habe das Arbeitsgericht auch zu Unrecht einen Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin zuerkannt, da der MTV Anwendung finde.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 01. April 2014 – 4 Ca 6/14 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und wiederholt insofern ihren Vortrag aus der ersten Instanz. Sie behauptet, sie habe bei dem Vorfall am 24. Dezember 2013 drei Meter von der Ehefrau des Beklagten entfernt gestanden. Diese habe sie laut angeschrien, es gehe nicht, dass sie bei jedem Kunden das Präsent vergesse. Sie habe darauf gar nicht geantwortet, sondern nur ihren Kittel ausgezogen und sei in die Metzgerei gegangen und habe dort gesagt, dass sie sich gemobbt fühle und nicht in der Lage sei zu arbeiten. Die Ehefrau des Beklagten sei auch danach nicht alleine im Laden gewesen, sondern mit der Verkäuferin Frau B.

Die Klägerin behauptet, sie habe bereits am 24. Dezember 2013 unter psychischen Problemen gelitten, was sich massiv verschlimmert habe, als sie am 27. Dezember und am 30. Dezember 2013 von dem Beklagten weggeschickt worden sei. Ihr Leidensdruck sei daraufhin so stark gewesen, dass sie zunächst ihren Hausarzt habe aufsuchen wollen, dessen Praxis sei jedoch am 30. Dezember 2013 wegen Urlaubs geschlossen gewesen. Deshalb habe sie dessen Vertreterin Dr. C aufgesucht, die sie auf Grund ihres nervlich schlechten Zustands für arbeitsunfähig befunden und sofort krankgeschrieben habe. Ihr Hausarzt habe sodann ihre weitere Behandlung übernommen und sie in eine psychiatrische Facharztbehandlung überwiesen. Die demnach bei ihr vorliegende ernsthafte und langfristig behandlungsbedürftige psychische Erkrankung sei zu ihren Gunsten bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB zu berücksichtigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsschriftsätze sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 27. Februar 2015 verwiesen.
Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2c ArbGG statthaft. Der Beklagte hat sie auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO. Dies gilt auch im Hinblick auf die angegriffene Verurteilung zur Zahlung der Urlaubsabgeltung. Zwar hat sich der Beklagte insoweit nicht mit der Frage der Anwendbarkeit des MTV für das Fleischerhandwerk auseinandergesetzt, er macht jedoch die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung und damit eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 04. Januar 2014 geltend und wendet sich auch damit gegen den geltendgemachten Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 2014.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

1.

Die gegen die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 03. Januar 2014 gerichtete Kündigungsschutzklage ist zulässig und begründet. Das Arbeitsverhältnis ist durch die außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Es hat daher bis zum 15. Februar 2014 fortbestanden.

a) Die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 03. Januar 2014 ist unwirksam, weil dem Beklagten kein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zur Seite steht.

aa) Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist zu prüfen, da die Klägerin innerhalb der 3-Wochenfrist nach §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat und diese demnächst im Sinne des § 167 ZPO zugestellt worden ist.

bb) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigt ein Sachverhalt zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, wenn es dem Kündigenden danach unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Insoweit ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände “an sich”, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. etwa BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – § 626 BGB 2002 Nr. 32;26. März 2009 – 2 AZR 539/07 – AP BGB § 620 Nr. 220). Insofern kann ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nur vorliegen, wenn bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand überwiegt (BAG 07. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – NZA 2011, 1412; 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – mwN a.a.O.).

cc) Vorliegend geht die Kammer davon aus, dass ein Grund gegeben ist, der “an sich” geeignet ist, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit kann dahinstehen, ob die von dem Beklagten behauptete Äußerung der Klägerin am 24. Dezember 2013 “macht euren Scheiß doch alleine” tatsächlich gefallen ist. Unstreitig hat die Klägerin jedenfalls im Verkaufsraum ihren Kittel ausgezogen und den Verkaufsraum verlassen, nachdem sie von der Ehefrau des Beklagten kritisiert worden ist. Dabei kann auch offenbleiben, ob die Kritik zuvor so erfolgt ist, dass die Kunden von ihr Kenntnis nehmen konnten. Gerade wenn dies der Fall war, stellt es eine Arbeitsvertragsverletzung dar, wenn die Klägerin auf diese von den Kunden wahrgenommene Kritik reagiert, indem sie ihren Arbeitsplatz verlässt. Insoweit ist auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast davon auszugehen, dass die Klägerin bereits am 06. Dezember 2013 ein ähnliches Verhalten gezeigt hat und dafür abgemahnt worden ist. Soweit die Klägerin sowohl die von dem Beklagten vorgetragene Reaktion ihrerseits am 06. Dezember 2014 als auch die von dem Beklagten behauptete Abmahnung in der Folgezeit mit der Berufungserwiderung nur pauschal bestreitet, genügt sie ihrer durch § 138 Abs. 2 ZPO begründeten Darlegungslast nicht. Sie wäre insoweit gehalten gewesen, darzulegen, wie sich der Vorfall am 06. Dezember 2013 dargestellt haben soll, wenn die Behauptungen des Beklagten nicht zutreffen. Weiter hätte es an ihr gelegen, vorzutragen, wie der Beklagte auf ihr Verhalten reagiert hat, als sie die Arbeit wieder antrat, wenn dessen Vortrag nicht zutrifft.

Allerdings ist nicht von einer Pflichtverletzung der Klägerin im Hinblick auf ihre Krankmeldung am 30. Dezember 2013 auszugehen. Das Arbeitsgericht hat insofern zutreffend festgestellt, dass der Beweiswert der von der Klägerin vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert ist. Insoweit ist es keinesfalls lebensfremd, dass sich eine Erkrankung innerhalb kurzer Zeit an einem Vormittag entwickelt, insbesondere wenn es sich um eine Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen handelt und dieser ein Konflikt mit dem Arbeitgeber vorangegangen ist. Die Kammer verweist insoweit auf die zutreffende Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und macht sich diese gem. § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich zu Eigen.

dd) Die Wirksamkeit der von dem Beklagten ausgesprochenen Kündigung wegen der anzunehmenden Vertragspflichtverletzung am 24. Dezember 2013 scheitert jedoch an der Interessenabwägung. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Klägerin bereits am 24. Dezember 2013 wegen psychischer Beeinträchtigungen arbeitsunfähig erkrankt war. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache war dem Beklagten zumutbar, die Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, dem 15. Februar 2014, weiter zu beschäftigen. Insoweit ist zu Lasten der Klägerin zwar zu berücksichtigen, dass sie bereits am 06. Dezember unangemessen auf Kritik des Beklagten reagiert hat. Es ist weiterhin in die Interessenabwägung einzustellen, dass ihr im Hinblick auf die Bestellung des Partyservices kurz zuvor schon ein Fehler unterlaufen war. Schließlich ist dem Beklagten zuzugestehen, dass die Klägerin erst seit kurzer Zeit bei ihm beschäftigt war, zum Kündigungszeitpunkt erst 26 Jahre alt war und ihren Arbeitsplatz an einem Tag verließ, der besonders umsatzstark war. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass die Ehefrau des Beklagten am 24. Dezember 2013 nach dem Verlassen des Geschäfts durch die Klägerin die Kunden nicht alleine bedienen musste, sondern die Verkäuferin Frau B sie hierbei unterstützte. Diesen Vortrag der Klägerin hat der Beklagte nicht bestritten, so dass er als zugestanden angesehen werden muss.

Zu Gunsten der Klägerin ist in die Abwägung einzustellen, dass sie sowohl am 27. Dezember 2013 als auch am 30. Dezember 2013 ihre Arbeitskraft bei dem Beklagten angeboten hat. Die Kammer geht insoweit davon aus, dass sie sich für ihr Fehlverhalten vom 24. Dezember 2013 am 27. Dezember 2013 gegenüber dem Beklagten entschuldigte. Entsprechenden Vortrag der Klägerin hat der Beklagte weder substantiiert bestritten noch hat er Beweis für seine Behauptung angeboten, die Klägerin habe das Geschäft schimpfend verlassen. Ob gleich der Beklagte sie am 27. Dezember 2013 heim geschickt hat, hat die Klägerin am 30. Dezember 2013 nochmals ihre Arbeitskraft angeboten. Der Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt ihr gegenüber noch keine Kündigung ausgesprochen und dennoch ihre Arbeitsleistung abgelehnt.

Entscheidend ist jedoch, dass die Klägerin am 24. Dezember 2013, dem Tag, an dem sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten durch Verlassen des Verkaufsraums verletzte, tatsächlich nicht arbeitsfähig war. Hiervon muss die Kammer ausgehen, nachdem der Beklagte den substantiierten Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung nicht bestritten hat. Zwar hat der Beklagte im Vorfeld vorgetragen, die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 30. Dezember 2013 sei vorgetäuscht gewesen. Er wäre jedoch gem. § 138 Abs. 2 ZPO gehalten gewesen, zu dem substantiierten Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung betreffend ihre Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache, Entwicklung und Behandlung Stellung zu nehmen. Hier hat die Klägerin erstmals vorgetragen, dass sie bereits am 24. Dezember 2013 unter psychischen Problemen in Form einer depressiven Episode mit Nervosität und Schlafstörungen litt. Sie hat im Einzelnen vorgetragen, auf Grund welcher Diagnose Frau Dr. C sie für arbeitsunfähig befand und krank schrieb und dass sie sich auch im Folgenden in psychiatrischer Facharztbehandlung befand. Hierzu hätte der Beklagte nach § 138 Abs. 3 ZPO Stellung nehmen müssen. Selbst wenn man aber zu Gunsten des Beklagten davon ausginge, dass er einen entsprechenden Vortrag der Klägerin mit seinen Darlegungen im Vorfeld ausreichend bestritten hätte, wäre er für eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin jedenfalls beweisfällig geblieben. Die Klägerin hat insoweit die behandelnden Ärzte ordnungsgemäß von der Schweigepflicht entbunden. Ein Beweisangebot des Beklagten für eine Arbeitsfähigkeit der Klägerin am 24. Dezember 2013 ist jedoch nicht erfolgt.

Es kann offen bleiben, ob der Klägerin im Hinblick auf ihre am 24. Dezember 2013 vorliegende psychischer Erkrankung überhaupt ein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Jedenfalls wäre ein entsprechender Schuldvorwurf so stark eingeschränkt, dass die Interessenabwägung hier zu dem Ergebnis führt, dass dem Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist für einen Zeitraum von ca. fünf Wochen zugemutet werden konnte. Dies gilt zumal, als der Beklagte selbst nach seinem eigenen Vortrag zwischen dem den Kündigungsgrund bildenden Vorfall und dem Zugang der Kündigung zehn Tage verstreichen ließ.

2.

Die Berufung ist auch erfolglos, soweit sie sich gegen die Verurteilung des Beklagten zur Abgeltung von 2,25 Urlaubstagen wendet. Wie dargelegt ist die außerordentliche Kündigung unwirksam, sodass das Arbeitsverhältnis bis zum 15. Februar 2014 fortbestanden hat. Der Anspruch der Klägerin entfällt schon deswegen nicht nach § 11 Nr. 14 MTV, weil nicht ersichtlich ist, woraus sich die Anwendbarkeit dieses Tarifvertrags ergeben soll. Gegen diese Erwägung des Arbeitsgerichts wendet sich der Beklagte inhaltlich auch ebenso wenig, wie gegen dessen zutreffende Berechnung der Anspruchshöhe.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Für die Zulassung der Revision besteht bei der vorliegenden Einzelfallentscheidung kein gem. § 72 Abs. 2 ArbGG begründeter Anlass.

Schlagworte

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